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Das dritte Elementarmittel unsrer Erkenntnis ist:
Zahl.
Indessen aber Schall und Form durch mehrere ihrer Elementarumfassung untergeordnete Unterrichtsmittel uns zu deutlichen Begriffen und der Geistesselbständigkeit, die durch sie erzielet wird, hinführen, ist die Rechenkunst das einzige Unterrichtsmittel, das keine untergeordneten Mittel an sich anschließt, sondern bis auf die äußersten Wirkungen seines Einflusses immer nur als einfache Folge der Elementarkraft erscheint, durch welche wir das Verhältnis des Mehrs und des Minders in allen Anschauungen uns selbst zum klaren Bewußtsein zu bringen und uns dieses Verhältnis ins Unermeßliche bis zur deutlichsten Bestimmung vorzustellen imstande sind.
Schall und Form führen den Keim des Irrtums und der Täuschung sehr oft und auf verschiedene Weise in sich selbst. Die Zahl niemals; sie allein führt zu untrüglichen Resultaten; und wenn die Meßkunst den nämlichen Anspruch macht, so kann sie denselben nur durch die Handbietung der Rechenkunst und durch ihre Vereinigung mit ihr behaupten, das heißt, sie ist darum untrüglich, weil sie rechnet.
So wie nun dasjenige Unterrichtsmittel, das den Zweck des Unterrichts – die deutlichen Begriffe – am sichersten erzielt, als das wichtigste dieser Mittel angesehen werden muß, so ist offenbar, daß dieses Unterrichtsmittel auch allgemein und mit der vorzüglichsten Sorgfalt und Kunst zu betreiben und daß es für die Erreichung des letzten Zweckes des Unterrichts höchst wichtig ist, daß auch dieses Unterrichtsmittel in Formen gebracht werde, welche alle Vorteile benutzen, die eine tiefe Psychologie und die umfassendste Kenntnis der unwandelbaren Gesetze des physischen Mechanismus dem Unterrichte allgemein gewähren können. Ich habe mich daher äußerst bemüht, die Rechenkunst in der Anschauung des Kindes zum hellsten Resultat dieser Gesetze zu machen und nicht nur die Elemente derselben im menschlichen Geist allgemein zu der Einfachheit zurückzudrängen, in der sie in der wirklichen Anschauung der Natur selbst erscheinen, sondern auch ihren Fortschritt in allen ihren Abwechslungen genau und lückenlos an diese Einfachheit der Anfangspunkte anzuketten – überzeugt, daß selbst die äußersten Grenzen dieser Kunst nur insoweit Mittel einer wahren Erleuchtung, das ist Mittel, zu deutlichen Begriffen und reinen Einsichten zu gelangen, sein können, als dieselbe im menschlichen Geist sich in eben der Stufenfolge entwickeln, in der sie in der Natur selbst von den ersten Anfangspunkten ausgehen.
Rechenkunst.
Sie entspringt ganz aus der einfachen Zusammensetzung und Trennung mehrerer Einheiten. Ihre Grundform ist, wie schon gesagt, wesentlich diese: Eins und Eins ist Zwei und Eins von Zwei bleibt Eins. Auch ist jede Zahl, wie sie immer lautet, an sich selbst nichts anders als ein Verkürzungsmittel dieser wesentlichen Urform alles Zählens. Es ist aber wichtig, daß das Bewußtsein der Urform der Zahlenverhältnisse durch die Verkürzungsmittel der Rechenkunst selbst im menschlichen Geist nicht geschwächt, sondern durch die Formen, in welchen diese Kunst gelehret wird, mit großer Sorgfalt tief in denselben eingeprägt und aller Fortschritt dieser Kunst auf den fest erzielten Zweck des im menschlichen Geist tief erhaltenen Bewußtseins der Realverhältnisse, die allem Rechnen zum Grunde liegen, gebaut werde. Würde dieses nicht geschehen, so würde selbst das erste Mittel, zu deutlichen Begriffen zu gelangen, zu einem Spielwerk unsers Gedächtnisses und unsrer Einbildungskraft erniedriget und dadurch in seinem wesentlichen Zweck kraftlos gemacht werden.
Es kann nicht anders sein; wenn wir z. B. bloß auswendig lernen: drei und vier ist sieben, und dann auf dieses Sieben bauen, als wenn wir wirklich wüßten, daß drei und vier sieben ist, so betrügen wir uns selbst; denn die innere Wahrheit dieses Siebens ist nicht in uns, indem wir uns des sinnlichen Hintergrundes, der ihr leeres Wort uns allein zur Wahrheit machen kann, nicht bewußt sind. Es ist in allen Fächern der menschlichen Erkenntnis die nämliche Sache. – Auch das Zeichnen verliert aus Mangel an Anschließung an das Messen, woraus es entspringt, die innere Wahrheit seines Wesens, durch die es allein zu einem Mittel, uns zu deutlichen Begriffen zu führen, erhoben werden kann.
Ich fange in meinen Bemühungen, den Kindern den festen Eindruck der Zahlenverhältnisse als wirkliche Realabwechslungen des Mehr und Mindern, das sich in Gegenständen, die ihnen vor Augen stehen, selbst vorfindet, auffallen zu machen, mit dem Buche der Mütter an. Die ersten Tabellen dieses Buches enthalten eine Reihe von Gegenständen, die dem Kinde den Begriff des Eins, Zwei, Drei usw. bis auf Zehn in bestimmten Anschauungen vor Augen legen. Nun lasse ich dann die Kinder auf diesen Tafeln die Gegenstände, die als Einheit bezeichnet sind, aufsuchen, dann die gedoppelten, dann die dreifachen usw. Hernach mache ich sie an ihren Fingern oder mit Erbsen, Steinchen und andern Gegenständen, die bei der Hand sind, eben diese Verhältnisse wiederfinden und das Bewußtsein derselben sich ihnen täglich hundert- und hundertmal dadurch wieder erneuern, daß ich bei der auf der Buchstabiertafel leichten Verteilung der Wörter in Silben und Buchstaben dann allemal die Frage aufwerfe: wieviel Silben hat das Wort? – und – wie heißt die erste? die zweite? die dritte? usw. Auf diese Weise wird die Urform alles Rechnens den Kindern tief eingeprägt, und so werden ihnen die Verkürzungsmittel derselben, die Zahlen, mit vollem Bewußtsein ihrer innern Wahrheit geläufig, ehe sie im Gebrauch derselben, ohne den Hintergrund der Anschauung vor Augen zu haben, fortschreiten. Unabhangend von dem Vorteil, dadurch das Rechnen zum Fundament deutlicher Begriffe zu machen, ist es unglaublich, wie die Kunst selbst den Kindern durch diesen gesicherten Vorgrund der Anschauung leicht gemacht wird, und die Erfahrung zeigt nun, daß ihre Anfänge bloß dadurch schwer vorkommen, weil diese psychologisch notwendige Maßregel des Rechnens nicht in der ganzen Ausdehnung benutzt wird, in der sie benutzt werden sollte. Ich muß deswegen in der Beschreibung meiner hier anzuwendenden Maßregeln etwas weitläufig sein.
Außer den angezeigten Mitteln und nach ihnen benutzen wir dann die Buchstabiertafel also zum Rechnen; wir stellen auf derselben ein jedes Täfelchen als eine Einheit auf und fangen mit den Kindern in eben dem Zeitpunkt an, in dem sie die Buchstaben kennenlernen, ihnen auch die Zahlenverhältnisse zum Bewußtsein zu bringen. Wir stellen ein Täfelchen besonders und fragen das Kind: Sind das viele Täfelchen? Das Kind antwortet: Nein, nur eins. Dann setzen wir noch eines hinzu und fragen: Eins und Eins – wieviel ist's? Das Kind antwortet: Eins und Eins ist Zwei. So fährt man fort und setzt zuerst immer nur Eins hinzu; dann zwei, drei usw.
Wenn dann das Kind die Zusammensetzungen von Eins und Eins bis auf Zehn vollkommen begriffen und sein Aussprechen zur unbedingtesten Leichtigkeit gebracht hat, setzten wir ihm die Buchstabentäfelchen auf die nämliche Art auf die Tafel, aber verändern jetzt die Frage und sagen: wenn du zwei Täfelchen hast, wievielmal hast du ein Täfelchen? Das Kind sieht's zählt's und antwortet richtig: wenn ich zwei Täfelchen habe, so habe ich zweimal ein Täfelchen.
Wenn es denn nun das bestimmte und oft wiederholte Zählen der Abteilungen zum deutlichen Bewußtsein, wieviel Einheiten in den ersten Zahlen seien, gekommen ist, so verändert man die Frage von neuem und frägt bei der nochmaligen gleichförmigen Aufstellung der Täfelchen: Wievielmal Eins ist Zwei? Wievielmal Eins ist Drei? usw. und dann wieder: Wievielmal ist Eins in Zwei, Eins in Drei enthalten? usw. Erst dann, wann das Kind mit der einfachen Anfangsform des Addierens, des Multiplizierens und Dividierens bekannt ist und das Wesen dieser Rechnungsformen sich durch Anschauung vollkommen geläufig gemacht hat, sucht man ihm auch die Anfangsform des Subtrahierens auf die gleiche Art durch Anschauung bekannt und geläufig zu machen. Dieses geschieht auf folgende Weise: Man nimmt von den zusammengezählten zehn Täfelchen eines weg und fragt: Wenn du von Zehn Eins weggenommen hast, wieviel bleiben übrig? Das Kind zählt, findet neun und antwortet: Wenn ich Eins von Zehn weggenommen habe, so bleiben noch Neun. Dann nimmt man das zweite Täfelchen weg und fragt: Eins weniger als Neun, wieviel ist's? Das Kind zählt wieder, findet acht und antwortet: Eins weniger als Neun ist Acht. So fährt man fort bis auf das letzte.
Diese Art der Verdeutlichung des Rechnens kann nun in folgenden Reihenfolgen auf oben beschriebene Weise fortgesetzt werden:
1 11 11 11 usw.
1 111 111 111 usw.
1 1111 usw.
So wie das Zusammenzählen einer jeden Reihe vollendet ist, wird nun das Wegnehmen der einzelnen Zahlen in gleichem Verhältnis vorgenommen wie folgt:
Wenn z. E. 1 und 2 ist 3 und 2 ist 5 und 2 ist 7 usw., bis 21 zusammengezählt ist, so nimmt man wieder zwei Täfelchen weg und fragt: 2 weniger als 21 – wieviel ist's? und so fährt man fort, bis keines mehr da ist.
Das Bewußtsein des Mehrs und Minders der Gegenstände, das beim Kinde durch Vorlegung wirklicher, beweglicher Realitäten erzeugt worden, wird dann hernach bei ihm durch Rechnungstafeln verstärkt, mit welchen ihm die gleichen Reihenfolgen der Verhältnisse in Strichen und Punkten noch einmal vor Augen gelegt werden. Diese Tafeln werden, in der Manier mit Realitäten zu rechnen, ebenso als Leitfaden gebraucht wie das Buchstabierbuch zur Aufstellung der Wörter an die Tafel; und wenn dann das Kind im Rechnen mit Realitäten und ihre Stelle vertretenden Punkten oder Strichen soweit geübt ist, als diese Tafeln, die ganz auf Anschauung gegründet sind, gehen, so wird das Bewußtsein der wirklichen Zahlenverhältnisse bei ihm so stark, daß ihm nun die Verkürzungsmanieren durch gewöhnliche Zahlen auch ohne Anschauung nicht nur unglaublich leicht werden, weil seine Geisteskräfte jetzt rechnungshalber von Verwirrung, Lückenhaftigkeit und spielendem Raten entfernt sind, so daß man im eigentlichsten Verstande sagen kann, ein solches Rechnen sei nur Vernunftübung und überall kein Gedächtniswerk oder kein routinenmäßiger Handwerksvorteil; es sei das Resultat der klarsten, bestimmtesten Anschauung und führe mit Sicherheit in Rücksicht auf diese Verhältnisse zu deutlichen Begriffen.
Da aber die Vermehrung und Verminderung aller Gegenstände nicht bloß in mehr oder minder Einheiten, sondern auch in der Zerteilung der Einheiten in mehrere Teile besteht, so entsteht dadurch eine zweite Form des Rechnens, oder vielmehr es öffnet sich die Bahn, in welcher jede einzelne Einheit zum Fundament einer unendlichen Abteilung ihrer selbst und einer unendlichen Verteilung der in ihr liegenden Einheiten gemacht werden kann.
So wie nun bei der ersteren Rechnungsweise, das ist bei der Mehrung und Minderung ganzer Einheiten, die Zahl Eins als der Anfangspunkt alles Rechnens und als das Fundament der Anschauungskunst aller seiner Abwechslungen muß angesehen werden, also muß bei der zweiten Form des Rechnens eine Figur aufgefunden werden, die in dieser Rechnungsweise eben das leistet, was die Zahl Eins in der ersten; es muß eine Figur aufgefunden werden, die ins Unendliche teilbar ist und die in allen ihren Abteilungen immer sich selbst gleicht; eine Figur, durch welche die Teile der Bruchrechnung ins Unendliche, einer zugleich als Teil des Ganzen und hinwieder als selbständige, ungeteilte Einheiten auf eine Weise zur Anschauung bringen kann, daß jedes Verhältnis eines Bruches dem Kinde im Verhältnis gegen das Ganze so bestimmt und so abgemessen vor den Augen steht, als bei unsrer Methode in der einfachen Rechnungsform die Zahl Eins dem Kinde in der Zahl Drei bestimmt dreimal vor Augen steht.
Es ist aber keine Figur möglich, die dieses leistet, als das gleichseitige Viereck.
In diesem können wir das Verhältnis der Verteilungen der Einheit oder der Brüche in ihrer progressiven Reihenfolge von dem allgemeinen Anfangspunkte alles Mehrs und Minders, von der Zahl Eins an dem Kinde ebenso sinnlich vor Augen stellen, als wir ihm die Vermehrung und Verminderung der ungeteilten Einheiten sinnlich dargestellt haben. Wir haben nämlich eine Anschauungstabelle der Brüche eingerichtet, die 11 Reihen hat, deren jede aus 10 Vierecken besteht.
Die Vierecke in der ersten Reihe sind ungeteilt, die in der zweiten Reihe sind in zwei gleiche Teile geteilt; die in der dritten in drei usw. bis zehn.
Dieser einfach geteilten Tafel folgt eine zweite Tabelle, in welcher diese einfachen Anschauungsabteilungen nach folgender Progression weitergehen. Die Vierecke, welche in der ersten Tabelle in zwei gleiche Teile geteilt sind, werden jetzt in 2, 4, 6, 8, 10, 12, 14, 16, 18, 20 Teile, die in der folgenden Reihe in 3, 6, 9, 12 usw. geteilt.
Da nun das Abc der Anschauung aus Ausmessungsformen besteht, welche allgemein die zehnfache Abteilung des gleichseitigen Viereckes zum Fundament haben, so ist offenbar, daß wir die gemeinsame Quelle des Anschauungs-Abc, das gleichzeitige Viereck, dadurch auch zum Fundament des Rechnungs-Abc gelegt oder vielmehr, daß wir die Elementarmittel der Form und Zahl in eine solche Harmonie gebracht haben, daß unsre Ausmessungsformen als erste Fundamente der Zahlverhältnisse und die Fundamente der Zahlverhältnisse als erste Fundamente der Ausmessungsformen gegenseitig gebraucht werden.
Auf diesem Wege sind wir dahin gekommen, daß wir die Kinder nach unsrer Manier nicht anders rechnen lehren können als durch den Gebrauch eben dieses Abc, das wir im Anfange nur als Abc der Anschauung im engern Sinn, das ist als Fundament des Messens, Schreibens und Zeichnens gebraucht haben.
Das Bewußtsein der wirklichen Realverhältnisse aller Brüche wird dem Kinde durch den Gebrauch dieser Tafeln so stark, daß ihm auch die Übung der Bruchrechnung in gewöhnlichen Zahlen ebenso wie in der Rechnung mit ungeteilten Einheiten unglaublich leicht wird. Die Erfahrung zeigt, daß die Kinder bei dieser Methode drei bis vier Jahre früher zu den Fertigkeiten dieser Übungen gelangen, als es ohne diese Mittel wohl möglich gemacht werden könnte. Der Geist des Kindes wird auch bei diesen Übungen ebenso wie bei den vorigen von Verwirrung, Lückenhaftigkeit und spielendem Raten entfernt, und man kann auch hierin mit Bestimmtheit sagen: Das Rechnenkönnen solcher Kinder ist ein Resultat der klarsten, bestimmtesten Anschauung und führt durch seine reine Deutlichkeit zur Wahrheit und zur Wahrheitsempfänglichkeit.