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Das deutsche Bauernhaus

Für die ländlichen Hauskulturen herrscht jetzt großes Interesse, weil sie unabhängig vom historischen Stilatlas, der in mißverstandener Anwendung so viel Schiefes und Unechtes erzeugt hat, sachlich von den Bedingungen des Wohnens, von den Voraussetzungen des Bodens und des Materials ausgingen. Aus der Neigung und den Bedürfnissen nach einer solchen Hauskultur entwickelte sich auch ein ganz neuer Blick für Vergangenheitszeichen verwandter Art. Im alten Bauernhaus erkannte man die sachlichen Tendenzen wirksam und zum liebevoll studierten Muster ward es. Die sehr instruktiven Bücher Schultze-Naumburgs über Hausbau und Gärten, die verdienstvolle jung-österreichische Zeitschrift »Hohewarte« treiben anregende Geschmackspädagogik durch das Konfrontieren von Beispiel und Gegenbeispiel, von gelungenen natürlichen Lösungen der Vergangenheit und mißratenen der Gegenwart.

Und der Gedanke dabei ist nicht etwa der, daß das Alte nun sinnlos kopiert werden soll, sondern vielmehr, daß der sachliche Geist, die sichere aus Wesen und Bestimmung des betreffenden Baues entwickelte Formgestaltung, das Zweckbewußtsein, das nicht in schönrednerischen Ornamenten kramt und die Kraft auf den reinen und klaren Ausdruck aller wesentlichen Funktionen der Architektur konzentriert, neu geweckt werden und nun mit Hilfe aller modernen Techniken und Komfort-Errungenschaften der neuen Zeit Bauten schaffen soll ohne Maskerade, voll »innerer Form«, keine Stilattrappen, sondern »Heimstätten für Menschen«.

Während Gegenwartsbeispiele solcher lauteren Architekturmoral im Ausland viel häufiger sind als in Deutschland, so haben wir dafür im deutschen Bauernhaus der Vergangenheit ausgezeichnete Exempel solcher Sinnesart. Und es ist viel mehr als nur ein antiquarisches Interesse, wenn jetzt die »Kunst auf dem Lande« Heinrich Schurey gab unter diesem Titel ein erziehliches Sammelwerk heraus. so gern auf die Tagesordnung gesetzt wird.

Merkwürdig und bezeichnend für den Standpunkt unserer Zeit in diesen Fragen ist dabei nur die Bezeichnung »Kunst«.

Man ist, da so lange in den Gebrauchsgegenständen Charakterlosigkeit und Geschmacklosigkeit geherrscht hatte, sofort mit dem Wort Kunst bei der Hand, wenn ein Gerät gelungen und schön seinen Beruf erfüllt. In vergangenen Perioden besserer Kultur war das etwas Natürliches und Selbstverständliches. Nicht aus »Kunst« baute man Häuser auf praktische und behagliche Wohnlichkeit, sondern darum, weil Häuser zum Wohnen bestimmt sind und darum diesen Beruf bei zwangloser Anpassung an die Art der Umgebung und die Natur des Geländes möglichst vollendet erfüllen sollen.

Eines der fesselndsten Kapitel im deutschen Landhausbau ist die Naturgeschichte des deutschen Dorfes und des Bauernhauses in seinen wechselnden, durch die Landschaft und durch die Wesensart der Stämme bedingten Typen. Was uns heut in allem so wichtig erscheint, das Organische, das Entwickeln der äußeren Form aus der inneren wesentlichen Eigenschaft, das ästhetische Zum-Ausdruck-Bringen von Kraft und Stoff, kann man in diesen Schilderungen am natürlichen, unbewußten Objekt verfolgen.

Wie der Baustoff die Kunstformen bestimmt und wie die Physiognomie der Landschaft dem Siedlungscharakter das Gepräge gibt, erkennt man.

Im norddeutschen Heide- und Tiefland herrscht durchaus die Horizontallinie. Das Ortsbild streckt sich in die Breite, »fast kriechend« sind die Ortschaften gelagert, und auch bei den Einzelhöfen schmiegen sich die mächtigen Firste und Dächer, die niedrigen, weit auseinandergespreizten Mauern, die Kirche mit dem breiten Turm und dem mantelartigen Dach der zwingenden Herrschaft dieser Horizontalen an.

In Mitteldeutschland bereitet sich die Vertikalrichtung vor, die im Hochgebirgsdorf dann ihre Erfüllung findet. Die Häuser wachsen nach oben, statt in die Breite. In dem wechselreichen Hügelland, in dem auch das Holz der Laubbäume an Stelle der gradlinigen Nadelhölzer bewegtere Linien begünstigt, schieben sich die Gehöfte zusammen statt der flach und breitgezogenen Ausdehnung im Talland.

Auch das Wasser, das sich in der Ebene als stilliegende Seen oder Sümpfe darstellt, wird im Mittelland zu schlängelndem Lauf gedrängt und verschiebt die Lage des Hauses aus der geraden in eine unregelmäßig bewegte Linie.

Anders äußert sich die Wirkung des Baumes in der Ebene und im Hügelland. In der Ebene rücken die Bäume zu großen Beständen zusammen, aus dunklem Waldhintergrund der Nadelbäume heben sich die niederdeutschen Siedlungen heraus.

Im Hügelland aber tritt der einzelne Baum mehr in Wirkung, er »rückt als Individuum in die Dorfstraße, selbst in den Hof ein und sichert dem Ortsbild größere Mannigfaltigkeit und malerische Abwechslung«.

Bei der Betrachtung des Bauernhauses der verschiedenen Landschaften, des »Ebenen-, des Wald- und des Gebirgsdorfes«, findet man immer, daß diese ländliche Bauweise den lebendigsten Zusammenhang mit der Art der Bewohner hat, sie stellt sich als logisches Ergebnis des Klimas, des Terrains dar, ihre Formen sind folgerichtig aus dem heimischen Material entwickelt. Eine hohe Erfüllung des modernen Begriffes »Nutzkunst« ergibt sich.

Und immer läßt sich konstatieren, wie in freier Selbstverständlichkeit alle Anforderungen des Gebrauchs, jede Zweckmäßigkeitsbedingung formal ausgebildet und zu einem charakteristischen und damit zugleich auch schmückenden Zug in der Physiognomie des Gehöftes werden. An dem Beispiel des Schwarzwaldhauses kann man das besonders gut erkennen.

Das Schwarzwaldhaus ist ein Gebirgshaus. Das Terrain hat ihm im Gegensatz zu dem in die Breite und in die Fläche gezogenen Ebenenhaus die vertikale Entwicklungslinie diktiert.

Als Geschoßbau steigt es in die Höhe auf, und im obersten Geschoß liegt Speicher und Tenne, die mit dem Berghang durch ein »Brückl« verbunden ist; auf ihm fahren die Erntewagen direkt in den Speicher. Und unter ihr bildet sich in natürlicher Anlage ein gedeckter Durchgang und Aufbewahrungsplatz für Gerät und Werkzeug. Diese rein praktische Anlage, durch den Zwang des Terrains veranlaßt, ist von großer malerischer Wirkung, und da sie ein Produkt der Landschaft, verschmilzt sie auch einheitlich mit ihr. Sie wirkt nicht gemacht, sondern erwachsen, entstanden. Hier findet sich unbewußt der Grundsatz des modernen Landhausbaues ausgedrückt, daß die Fassade nicht durch aufgesetzten Schmuck und Ornamentausputz schön wird, sondern, daß sie ihre Schönheit, das charakteristische Gesicht durch den überzeugenden Ausdruck der inneren zweckmäßigen Gliederung erhält, und daß Unsymmetrien und bewegte Linien den Reiz nur steigern. So wird die eine Seite des mächtigen Strohdaches weit herabgezogen, um niedrigere Anbauten abzudecken, ein Mittel, das der moderne Cottagebau über alles liebt, weil durch die auf- und absteigende Führung des Daches die Gesamtsilhouette im Rahmen der Bäume für Licht- und Schattenwirkung so dankbar ist.

Und die zufälligen Unebenheiten der Baustelle, die Hebungen und Senkungen des Geländes, die Schwierigkeiten des Bodens wirken nur anregend, sie setzen sich in natürlich-organische Baumotive um. Durch sie werden die Innenräume vielseitiger gegliedert, und das abwechslungsreiche Bild reflektiert sich nach außen in einer Gesamtform voll Fülle und Rhythmus und immer frei von Monotonie und Langeweile.

Nicht nur das Terrain, auch das Klima bestimmt die formale Ausgestaltung. So ist das bayerische Einheitshaus mit der inneren Längsverbindung, durch die der Bauer seine ganze Wirtschaft besehen kann, auch wenn im Winter das ganze Anwesen im Schnee begraben liegt, eine »klimatische Erfahrungseinrichtung«.

In solchem Zusammenhang denkt man auch an die Friesenhäuser, und die Erinnerung an Sylt steigt auf mit ihnen.


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