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Zehnter Artikel.
Von Jesu Christo.

1.

Der unendliche Abstand der Körper von den Geistern versinnbildlicht den unendlich viel unendlicheren Abstand der Geister von der Liebe, denn diese ist übernatürlich.

Aller Glanz der Größe hat durchaus nichts verlockendes für die Menschen, welche ganz in den Forschungen des Geistes leben. Die Größe der Geistesmenschen ist Reichen, Königen, Eroberern und all' jenen Großen des Fleisches unersichtlich. Die Größe der Weisheit, die von Gott kommt ist den Fleischlichen und den Geistesmenschen unersichtlich. Dies sind drei Gebiete verschiedener Arten.

Die großen Genies haben ihre Herrschaft, ihren Glanz, ihre Größe, ihre Siege, und verlangen nicht nach fleischlicher Größe, welche zu jener, die sie erstreben, in durchaus keiner Beziehung steht. Sie werden mit dem Geiste gesehn, nicht mit den Augen, aber das ist genug. Die Heiligen haben ihre Herrschaft, ihren Glanz, ihre Größe, ihre Siege, und verlangen nicht nach fleischlicher Größe noch nach geistiger, denn diese gehören nicht in ihr Gebiet und fügen zu der Größe, welche sie erstreben, weder etwas hinzu, noch thun sie etwas davon. Sie werden gesehen von Gott und den Engeln und nicht von den Körpern oder den wißbegierigen Geistern: Gott ist ihnen genug.

Archimedes stände auch ohne allen Glanz der Geburt in ebenso hoher Achtung. Er hat keine Schlachten geliefert; aber er hat dem ganzen Universum bewunderungswürdige Erfindungen hinterlassen. O, wie ist er groß und glänzend für die Augen des Geistes! Jesus Christus, ohne Reichthum und ohne allen äußerlichen Aufwand von Wissenschaft, ist in seinem Gebiete der Heiligkeit. Er hat keine Erfindungen gemacht, er hat nicht regiert; aber er ist demüthig, geduldig, heilig vor Gott, schrecklich den Dämonen, ohne alle Sünde. O wie ist er gekommen in großer Pracht und wunderbarer Herrlichkeit für die Augen des Herzens, welche die Weisheit erkennen.

Es würde für Archimedes unnütz gewesen sein in seinen mathematischen Werken als Fürst aufzutreten, obwohl er es war. Es würde für unseren Herrn Jesus Christus unnütz gewesen sein, wenn er, um in seinem Reiche der Herrlichkeit zu glänzen, als König gekommen wäre. Aber mit welch' hohem Glanze seines Gebietes ist er gekommen.

Es ist lächerlich an der Niedrigkeit Jesu Christi sich zu ärgern, als wenn diese Niedrigkeit demselben Gebiete angehört hätte, als die Größe, welche er offenbaren wollte. Diese Größe möge man betrachten in seinem Leben, in seinem Leiden, in seiner niedrigen Herkunft, in seinem Tode, in der Berufung der Seinen, in ihrer Flucht, in seiner geheimen Auferstehung und in dem Übrigen; man wird sie so groß finden, daß aller Grund aufhören wird sich an einer Niedrigkeit zu ärgern, die nicht vorhanden ist. Aber es giebt Menschen, die nur fleischliche Größe bewundern können, als ob es keine geistige Größe gäbe; und wiederum andere, welche nur geistige Größe bewundern, als ob es nicht eine unendlich viel erhabenere gäbe in der Weisheit.

Alle Körper, das Himmelsgewölbe, die Sterne, die Erde und die Königreiche wiegen nicht den geringsten der Geister auf; denn er erkennt alles dieses und sich selbst; der Körper dagegen nichts. Und alle Körper und alle Geister zusammen und alle ihre Kräfte wiegen nicht die geringste Regung der Liebe auf; denn sie gehört einem unendlich viel erhabeneren Gebiete an.

Aus allen Körpern zusammen könnte man nicht den geringsten Gedanken schaffen: das ist unmöglich und gehört einem anderen Gebiete an. Alle Körper und Geister zusammen vermögen nicht eine einzige Regung wahrer Liebe hervorzubringen: das ist unmöglich und gehört einem anderen durchaus übernatürlichen Gebiete an.

2.

Jesus Christus lebte in einer solchen Verborgenheit (wenigstens was die Welt Verborgenheit nennt) daß die Geschichtsschreiber, welche nur Wichtiges aufzeichnen, ihn kaum bemerkt haben.

3.

Welchen Menschen umgab jemals mehr Glanz als Jesum Christum? Das ganze jüdische Volk predigt ihn vor seiner Ankunft. Das Volk der Heiden betet ihn an nach seiner Ankunft. Beide, Heiden und Juden, betrachten ihn als ihren Mittelpunkt. Und doch, welcher Mensch genoß je so wenig von all' seinem Glanze? Von dreiunddreißig Jahren verlebt er dreißig in Zurückgezogenheit. In den drei andern gilt er als Betrüger; die Priester und die Ersten seines Volkes verwerfen ihn; seine Freunde und Verwandten verachten ihn. Schließlich stirbt er eines schimpflichen Todes, verrathen durch einen seiner Jünger, verläugnet von einem andern und verlassen von allen.

Was hat er denn von all' seinem Glanz gehabt? Nie hat ein Mensch so viel Glanz gehabt; nie hat ein Mensch mehr Schmach gehabt. All' dieser Glanz ist nur uns von Nutzen gewesen: um ihn zu erkennen; er selbst hat für sich nichts davon gehabt.

4.

Jesus Christus spricht von den höchsten Dingen so natürlich, daß es scheint, er habe sie dabei gar nicht gedacht; nichts destoweniger aber auch so klar, daß man recht wohl merkt, was er dabei gedacht. Diese Klarheit in Verbindung mit dieser Einfachheit ist bewunderungswürdig.

Wer lehrte die Evangelisten die Eigenschaften einer wahrhaft heroischen Seele verstehen, daß sie dieselbe in Jesu Christo so vollkommen abbilden konnten? Weshalb zeigen sie ihn in seinem Todeskampfe schwach? Waren sie nicht im Stande einen standhaften Tod zu schildern? Gewiß, ohne Zweifel; denn derselbe St. Lucas schildert den Tod des heil. Stephanus weit unerschrockener als den Jesu Christi. Sie lassen ihn furchtsam sein, ehe die Nothwendigkeit des Todes gekommen, darnach aber stark. Wenn sie ihn aber geängstet sein lassen, so ist es, wenn er selbst sich Angst macht; wenn dagegen die Menschen ihn ängsten, ist er stark.

Die Kirche hat sich genöthigt gesehen ebenso wohl zu beweisen, daß Jesus Christus Mensch war gegen diejenigen, welche es läugneten, als zu beweisen, daß er Gott war; und der Anschein sprach ebenso sehr gegen das eine wie gegen das andere.

Jesus Christus ist ein Gott, welchem man sich ohne Stolz naht, und unter welchen man sich erniedrigt ohne Verzweiflung.

5.

Die Bekehrung der Heiden blieb der Gnade des Messias vorbehalten. Die Juden hatten sich gar nicht darum gekümmert, oder ihre Bemühungen waren ohne Erfolg: alles was Salomo und die Propheten geredet, war vergeblich gewesen. Die Weisen, wie Socrates und Plato, konnten sie nicht bewegen, nur den wahren Gott anzubeten.

Das Evangelium spricht von der Virginität der Jungfrau nur bis zu Christi Geburt: alles in Bezug auf Jesum Christum.

Beide Testamente blicken auf Jesum Christum: das Alte als auf seine Hoffnung, das Neue als auf sein Vorbild; beide als auf ihren Mittelpunkt.

Die Propheten haben prophezeit, sind aber nicht prophezeit. Die Heiligen sodann sind prophezeit, haben aber nicht prophezeit. Jesus Christus ist prophezeit und hat prophezeit.

Jesus Christus für alle, Moses für ein Volk.

Die Juden gesegnet in Abraham: Ich will segnen, die dich segnen. (Genes. 12, 3.) Aber: alle Völker gesegnet in seinem Samen. (Genes. 18, 18.)

Lumen ad revelationem gentium. Ein Licht, zu erleuchten die Heiden. – (Luc. 2, 32.)

Non fecit taliter omni nationi. So thut er keinem Heiden. (Ps. 147, 20) sagte David, als er vom Gesetz sprach; wenn man von Jesu Christo spricht, muß es heißen: fecit taliter omni nationi. So thut er allen Heiden.

Auch das bezeichnet Jesum Christum: allen anzugehören. Die Kirche selbst bringt das Opfer nur dar für die Gläubigen: Jesus Christus hat das Opfer am Kreuze für alle dargebracht.


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