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44. Kapitel.
Aus dem Leben des Lebenden Buddha

Der gegenwärtige Bogdo Khan der Aeußeren Mongolei ist Tibetaner. Er entstammt einer armen Familie, die in der Nähe von Sakia Kure in Westtibet lebt. Seit seiner frühesten Jugend hat er ein stürmisches, eigentlich ungeistiges Naturell gezeigt. Er war stets von dem Gedanken der Unabhängigkeit und der Verherrlichung der Mongolei und der Nachfolger Dschingis Khans beseelt. Das gab ihm von vornherein großen Einfluß über die Lamas, Fürsten und Khane der Mongolei und auch über die russische Regierung, die stets versucht hat, ihn auf ihre Seite zu ziehen. Er fürchtete sich nicht, gegen die Mandschu-Dynastie in China aufzutreten, und hatte dabei stets die Hilfe Rußlands, Tibets, der Burjetten und der Kirgisen, die ihm Geld, Waffen, Krieger und diplomatische Hilfe gewährten. Die chinesischen Kaiser suchten einen offenen Krieg mit dem Lebenden Gott zu vermeiden, um nicht die Proteste der chinesischen Buddhisten herauszufordern. Einmal sandten sie zum Bogdo Khan einen Doktor, der ein geschickter Giftmischer war. Der Lebende Buddha verstand indessen sofort die Bedeutung dieser medizinischen Aufmerksamkeit und trat, da er die Kraft asiatischer Gifte kannte, sogleich eine Rundfahrt nach den mongolischen Klöstern und nach Tibet an. Als seinen Vertreter ließ er einen Hubilgan zurück, der mit dem chinesischen Doktor Freundschaft schloß und von diesem den genauen Zweck seines Herkommens erfuhr. Bald danach starb der Chinese an irgendeiner unbekannten Ursache. Der Lebende Buddha konnte also nach seiner Hauptstadt zurückkehren.

Noch bei einer anderen Gelegenheit befand sich der Lebende Gott in Gefahr. Das war, als Lassa gefunden hatte, daß der Bogdo Khan eine Politik führte, die von Tibet zu unabhängig war. Der Dalai Lama trat in Verhandlungen mit mehreren Khanen und Fürsten und gewann sie für den Plan, die Uebersiedelung des Geistes Buddhas in eine andere menschliche Form zu beschleunigen. Die betreffenden Fürsten kamen nach Urga, wo sie von dem Bogdo Khan mit Ehren und Kundgebungen der Freude empfangen wurden. Ein großes Festmahl wurde für sie gerichtet, und die Verschwörer glaubten bereits, Vollstrecker des Befehls des Dalai Lama werden zu können. Nach dem Ende des Festes hatten sie jedoch ganz andere Gefühle. Sie starben schon in der folgenden Nacht. Der Lebende Buddha ließ ihre Leichen unter hohen Ehrungen zu ihren Familien senden.

Der Bogdo Khan kennt jeden Gedanken, jede Bewegung der Fürsten und Khane und jede gegen ihn geplante Verschwörung. Der Gegner wird gewöhnlich freundlichst eingeladen, nach Urga zu kommen, von wo er niemals an seinen Wohnsitz zurückkehrt.

Einstmals hatte die chinesische Regierung entschieden, daß die fortlaufende Linie der Lebenden Buddhas zu Ende kommen solle. Indem sie den offenen Streit mit dem Hohenpriester von Urga abbrach, dachte sie sich zur Erreichung ihres Zieles folgendes aus: Peking forderte den Pandita Gheghen von Dolo Nor und das Haupt der chinesischen Lamaisten, den Hutuktu von Utai, die beide nicht die Oberherrschaft des Lebenden Buddha anerkennen, auf, nach der Hauptstadt zu kommen. Diese fanden heraus, nachdem sie alte buddhistische Bücher zu Rate gezogen hatten, daß der gegenwärtige Bogdo Khan der letzte Lebende Buddha sei; denn der Teil des Geistes Buddhas, der in den Bogdo Khans wohne, könne nur einunddreißig Mal in einem menschlichen Körper wiedergeboren werden. Der gegenwärtige Bogdo Khan aber ist der einunddreißigste inkarnierte Buddha seit der Zeit Undur Gheghens. Mit ihm müßte nach diesem Befund die Dynastie der Hohenpriester von Urga eigentlich aussterben. Als der Bogdo Khan von dieser Entscheidung hörte, stellte er in alten tibetanischen Manuskripten fest, daß einer der tibetanischen Hohenpriester verheiratet gewesen und sein Sohn deshalb ein natürlicher inkarnierter Buddha war. So heiratete der Bogdo Khan und hat jetzt einen Sohn, der ein sehr tüchtiger und energischer junger Mann ist. Auf diese Weise wird also der religiöse Thron Dschingis Khans nach seinem Dahinscheiden nicht leer bleiben. Die Dynastie der chinesischen Kaiser ist von der politischen Schaubühne verschwunden, aber der Lebende Buddha fährt fort, der Mittelpunkt des panasiatischen Gedankens zu bleiben.

Die neue chinesische Regierung hielt den Lebenden Buddha im Jahre 1920 in seinem eigenen Palaste in Haft. Doch zu Beginn des Jahres 1921 überquerte Baron Ungern den heiligen Bogdo-Ol und überfiel den Palast von hinten. Tibetanische Reiter erschossen die chinesischen Wachposten mit Pfeilen. Danach drangen die Mongolen in den Palast und stahlen ihren »Gott«, der darauf sofort die ganze Mongolei aufrief und die Hoffnungen der asiatischen Völker und Stämme zum Erwachen brachte.

In dem großen Palast des Bogdo Khan zeigte mir ein Lama einen mit einem kostbaren Teppich bedeckten Korb, in dem die Bullen des Dalai Lama und Taschi Lama, die Dekrete der Kaiser Rußlands und Chinas und die Verträge zwischen der Mongolei, Rußland, China und Tibet aufbewahrt werden. In dem gleichen Korb befindet sich eine Kupferplatte, die die mysteriösen Zeichen des Königs der Welt trägt, sowie eine Aufzeichnung der letzten Vision des Lebenden Buddha.


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