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Und belgische Erinnerungen stellen sich ein – die Landhäuser von Westende. –
Ostende die Sommerfiliale europäischen Großstadtlebens, Westende die Kolonie unserer jungen angewandten Kunst.
Kosmopolis am Meere, eine Weltstraße, so streckt sich die Digue mit ihrem hell-ebenen Steinparkett, hoch über dem Strand aufgebaut, von dem fayence- und glasglitzernden Kursaal zu den weißen Wandelgängen des Royal Palace-Hotels. Seltsame Mischung aus Künstlichkeit und Natur scheint es, wie dort unten am Strand das Fest der Elemente gefeiert wird, die Flut anstürmt gegen die scheckig gestreifte Riesen-Wagenburg der Kabinen, die schweren Pferde im Meergischt stampfen, die Fülle der Badenden, Männlein und Fräulein, im Spiel der Wellen auf- und niedertauchend, durcheinander wirbelt, sonnenbeglänzt über der nassen Haut in schwarzem und blauem Trikot – und wie hier oben unter freiem Himmel sich ein Gesellschaftsbild entfaltet, Bilderszenen aus einem Pleinair-Foyer mit Chiffon- und Spitzenwehen.
Der Vordergrund das Meer, der Hintergrund die lange Linie der Hotelfassaden, weiße Wände mit den Glaskästen der Balkone und Veranden. Ihr Anfang und Ende, Kurhaus und Palace, erinnern an den Vergangenheits-Feststil Pariser Weltausstellungen. Exotische Kuppeln und Türme, Château d'eau-Emporen, Rondelterrassen, Palastportale.
Westwärts von dieser Straße liegt der Strand der Gegenwart. In dem jungen Westende erstand als Gegenstück des Ostender Welttheaters das intime Theater. Eine Cottage-Kolonie am Meere wuchs hier auf, keine repräsentativen Hotel-Palazzi, sondern zierliche Sommergehäuse, und auf diesem kleinen Dünenflecken finden sich mehr Zeichen moderner angewandter Lebenskunst vereinigt als in ganz Belgien.
Den englischen Landhäusern der Bailli Scotts und Voyseys verwandt sind diese schmucken Bauten, nur etwas matisseriehafter. Sie betonen alle das Rustikale, die Simplizität des Materials; wie sie aber die Bestandteile mischen, wie sie die farbigen Wirkungen abtönen, wie sie durch reizvolle Unsymmetrie interessante Bewegung in die Fassade bringen, das atmet Frische und Leben.
Unter hellem Himmel, in Sonne und Meerluft gebadet, stehen diese Villen farbenfreudig da. Aus rauhen Backsteinen sind sie mit sichtbarem Fachwerk. Rot und grün ziehen sich die Holzspangen über die Wände. Sie rahmen die Fensterkreuzung, und in dieser Umrahmung liegen die in weißen Sprossen gefaßten Scheiben.
Die Fenster sind die Schmuckstücke der Fassade. Häufig werden sie ovalgebuchtet aus der Wand herausgebogen, oder sie runden erkerförmig die Ecken ab und deuten damit nach außen die behagliche Gliederung der Innenräume an. Schmuckwirkung haben auch die Eingänge. Sie werden gern seitlings angebracht. Als ein Anbau mit zierlichem Eigendach entwickeln sie sich.
Doch das Reizvollste sind die Dächer mit ihren kletternden Giebeln. Solch Dach wird mannigfach variiert, in Hebungen und Senkungen steigt es und flacht sich ab, man kann aus ihm lesen, wie unter ihm die Langeweile der vier Wände, der kastenförmigen Zimmer überwunden ist, wie die Räume verschieden hoch sind, wie in einem höheren Raum eine niedriger gedeckte Koje eingebaut ist als ein beschaulicher Dämmerwinkel, und wie ein Lugaus vorspringt. Und keine üble Idee war es, einem dieser Landhäuser ein mächtiges Strohdach aufzusetzen, das wie eine alte, gemütliche Haube darüber hängt und in seinen Schatten alle die lustigen Farben sammelt: das Graurot des Backsteins, das leuchtende Weiß der Spalierfenster, das tiefe Grün der aufgeschlagenen Fensterläden mit ihren herzförmigen Ausschnitten. Ja, Westende ist wirklich eine Versuchsstätte unserer jungen angewandten Kunst, und ein überraschendes Zeichen dafür empfängt man in der schmalen Verkaufshalle am Strande, den Salles Westendaises, die ein Musterlager moderner Kunstgewerbe-Arbeit aus allen Gebieten und Ländern ausbreiten: Cecil Aldinsche Kinder-Friese, die Arche Noäh des Libertyschen Kinderzimmers, holländische Wandbilderbogen ländlicher Tänze, Nicholsonsche saftig-graugelbe Sportholzschnitte, das Spielzeug der Dresdener Werkstätten für Kunst im Handwerk, die Almanache der Kate Greenaway, Steinlens vielgeliebtes Katzenalbum, Leinendecken und Applikationsarbeiten und vor allem gute Poterien. Koloristisch ausgezeichnetes Steinzeug, Poterie de Flandre, steht auf den Regalen, schöne melonen- und kürbisförmige Vasen in schwimmenden, an die Austern-Nuancen erinnernden Tönen, überlaufen von mattgrünen Flüssen. Zeichen des Meeres ist diese Koloristik, Reflex jener Wellenstimmung in Milchig-Grau, das sich an den Rändern absinthgrün abtönt …