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Solche Zweckästhetik hat sich bei uns für die Windhunde des festen Landes früher erfüllt als für die mit Königsschlösser-Prunk prahlenden Windhunde des Ozeans, die zögernder ihr eigenes Wesen aussprechen.
Die alten Schiffsinterieuren wollten auch lieber als etwas anderes erscheinen als ihr Wesen bekennen. Ihr Ehrgeiz war die Bemäntelung des Schiffscharakters und die Illusionierung von Festlandswohnungen möglichst im Pompstil von Königsschlössern.
Im Gegensatz hierzu hat der Münchener Richard Riemerschmied, ein Möbel-Ingenieur, dem die Einrichtung der Offiziersmessen und Kajüten für ein deutsches Kriegsschiff übertragen ward, die Raumwirkung aus den eigentümlichen Bedingungen des Schiffsrumpfes abgeleitet. Nicht mit den festgelegten Stilschablonen, ganz induktiv ging er an sein Werk, er studierte erst die Aufgabe nach ihren Besonderheiten und gewann sich daraus die für sie charakteristischen Ausdrucksformen.
Für ihn, wie auch für van de Veldes Art, kommt es immer darauf an, aus Nöten Tugenden, aus Schwierigkeiten Schönheiten zu machen. Wo andere kachieren und ein Ornamentelchen darüber hängen, stellen sie gerade die Funktion dar, betonen sie ausdrücklich. Diese echte bekennende Aussprache, die gewissermaßen in das sonst bedeckte Getriebe der inneren Kräfte sehen läßt, erweckt lebendiges Interesse und gibt damit auch einen ästhetischen Reiz.
Riemerschmied entwickelte die Möbel und ihre Verbindung zum Raumensemble durchaus aus den leicht gebogenen Wänden der Kajüte, und gerade die Rippen der Decke wurden mit den daran geklammerten, frei schwebenden Messing-Beleuchtungskörpern als ein originelles, durch Notwendigkeitsfaktoren schmuckhaft wirkendes Motiv benutzt.
Gleichfalls ein Schiff schiffsgemäß ausgestaltet hat Berlepsch-Valandas. Und der Künstler hat seine praktischen Beispiele, die auf dem Bodensee schwimmen, selbst erläutert, und seine Worte haben grundsätzliche Bedeutung für die »reine Lehre« von der »inneren Form«: »Warum die leicht gebogenen Rippen der Decken, die Nieten und Schraubenköpfe, die notwendigen Stützen der mittleren Längsrippen in ein Kleid stecken, das gar nicht dazu paßt. Sie sind, ist ihre technische Ausführung einwandsfrei, nicht um Haaresbreite weniger schön als irgendwelche mit ihnen in Verbindung gebrachten Stilgebilde, wie Profile, Kapitäle usw. Das Bekleiden der sphärisch gebogenen Wände mit Getäfel, das durch Pilaster oder Säulen geteilt erscheint, kam selbstverständlicherweise in Wegfall. Eine solche Wandgliederung widerspricht dem Wesen der Schiffswand durchaus, denn sie überträgt Motive, die allenfalls bei der senkrecht feststehenden Mauer anwendbar sind, fälschlich auf gekrümmte Flächen.
Schiffsinterieure an solcher Gesinnung hat ferner Bruno Paul entworfen.
Das eine, eine beschauliche Arbeitskajüte, ein modernes Hieronymus-Gehäus, ganz mit gelbflammiger Birke ausgeschlagen, die Wände umzogen vom Paneel der eingebauten Bücherregale, die sich an der einen Seite zu einem vorgebuchteten Halbrund, einem Schauraum, auswölben. Die Bücherei des Inselverlags liefert hierzu die erlesene Füllung. Ein großes Glasoval der Decke gibt Oberlicht, und dieses Medaillon ist für die abendliche Beleuchtung umkränzt mit einem Ring elektrischer Birnen. Man denkt bei diesem maritimen Studio an Loti, den Seefahrer und den Dichter des Lebens in den »hölzernen Klöstern«.
Nicht weniger gelungen präsentiert sich der große Rauchsalon für den Norddeutschen Lloyd. Er hat durchaus Schiffsstil aus den Bedingungen der Schiffsarchitektur abgeleitet, und er schillert nicht in die trügerische Sphäre der früher bei unseren Seegesellschaften so beliebten Königsschlösserstile hinüber.
Und wieder denkt man an Guy de Maupassants Wort: »Der Luxus einer Yacht liegt in dem blanken Holz und den metallenen Beschlägen«. Der Raum ist ein großzügig gefügter Mahagonischrein. Die warmen, rötlich spielenden Kastenwände sind mannigfach und abwechselnd gegliedert, durch eingebaute, facettenfunkelnde Schränkchen, die tiefe, mit krokodilnarbigem Leder bezogene Sofasitze flankieren; durch die Bronzefüllung der Heizverkleidung mit ihrem graziös spielenden Filigranmuster und dem spiegelgefelderten Fries darüber. Die Tür ist ein Schmuckstück der Wand, mit ihrer Mittelfüllung aus abgetönter Schachbrettintarsia, der Schlüsselplatte aus mattblankem Messing und der knaufigen, in die Hand sich einschmiegenden Klinke.
In der Konstruktion erfreuen die Stühle. Sie sind aus einem Guß und in einer lebendigen Linienführung gebogen. Die Rückenwölbung ist eingebuchtet, ihre Randlinien bilden sich zu Armlehnen aus und verlaufen nach unten als Beinstützen – eine organische Körperlichkeit von eigenem Takt.
Sehr hübsch ist noch die Seitenkoje mit ihrer dreifältigen, um die Wand gezogenen Bank, dem festgegründeten Tisch mit seinen Trinkglasständern unter der Platte, dem Fußbanksockel, dem zweckmäßigen, graugrün gemaserten Linoleumbezug. Und der Oberlichthimmel darüber aus mattem Milchglas ist mit einer schwarzen Zellenmusterung aus Quadraten und Karos in der Art japanischer Schablonen gezeichnet.
Der Norddeutsche Lloyd ging voran in der sinngemäßen Reformierung der Schiffe an Haupt und Gliedern, und was zögernd begonnen und anfangs noch mit dem alten Prunkstil zusammengemischt wurde, das ist jetzt konsequent in den jüngsten Riesen dieser stolzen Flotte, dem »George Washington«, erfüllt worden.
Bruno Paul und Richard Riemerschmied haben hervorragenden Anteil daran. Aus ihrem Kabinenstil ergab sich auch ein neuer Hotelzimmertypus.
Das Hotelzimmer, dessen Stolz noch viel zu oft ein falscher Salonstil ist, soll ein neutraler Aufenthaltsraum für Passanten sein. Sein Ehrgeiz muß sein, möglichst vollkommen alle Bequemlichkeitsfunktionen auszuüben, eine Idealmaschinerie für alles zu sein, was mit den Gepäcksdispositionen, den Garderobeverhältnissen, den Wasch- und Toilettevorrichtungen – natürlich mit fließendem Warm- und Kaltwasser – zusammenhängt, eine Art raffinierten Necessaires, das wie ein kompletter ingeniös disponierter englischer Bag durch Promptheit und Exaktheit Lustgefühl erweckt. Auf »Schmuck«, auf Bilder, vom Hoteliergeschmack ausgesucht, wird gern verzichtet. Den Schmuckeindruck bekommt der Raum durch das Holz seines Mobiliars, durch die raumgliedernde Disposition der Möbel – das Bett z. B. in einer fensterversehenen Nische – und durch die als dekorative Füllung der Wand behandelte Fensteranlage.
Wie Riemerschmied das Kleiderspind und den Waschschrank, der durch Flügel geschlossen werden kann, als flankierende Pfosten der Türe benutzt, beide durch eine Bedachung miteinander und mit dem Türrahmen verbindet, so daß ein kleiner Vorraum zwischen Schwelle und Zimmer entsteht, das ist ein bescheidener, aber doch registrierenswerter Versuch, die Öde des Hotelzimmers durch eine Regie mit den eigenen legitimen Zweckmitteln lebendiger zu gliedern. Und man denkt dabei an jenes vollendete Vorbild eines wahrhaften »Gasthauses«, an das kleine, lustig-schmucke Sommerhotel von Saltsjöbaden bei Stockholm, in dem wir noch einkehren werden.