Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

39. Kapitel.
»Der Mann mit dem Kopf wie ein Sattel«

Nachdem ich in Djam Bolons Jurte Tee eingenommen hatte, ritt ich schnell zu meinem Quartier, um das wenige Eigentum, das ich hatte, zusammenzupacken. Der Turguten-Lama befand sich bereits dort.

»Der Kriegsminister wird mit uns reisen. Es ist notwendig.«

»Schön,« antwortete ich und ritt zu Olufsens Haus, um diesen meinen dänischen Reisebegleiter abzuholen. Aber Olufsen teilte mir unerwarteter Weise mit, daß er gezwungen sei, noch einige weitere Tage in Urga zuzubringen. Das war für ihn eine verhängnisvolle Entscheidung, denn einen Monat danach wurde er als von Sepailoff getötet gemeldet, der nach Baron Ungerns Abmarsch als Stadtkommandant in Urga zurückgeblieben war.

Der Kriegsminister, ein untersetzter junger Mongole, schloß sich unserer Karawane an. Als wir ungefähr sechs Meilen geritten waren, sahen wir, daß ein Automobil hinter uns herkam. Der Lama zog sich ängstlich in seinem Mantel zusammen. Ich fühlte – das war ein vertrautes Gefühl –, daß Gefahr im Verzug war. So öffnete ich mein Revolverfutteral und entsicherte den Revolver. Bald danach hielt das Automobil neben uns. In ihm saß Sepailoff mit lächelndem Gesicht und an seiner Seite seine beiden Scharfrichter, Chestiakoff und Idanoff. Sepailoff grüßte uns äußerst freundlich und fragte:

»Sie wechseln die Pferde in Khazahuduk? Führt der Weg dahin über jenen Paß dort vorne? Ich kenne den Weg nicht und muß einen Boten einholen, der dorthin gegangen ist.«

Der Kriegsminister antwortete, daß wir am selben Abend in Khazahuduk sein würden und erklärte Sepailoff den Weg. Das Automobil sauste davon. Als es jenseits des Passes verschwunden war, befahl der Kriegsminister einem Mongolen voranzugaloppieren, um zu sehen, ob es jenseits des Passes nicht irgendwo halte. Der Mongole trieb sein Pferd an und sprengte davon. Wir folgten ihm langsam.

»Was ist los?« fragte ich. »Bitte, erklären Sie es mir!«

Der Minister erzählte mir, Djam Bolon habe gestern die Mitteilung erhalten, daß Sepailoff plane, mich unterwegs einzuholen, um mich zu töten; denn Sepailoff beargwöhne mich, daß ich den Baron gegen ihn aufgehetzt habe. Djam Bolon habe die Sache dem Baron gemeldet, der dann zu meiner Sicherheit diese Maßnahmen getroffen habe.

Der nach vorne gerittene Mongole kam zurück und meldete, daß sich das Automobil außer Sicht befinde.

»Jetzt werden wir,« sagte der Minister, »einen anderen Weg einschlagen, so daß der Oberst vergeblich auf uns in Khazahuduk warten wird.«

Wir wandten uns in Undur Dobo nach Norden und kamen in der Nacht in dem Lager eines Fürsten an. Hier verabschiedeten wir uns von dem Minister, erhielten prächtige frische Pferde und setzten unsere Reise nach dem Osten mit größter Geschwindigkeit fort, und ließen den »Mann mit dem Kopf wie ein Sattel«, vor dem mich der alte Wahrsager in der Nähe von Van Kure gewarnt hatte, weit hinter uns.

Nach zwölf Tagen, während deren ich keine weiteren Abenteuer zu bestehen hatte, erreichten wir die erste Station der Ostchinesischen Eisenbahn. Von dort reiste ich in mir unglaublich erscheinendem Luxus nach Peking.

*

Umgeben von den Annehmlichkeiten des Lebens eines prächtigen Hotels konnte ich indessen den Eindruck nicht überwinden, den die in Urga zugebrachten neun Tage, während deren ich Baron Ungern, den »wiedergeborenen Kriegsgott«, täglich gesehen hatte, in mir hinterließen. Die Zeitungen brachten Berichte von dem blutigen Vormarsch des Barons durch Transbaikalien. So wurden die Erinnerungen in mir immer wieder wachgerufen. Selbst jetzt, wo doch schon mehr als sieben Monate verstrichen sind, kann ich jene Nächte des Wahnsinns, der Eingebung und des Hasses nicht vergessen.

Die Prophezeiungen haben sich erfüllt. Ungefähr einhundertunddreißig Tage nach jenen Ereignissen wurde Baron Ungern infolge Verrats, den seine Offiziere an ihm begingen, von den Bolschewiki gefangen genommen und, wie berichtet wurde, gegen Ende September hingerichtet.

Baron R. F. Ungern v. Sternberg ... Wie ein blutiger Sturm des rächenden Karma zog er über Mittelasien hin. Was hinterließ er? Den strengen, mit der Offenbarung Sankt Johannis schließenden Befehl an seine Soldaten:

»Niemand stelle sich der Rache an dem Verderber und Mörder der Seele des russischen Volkes in den Weg. Die Revolution muß in der Welt ausgerottet werden. Vor ihr hat uns die Offenbarung Sankt Johannis gewarnt: ›Und das Weib war bekleidet mit Scharlach und Rosinfarbe und übergüldet mit Gold und edlen Steinen und Perlen und hatte einen güldenen Becher in der Hand, voll Greuels und Unsauberkeit ihrer Hurerei. Und an ihrer Stirn geschrieben den Namen, das Geheimnis: die große Babylon, die Mutter der Hurerei und aller Greuel auf der Erden. Und ich sah das Weib trunken von dem Blut der Heiligen und von dem Blut der Zeugen Jesu‹.«

Es ist ein menschliches Dokument, ein Dokument russischer Tragödie, vielleicht ein Dokument der Welttragödie.

Aber in den mongolischen Jurten und an den Lagerfeuern der Burjetten, Mongolen, Kirgisen, Kalmücken und Tibetaner werden die Schafhirten weiter die Legende von diesem Sohn der Kreuzfahrer und Seeräuber erzählen:

»Von Norden kam ein weißer Krieger. Er forderte die Mongolen auf, ihre Sklavenketten zu zerbrechen, die nun auf befreiten Boden niederfielen. Dieser weiße Krieger war der wiedergeborene Dschingis Khan. Er verhieß das Kommen des größten aller Mongolen, der die edle Lehre Buddhas und den Ruhm und die Macht der Nachkommenschaft Dschingis Khans, Ugadais und Kublai Khans ausbreiten wird. So wird es sein!«

Asien ist erwacht und seine Söhne reden jetzt kühne Worte.

Es wird für den Frieden der Welt gut sein, wenn sie als Jünger der weißen Aufbauer, Ugadai und Sultan Baber, aber nicht als die Vertreter der »bösen Dämonen des Zerstörers Tamerlan« auftreten werden.


 << zurück weiter >>