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Dritter Artikel.
Von der Kunst zu überzeugen.

Die Kunst zu überzeugen steht in einer nothwendigen Beziehung zu der Art, wie die Menschen dem, was man ihnen vorschlägt, zustimmen und zu der Beschaffenheit der Dinge, die man sie will glauben machen.

Jeder weiß, daß es zwei Zugänge giebt, auf denen die Meinungen in die Seele dringen, und das sind die beiden Grundkräfte: Urtheil und Wille. Die natürlichste ist die des Urtheils; denn man sollte stets nur bewiesenen Wahrheiten zustimmen; die gewöhnlichste aber, obgleich unnatürlich, ist die des Willens; denn alles was Mensch heißt ist fast immer geneigt zu glauben, nicht um des Beweises, sondern um der Annehmlichkeit willen. Dies Mittel ist niedrig, unwürdig und sonderbar: auch verläugnet es alle Welt. Jeder bekennt nur das zu glauben und sogar nur das zu lieben, was er zu würdigen weiß.

Ich rede hier nicht von göttlichen Wahrheiten, denn ich bin nicht Willens sie der Kunst der Überzeugung unterzuordnen; denn sie sind unendlich über der Natur erhaben; Gott allein kann sie in die Seele legen und zwar wie es ihm gefällt. Ich weiß, daß er gewollt, sie sollten vom Herzen in den Geist, und nicht vom Geist in das Herz dringen, um jene stolze Kraft der Vernunft, welche wähnt, die Richterin der Dinge, welche der Wille wählt, sein zu müssen, zu demüthigen, und um diesen schwachen Willen zu heilen, der ganz verdorben ist durch seine unwürdigen Neigungen. Während man daher von menschlichen Dingen sagt, man muß sie kennen, um sie zu lieben, was zu einem Sprichwort geworden ist, sagen die Heiligen umgekehrt von göttlichen Dingen, man muß sie lieben um sie zu erkennen, und man gelangt zur Wahrheit nur durch die Liebe, woraus sie einen ihrer nützlichsten Denksprüche gemacht haben.

Daraus wird deutlich, daß Gott diese übernatürliche, jeder Ordnung, welche unter den Menschen in natürlichen Dingen die natürliche sein sollte, entgegengesetzte Ordnung aufgestellt hat. Trotzdem haben sie diese Ordnung umgestoßen, weil sie zu profanen Dingen machen, was sie zu heiligen machen sollten, denn in der That glauben wir nur, was uns angenehm ist. Deshalb sind wir so weit davon entfernt, den Wahrheiten der christlichen Religion zuzustimmen, da sie unseren Neigungen entgegen sind. Sage uns angenehmes und wir wollen dich hören, sprachen die Juden zu Moses; als wenn die Annehmlichkeit den Glauben bestimmen sollte! Und um diese Unordnung durch eine entsprechende Ordnung zu bestrafen, gießt Gott seine Erleuchtung nur dann aus in die Geister, wenn er die Auflehnung des Willens gebändigt hat mit durchaus himmlischer Milde, welche ihn entzückt und mit sich fortreißt.

Ich spreche also nur von Wahrheiten unseres Bereiches; und von ihnen sage ich, daß Geist und Herz gleichsam die Thore sind, durch welche sie in die Seele aufgenommen werden; daß aber sehr wenig eintreten durch den Geist, während sie in Masse eingeführt werden durch leichtsinnige Launen des Willen, ohne die Mitberathung der Vernunft!

Diese Mächte haben jede ihre besonderen Principien und ersten Antriebe zu ihren Handlungen.

Die des Geistes sind die natürlichen, aller Welt bekannten Wahrheiten, wie z. B., daß das Ganze größer ist als sein Theil; außerdem mehrere einzelne Grundsätze, welche die einen annehmen, die andern nicht; die aber, sobald sie zugelassen sind, obgleich falsch doch ebenso mächtig zum Glauben leiten, als die wahrhaftesten.

Die des Willens sind gewisse natürliche, allen Menschen gemeinsame Begierden, wie die Begierde glücklich zu sein, welcher niemand sich entziehen kann; außerdem mehrere einzelne Gegenstände, die jeder zu erreichen strebt und die, da sie die Kraft haben uns zu gefallen, obzwar in der That verderblich doch ebenso kräftig den Willen zur That treiben, als ob sie sein wahrhaftes Glück ausmachten.

Das für den, welcher die Mächte ins Auge faßt, die uns zur Zustimmung bringen.

Was aber die Art der Dinge, von denen wir überzeugen müssen, anlangt, so sind sie sehr verschieden.

Die einen folgen durch nothwendigen Schluß aus den allgemeinen Principien und den zugestandenen Wahrheiten. Von ihnen kann man untrüglich überzeugen; denn wenn man ihre Verbindung mit den zugestandenen Principien beweist, so folgt mit unvermeidlicher Nothwendigkeit die Überführung; und es ist unmöglich, daß sie nicht in die Seele aufgenommen würden, sobald man sie den schon zugegebenen Wahrheiten hat anzuschließen vermocht.

Dann giebt es solche, die in enger Beziehung zu den Gegenständen unserer Befriedigung stehen; diese werden ebenfalls mit Sicherheit aufgenommen. Denn sobald man der Seele begreiflich macht, daß etwas sie zu dem führen kann, was sie unbeschränkt liebt, giebt sie sich unvermeidlich dem mit Freuden hin.

Diejenigen aber, welche diese Beziehung allzumal zu den zugestandenen Wahrheiten wie zu den Begierden des Herzens haben, sind so sicher in ihrer Wirkung, daß nichts in der Natur es mehr ist; wie umgekehrt das, was weder zu unseren Glaubenssätzen, noch zu unseren Vergnügungen in Verhältnis steht, uns ungelegen, falsch und absolut fremdartig ist.

An alledem ist nichts zweifelhaft. Aber es giebt Fälle, wo Dinge, die man will glauben machen, auf bekannten Wahrheiten wohl begründet sind, gleichzeitig aber unsern liebsten Vergnügungen entgegen sind. Und diese eben sind es, welche zufolge einer nur zu gewöhnlichen Erfahrung, die Gefahr nahe legen, das zu entdecken, was ich im Anfang gesagt habe, nämlich daß die herrische Seele, welche sich rühmte nur aus Vernunftgründen zu handeln, in schmachvoller und leichtsinniger Wahl dem nachstrebt, was ein verdorbener Wille begehrt, welchen Widerstand auch der aufgeklärtere Geist dem entgegensetzen mag.

Alsdann entsteht ein zweifelhaftes Schwanken zwischen der Wahrheit und dem Vergnügen, und die Erkenntnis auf der einen, das Gefühl auf der andern Seite liefern einen Kampf, dessen Ausgang höchst unsicher ist, denn um darüber zu entscheiden, müßte man alles kennen was im Innersten des Menschen vorgeht und was der Mensch selbst fast nie weiß.

Demzufolge muß man, wovon auch immer man überzeugen will, Rücksicht nehmen auf den zu Überzeugenden, muß dessen Geist und Herz kennen, wissen, welche Principien er anerkennt, welche Dinge er liebt; und sodann muß man die Sache, um die es sich handelt, daraufhin ansehen, welche Beziehung sie zu den anerkannten Principien und zu den, ihres ihnen zugeschriebenen Reizes wegen, werthgeschätzten Gegenständen hat. So daß also die Kunst zu überzeugen ebensosehr in der besteht zu gefallen als in der zu überführen, so lange die Menschen sich mehr durch Launen als durch Vernunft regieren lassen.

Hinsichtlich der beiden Methoden aber, der einen zu überführen, der anderen zu gefallen, so werde ich hier nur für erstere Regeln geben; und auch nur für den Fall, daß man die Principien zugiebt und in ihrer Anerkennung beharrt: anderenfalls weiß ich nicht, ob irgend eine Kunst die Beweise der Unbeständigkeit unserer Launen anpassen kann. Die Methode zu gefallen ist unvergleichlich viel schwieriger, feiner, nützlicher und bewunderungswürdiger; und wenn ich sie hier nicht behandle, so geschieht das nur, weil ich dessen unfähig bin; ja, ich fühle mich dem so wenig gewachsen, daß ich es für mich für absolut unmöglich halte. Er hat es für sehr möglich gehalten in den Provincialbriefen.

Ich bin nicht etwa des Glaubens, daß es keine Regeln gäbe um ebenso sicher zu gefallen wie zu beweisen; und daß es demjenigen, der sie vollkommen zu erkennen und auszuüben vermöchte, nicht ebenso sicher gelänge, sich bei Königen und allen möglichen Menschen beliebt zu machen, als die Elemente der Geometrie denen zu beweisen, die genug Einbildungskraft haben, um ihre Hypothesen zu begreifen. Aber ich schätze, und vielleicht läßt es mich meine Schwäche glauben, daß es unmöglich ist dahin zu gelangen. Zum mindesten aber weiß ich, daß wenn jemand dessen fähig ist, es Personen sind, die ich kenne und daß kein anderer darüber so deutliche und so überreichliche Einsichten hat.

Der Grund dieser außerordentlichen Schwierigkeit ist der, daß die Principien des Vergnügens nicht beständig und gleichmäßig sind. Sie sind in allen Menschen verschieden und veränderlich in jedem einzelnen und zwar in einer solchen Fülle von Verschiedenheiten, daß kein Mensch zu verschiedenen Zeiten von einem andern verschiedener sein kann als von sich selbst. Ein Mann hat andere Vergnügungen als eine Frau; ein Reicher und ein Armer haben deren verschiedene; ein Fürst, ein Kriegsmann, ein Kaufmann, ein Bürger, ein Landmann, die Alten, die Jungen, die Gesunden, die Kranken, alle sind anders; die geringsten Zufälligkeiten verändern sie.

Nun aber giebt es eine Kunst, und die will ich hier geben, die Verbindung der Wahrheit mit ihren Principien, sei es des Wahren oder des Vergnügens zu entdecken, vorausgesetzt, daß die einmal anerkannten Principien bestehen bleiben und niemals geläugnet werden.

Da es aber wenig derartige Principien giebt, und da es außerhalb der Geometrie, die nur sehr einfache Figuren betrachtet, fast gar keine Wahrheiten giebt, mit denen wir immerwährend übereinstimmten, und noch weniger Gegenstände des Vergnügens, die wir nicht täglich wechselten; so weiß ich nicht ob es ein Mittel giebt bestimmte Regeln aufzustellen, um dadurch die Reden mit der Unbeständigkeit unserer Launen in Übereinstimmung zu bringen.

Diese Kunst, welche ich die Kunst zu überzeugen nenne, und die eigentlich nichts anderes ist als methodische und vollkommne Beweisführung, besteht wesentlich in drei Theilen; Das ist aber nicht die Kunst zu überzeugen, sondern die Kunst zu argumentiren. die Ausdrücke deren man sich bedienen muß durch deutliche Definitionen erklären; Principien oder evidente Axiome aufstellen, um das zu beweisen, worum es sich handelt; und in Gedanken stets bei der Beweisführung die Definitionen an Stelle der definirten Dinge setzen.

Der Grund dieser Methode ist klar, denn es wäre unnütz etwas zu behaupten, was man beweisen will, und dessen Beweisführung zu versuchen, wenn man nicht zuvor alle unverständlichen Ausdrücke genau definirt hat; ebenso muß der Beweisführung die Frage nach deutlichen Principien, die dazu nöthig sind, vorausgehen, denn wenn man den Grund nicht sichert, kann man das Gebäude nicht sichern; endlich muß man beim Beweise in Gedanken immer die Definitionen an Stelle des Definirten setzen, da man sonst den verschiedenen Sinn, den die Ausdrücke haben, mißbrauchen könnte. Mit Leichtigkeit erkennt man, daß man bei Beobachtung dieser Methode sicher ist zu überführen, denn, wenn die Ausdrücke alle verständlich, vermöge ihrer Definitionen völlig frei von Zweideutigkeiten sind, wenn auch die Principien zugegeben sind und man bei der Beweisführung stets in Gedanken die Definition an Stelle des Definirten setzt; so kann die unbezwingliche Kraft der Folgerungen nicht verfehlen ihre volle Wirkung zu thun.

Auch kann eine Beweisführung, in welcher diese Voraussetzungen gewahrt sind, nicht den geringsten Zweifel zulassen; dagegen können diejenigen, in welchen sie fehlen, keine Kraft haben.

Es ist daher von großer Wichtigkeit, sie zu kennen und zu besitzen; um die Sache leichter und gegenwärtiger zu machen, will ich sie deshalb in wenigen Regeln geben, welche alles das enthalten, was zu vollkommnen Definitionen, Axiomen und Beweisen und folglich für die ganze Methode geometrischer Beweise in der Kunst zu überzeugen nöthig ist.

Regeln für die Definitionen.

1. Dinge, die an sich selbst so bekannt sind, daß man zu ihrer Erklärung klarere Ausdrücke nicht finden kann, darf man nicht definiren wollen.

2. Ausdrücke, die nur im geringsten dunkel oder zweideutig sind, darf man nicht ohne Definition lassen.

3. In der Definition darf man nur vollkommen bekannte oder schon erklärte Worte gebrauchen.

Regeln für die Axiome.

1. Man darf kein nothwendiges Princip zulassen, ohne gefragt zu haben, ob man es gelten läßt, wie klar und evident es auch sein mag.

2. Zu Axiomen darf man nur völlig aus sich selbst evidente Dinge wählen.

Regeln für die Beweise.

1. Dinge, die an sich so evident sind, daß man zu ihrem Erweise nichts klareres hat, darf man nicht beweisen wollen.

2. Man muß alle im geringsten dunkle Behauptungen beweisen und darf dazu nur höchst evidente Axiome oder schon zugegebene oder bewiesene Behauptungen verwenden.

3. Man muß stets in Gedanken die Definition an Stelle des Definirten setzen, damit man sich nicht wegen der Zweideutigkeit der Ausdrücke täuscht, die durch die Definitionen aufgehoben ist.

Das sind die acht Regeln, welche alle Vorschriften für strenge und unveränderliche Beweise enthalten, von denen indeß drei nicht absolut nothwendig sind, welche man ohne Irrthum weglassen kann und welche stets genau zu beobachten sogar schwierig und fast unmöglich ist, obgleich es zur Vervollkommnung dient, es soviel wie möglich zu thun: diese drei sind in jeder Abtheilung die ersten.

Für die Definitionen. Vollkommen bekannte Ausdrücke sind nicht zu definiren.

Für die Axiome. Man darf nach keinem vollkommen klaren und einfachen Axiome fragen.

Für die Beweise. Völlig selbstverständliche Dinge sind nicht zu beweisen.

Denn ohne Zweifel ist es kein sehr großer Fehler, Dinge recht klar zu definiren und zu erläutern, die schon an sich vollkommen klar sind; oder es zu versäumen vorher nach Axiomen zu fragen, die an dem Platze, wo sie nöthig sind, nicht verworfen werden können; endlich Behauptungen zu beweisen, die man ohne Beweis gelten läßt.

Die fünf anderen Regeln aber sind absolut nothwendig und man kann sich von ihnen ohne wesentlichen Fehler und oft ohne Irrthum nicht frei machen: deshalb wiederhole ich sie hier besonders.

Nothwendige Regeln für die Definitionen.

1. Man darf keinen im geringsten dunklen oder zweideutigen Ausdruck undefinirt lassen.

2. Man darf in den Definitionen nur vollkommen bekannte oder schon erklärte Ausdrücke gebrauchen.

Nothwendige Regel für die Axiome.

Zu Axiomen darf man nur vollkommen evidente Dinge wählen.

Nothwendige Regeln für die Beweise.

1. Man muß alle Behauptungen beweisen und dazu nur an sich höchst evidente Axiome oder schon bewiesene oder zugegebene Behauptungen gebrauchen.

2. Man darf nie die Zweideutigkeit der Ausdrücke mißbrauchen, indem man verfehlt in Gedanken die Definitionen zu substituiren, die sie verhindern und erklären.

Das sind die fünf Regeln, die alles nothwendige enthalten, um die Beweise zwingend, unveränderlich und, um alles zu sagen, geometrisch zu machen; jene acht Regeln thun das noch vollkommner.

Das ist die ganze Kunst zu überzeugen, die sich zusammenfaßt in folgenden beiden Principien: alle Namen, die man giebt, definiren; alles beweisen, indem man in Gedanken an Stelle des Definirten die Definition setzt. Dagegen könnte man, um dem hier gleich zuvorzukommen, wie mir scheint, drei Hauptvorwürfe erheben.

Erstens, daß diese Methode durchaus nicht neu sei; zweitens, daß man sie mit Leichtigkeit lernen könne, ohne deshalb nöthig zu haben, die Elemente der Geometrie zu studieren, da sie ja in jenen zwei Worten besteht, die man durch einmaliges Lesen behält; und schließlich, daß sie ganz unnütz sei, da ihre Anwendung fast ausschließlich auf geometrische Materien beschränkt sei.

Dem entgegen muß man zeigen, daß es nichts giebt, was so unbekannt, nichts was schwieriger auszuüben, nicht was nützlicher und universaler wäre.

Was den ersten Vorwurf angeht, demzufolge jene Regeln, daß man alles definiren und alles beweisen müsse, aller Welt bekannt und selbst von den Logikern unter die Vorschriften ihrer Wissenschaft aufgenommen sind; so wollte ich, daß die Sache wahr wäre und daß sie so bekannt wäre, daß ich mir nicht die Mühe hätte zu machen brauchen, mit solcher Sorgfalt die Quelle aller Fehler bei Vernunftschlüssen, die in Wahrheit allgemein sind, aufzusuchen. Locke, der Pascal der Engländer, hat Pascal nicht lesen können. Er kam nach diesem großen Manne, und diese Gedanken zum ersten Male mehr als ein halbes Jahrhundert nach Locke's Tode. Dennoch sagt Locke, einzig von seinem großen Verstande unterstützt, beständig: Definirt die Ausdrücke. Aber sie ist es in der That so wenig, daß mit Ausnahme allein der Geometer, die doch bei allen Völkern und zu allen Zeiten so gering an Zahl sind, man niemanden findet, der es in der That wüßte. Denjenigen wird es leicht verständlich zu machen sein, welche das wenige, was ich darüber gesagt, vollkommen begriffen haben; haben sie es nicht vollkommen verstanden, so werden sie es, ich gestehe es, nie lernen.

Aber wenn sie in den Geist dieser Regeln eingedrungen sind, und wenn sie genug Eindruck gemacht haben, um sich darin einzuleben und zu befestigen, so werden sie fühlen, welch' ein großer Unterschied besteht zwischen dem hier gesagten, und dem was einige Logiker, sich dem zufällig nähernd, an einigen Stellen ihrer Werke vielleicht geschrieben haben.

Diejenigen, welche die Gabe der Unterscheidung haben, wissen, welcher Unterschied zwischen zwei ähnlichen Worten besteht, je nach Ort und Nebenumständen. Wird man in der That glauben, daß zwei Menschen, die ein und dasselbe Buch gelesen und auswendig gelernt haben, es in gleicher Weise kennen, wenn der eine es so begreift, daß er alle Grundsätze, die Kraft der Folgerungen, die Entgegnungen auf zu machende Einwürfe und die ganze Anlage des Werkes kennt, während in dem andern nur die todten Worte sind und die Samenkörner, die zwar denen ähnlich sehen, welche so fruchtbare Bäume hervorgebracht haben, selbst aber trocken und unfruchtbar geblieben sind in dem öden Geiste, der sie vergebens empfangen hat?

Alle, welche dasselbe sagen, besitzen es deshalb nicht auf dieselbe Weise; und deshalb verweilt der unvergleichliche Autor (Montaigne) der »Kunst zu conferiren« mit soviel Sorgfalt dabei klar zu legen, daß man über die Fähigkeit eines Menschen nicht nach der Vorzüglichkeit eines geistreichen Wortes, was man von ihm gehört, urtheilen dürfe: sondern statt die Bewunderung einer guten Rede auf die Person zu beziehen, erforsche man lieber, sagt er, den Geist, aus dem sie hervorgeht; man prüfe, ob er es faßt im Gedächtnis oder durch glücklichen Zufall; man nehme es mit Zurückhaltung und Mißtrauen auf, damit man erkenne ob er empfindet, daß man seinen Worten nur die Beachtung schenke, die ihr Werth verdient: man wird meistens sehen, daß man ihn in einer Stunde zum Läugnen bringt, und ihn von diesem Gedanken, der besser ist, als er selbst weiß, so weit abzieht, daß man ihn zu einem andern durchaus niedrigen und lächerlichen Gedanken bringt. Man muß also sondieren, wie dieser Gedanke in seinem Autor beherbergt ist; wie, woher, wie weit er ihn besitzt: sonst ist das Urtheil übereilt.

Billig urtheilende Menschen möchte ich fragen, ob das Princip, »der Materie ist von Natur die unüberwindliche Unfähigkeit zum Denken eigen« und das, »ich denke, also bin ich«, in der That die gleichen sind im Geiste Descartes und im Geiste des heiligen Augustin, der dasselbe 1200 Jahre früher gesagt hat.

In der That, ich bin weit davon entfernt zu sagen, Descartes sei nicht der wahre Urheber, selbst wenn er es nur gelernt hätte aus der Lectüre jenes großen Heiligen; denn ich weiß, welch' ein Unterschied darin obwaltet, ein Wort auf gut Glück hinzuschreiben, ohne eine lange und breite Reflexion darüber zu machen, und in diesem Worte eine bewunderungswürdige Reihenfolge von Consequenzen zu entdecken, welche die Unterscheidung der materiellen und spirituellen Natur beweisen, und daraus ein festes von einer ganzen Metaphysik unterstütztes Princip zu machen, wie Descartes zu thun beansprucht hat. Ohne zu untersuchen, ob er in seinem Anspruche wirklich glücklich gewesen ist, setze ich voraus, daß er es gewesen, und eben in dieser Voraussetzung behaupte ich, daß jenes Wort sich in seinen Schriften ebenso sehr von demselben Worte in anderen, die es so beiläufig gesagt haben, unterscheidet wie ein Mensch voller Leben und Kraft von einem todten Menschen.

Ein solcher sagt etwas aus sich selbst, ohne es in seiner Vorzüglichkeit zu begreifen, während ein anderer darin eine wundervolle Reihenfolge von Consequenzen erkennt, so daß wir kühn behaupten dürfen, es ist nicht mehr dasselbe Wort, und es gehört dem, von dem er es gelernt, nicht mehr zu eigen, als ein herrlicher Baum dem, der seinen Samen, ohne daran zu denken und ihn zu kennen, in ein fruchtbares Erdreich gelegt hat, das nun auf solche Weise vermöge seiner eigenen Fruchtbarkeit davon Nutzen gezogen.

Dieselben Gedanken treiben zuweilen in einem andern ganz anders als in ihrem Urheber: unfruchtbar in ihrem natürlichen Boden gedeihen sie überaus durch Verpflanzung. Viel öfter aber läßt ein ausgezeichneter Geist selbst aus seinen eigenen Gedanken all' die Früchte hervorgehen, deren sie fähig sind, und später entlehnen einige andere, die sie haben preisen hören, dieselben und schmücken sich damit, aber ohne ihre Vorzüglichkeit einzusehen, und dann eben erscheint die Verschiedenheit ein und desselben Wortes bei verschiedenen Leuten als außerordentlich.

Auf diese Weise hat vielleicht die Logik die Regeln der Geometrie entlehnt, ohne ihre Bedeutung zu begreifen; und also, wenn sie dieselben auf gut Glück zwischen ihre eigenen setzt, so folgt nicht daraus, daß die Logiker in den Geist der Geometrie eingedrungen sind; und wenn sie davon keine anderen Beweise geben, als zufällige Aussprüche, so bin ich weit entfernt, sie den Geometern, welche die wahrhafte Methode die Vernunft zu leiten lehren, gleichzustellen. Ich bin im Gegentheil sehr geneigt sie davon auszuschließen und zwar fast unwiderruflich. Denn es zufällig erwähnt haben ohne erkannt zu haben, daß alles darin enthalten ist, und statt dieser Erkenntnis zu folgen, sich in unabsehbare unnütze Untersuchungen verirren, um das zu erreichen, was sie versprechen, aber nicht geben können: das heißt in der That zeigen, daß man nicht sehr scharfsichtig ist und zwar um so weniger, als wenn man nur deshalb ihr nicht gefolgt wäre, weil man sie nicht gehabt.

Die Methode nicht zu irren wird von aller Welt gesucht. Die Logiker machen es zu ihrem Geschäft, dahin zu führen, die Geometer allein erreichen sie, und außerhalb ihrer Wissenschaft und der sie nachahmenden giebt es durchaus keine zuverlässigen Beweise; die ganze Kunst ist enthalten in den einzigen Vorschriften, die wir gegeben haben; sie allein genügen, sie allein beweisen; alle anderen Regeln sind unnütz oder schädlich. Das weiß ich aus langjähriger Erfahrung an allen möglichen Büchern und Menschen.

Und in dieser Beziehung urtheile ich über diejenigen, welche behaupten, die Geometer gaben ihnen mit diesen Regeln nichts neues, weil sie sie in der That hatten, aber verstreut unter einer Menge anderer unnützer oder falscher von denen sie sie nicht zu sondern verstanden, dasselbe wie über die, welche einen sehr werthvollen Diamanten unter einer großen Anzahl falscher suchen, ohne sie unterscheiden zu können, sich aber, indem sie alle zusammen behalten, rühmen, sie besäßen den echten eben so gut, als derjenige, welcher, ohne sich um den übrigen Haufen zu kümmern, seine Hand ausstreckt nach dem auserlesenen Steine, den man sucht und um dessen willen man nicht alle übrigen fortwarf.

Der Fehler eines falschen Vernunftschlusses ist ein Mangel, dem die beiden angegebenen Mittel abhelfen. Man hat zu demselben Zwecke ein anderes zusammengesetzt aus unendlich vielen unnützen Kräutern, unter denen zwar auch die guten vorhanden sind, aber, wegen der schlechten Beschaffenheit der Mischung, ohne Wirkung bleiben.

Um all' die Sophismen und all' die Zweideutigkeiten verführerischer Schlüsse aufzudecken, haben die Logiker barbarische Namen erfunden, welche diejenigen in Erstaunen setzen, die sie kennen; und während man die Verschlingungen dieses so verwickelten Knoten nicht anders entwirren kann, als wenn man an den beiden Enden zieht, welche die Geometer aufweisen, haben jene deren noch eine befremdende Anzahl bemerkt, unter denen sich zwar auch diese finden, aber ohne daß sie das richtige kennen.

Und also, indem sie uns eine ganze Anzahl verschiedener Wege zeigen, welche uns zu unserm Ziele bringen sollen, während doch in Wirklichkeit nur zwei dahin führen und man diese besonders anzugeben wissen muß, behauptet man, daß die Geometrie, welche sie sicher aufweist, nur das gebe, was man schon von ihnen empfangen, weil sie in der That dasselbe gaben und mehr, ohne Acht darauf zu haben, daß dies Geschenk seinen Werth verlöre durch seinen Überfluß und ihn durch Vermehrung einbüßte.

Nichts ist allgemeiner als das Gute: man muß es nur auffinden; sicher ist es durchaus natürlich und in unserem Bereich, auch sogar aller Welt bekannt. Aber man weiß es nicht zu unterscheiden. Das ist das Ganze. Nicht in außergewöhnlichen und bizarren Dingen findet sich das Vorzügliche irgend welcher Art. Man erhebt sich hoch um es zu erreichen, und man entfernt sich davon. Am häufigsten muß man sich erniedrigen. Die besten Bücher sind die, von denen jeder Leser meint, sie selbst haben machen zu können; Das ist nicht wahr in Bezug auf die Wissenschaften: niemand wird glauben, er hätte die mathematischen Principien von Newton verfassen können. Das ist nicht wahr in Bezug auf die Literatur: wer wird der Narr sein, daß er zu glauben wagt, er hätte die Ilias und Aeneis verfassen können. die Natur, die allein gut ist, ist durchaus bekannt und allgemein.

Ich bezweifle daher nicht, daß diese Regeln, die die wahren sind, nicht einfach, naiv, natürlich sein dürfen, wie sie es auch sind. Barbara und Baralipton, die die Vernunft bilden, sind es nicht. Man braucht den Geist nicht in die Höhe zu schrauben; geschrobene und mühsame Methoden erfüllen ihn mit thörichter Anmaßung, vermöge einer sonderbaren Erhabenheit und nichtiger, lächerlicher Aufgeblasenheit, statt mit gesunder und kräftiger Nahrung. Ein Hauptgrund, welcher diejenigen am weitesten irre führt, welche die Schwelle zur Erkenntnis des wahren Weges, den sie gehen müssen, überschreiten, ist die Einbildung, die um so größer wird, je unzugänglicher das Gute wird, wenn man es »groß, hoch, erhaben, sublim« nennt. Das verdirbt alles. Ich möchte es »niedrig, allgemein, bekannt« nennen; das stimmt besser damit; ich hasse die Ausdrücke der Aufgeblasenheit. Es ist die Sache, die ihr haßt: denn was das Wort betrifft, so müßt ihr dazu jemanden haben, der das ausspricht, was euch mißfällt.


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