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Man kann bei dem Studium der Wahrheit drei Hauptabsichten haben: erstens, sie zu entdecken, wenn man sie sucht; zweitens, sie zu beweisen, wenn man sie besitzt; schließlich, sie zu scheiden vom Falschen, wenn man sie prüft.
Ich spreche nicht von der ersten. Ich behandle besonders die zweite und sie schließt die dritte ein; denn wenn man die Methode kennt, die Wahrheit zu beweisen, so hat man zugleich die, sie zu sichten; denn wenn man prüft, ob der gegebene Beweis den bekannten Regeln gemäß ist, so weiß man, ob er richtig geführt ist.
Die Geometrie, welche in diesen drei Arten excellirt, hat die Kunst, die unbekannten Wahrheiten zu entdecken, erläutert; dies Verfahren nennt sie Analyse, und es wäre unnütz darüber zu reden, da so viel ausgezeichnete Werke geschrieben sind.
Diejenige, wie man schon gefundene Wahrheiten beweist, und sie so erklärt, daß der Beweis dafür unwiderleglich ist, ist die einzige, die ich hier behandeln will; und ich brauche dazu nur die Methode zu erklären, welche die Geometrie dabei beobachtet; denn diese lehrt sie vollkommen. Zuvor aber muß ich eine Vorstellung geben von einer noch viel erhabeneren und vollkommneren Methode, welche indeß die Menschen nie werden zu erreichen wissen: denn was über die Geometrie hinausgeht, geht über uns hinaus; und doch ist es nothwendig einiges darüber zu sagen, wenn es auch unmöglich auszuüben ist.
Diese wahrhafte Methode, welche, wenn es möglich wäre sie zu erreichen, die Beweise in höchster Vollendung führen würde, bestände in zwei Hauptsachen: erstens, keinen Ausdruck zu gebrauchen, dessen Sinn man nicht zuvor unmißverständlich erklärt; zweitens, keine Behauptung jemals aufzustellen, ohne sie durch schon bekannte Wahrheiten zu beweisen, das heißt in einem Worte, alle Ausdrucke definiren, und alle Behauptungen beweisen. Aber um selbst der Anordnung zu folgen, welche ich erkläre, muß ich erläutern, was ich unter Definition verstehe.
Man kennt in der Geometrie ausschließlich solche Definitionen, welche die Logiker Wortdefinitionen nennen, d. h. ausschließlich solche Benennungen von Dingen, welche man in vollkommen bekannten Ausdrücken deutlich bezeichnet hat; und ich spreche von diesen ganz allein.
Ihr Nutzen und ihr Gebrauch ist, die Rede verständlicher zu machen und abzukürzen, indem man durch die alleinige Benennung das ausdrückt, was sich sonst nur in mehreren Ausdrücken sagen ließe; so jedoch, daß die gegebene Benennung von jedem andern Sinn, wenn sie einen solchen hat, ausgeschlossen bleibt, um nur noch denjenigen zu haben, wozu sie einzig bestimmt ist. Dazu ein Beispiel.
Wenn man unter den Zahlen diejenigen, welche in zwei gleiche theilbar sind, von denen unterscheiden will, die es nicht sind, so giebt man ihnen, um eine öftere Wiederholung dieser Bedingung zu vermeiden, eine derartige Benennung; ich nenne also jede Zahl, theilbar in zwei gleiche, eine gerade Zahl.
Das ist eine geometrische Definition; denn hat man eine Sache deutlich bezeichnet, jede Zahl theilbar in zwei gleiche zu kennen, so giebt man ihr eine Benennung, von der man jeden andern Sinn, den sie etwa hat, ausschließt, um ihr den der bezeichneten Sache beizulegen.
Daraus wird klar, daß die Definitionen sehr frei sind und daß sie niemals dem Widerspruch unterworfen sind; denn es giebt nichts erlaubteres, als einer Sache, die man deutlich bezeichnet hat, einen beliebigen Namen zu geben. Man muß nur Acht geben, daß man die Freiheit, mit Namen zu belegen, nicht in sofern mißbraucht, daß man zwei verschiedenen Dingen denselben Namen giebt. Indeß auch dieses ist gestattet, vorausgesetzt, daß man die Folgerungen nicht verwirrt und von einem auf das andere überträgt. Aber wenn man in diesen Fehler verfällt, so kann man ihm ein sehr sicheres und sehr untrügliches Mittel entgegensetzen: nämlich an Stelle des Definirten in Gedanken die Definition setzen, und die Definition stets so gegenwärtig haben, daß, so oft man z. B. von einer geraden Zahl spricht, man deutlich begreift, es sei eine solche, welche in zwei gleiche Theile theilbar ist, und daß diese beiden Dinge so eng verbunden und in Gedanken so untrennbar sind, daß, sobald die Rede das eine ausdrückt, der Geist unmittelbar das andere daran fügt. Denn die Geometer und alle, welche methodisch denken, geben den Dingen nur deshalb Namen, um die Rede abzukürzen, nicht etwa um die Bedeutung der in Rede stehenden Sachen zu verringern oder zu verändern; und sie fordern, daß der Geist stets die volle Definition ergänze zu den kurzen Ausdrücken, die sie nur zur Vermeidung der Verwirrung, welche die Menge der Worte mit sich bringt, gebrauchen.
Nichts beseitigt schneller und gründlicher die verfänglichen Überraschungen der Sophisten, als diese Methode, die man stets gegenwärtig haben muß, und die allein genügt, alle Arten von Schwierigkeiten und Zweideutigkeiten zu bannen.
Nachdem so Vorstehendes richtig begreiflich gemacht, kehre ich zur Erklärung der wahrhaften Methode zurück, die, wie ich sagte, darin besteht, alles zu definiren und alles zu beweisen.
Sicher wäre diese Methode schön, aber sie ist vollkommen unmöglich; denn es ist klar, daß die ersten Ausdrücke, die man sich anschickte zu definiren, deren frühere voraussetzten, die ihnen zur Erklärung dienten, und daß ebenso die ersten Behauptungen, die man beweisen wollte, deren andere vorausgehende voraussetzten, und daraus ist deutlich, daß man nie zu den ersten gelangen würde.
Ebenso, setzt man die Untersuchungen immer weiter fort, so gelangt man nothwendig zuletzt zu solchen Grundworten, daß man sie nicht mehr definiren kann, und zu so völlig klaren Principien, daß man vergeblich nach solchen sucht, die es noch mehr wären, um zu ihrem Beweise zu dienen.
Daraus folgt die natürliche und unveränderliche Ohnmacht der Menschen, irgend welche Wissenschaft nach absolut vollkommner Methode zu behandeln; aber es folgt daraus durchaus nicht, daß man nun jede Art von Ordnung aufgeben müsse.
Denn es giebt eine, und das ist die geometrische, welche zwar in der That minder werth ist, weil sie weniger überzeugend, nicht aber weil sie weniger sicher wäre. Sie definirt nicht alles und beweist nicht alles, und darin eben ist sie minder werth; aber sie setzt nur bekannte und in der natürlichen Vernunft begründete Dinge voraus, und deshalb ist sie vollkommen zuverlässig, da die Natur an Statt der Rede sie unterstützt.
Diese unter Menschen vollkommenste Methode besteht nicht darin, alles zu definiren und alles zu beweisen; auch nicht darin, nichts zu definiren und nichts zu beweisen; sondern darin dergestalt die Mittelstraße zu halten, daß man bekannte und allen Menschen verständliche Dinge nicht, alle andern aber definirt; daß man alle bekannten Dinge nicht beweist, dagegen alle anderen. Gegen diese Ordnung fehlen ebenso die, welche alles beweisen und alles definiren wollen, wie die, welche es bei Dingen, die nicht aus sich selbst verständlich sind, versäumen.
Das ist es, was die Geometrie vollkommen lehrt. Sie definirt nichts derartiges wie Raum, Zeit, Bewegung, Zahl, Gleichheit und zahlreiche ähnliche Dinge, weil für den, der die Sprache versteht, diese Ausdrücke die Dinge, welche sie versinnbildlichen, so natürlich bezeichnen, daß der Versuch einer Erklärung mehr Dunkelheit als Belehrung bringen würde.
Denn es giebt nichts Schwächeres als die Sprache derer, welche diese Grundwörter definiren wollen. Wozu ist es zum Beispiel nöthig zu erklären, was man unter dem Worte »Mensch« versteht? Weiß man nicht ganz genau, welches Ding man mit diesem Ausdruck bezeichnen will? und welchen Nutzen glaubt uns Plato zu verschaffen, wenn er sagt es sei ein Thier mit zwei Beinen und ohne Federn? Als ob die Vorstellung, welche ich von Natur davon habe, aber nicht ausdrücken kann, nicht viel genauer und sicherer wäre als die, welche er mir mit seiner unnützen und geradezu lächerlichen Erklärung giebt; denn ein Mensch verliert mit seinen beiden Beinen nicht seine Menschheit, und ein Kapaun erlangt sie nicht durch Verlust seiner Federn.
Es giebt Leute, die so absurd sind, daß sie ein Wort durch das Wort selbst erklären. Ich kenne Leute, welche das Licht folgendermaßen erklären: »Das Licht ist eine lichtvolle Bewegung leuchtender Körper«, als ob man die Worte »lichtvoll« und »leuchtend« verstehen könnte, ohne das Hauptwort »Licht«.
Ebenso kann man das Wort »sein« nicht erklären wollen, ohne dieselbe Absurdität zu begehen. Denn man kann kein Wort erklären ohne anzufangen: es ist, sei es, daß man es ausdrücklich sagt, oder im Stillen denkt. Um also »sein« zu definiren muß man sagen »es ist«; und so in der Definition das zu definirende Wort gebrauchen.
Man sieht daraus zur Genüge, daß es undefinirbare Worte giebt; und wenn die Natur diesen Mangel nicht durch eine allen Menschen gemeinsame, gleichartige Vorstellung ausgeglichen hätte, so wären all' unsere Ausdrücke verwirrt; während man sie doch mit derselben Überzeugung und derselben Gewißheit gebraucht, als ob sie auf vollkommen unzweideutige Art erklärt wären; denn die Natur hat uns damit ohne viel Worte eine genauere Einsicht verliehen, als uns die Kunst durch unsere Erklärungen verschaffen könnte.
Nicht etwa weil alle Menschen dieselbe Vorstellung vom Wesen der Dinge haben, sage ich es sei unmöglich und unnütz zu definiren; denn z. B. dahin gehört das Wort »Zeit«. Wer kann es definiren? Und wozu es versuchen, da alle Menschen ohne weitere Belehrung begreifen, was man sagen will, wenn man von Zeit spricht? Betreffs des Wesens der Zeit aber giebt es viel verschiedene Ansichten. Die einen sagen, es sei die Bewegung eines geschaffenen Dinges, die andern, das Maß der Bewegung etc. Auch sage ich nicht etwa, die Natur dieser Dinge sei allen bekannt: sondern einzig und allein die Beziehung zwischen Namen und Sache; so daß bei dem Ausdruck »Zeit« alle ihre Gedanken auf denselben Gegenstand richten: und das genügt, um die Definition dieses Ausdruckes unnöthig zu machen, obwohl in der Folge, wenn man prüft, was die Zeit nun eigentlich sei, man verschiedener Meinung sein kann, wenn man darüber nachgedacht hat; denn die Definitionen sind nur dazu da die Dinge, welche man nennt, zu bezeichnen, nicht aber ihre Natur anzugeben.
Es ist durchaus erlaubt, mit dem Namen »Zeit« die Bewegung eines geschaffenen Dinges zu bezeichnen; denn wie ich schon gesagt habe, nichts ist freier als die Definitionen. Aber dieser Definition zufolge gäbe es zwei Dinge, die man mit dem Namen »Zeit« belegte: das eine was alle von selbst unter diesem Worte verstehen, und was alle, die unsere Sprache sprechen, mit diesem Ausdruck bezeichnen; das andere eben die Bewegung eines geschaffenen Dinges; denn auch dies würde man mit diesem Namen benennen, nach jener neuen Definition.
Man muß daher die Zweideutigkeiten vermeiden, und die Folgerungen nicht vermengen. Denn aus obigem folgt durchaus nicht, daß das Ding, welches man für gewöhnlich unter dem Worte »Zeit« versteht, nun in der That Bewegung eines geschaffenen Dinges sei. Es stand frei beide Dinge überein zu nennen, nicht aber sie von Natur ebensogut gleich zu machen wie von Namen.
Wenn man also sagt: »die Zeit ist die Bewegung eines geschaffenen Dinges«, so muß man fragen, was versteht man unter dem Worte »Zeit«; d. h. läßt man ihm den gewöhnlichen und von allen angenommenen Sinn, oder nimmt man ihm denselben, um ihm in diesem Falle den der Bewegung eines geschaffenen Dinges zu geben? Schließt man es von jedem anderen Sinne aus, so kann man nicht widersprechen; wir haben dann eine freie Definition, nach welcher es, wie gesagt, zwei Dinge giebt, die denselben Namen haben; läßt man ihm aber den gewöhnlichen Sinn und behauptet nichts destoweniger, das, was man unter diesem Worte verstehe, sei die Bewegung eines geschaffenen Dinges, so kann man widersprechen. Das ist nicht mehr eine freie Definition, sondern eine Behauptung, die man beweisen muß, falls sie nicht an sich vollkommen evident ist, und dann ist es ein Princip und ein Axiom, niemals aber eine Definition; denn wenn man sich so ausdrückt, so will man nicht sagen, das Wort »Zeit« bezeichne das nämliche wie die Worte: »Bewegung eines geschaffenen Dinges«, sondern man will sagen, das was man unter dem Ausdruck »Zeit« begreife, sei jene angenommene Bewegung.
Wenn ich nicht wüßte, wie häufig es nothwendig ist dies vollkommen genau zu wissen, und wie häufig stündlich in vertraulicher Rede sowohl wie in wissenschaftlicher Fälle ähnlich denen, wovon ich ein Beispiel gegeben, vorkommen, ich würde mich nicht dabei aufgehalten haben. Aber nach meiner Erfahrung von Verwirrung in Streitreden, scheint es, daß man sich nicht genug jenen Geist der Genauigkeit aneignen kann, und für ihn mache ich eigentlich diese ganze Abhandlung, mehr jedenfalls als für den Gegenstand, den ich darin abhandle.
Denn wie viel Menschen giebt es, welche glauben die Zeit definirt zu haben, wenn sie sagen, sie sei das Maß der Bewegung, und wenn sie ihr zugleich den gewöhnlichen Sinn lassen! und sie haben doch eine Behauptung aufgestellt, aber keine Definition. Ebenso wie viel giebt es, welche glauben die Bewegung definirt zu haben, wenn sie sagen: » Motus nec simpliciter motus, non mera potentia est, sed actus entis in potentia!« Und doch, wenn sie dem Worte »Bewegung« seinen gewöhnlichen Sinn lassen, wie sie es thun, so ist es keine Definition, sondern eine Behauptung; und indem sie also die Definitionen, welche sie »Wortdefinitionen« nennen, die aber in der That freie, erlaubte und geometrische Definitionen sind, zusammenwerfen mit denen, welche sie »Sachdefinitionen« nennen, die aber eigentlich durchaus keine freie, sondern widersprechliche Behauptungen sind, nehmen sie sich dabei die Freiheit, deren eben so gut zu bilden wie andere; und indem ein jeder dieselben Dinge auf seine Weise definirt, kraft einer Freiheit, die in dieser Art Definitionen eben so sehr verboten ist, wie in ersteren erlaubt, bringen sie alle Dinge durch einander: und indem sie jede Ordnung und jede Klarheit verlieren, verlieren sie sich selbst, und verirren sich in unlöslichem Wirrsal.
Dem wird man nie verfallen, wenn man die Ordnung der Geometrie innehält. Diese urtheilsvolle Wissenschaft ist weit davon entfernt, jene Grundwörter zu definiren, wie »Raum, Zeit, Bewegung, Gleichheit, Mehrheit, Verminderung, alles« und andere, die alle von selbst verstehen. Aber diese ausgenommen sind alle übrigen Ausdrücke, die sie gebraucht, derart erklärt und definirt, daß man zu ihrem Verständnis kein Wörterbuch gebraucht; so daß mit einem Worte alle jene Ausdrücke vollkommen verständlich sind, entweder mittelst der natürlichen Vernunft, oder mittelst der aufgestellten Definitionen.
Auf diese Weise vermeidet sie alle Fehler, welche in dem ersten Punkte zusammentreffen können, der darin besteht, nur die Dinge zu definiren, die es nöthig haben. Ebenso verfährt sie betreffs des zweiten Punktes, der darin besteht, die Behauptungen, welche nicht einleuchtend sind, zu beweisen.
Denn sobald sie zu den ersten bekannten Wahrheiten gelangt ist, macht sie Halt und verlangt, daß man sie zugiebt, da sie nichts klareres hat, um sie zu beweisen; so daß alles, was die Geometrie behauptet, vollkommen bewiesen ist, entweder durch die natürliche Vernunft oder durch Beweise.
Wenn daher diese Wissenschaft nicht alle Dinge definirt und nicht alle beweist, so geschieht das aus dem einzigen Grunde, weil uns das unmöglich ist.
Man wird es vielleicht sonderbar finden, daß die Geometrie keinen von den Hauptgegenständen ihrer Betrachtung definiren kann. Denn sie kann weder Bewegung noch Zahlen noch Raum definiren; und doch sind diese Gegenstände gerade die, welche sie besonders betrachtet und je nach deren Erforschung sie die drei verschiedenen Titel der »Mechanik«, der »Arithmetik«, der »Geometrie« trägt, indem dieser letztere Titel dem Geschlecht und der Art zugleich zukommt. Man wird indeß davon nicht überrascht sein, wenn man erwägt, daß, da diese wunderbare Wissenschaft sich nur an die einfachsten Dinge hält, die Eigenschaft gerade, welche sie ihrer Beobachtung würdig macht, sie undefinirbar macht; so daß der Mangel der Definition eher ein Vorzug als ein Fehler ist, weil er nicht etwa aus ihrer Dunkelheit, sondern im Gegentheil gerade aus ihrer außerordentlichen Deutlichkeit folgt, die so groß ist, daß sie auch ohne die Überzeugung der Beweisführung doch ganz dieselbe Gewißheit hat. Sie setzt also voraus, daß man weiß, was man unter den Worten »Bewegung, Zahl, Raum« versteht; und ohne sich mit unnützen Definitionen aufzuhalten, durchdringt sie ihre Natur und entdeckt darin die wunderbarsten Eigenschaften.
Diese drei Dinge, welche das ganze Universum umfassen, nach den Worten: » Deus fecit omnia in pondere in numero et mensura« stehen in nothwendig gegenseitiger Wechselwirkung. Denn man kann sich keine Bewegung denken ohne ein Ding, was sich bewegt, und wenn dies Ding eins ist, so ist diese Einheit der Ursprung aller Zahlen. Da ferner die Bewegung nicht ohne Raum sein kann, so sieht man alle drei Dinge im ersten beschlossen.
Sogar die Zeit ist auch mit inbegriffen: denn Bewegung und Zeit stehen zu einander in Bezug, da Schnelligkeit und Langsamkeit, die Unterschiede der Bewegungen, nothwendige Beziehung zur Zeit haben.
So giebt es allen diesen Dingen gemeinsame Eigenschaften, deren Kenntnis den Geist für größere Wunder der Natur öffnet.
Das hervorragendste umfaßt die beiden Unendlichkeiten, die sich überall vorfinden, die der Größe und die der Kleinheit.
Denn wie schnell auch eine Bewegung sein mag, man kann eine denken, die es noch mehr ist, und auch diese letztere noch beschleunigen; und so stets weiter ins Unendliche, ohne je zu einer zu kommen, die es dermaßen ist, daß man sie nicht mehr verstärken könnte; und umgekehrt, wie langsam auch eine Bewegung sein mag, man kann sie noch hemmen, und wieder diese letztere ebenso; und so ins Unendliche, ohne je zu einer solchen Stufe von Langsamkeit zu kommen, daß man nicht noch zu einer Unendlichkeit anderer hinabsteigen könnte, ohne zur Ruhe zu kommen. Ebenso wie groß auch eine Zahl sein mag, man kann eine größere denken, und wieder eine, welche die letztere noch übersteigt; und so ins Unendliche, ohne je zu einer zu gelangen, die nicht noch vergrößert werden könnte; und umgekehrt, wie klein auch eine Zahl sein mag, wie der hundertste oder der zehntausendste Theil, man kann noch eine kleinere denken und immer ins Unendliche weiter, ohne zu Null oder Nichts zu gelangen. Wie groß auch ein Raum sein mag, man kann einen größeren denken, und wieder einen, der es noch mehr ist; und so ins Unendliche, ohne je zu einem zu gelangen, der nicht mehr vergrößert werden könnte: und umgekehrt, wie klein auch ein Raum sein mag, man kann einen kleineren ausdenken und so stets weiter ins Unendliche, ohne je zu einem zu gelangen, der untheilbar und ohne jegliche Ausdehnung wäre.
Ebenso ist es mit der Zeit. Man kann stets eine größere denken ohne Ende, und eine kleinere, ohne zu einem Augenblicke und einem reinen Nichts an Dauer zu gelangen.
Das heißt in einem Worte, welche Bewegung, welche Zahl, welcher Raum und welche Zeit es auch sein mag, es giebt stets eine größere und eine geringere, so daß sich alle zwischen dem Nichts und der Unendlichkeit halten und zugleich stets unendlich weit von diesen Extremen entfernt sind.
Alle diese Wahrheiten sind nicht zu beweisen; und gleichwohl sind sie die Grundlagen und Principien der Geometrie. Wie aber der Grund, der sie unbeweisbar macht, nicht ihre Dunkelheit, sondern gerade ihre außerordentliche Deutlichkeit ist, so ist dieser Mangel eines Beweises kein Fehler, sondern vielmehr ein Vorzug.
Daraus sieht man, daß die Geometrie ihre Gegenstände nicht anders definiren noch ihre Principien anders beweisen kann, als durch diese einzige und vortheilhafte Überlegung, daß die einen wie die andern eine außerordentliche natürliche Klarheit besitzen, welche die Vernunft mächtiger überzeugt, als es die Rede könnte.
Denn was ist deutlicher als diese Wahrheit, daß eine Zahl, wie sie auch sei, vermehrt werden kann, daß man sie verdoppeln kann; daß die Geschwindigkeit einer Bewegung verdoppelt werden kann; daß ebenso ein Raum verdoppelt werden kann? Und andererseits, wer könnte zweifeln, daß eine Zahl, wie sie auch sei, halbiert werden könnte, und diese Hälfte ebenso? Denn wäre diese Hälfte dann etwa ein Nichts? Wie könnten dann zwei Hälften, die zwei Nullen wären, eine Zahl ausmachen?
Ebenso, wie langsam auch eine Bewegung sei, kann sie nicht noch um die Hälfte abgeschwächt werden, so daß sie denselben Raum in der doppelten Zeit durchläuft, und dann wieder diese letztere Bewegung? Denn würde das dann eine reine Ruhe sein? Und wie wäre es möglich, daß diese beiden Hälften von Schnelligkeit, die zwei Ruhen wären, die erste Schnelligkeit ausmachten?
Schließlich ein Raum, wie klein er auch sei, kann er nicht in zwei getheilt werden, und diese Hälften wiederum? Und wie könnte es geschehen, daß diese Hälften untheilbar, ohne jede Ausdehnung wären, sie, welche mit einander verbunden, die erste Ausdehnung bewirkt haben?
Es giebt im Menschen durchaus keine natürliche Erkenntnis, welche diesen vorausginge und sie an Klarheit überträfe. Trotzdem findet man, damit es zu allem ein Beispiel gebe, Geister, ausgezeichnet in allen anderen Dingen, welche von diesen Unendlichkeiten abgestoßen werden, und welche in keiner Weise ihnen zustimmen können.
Ich habe nie jemanden gekannt, der es für unmöglich gehalten, daß ein Raum vergrößert werden könne. Dagegen habe ich manche sonst sehr tüchtige Leute getroffen, welche versicherten, ein Raum könne in zwei untheilbare Theile zerlegt werden, wie groß auch die Absurdität dabei sein mag.
Ich habe an ihnen zu erforschen versucht, welches der Grund dieser Unwissenheit sein könne, und habe gefunden, daß es nur einen Hauptgrund giebt, nämlich, daß sie ein beständig ins Unendliche Theilbare nicht zu begreifen vermögen; woraus sie dann schließen, daß es also auch nicht theilbar ist. Es ist dies eine dem Menschen natürliche Schwäche, zu glauben, er besitze die Wahrheit unmittelbar, und daher ist er stets geneigt alles ihm unbegreifliche einfach zu läugnen, während er in der That von Natur doch nur die Lüge erkennt und die Dinge für die wahren ansehen muß, deren Gegentheil ihm falsch erscheint.
So oft daher eine Behauptung unbegreiflich ist, muß man sein Urtheil darüber aussetzen, und sie nicht dieser Eigenschaft wegen läugnen, sondern ihr Gegentheil prüfen; findet man dieses handgreiflich falsch, so kann man die erste Behauptung kühnlich bejahen, so unbegreiflich sie auch sein mag. Wenden wir diese Regel aus unsern Gegenstand an.
Es giebt keinen Geometer, der nicht den Raum bis ins Unendliche theilbar hält. Man kann es ohne diesen Grundsatz ebenso wenig sein, als man ohne Seele Mensch sein kann. Dennoch giebt es keinen, der eine unendliche Theilung begriffe; und man versichert sich dieser Wahrheit auch nur durch die einzige, sicherlich aber genügende, Überlegung, daß man vollkommen begreift, die Behauptung, durch Theilung eines Raumes könne man zu einem untheilbaren Theil, d. h. zu einem ohne jede Ausdehnung gelangen, sei falsch. Denn was ist thörichter, als die Behauptung, durch beständig fortgesetzte Theilung eines Raumes gelange man schließlich zu einem solchen Theil, dessen Hälften, wenn man ihn in zwei zerlegt, einzeln untheilbar und ohne jegliche Ausdehnung blieben? Diejenigen, welche sich das einbilden, möchte ich fragen, ob sie klar begreifen, daß zwei Untheilbare sich berühren: wenn in allen Theilen, so sind sie nur ein Ding, und also sind auch beide zusammen untheilbar; wenn nicht in allen Theilen, so also nur in einem Theil, so haben sie also Theile, so sind sie also nicht untheilbar.
Mögen sie, wenn sie bekennen – wie sie es in der That thun, wenn man sie drängt – daß ihre Behauptung eben so unbegreiflich ist als die andere, mögen sie dann erkennen, daß wir nicht vermöge unserer größeren Fassungskraft in diesen Dingen über ihre Wahrheit aburtheilen müssen, sondern, wenn auch beide entgegengesetzten Ansichten alle beide unbegreiflich sind, so muß doch nothwendiger Weise eine von beiden wahr sein.
Diesen fabelhaften Schwierigkeiten aber, die nur zu unserer Schwachheit in einem Verhältnis stehen, mögen sie diese natürlichen Einsichten und diese festen Wahrheiten entgegensetzen: wäre in der That der Raum zusammengesetzt aus einer bestimmt begrenzten Zahl von Untheilbaren, so würde daraus folgen, daß von zwei Räumen, deren jeder ein Quadrat, d. h. gleich und ähnlich an allen Seiten, der eine, wenn er um den andern verdoppelt würde, eine Anzahl jener Untheilbaren enthalten würde doppelt so groß als die Anzahl der Untheilbaren des andern. Diese Folgerung wohlbehalten mögen sie sich daran machen, Punkte in Quadraten anzuordnen solange bis sie zwei gefunden haben, wovon das eine doppelt soviel Punkte enthält als das andere; dann sollen alle Geometer der Welt nachgeben. Aber wenn das Ding natürlich unmöglich ist, d. h. wenn es absolut unmöglich ist, Punkte in Quadrate so zu ordnen, daß das eine doppelt so viel enthält als das andere, wie ich hier selbst beweisen würde, wenn die Sache verdiente sich dabei aufzuhalten, dann mögen sie daraus die Consequenz ziehen.
Und um sie in ihren Verlegenheiten bei gewissen Gelegenheiten zu trösten, wie wenn es heißt zu begreifen, daß ein Raum eine Unendlichkeit von Theilbaren habe, obgleich man ihn in so kurzer Zeit durcheilt, muß man sie bedeuten, daß sie nicht so außer Verhältnis stehende Dinge wie die Unendlichkeit der Theilbaren und die kurze Zeit in der man sie durchläuft mit einander vergleichen dürfen: sondern daß sie den ganzen Raum mit der ganzen Zeit vergleichen müssen und die unendlichen Theile des Raumes mit den unendlichen Augenblicken der Zeit; denn dann würden sie finden, daß man eine Unendlichkeit von Theilen in einer Unendlichkeit von Augenblicken durchläuft und einen kleinen Raum in kurzer Zeit, und darin ist nichts von dem Mißverhältnis, was sie in Erstaunen gesetzt hatte.
Wenn sie es endlich sonderbar finden, daß ein kleiner Raum ebenso viel Theile habe wie ein großer, so müssen sie auch verstehen, daß sie im Verhältnis viel kleiner sind; und mögen sie doch einmal das Firmament durch ein kleines Glas betrachten, um sich, indem sie jeden Theil des Himmels und jeden Theil des Glases sehen, mit dieser Erkenntnis zu befreunden.
Wenn sie aber nicht begreifen können, daß Theile, so klein, daß sie für uns nicht wahrnehmbar sind, ebenso oft getheilt werden können als das Firmament, so giebt es dagegen kein besseres Mittel, als ihnen jenen zarten Punkt unter einem Vergrößerungsglase als ungeheuerliche Masse zu zeigen, in Folge dessen sie dann mit Leichtigkeit begreifen, daß man mit Hilfe eines noch viel feiner geschliffenen Glases sie bis zur Gleichheit mit dem Firmament, dessen Ausdehnung sie bewundern, vergrößern könnte. Und wenn ihnen so nun diese Gegenstände sehr leicht theilbar zu sein scheinen, dann mögen sie sich daran erinnern, daß die Natur unendlich viel mehr kann als die Kunst.
Denn schließlich, wer giebt ihnen denn Gewißheit darüber, daß diese Gläser die natürliche Größe jener Gegenstände verändern und nicht vielmehr die wahrhafte wiederherstellen, welche die Form unseres Auges verändert und verkürzt hatte, wie es Verkleinerungsgläser thun? Es ist traurig, sich bei solchen Bagatellen aufzuhalten, aber man muß zuweilen Spaß machen.
Vernünftigen Leuten genügt es in dieser Beziehung zu sagen, daß zwei Nichts an Ausdehnung keine Ausdehnung machen können. Da es aber doch Leute giebt, die dieser Einsicht entgehen wollen mit der wundervollen Antwort: zwei Nichts an Ausdehnung könnten ebenso gut eine Ausdehnung machen, als zwei Einheiten, deren keine eine Zahl, durch ihre Verbindung eine Zahl ausmachen; so muß man ihnen entgegenhalten, daß sie in derselben Weise erwidern könnten, daß zwanzigtausend Menschen eine Armee machen, obgleich keiner von ihnen Armee sei; daß tausend Häuser eine Stadt machen, obgleich keines Stadt sei; oder daß die Theile das Ganze machen, obgleich keiner das Ganze sei; oder, um bei der Vergleichung von Zahlen zu bleiben, daß zwei Zweier einen Vierer, zehn Zehner einen Hunderter machen, obgleich keiner es sei. Das heißt aber seinen gesunden Verstand zu nichts anderem gebrauchen, als um durch solch' falsche Vergleiche die unwandelbare Natur der Dinge zu verwechseln mit ihren freien, beliebigen und, von der Willkür der Menschen, die sie ihnen gegeben, abhängigen Namen. Denn es ist klar, um die Rede zu erleichtern, hat man zwanzigtausend Menschen eine Armee, viele Häuser eine Stadt, zehn Einheiten einen Zehner genannt, und sind aus dieser Freiheit die Namen Einer, Zweier, Vierer, Zehner, Hunderter entstanden, die in unserer Einbildung verschieden, wenn auch in der That vermöge ihrer unveränderlichen Natur desselben Geschlechtes, unter einander durchaus verhältnismäßig und nur durch mehr oder weniger unterschieden sind, und wenn auch zufolge jener Namen der Zweier kein Vierer, noch ein Haus eine Stadt und noch weniger eine Stadt ein Haus ist. Aber wenn auch ein Haus keine Stadt ist, so ist es doch trotzdem ein Nichts von Stadt; es ist ein großer Unterschied zwischen: eine Sache nicht sein, und ein Nichts davon sein.
Denn man muß, um die Sache gründlich zu kennen, wissen, daß der einzige Grund, weshalb die Einheit nicht zu den Zahlen gehört, der ist, daß, da Euclides und die ersten Autoren, welche die Arithmetik behandelt haben, mehrere Eigenschaften allen Zahlen, außer der Einheit, gemeinsam zuertheilten und die öftere Wiederholung des Satzes: »bei jeder Zahl, außer der Einheit, trifft diese Bedingung zu« vermeiden wollten, sie die Einheit, vermöge der Freiheit, die man, wie gesagt, hat, beliebige Definitionen zu machen, überhaupt von der Bezeichnung durch das Wort »Zahl« ausgeschlossen haben. Wenn sie es gewollt, hätten sie auch ebenso gut die Zweier und die Dreier und alles was ihnen sonst passend gewesen wäre, davon ausschließen können; denn man kann es machen, wie man will, wenn man nur davon Bescheid giebt: wie man ja umgekehrt, wenn man will, die Einheit so gut als die Brüche unter die Zahlen setzen kann. Und man muß das in der That in allgemeinen Behauptungen thun, damit man die jedesmalige Wiederholung des Satzes vermeide: »bei jeder Zahl und bei der Einheit und bei den Brüchen gilt eine solche Eigenschaft«; und eben in diesem unbestimmten Sinne habe ich es genommen in allem, was ich darüber geschrieben habe.
Aber derselbe Euclides, welcher der Einheit den Namen »Zahl« genommen, was ihm freistand, definirt, um zu zeigen, daß sie trotzdem nicht ein Nichts davon, sondern vielmehr desselben Geschlechtes sei, die gleichartigen Größen folgendermaßen: »Die Größen, sagt er, gehören zu demselben Geschlecht, weil die eine, mehrere Male gesetzt, dahin kommen kann, größer als die andere zu sein«; und folglich, da die Einheit, mehrere Male gesetzt, irgend eine beliebige Zahl überschreiten kann, gehört sie zu demselben Geschlecht wie die Zahlen, und zwar gerade ihres Wesens und ihrer unveränderlichen Natur wegen, im Sinne desselben Euclides, der da wollte, daß sie nicht »Zahl« genannt würde.
Nicht so verhält es sich mit einem Untheilbaren gegenüber einer Ausdehnung; denn es hat nicht nur einen anderen Namen, was zufällig ist, sondern es gehört auch nach derselben Definition zu einem anderen Geschlecht, denn ein Untheilbares, mag man es setzen so oft man will, bleibt doch soweit davon entfernt eine Ausdehnung überschreiten zu können, daß es nie mehr als ein einziges und alleiniges Untheilbare bilden kann; das ist natürlich und nothwendig, wie wir bereits bewiesen. Da aber dieser letzte Beweis gestützt ist auf die Definition der beiden Dinge »untheilbar« und »Ausdehnung«, so will man die Beweisführung auch vollständig zu Ende führen.
Ein Untheilbares ist das, was keinen Theil hat, und Ausdehnung ist das, was verschiedene getrennte Theile hat. Zufolge dieser Definition sage ich, daß zwei Untheilbare durch ihre Vereinigung keine Ausdehnung werden.
Denn, wenn sie verbunden werden, berühren sie sich jedes in einem Theile; also sind die Theile, womit sie sich berühren, nicht getrennt, da sie sich sonst nicht berühren könnten. Nun aber haben sie nach ihrer Definition gar keine anderen Theile; also haben sie keine getrennten Theile; also sind sie keine Ausdehnung nach der Definition von Ausdehnung, die getrennte Theile hat.
Dasselbe kann man von allen anderen Untheilbaren, die man damit verbindet, beweisen aus demselben Grunde. Folglich wird ein Untheilbares, so oft gesetzt wie man will, niemals eine Ausdehnung. Also gehört es nicht zu demselben Geschlecht, wie die Ausdehnung, nach der Definition von den Dingen desselben Geschlechtes.
So beweist man, daß die Untheilbaren nicht zu demselben Geschlecht gehören wie die Zahlen. Daher können zwei Einheiten recht gut eine Zahl machen, weil sie zu demselben Geschlecht gehören; und daher machen zwei Untheilbare keine Ausdehnung, weil sie nicht zu demselben Geschlecht gehören.
Daraus folgt, wie wenig vernünftig es ist, die Beziehung zwischen der Einheit und den Zahlen, mit der zwischen den Untheilbaren und der Ausdehnung zu vergleichen.
Aber wenn man in den Zahlen eine Vergleichung haben will, die mit Richtigkeit angiebt, was wir in der Ausdehnung betrachten, so muß es das Verhältnis zwischen Null und den Zahlen sein; denn Null gehört nicht zu demselben Geschlecht wie die Zahlen, weil sie, vervielfältigt, sie nicht überschreiten kann. So ist sie ein wahres Untheilbare von Zahl, wie das Untheilbare eine wahre Null von Ausdehnung.
Ein ähnliches Verhältnis wird man finden zwischen Ruhe und Bewegung und zwischen einem Augenblick und der Zeit; denn alle diese Dinge sind ihren Größen ungleichartig, weil, wenn sie auch unendlich oft vervielfältigt werden, sie doch stets nur Untheilbare bilden können, ebenso wie die Untheilbaren der Ausdehnung und aus demselben Grunde. Und nun wird man zwischen all' diesen Dingen eine vollkommene Wechselbeziehung bemerken; denn all' jene Größen sind theilbar ins Unendliche, ohne je zu ihren Untheilbaren herabzusinken, so daß sie alle die Mitte halten zwischen dem Unendlichen und dem Nichts.
Das ist das bewunderungswürdige Verhältnis, welches die Natur zwischen diesen Dingen aufgestellt hat, und die beiden wunderbaren Unendlichkeiten, welche sie den Menschen vorgelegt hat, nicht um sie zu begreifen, sondern um sie zu bewundern; und um ihre Betrachtung mit einer letzten Bemerkung abzuschließen, will ich hinzufügen, daß diese beiden Unendlichkeiten, obwol unendlich verschieden, dennoch in einem solchen Verhältnis zu einander stehen, daß die Erkenntnis der einen nothwendig zu der Erkenntnis der anderen führt.
Denn daraus, daß die Zahlen unaufhörlich vermehrt werden können, folgt nothwendig, daß sie unaufhörlich verkleinert werden können; das ist klar; denn wenn man z. B. eine Zahl bis zu 100,000 vervielfältigen kann, so kann man auch den 100,000. Theil davon nehmen, indem man sie durch dieselbe Zahl theilt, womit man sie vervielfältigt; also kann jeder Ausdruck der Vervielfältigung zu einem Ausdruck der Theilung werden, wenn man das Ganze in Bruch verwandelt. Also schließt die unendliche Vervielfältigung auch nothwendig die unendliche Theilung ein.
Und im Raume findet dasselbe Verhältnis zwischen jenen beiden entgegengesetzten Unendlichkeiten statt, d. h. daraus, daß ein Raum unendlich erweitert werden kann, folgt, daß er unendlich verringert werden kann, wie folgendes Beispiel zeigt: wenn man durch ein Glas ein Schiff beobachtet, welches sich stets in gerader Richtung entfernt, so ist klar, daß die Stelle des durchsichtigen Körpers, an welcher man einen beliebigen Punkt des Schiffes bemerkt, in beständiger Fortbewegung stets steigen wird in demselben Verhältnis wie das Schiff sich entfernt. Wenn also der Lauf des Schiffes stets fortgesetzt wird bis ins Unendliche, so wird dieser Punkt unaufhörlich steigen, dennoch aber wird er nie mit dem horizontalen Strahle von unserm Auge zum Glase zusammenfallen, sondern sich ihm vielmehr stets nähern, ohne ihn je zu erreichen, und unaufhörlich den Raum bis zu diesem horizontalen Punkte verringern, ohne ihn je zu erreichen. Daraus folgt mit Nothwendigkeit der Schluß von der unendlichen Ausdehnung der Fortbewegung des Schiffes auf die unendliche und unendlich kleine Theilung dieses kleinen Raumes, der unter dem Horizontalpunkte übrig bleibt.
Diejenigen, welche von diesen Gründen nicht zufrieden gestellt sind und welche in dem Glauben verharren, der Raum sei nicht ins Unendliche theilbar, können keinen Anspruch auf geometrische Beweisführungen machen; und wenn sie auch in anderen Dingen der Belehrung fähig sind, so sind sie es hierin jedenfalls sehr wenig; denn man kann leicht ein ganz tüchtiger Mensch und ein schlechter Mathematiker sein.
Diejenigen dagegen, welche die Wahrheiten klar erkennen, vermögen die Größe und Macht der Natur in dieser zwiefachen Unendlichkeit, die uns überall umgiebt, zu bewundern und sich selbst vermöge dieser wunderbaren Betrachtung recht kennen zu lernen, indem sie sich hineingestellt sehen zwischen eine Unendlichkeit und ein Nichts an Ausdehnung, zwischen eine Unendlichkeit und ein Nichts an Zahl, zwischen eine Unendlichkeit und ein Nichts an Bewegung, zwischen eine Unendlichkeit und ein Nichts an Zeit. Daraus kann man sich nach seinem wahren Werth kennen lernen, und daraus sehr bedeutsame Betrachtungen ableiten, die mehr Werth sind, als die ganze übrige Geometrie.
Ich habe geglaubt diese lange Betrachtung zu Gunsten derjenigen machen zu müssen, welche jene zwiefache Unendlichkeit zwar nicht sofort begreifen, aber doch davon überzeugt werden können; und wenn auch manche genug Verstand haben um ihr entrathen zu können, so ist es doch wohl möglich, daß diese Abhandlung, nothwendig für die einen, nicht völlig unnütz ist für die andern.