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37. Kapitel.
Unter Baron Ungerns Offizieren

In der Nähe des Eingangs der Stadt stand ein Automobil vor einem kleinen Hause.

»Was bedeutet das?« rief der Baron. »Fahren Sie dahin!«

Unser Wagen hielt neben dem anderen Automobil. Die Haustür sprang auf. Mehrere Offiziere eilten heraus und versuchten sich zu verbergen.

»Stillgestanden!« kommandierte der General. »Ins Haus zurück!«

Die Offiziere gehorchten. Er trat nach ihnen ein, indem er sich auf seinen Tashur stützte. Da die Tür offen blieb, konnte ich sehen und hören, was vorging.

»Wehe ihnen!« flüsterte der Chauffeur. »Die Offiziere wußten, daß der Baron die Stadt mit mir verlassen hatte, was immer eine lange Fahrt bedeutet. Und so hatten sie sicher beschlossen, sich eine vergnügte Stunde zu bereiten. Er wird befehlen, daß sie mit Stöcken totgeprügelt werden.«

Ich konnte sehen, daß ein Ende des Tisches mit Flaschen und Konservenbüchsen bedeckt war. An der Tischseite saßen zwei junge Frauen. Beim Eintreten des Generals sprangen sie in die Höhe. Ich hörte, wie die rauhe Stimme Baron Ungerns scharfe, kurze, harte Sätze hervorstieß.

»Ihr Geburtsland geht zu Grunde ... Schmach für Euch Russen alle ... und Sie können es nicht verstehen ... Sie können es nicht fühlen ... Sie haben Wein und Frauen notwendig ... Schurken! Rohlinge ... Einhundertfünfzig Tashur für jeden von Euch!«

Dann fiel die Stimme zu einem Geflüster herab.

»Und Sie, meine Damen, haben Sie kein Gefühl für den Untergang Ihres Volkes? Nein? Ihnen ist das gleichgültig. Und haben Sie kein Gefühl für Ihre Männer an der Front, die gerade jetzt gefallen sein können? Sie sind keine Frauen! ... Hören Sie auf mich, meine Damen. Noch einmal, und ich werde Sie hängen ...«

Er kam zum Wagen zurück und ließ das Horn des Automobils mehrere Male ertönen. Sofort galoppierten mongolische Reiter heran.

»Bringt diese Leute zum Kommandanten! Ich werde später Befehl geben, was mit ihnen geschehen soll.«

Auf dem Wege zu der Jurte des Barons waren wir schweigsam. Er war erregt und atmete schwer, zündete sich eine Zigarette nach der anderen an und warf die angebrannten Zigaretten stets nach wenigen Zügen fort.

»Nehmen Sie das Abendessen mit mir ein,« schlug er vor.

Er lud noch seinen Chef des Stabes, einen sehr zurückhaltenden, bedrückten, aber glänzend erzogenen Mann ein. Die Diener servierten ein heißes chinesisches Gericht, dem kaltes Fleisch und Kompott folgten. Der unvermeidliche Tee durfte natürlich nicht fehlen. Wir aßen mit Eßstäbchen. Der Baron war sehr zerstreut.

Vorsichtig begann ich von den Offizieren zu sprechen, die sich vergangen hatten, und versuchte ihr Tun durch den Hinweis auf die außerordentlich schweren Verhältnisse, unter denen sie zu leben hatten, zu entschuldigen.

»Sie sind durch und durch schlecht, demoralisiert und in die tiefsten Tiefen gesunken,« murmelte der General.

Der Chef des Stabes half mir. Schließlich gab ihm der Baron die Weisung, dem Kommandanten zu telephonieren, daß die Offiziere freigelassen werden sollten.

Den nächsten Tag brachte ich mit meinen Freunden zu, indem ich viel in den Straßen herumwanderte und das rege Leben beobachtete. Die große Energie des Barons ließ ihn und jedermann seiner Umgebung immer rührig sein. Er war überall und sah alles, mischte sich aber niemals in die Arbeit seiner Untergebenen ein. Jedermann hatte zu arbeiten.

Am Abend lud mich der Chef des Stabes in sein Quartier, wo ich viele intelligente Offiziere traf. Ich mußte abermals die Geschichte meiner Reise erzählen. Wir plauderten lebhaft. Plötzlich trat Oberst Sepailoff ein. Er sang vor sich hin. Die übrigen Anwesenden wurden sofort schweigsam und trachteten danach, unter irgendwelchen Vorwänden einer nach dem anderen den Raum zu verlassen. Sepailoff überreichte unserem Gastgeber einige Dokumente. Dann wandte er sich zu uns:

»Ich werde Ihnen eine prächtige Fischpastete und heiße Tomatensuppe zum Abendessen senden.«

Als er fortging, rang der Gastgeber die Hände in Verzweiflung und sagte:

»Mit diesem Abschaum der Erde sind wir jetzt nach dieser Revolution gezwungen zu arbeiten!«

Wenige Minuten später brachte uns ein Soldat von Sepailoff eine Terrine mit Suppe und die Fischpastete. Als der Soldat sich über den Tisch beugte, um die Schüsseln niederzustellen, gab mir der Chef des Stabes einen Wink mit den Augen und flüsterte mir zu: »Sehen Sie sich das Gesicht an.«

Als der Mann draußen war, lauschte der Chef des Stabes, bis seine Tritte nicht mehr zu hören waren.

»Er ist Sepailoffs Scharfrichter. Er hängt und erwürgt die Unglücklichen, die verurteilt worden sind.«

Dann schüttete er zu meiner großen Verwunderung die Suppe neben dem Kohlenbecken aus, verließ die Jurte und warf die Fischpastete über den Zaun.

»Es ist Sepailoffs Schmaus und mag, obgleich er sicher sehr schmackhaft ist, Gift enthalten. In Sepailoffs Haus ist es gefährlich, irgend etwas zu essen und zu trinken.«

Infolge dieser Vorgänge kehrte ich bedrückt zu meinem Haus zurück. Mein Gastfreund schlief noch nicht, sondern kam mir an der Tür mit erschreckten Blicken entgegen. Meine Freunde waren auch zur Stelle.

»Gott sei Dank!« riefen sie alle aus. »Ist Ihnen nichts zugestoßen?«

»Was ist denn los?« fragte ich.

»Hören Sie,« berichtete mein Gastfreund. »Nachdem Sie fortgegangen waren, kam ein Soldat von Sepailoff hierher und holte Ihr Gepäck, indem er sagte, Sie wollten es haben. Wir wußten jedoch, was das bedeutete – daß sie es erst durchsuchen und danach ...«

Ich verstand sogleich die Gefahr. Sepailoff hätte in mein Gepäck tun können, was er wollte, um mich nachher deswegen anzuklagen.

Mein alter Freund, der Agronom, und ich begaben uns sogleich zu Sepailoffs Quartier. Ich ließ meinen Freund vor der Türe stehen.

Als ich hineinging, trat mir derselbe Soldat entgegen, der uns das Abendessen gebracht hatte. Sepailoff empfing mich sofort. Auf meinen Protest erwiderte er, es habe ein Irrtum vorgelegen, und bat mich, während er hinausging, einen Augenblick zu warten. Ich wartete fünf, zehn, fünfzehn Minuten. Niemand kam. Ich klopfte an die Türe, erhielt aber keine Antwort. Dann beschloß ich, mich zu Baron Ungern zu begeben. Als ich zum Ausgang ging, war die Tür verschlossen. Dann versuchte ich es mit der anderen Tür; sie war ebenfalls verschlossen. Ich war in eine Falle gegangen! Ich wollte sogleich meinem Freunde pfeifen, aber da sah ich an der Wand ein Telephon. Ich rief Baron Ungern an. In wenigen Minuten erschien er zusammen mit Sepailoff.

»Was bedeutet das?« fragte er Sepailoff mit strenger, drohender Stimme und gab ihm, ohne die Antwort abzuwarten, mit seinem Tashur einen Schlag, daß er auf den Boden flog.

Wir gingen hinaus. Der General ließ mein Gepäck heraustragen. Dann brachte er mich zu seiner eigenen Jurte.

»Wohnen Sie hier!« sagte er. »Ich freue mich sehr über dieses Ereignis,« fügte er lächelnd hinzu, »denn jetzt kann ich Ihnen alles sagen, was ich sagen möchte.«

Das veranlaßte mich zu der Frage:

»Und darf ich alles niederschreiben, was ich hier gehört und gesehen habe?«

Er dachte einen Augenblick nach, dann antwortete er: »Geben Sie mir Ihr Notizbuch.«

Ich gab ihm das Album, das meine Reiseskizzen enthielt. Er schrieb hinein: »Nach meinem Tode. Baron Ungern.«

»Aber ich bin älter als Sie und werde vor Ihnen sterben,« warf ich ein.

Er schloß seine Augen, senkte seinen Kopf und flüsterte: »Ach nein. Noch einhundertunddreißig Tage, dann wird es zu Ende sein; dann ... Nirwana! Wie bin ich müde von meinen Sorgen, meinem Kummer und meinem Haß!«

Wir schwiegen lange Zeit. Ich fühlte, daß ich jetzt in Oberst Sepailoff einen tödlichen Feind hatte und Urga so schnell wie möglich verlassen mußte. Es war zwei Uhr nachts. Plötzlich stand Baron Ungern auf.

»Wir wollen zu dem Großen und Guten Buddha gehen,« sagte er gedankenvoll und leuchtenden Blickes, während sich sein ganzes Gesicht zu einem einzigen traurigen, bitteren Lächeln verzog. Er ließ das Automobil kommen.


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