Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Mit einem Wort, die Form ist nichts anderes als ein bedeutsames Äußeres, die sprechende, durch keine störenden Zufälligkeiten entstellte Physiognomie jedes Dinges, die von dessen verborgenem Wesen ein wahrhaftes Zeugnis ablegt« …
Dies fast hundert Jahre alte Wort A. W. Schlegels aus seinen Shakespearevorlesungen gibt eine frappante, unübertreffliche Charakteristik für die Gestaltungs- und Formulierungs-Tendenzen in der modernen angewandten Kunst.
Ihr bedeutsamster Trieb ist, von der äußerlichen, oft sinnlosen und das Wesentliche verwirrenden »Ausschmückung« zu einer, von innen nach außen bildenden, eigenschaftsbetonenden Ausdruckssprache zu gelangen, statt entbehrlicher, zufällig-wahlloser Zierrate eine Ornamentierung durch Steigerungswerte durch Betonung von Material, Funktion und Zweck zu gewinnen, eine Ornamentierung, die als Akzent der wichtigen Architekturteile eines Gerätes dient und ihre Übergänge und Anschlüsse markiert; jedenfalls aber nur zu dienen hat und nur ein Vasall ist im Dienst einer höheren Aufgabe und sich nicht in »unfruchtbarer Schönheit« breit machen darf.
Es läßt sich heute schon zu diesen abstrakt klingenden Definitionen eine reiche Übersicht konkreter Beispiele geben. Und solche Übersicht wird zu einer anregenden Schau lebendiger Kräfte und organisch-logisch sich vollziehender Prozesse. Freilich, um mit dem Negativen zu beginnen, das Gegenbeispiel ist noch im Überfluß vorhanden und noch gar nicht überwunden. Man trifft noch allzu häufig, auch in Umgebungen, die sonst Ehrgeiz zeigen, Gebrauchsgerät, das sich attrappenhaft vermummt und mit spieliger Nebenbedeutung billige Ergötzlichkeit erstrebt: Langgestreckte Teckel als Messerbänke, hängende Trauben mit Blattwerk als elektrische Klingeln, Sektflaschen als Zigarrenabschneider, langwellige Schleppen von Frauenfiguren als Aschenbecher.
Das Wort »Als« ist für die ganze Gattung charakteristisch. In ihm liegt ausgesprochen, daß man den Reiz der Dinge nicht in ihrem eigentlichen Wesen findet, sondern in dem, was sie scheinen und vorspiegeln.
Wir aber wollen, daß sie sein sollen, daß sie ihren Beruf energisch und überzeugend an der Stirn tragen, daß sie durch ihre Gestalt, durch die Führung ihrer Linie unzweideutig zum Gebrauch einladen und unzweideutig eine angenehme und erfolgreiche Hantierung garantieren. Es ist eine ganz falsche Annahme, daß eine solche Gestaltung nur Nüchternheitswirkung hervorbringen könne. Im Gegenteil, der Eindruck des organischen Gewachsenseins erweckt Lustgefühl, und der klar sich aussprechende Zusammenhang zwischen Formulierung und Bestimmung erregt eine ästhetische Befriedigung.
Eine ausdrucksvolle Einkleidekunst kann man das nennen, nur darf man unter Kleid keine Attrappe oder Maskerade verstehen, sondern die lebendige Hauthülle, die ein ehrliches Abbild des inneren Wesens darstellt: »es ist der Geist, der sich den Körper baut«.
Man kann dabei an die Wirkung einer präzisen Maschine oder einer federnden Eisenbahnbrücke mit ihren Verkreuzungen und Riesenfiligrangespinsten denken, an der nichts des Schmuckes wegen geschieht, an der alles Funktion ist, und die dabei durch das sprechende Gelungensein uns durchaus ästhetisch berührt.
So hat die mächtige Kristallinse eines Kajütenfensterauges mit ihrem gewaltigen Messingband darum, in der blanken Mischung von Glas und Metall mit ihrer Durchsichtigkeit und dabei anprallfesten Stärke etwas Bestechendes, sie beruhigt vielleicht etwas unsere so oft enttäuschten Vollkommenheitsbedürfnisse und gibt uns die seltene Vorstellung zweifelserhabener Sicherheit.
Ähnlich wirken die Schiffslaternen mit ihren gedrungenen, dickwandigen Glasrümpfen und dem festen Metallgitterwerk, das sie schützend umpanzert.
Rennboote mit der schneidenden Streckform ihrer Pfeilfigur sind auch nur durch sich selber, durch ihre eigenen Zwecknotwendigkeiten »schön«.
Auch in der Natur gibt es solche Zweckästhetik. Die anregungsvolle Dresdener Ausstellung von 1906 gab in einer Sonderabteilung reiche Gelegenheit, zu studieren, wie in der Bildung der animalischen Geschöpfe die Zweckorgane meist gleichzeitig schmuckhaft wirken, wie in den Gängen der Muscheln und Schnecken, bei den Korallenstämmen, den Kristallisationen, den Glasschwämmen und ihrer Aderungen, den Durchbruchsmusterungen kalkiger Meeresgebilde eine Ornamentik sich weist, die nie bloßes Zierrat ist, sondern immer ein lebendiges Prinzip zum Ausdruck bringt, eine Funktion, einen natürlichen Prozeß.
Das Ornament so als bedeutungsvolle Kennzeichen; als verkündigende Hieroglyphe innerer Eigenschaften zu brauchen, nicht als ein totes, an den Haaren herbeigezogenes gleichgültiges Anhängsel, das soll nun auch die angewandte Kunst erstreben.
Vortreffliche Beispiele dafür, wie die notwendigen Gebrauchsfaktoren eines Gerätes gleichzeitig sein eigentümlicher und organischer Schmuck werden, sah man in einer Ausstellung von Werken der Nürnberger Handwerkskunst, vor allem von der Riemerschmid-Klasse im Albrecht Dürer-Haus. Ein Musterexempel war eine Teebüchse aus Steingut mit Zinnbändern montiert.
Diese Zinnbänder waren keine zufällige Hinzufügung, sie waren »in Schönheit« dienende Glieder. Aus der Fußplatte aufwachsend, bildeten sie den notwendigen Schraubenhalsverschluß, und der Schraubendeckel dazu hatte in seinem Knaufgeflecht vier Eindrücke, die gleichzeitig bequeme Griffhantierung ermöglichen und eine hübsche, belebte Flächengliederung darstellen.
Ähnlich ist die schmuckhafte Zwecktendenz in Messingklinken ausgesprochen. Die schmale, lange Türplatte empfängt eine Pointierung durch die Schraubenköpfe, die sie befestigen, sie ergeben in ihrer Anordnung ein einfach natürliches Ornament. Und der Griff, der aus schmalem Ansatz wächst, sich biegt und breit entwickelt, hat durch diese schmiegsame, der Hand eingepaßte Linie Zweckmäßigkeit und zugleich – das Auge glaubt an seine Tauglichkeit und Grifftüchtigkeit – ästhetischen Reiz.
Weiter lassen sich solche Beobachtungen an Bilderrahmen machen. Hier ist gewöhnlich die Anhängeöse der wunde Punkt. Man verlegte sie gern an die unsichtbare Stelle der Rückwand. Unsere angewandte Kunst liebt aber das Versteckspielen nicht, sondern das Bekennen, und gerade die Aufgabe reizt, aus all den Eigenschaften, die in den Attrappenzeiten als Naturfunktionen schamhaft verborgen wurden, jetzt charakteristisch betonte Wesenzüge zu machen, aus der Not eine Tugend.
So erhält die breite Holzleiste des Rahmens einen diskret angepaßten Metallbeschlag, und seine Bänder bilden in freier Entwicklung dann die Verschleifung, an der das Bild aufgehängt wird.
Aus der Not eine Tugend machen, diese zweckästhetische Tendenz kehrt oft variiert wieder. Besonders ausgebildet hat sie van de Velde. Was andere verstecken und durch auffrisierten »Schmuck« bemänteln, das rückt er gerade ins Licht, ja es wird für ihn der Ausgangspunkt für die ausdrucksvolle Gestaltung.
In schlechten Zeiten geht man vom Schmuckmotiv, vom Ornament aus, und in das fertige Kostüm müssen sich die Dinge hineinpassen lassen. Heute sieht man sich voraussetzungslos die Aufgabe auf ihre Eigenschaften, auf was es ankommt, an. Das wird ausdrucksvoll betont in der Ausführung, so entsteht eine wahrhaft von innen herausgebildete Form, eine Wesensphysiognomie.
Als van de Velde die Inneneinrichtung eines Friseurladens zu komponieren hatte, da machte er aus den sonst verborgenen Zuleitungsröhren für die Brennapparate und für die Spülbecken ein lebendiges Linienspiel auf den Holzpaneelen, und bei seinen letzten Arbeiten, den Fächern der Friedmann-Weberschen Ausstellung, ging sein Dekor darauf aus, auf dem Blatt des Fächers, auf seiner Haut, seine Struktur, seine Gliederung zu betonen. Die normale durchschnittliche Fächerbehandlung verleugnet meist das Skelett, das Stabwerk und die Zusammenfaltungsfunktion. Sie behandelt das ausgespannte Blatthalbrund als Einheitsfeld und bedeckt es mit Bildzierrat, das beim Zusammenlegen des Fächers dann zerdrückt und verschoben wird. Van de Velde aber, seinem Konstruktionsgedanken getreu, behandelt nicht die Blattfläche, sondern den Einzelstab. Er entwirft ein Stickereimuster, das in seiner Konturführung auf dem Seidenblatt den Lauf des Stabes aus dem schmalen Ansatz bis zum breiteren Abschluß betont und sich von Stab zu Stab wiederholt.
Ferner findet man die zweckästhetische Note bei den Schalen und Fruchtkörben aus durchbrochenem Eisenfiligran der Wiener Werkstätte. Durch den Gebrauch erst erhalten diese quadratisch-durchbrochenen Gitterwandungen ihre volle Schmuckwirkung. Die Obstschalen sind so gedacht, daß die farbigen Effekte der Äpfel, Birnen und Trauben durch die weiß emaillierten Maschen der Wandung spielen, ähnlich wie es bei dem Gitterporzellan von Alt-Berlin ist. Die dunkelpatinierten Serviettenringe sind darauf berechnet, daß ihre Vierecke von dem Weiß des Damastes ausgefüllt werden.
Von besonderer Delikatesse ist eine schlank aufstrebende, eckige Säule mit eingebuchteten Wänden aus solchem Gitterwerk. Sie ist für rankende Blumen bestimmt. Unregelmäßig, in dem Gegitter leicht auswechselbar, sitzen an ihr gleich kleinen Balkonen Gitterkästchen, aus denen die Zweige sich strecken. Auch hier kommt der wahre Reiz erst in der Anwendung heraus, wenn durch das weiße Spalierwerk grünes Gewinde klettert, und rankenumblüht der luftige Turm in Fontänengrazie aufsteigt. Bei diesen Stücken, die einen geringen Materialwert und kaum einen übertriebenen Arbeitswert haben, wird mit dem hohen Preis die Kunst und die Gunst des Einfalls bezahlt.
Musterhaft ist eine Essig- und Ölmenage des bekannten schönen, silbernen Tischensembles von Koloman Moser. Die Flaschen stecken in silbernen Hülsen, und diese Hülsen zeigen das Motiv kleinquadratischen Ausschnittes.
Diese Musterung erfüllt ihren Zweck erst, wenn die Flaschen benützt sind, denn nun schimmert die Flüssigkeit farbig durch die Vierecke, gleich Email-Inkrustation in der Silberfläche.
Das ist ein dekorativer Effekt, ohne jedes Hinzutun rein mit den Wesenseigenschaften des Objekts hervorgebracht, durch seine eigenen Mittel selbstverständlich und ungezwungen bestritten und darum so außerordentlich überredend.
Von den Bensonkronen muß hier auch gesprochen werden, die zuerst aus der Wesensart des elektrischen Lichtes die formale Wirkung gewannen und die Leuchtkörper frei an Schnüren hängend vorführten als reizvoll pendelnde Lampionspiele. Das ist dann viel variiert worden, Riemerschmid wandte es u. a. im Trarbachhaus an, und phantasievoll mit musikalischem Rhythmus sind die Illuminationskünste solcher schwebender Lichterreigen bei den Makintosh und den ihnen verwandten Wienern.
Moderne Schrankgliederungen, vor allem die der Bruno Paulschen Typenmöbel wären zu erwähnen, die ihre Fassade nach dem Gesetz der modernen Hausfassade zum deutlichen Abbild ihrer inneren Teilung machen und durch die Kombination der Kasten- und Türfüllungen, der vertikalen und horizontalen Fächerungen, durch die hellen Akzente der Metallgriffe, Ringe und Schlösser einen lediglich durch die Gebrauchsfaktoren bewirkten lebendig-angenehmen Augeneindruck machen. Die Freude am »geölten« Funktionieren, an der fixen Griffertigkeit spielt hier mit, die Befriedigung am technisch Vollendeten, die wir auch den modernen Maschinen gegenüber haben.
Die Möbel, die den markantesten Ausdruck des Maschinenzeitalters in ihrer Präzision, in ihrem federnden Mechanismus auf einem Griff darstellen, sind die amerikanischen Bureauschränke und Schreibtische. Sie freilich haben, vor allem durch ihre Farbe, etwas Kaltes, Nüchternes, Geschäftsmäßiges.
Es war ein kluger Gedanke Friedmanns, ihre Zweckkünste etwas artistischer auszubilden. Edlere Hölzer, pikante Materialwirkungen aus Verglasung, Metall, apart geführtem Leistenwerk, schönen, großzügigen Beschlägen, japanischen Vergitterungen sind die Mittel dabei und sie, verbunden mit den Finessen einer fabelhaft ausgebildeten Zweckmaschinerie, bei der »man nur auf den Knopf zu drücken braucht«, stellen Muster moderner Ästhetik dar. Die Kabinenmöbel des neuen Lloyddampfers »Kronprinzessin Cecilie« zeigen gleichfalls solche Funktionsreize, und gerade für den Steamer-Style paßt solche exakte Mechanik gut.
Ein Beispiel aus anderem Gebiet, aus der Buchkunst, geben die Pergamentbände mit Bindebändern. Die Bänder sind keine Frisur, sondern Notwendigkeiten. Sie halten die leicht verziehbaren und witterungsempfindlichen Pergamentdecken fest zusammen. Diese Notwendigkeit wird aber zu einem Zierrat, wenn die Bänder in einer zum Pergament besonders schön stimmenden Farbennuance ausgewählt und, wie die Wiener es lieben, in einer Viereckausschnitt-Musterung durch die Decken gezogen werden.
In der Buchbindekunst ist übrigens solch Dekor durch technische Konstruktionsmittel gute Tradition. Die erhöhten Bünde, die auf dem Rücken das feste Gefüge des Buchkörpers betonen und dabei seine Fläche energisch gliedern, geben dafür charakteristisches Beispiel.