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Wien

Und eine Landschaft gibt's, die in seltener Vollendung uns alles, was wir theoretisch darstellten, im Bilde wiedergibt. Das ist die hohe Warte bei Währing am Wiener Wald, den Rothschildgärten mit ihren märchenhaften Orchideenhäusern benachbart. Hier kann man die angewandte Kunst des jungen Wiens in Ganzheit schauen.

Sie, die heute vor allem durch Josef Hoffmann und Koloman Moser repräsentiert wird, ist für unsere Behandlung besonders anregend. So vollendet und so fein erdacht ihr Einzelgerät ist, ihr wahres Wesen und ihr höherer Wert liegen darin, daß diese Gruppe in allen ihren Kompositionen auf das Ganze ausgeht, nicht auf die isolierten Einzelbestandteile, auf »schöne Dinge«, sondern auf das Interieur und konsequenterweise auf die Interieur-Reihe, auf das Haus.

Wer sie wirklich will verstehen, muß in ihre Lande gehen. Und in der hohen Warte ist nun also ihr Bereich. Hier entstand in den letzten Jahren eine Landhauskolonie von flotter, heiter beflügelter Stimmung der Umrisse und von warm umhegter Behaglichkeit des Innern.

Die Wiener angewandte Kunst hat die Prinzipien, die im wesentlichen für das Kunstgewerbe von heut allgemein geltend sind. Sie betont als Hauptsache den Lebenszusammenhang, die Gebrauchs- und Verwendungsfähigkeit, sie verschmäht die unfruchtbare Schönheit, und ihr erstes Ziel ist, ein Objekt so herzustellen, daß es seinen Zweck möglichst vollkommen erfüllt, und daß gleichzeitig die Ausbildung dieser Zweckfunktionen ästhetischen Reiz hat. Diese Künstler lieben den Schmuck, aber sie bringen die schmückenden Nuancen nicht von außen an, sie fügen sie nicht hinzu. Ihre Arbeiten sind scheinbar schmucklos, und sie wirken trotzdem geschmückt, weil die Feinheit und Besonderheit der Proportionen, die Art, wie an ihnen die Gebrauchsglieder aus dem Ganzen entwickelt sind, ihnen Ausdruck und Charakter geben. Sie sind an sich schmuckhaft gewachsen und können die angehängten Zierrate entbehren. Diese konstruktive Ästhetik, die nicht äußerlich dekoriert, sondern sinnvoll von innen ausbaut, die von England ausging und in van de Velde den fanatischsten Verkünder fand, ist nun in der Wiener Weise gegenüber der rustikalen, wuchtig primitiven Art der Engländer und des Belgiers außerordentlich graziös und feinfingerig geraten, frauenhaft zarter als die oft blockhausmäßige derbe Männlichkeit der anderen. Doch niemals weichlich, denn die geraden Linien, die geometrischen Musterungen bringen in den Charme eine gewisse herbe Pikanterie. Am nächsten verwandt ist diese Wiener Kunst der jungen schottischen Schule des Makintosh.

Besser als Theorien und Abstraktionen erklärt aber das Werk sich selbst.

Schon das Exterieur der Landhäuser auf der Hohen Warte zeigt, was der Erbauer will. Der originelle Eindruck ihrer Fassaden mit ihrer unregelmäßigen Flächengliederung, der kletternden Giebel, ist nicht äußerlicher Effekt, sondern er ergibt sich logisch daraus, daß die Fassade das Abbild der Innenräume ist, die eckig, mit Winkeln und Nischen, mit niedriger gedeckten Einbauten angeordnet wurden. Aus der Mischung der Materialien kommt dann noch eine schmuckhafte Wirkung. Rauhkörniger Bewurf bekleidet die Fassaden, in ihm glitzern Inkrustationen farbiger Flüsse und die Fenster reißen keine gähnenden Löcher in die Wände, sondern sie sitzen in wechselnden Kombinationen weiß geteilter Sprossenscheiben als ein Zierstück mit ihrem hellen Holzwerk in der Mauer. Das Notwendige erfüllt seine Funktion in Schönheit. Die Bestätigung des Satzes trifft man auch im Innern.

Die Treppe wird so in die Diele, die man besonders liebevoll ausbildet, hineingeführt, daß sie eine behagliche Koje aus dem Raum herausschneidet. Die Umrißzeichnung, die der Architekturaufbau liefert, wird dann lebendig ausgefüllt von den Möbeln.

Die Möbel dienen stets der Gesamttendenz. Sie sind nie Einzelstücke, sie werden zu Gliedern, zu Faktoren der Architektur, sie betonen sie und begleiten sie. Sie wirken nicht hingestellt, sondern organisch erwachsen.

Die Regale und Schränke übernehmen außer ihrem eigentlichen Beruf stets raumgliedernde Funktionen, sie geben einer Wand ein Paneel, sie bekleiden einen Wandpfeiler, sie flankieren Portale, sie schließen sich in Eckformation aneinander und begrenzen einen Ruhewinkel.

Diese Technik der Innenarchitektur erweckt Gefühlswirkung. Das Unpersönliche der so aufgebauten Wände wird dadurch aufgehoben, daß diese Wände mit unseren Büchern besetzt, mit unseren Bibelots bestellt sind, daß keine toten Stellen den Zusammenhang unterbrechen, daß der Rahmen des Lebens selbst von einem uns verwandten Leben erfüllt ist.

Die Schränke, Regale, Kredenzen, die Sammlungsschreine sind schlicht im Aufbau, aber raffiniert im Holzcharakter. Die Materialschönheit wird durch die Mischung edler Holzarten, durch erlesene Intarsia-Spiele, die niemals bildlich illustrativ werden, sondern immer koloristische Variationen darstellen, ins rechte Licht gesetzt. Die äußere Gliederung, die Bewegung und Teilung der Fläche ist ein getreues Abbild der inneren Einrichtung. Wieder sieht man, wie Zweckmäßigkeit sich in Anmut ausspricht.

Die praktische Kombination aus Langfächern, Schüben, breiten und schmalen Kästen wird so disponiert, daß die Vorderwand solches Schrankes in reizvoller Teilung, durch Intarsialinien noch betont, sich präsentiert.

Wie in der Renaissance die Schränke sich nach dem Gebäudestil richten und gern Palastarchitektur annahmen, so richten sich diese Möbel auch nach dem Prinzip des Hausbaues. Nur freilich ganz anders. Sie schieben ihren Innenräumen keine prunkvoll auf isolierte Eigenwirkung berechnete Fassaden vor, sondern sie gestalten zuerst ihr Inneres zweckentsprechend und lassen dann die Außenwand ihren schönsten Schmuck darin finden, ein getreues Abbild, eine Flächenprojektion der inneren Gruppierung zu sein.

Wie die Fenster in der Fassade, so schimmern als natürlich-organische Ornamente die facettierten Scheiben in der Schrankwand. Auch sie werden gern durch Sprossenwerk bewegt gegliedert.

Ferner findet man in der Verwendung von Metallbeschlag die Personalunion des Zweckmäßigen und Schmückenden. Das erkennt man besonders an der Montierung der Schranksockel. Sie werden, um das edle Holz zu schützen, mit Messing bekleidet, wie man ja auch im achtzehnten Jahrhundert Bronze zu solchem Zweck verwandte. Das Schwere dieser Metallpanzerung wird erleichtert, und zugleich auf ungezwungene, nur aus dem gegebenen Material gewonnene Möglichkeit geziert durch das Ausschneiden schöngeschwungener Linien aus dem Metall, so daß nun in diesen Ausschnitten wie eine Emailfüllung ein Streifen der Holzmaserung sichtbar wird.

Die Kunst der Raumgliederung begnügt sich nicht mit den unteren Regionen des Zimmers, sie sorgt auch für die oberen, sie bringt Fülle und Rhythmus in die Deckengegend, sie belebt den Himmelsraum, die Höhenatmosphäre des Interieurs.

Das geschieht durch die Beleuchtungsarrangements. Nach dem Vorbilde des Schotten Makintosh hängen von der in Feldern gegliederten Decke, wie Lampions durch den ganzen Raum verstreut, zierliche Laternen mit elektrischen Birnen. Ihr Schlußstück an der Decke ist eine gehämmerte Kupferplatte (diese Platten bilden gleichzeitig wieder ein Schmuckmotiv im hellen Putz der Decke.) Von ihnen schweben leicht und spielend die Beleuchtungskörper. Mannigfach sind sie gebildet, als Laternen, als Ballons, als zierliche Lichtkugeln, von Metallhelmen oder keramischen Glockenschalen überdacht.

Pittoresk ist die Anlage dieses Lichtplanetensystems in der Halle der Villa Henneberg. Sie geht durch zwei Stockwerke, und von hoch oben hängen nun die Laternenpendel in die Tiefe, durchbrochene Messingreifen raffen die Schnüre zusammen. Voll klingenden Schwebens ist das – ein Lichterglockenspiel.

Wie die Fenster die Fassade schmücken, so schmücken sie auch die Innenwand des Zimmers.

Daß das leider nicht etwas Selbstverständliches ist, das zeigt ein Blick auf die Fenster unserer Mietswohnungen. In den öden Fensterhöhlen wohnt das Grauen … Unsere Fenster sind große in die Wand gehauene und mit Scheiben ausgefüllte Löcher. Da sie paarweise auftreten, zerlegen sie die Wand in kleinliche, schwer verwendbare Teile. Sie lassen die Eckenbildung armselig verkümmern. Nackt und kahl liegen sie zwischen den tapetenbekleideten Rändern … Mit Stoffen, die die Lichtzufuhr hemmen, muß der Rahmen des Fensters noch bekleidet werden, damit das Zimmer ein wohnliches Aussehen erhält.

Das Fenster ist doch aber ein Architekturbestandteil, es müßte organisch aus der Wand entwickelt und ihr angegliedert sein. Es dürfte, selbst wenn es keinen Behang hätte, auch in einem unmöblierten, »undekorierten« Zimmer nicht unangenehm auffallen. Diese Fensterarchitektur nun haben die Wiener Cottages sehr schön ausgebildet. Gleich dem englischen Landhaus nehmen sie statt der zwei schmalen ein breites, großes Fenster und setzen es in die Mitte der Wand, so daß links und rechts davon geräumige Ecken entstehen. Die weite Glasfläche wird durch das weiße Sprossenwerk, durch spielende Kreuz- und Querteilung gegliedert. Und dies Fenster sitzt nun wirklich in einem breiten Holzrahmen und nicht kahl in der Tapete. Es braucht keine kachierende Verkleidungen, es hat ausgebildete Pfosten und Gesims. Es zerreißt nicht die Wand, sondern es ist eine ornamentale Füllung. Wenn es mit Blumen bestellt wird, die in den weiß gerahmten Ausschnitten gleich farbigen Vignetten stehen, dann ist dies Fenster in seiner von keinen Tapezierkünsten verdunkelten Helle, eine wahrhaft zweckerfüllende Lichtquelle und gleichzeitig in selbstverständlich natürlicher Schönheit ein lichter, heiterer, dekorativer Wandfries. Auch das wieder ein Beweis der reinen Wiener Lehre.

Im kleinen erhielt man von diesen sicheren und lebenskräftigen Geschmackskünsten eine Vorstellung in der Ausstellung der Wiener Werkstätten, die vor Jahren im Hohenzollernhaus stattfand. Josef Hoffmann und Koloman Moser hatten sie im Verein mit Herrn Fritz Wärndorfer, dem Aubray Beardsleysammler, der als Amateur schon durch sein Makintosh- und sein Hoffmann-Interieur seine Neigung erprobte, ins Leben gerufen.

Die große und fabelhaft sichere Regie der Wiener ließ in einer Vorhalle und einem Schau-Wandelgang alle ihre Register spielen, so daß diese Miniaturen mit ihren verhältnismäßig bescheidenen Mitteln wirklich ein Muster ihrer Interieur- und Architekturprinzipien boten. Der Wandelgang zeigte das vor allem charakteristisch. Die gewölbte Decke hatte die Mischung aus rauhkörnigem Bewurf und Inkrustation. Von ihr schwebten die Glühkörper an Schnüren. Ihre Metallmontierung, die Deckenplatte und die Fassung der Birne waren aus gehämmertem dunkelgrauen Alpakkasilber.

Das Wesentliche aber erkannte man in der Behandlung der Wände. Sie sollten die Auslage der ausgestellten Geräte bilden. Sie war nun so disponiert worden, daß die Kombination der eingebauten Schaukästen zugleich mit der praktischen Zweckerfüllung eine interessante und harmonisch abgetönte Wandgliederung ergab.

Der untere Teil der Wand aus weißem Putz wurde in weiteren Abständen vertikal geteilt durch schmale eingebaute Vitrinen mit verglasten Türen. Durch die in zierlichem Linienspiel gefaßten Scheiben leuchteten Schmucksachen.

Über diesem Paneel zog sich als Fries die horizontale Anordnung einer eingebauten offenen Fächerreihe, sie war aus schwarzem Holz und bildete in ihrem tiefen, dunklen Ton einen guten Hintergrund für die aufgestellten Metallgeräte.

So ward eine raffinierte Wechselwirkung erzielt. Der Raum diente den Objekten, und die Objekte gaben, ganz abgesehen von dem Reiz des einzelnen Stückes, durch ihre Gesamtinszenierung dem Raum dekorative Stimmung.

Die Ensemblekunst der Wiener bewährte sich hier glänzend. Man empfing, selbst wenn man ganz von der Betrachtung der Einzelstücke absah, wenn man das Stoffliche ließ und nur den Eindruck des Raumes mit seiner Teilung, seiner farbigen Abtönung aufnahm, ein erlesenes Geschmacksgefühl. Und das ist das spezifisch Wienerische, daß, trotzdem diese Anlage streng nach Zweckprinzipien gemacht war ohne alle stimmungmachenden Hilfskonstruktionen und alle Faktoren als notwendig organische Bestandteile dem Ganzen dienten, doch eine phantasievolle, alles Nüchterne überwindende Atmosphäre schwang.

Die Wiener sind eben lyrischer als die derben Holländer und Belgier.

Das von den Wienern in Anlehnung an die Schotten konsequent ausgebildete System, die Vitrinen und Stellagen des Schaugeräts zu einer gebundenen innenarchitektonischen Einheit zusammenzuschließen und die Ausstellungsrequisiten gleichzeitig als natürliche, raumgliedernde Faktoren zu verwenden, übernahm übrigens Grenander in seinem Ausstellungsraum für die Kgl. Berliner Porzellanmanufaktur in Dresden 1906 und Berlin 1907. Auch hier wirkten diese Objekte nicht äußerlich in den Raum hineingestellt, sondern ein zusammenhangvoller Ensembleausdruck ward erzeugt, und die Zweckfunktion des Ausstellens wurde bei dieser Art zugleich dekorative Steigerung des Raumes.

Die Wand war durch Regal- und Vitrinenkomposition, durch Pfeilerschränke in grüngrauem Holz wechselnd und mannigfach gegliedert, kurvige Übergänge leiteten zu den Türumrahmungen, und aus ihnen entwickelten sich wieder neue horizontal und vertikal geführte Schaubrettpaneelierungen. Die Wandbespannung dahinter war samtgrau, und eine weiche Folie für die musikalische Koloristik der Porzellane.

Aufschimmerte das wolkige Blaugrau, das sprießige Grün, der Pfirsichschmelz, das cremige Gelb, das hauchig verlöschende Rosa der Unterglasurmalerei im schwimmend weißen Grunde dieser Vasen und Schalen von Schmuz-Baudiß. In zartem, fast unmerklichem Relief hoben sich Wolkenzüge, ballige Baumwipfel grün und gelb flammig aus der Fläche.

Und im Licht leuchteten diese farbigen Schichten transparent auf.


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