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Bald kamen wir wieder auf die Straße, auf der wir in nördlicher Richtung gereist waren, und sahen von neuem die Reihe niedergemähter Telegraphenpfähle, von denen uns einige einmal in so freundlicher Weise wärmenden Schutz gegeben hatten. Wir erreichten die bewaldeten Hügel im Norden des Tales des Tisingol, als es gerade zu dunkeln begann. Dabei beschlossen wir, die Nacht in Bobroffs Haus zuzubringen, während unsere Begleiter planten, Kanines Gastfreundschaft auf der Telegraphenstation zu suchen.
Am Stationstor fanden wir einen mit einem Gewehr bewaffneten Soldaten, der uns nach Woher und Wohin fragte und, als er zufriedengestellt war, einen jungen Offizier aus dem Hause herauspfiff.
»Leutnant Iwanoff,« stellte dieser sich vor. »Ich habe hier mit meiner Abteilung weißer Parteigänger Quartier genommen.«
Er war mit seiner aus zehn Mann bestehenden Gefolgschaft aus der Gegend von Irkutsk gekommen und mit Oberstleutnant Michailoff in Uliassutai in Verbindung getreten, der ihm befohlen hatte, dieses Blockhaus zu besetzen.
»Bitte treten Sie näher,« sagte er höflich.
Ich erklärte ihm, daß ich bei Bobroff wohnen wollte, worauf er mit der Hand eine Gebärde der Verzweiflung machte und sagte: »Lassen Sie es sein! Die Bobroffs sind erschlagen und ihr Haus niedergebrannt worden.«
Ich konnte einen Schrei des Entsetzens nicht unterdrücken.
Der Leutnant fuhr fort: »Kanine und die Pouzikoffs haben sie umgebracht, das Besitztum geplündert und danach das Haus mit den Leichen darin niedergebrannt. Wollen Sie sich selber überzeugen?«
Mein Freund und ich gingen mit dem Leutnant dorthin und sahen uns die Stätte des Schreckens an. Geschwärzte Pfähle ragten zwischen verbrannten Balken und Brettern hervor, überall lagen Tischgerät und eiserne Töpfe herum. Ein wenig abseits ruhte unter einem Filzstück, was von den Unglücklichen übrig geblieben war. Als erster sprach der Offizier:
»Ich habe den Fall nach Uliassutai berichtet und Nachricht erhalten, daß die Verwandten der Verstorbenen mit zwei Offizieren hierher kommen werden, um die Angelegenheit zu untersuchen. Aus diesem Grunde kann ich die Leichen nicht begraben.«
»Wie ist das vor sich gegangen?« fragten wir, von dem traurigen Bild ergriffen.
»Es kam folgendermaßen,« begann er. »Ich kam des Nachts mit meinen zehn Soldaten hier an. Da ich fürchtete, daß Rote hier sein könnten, schlichen wir uns an die Station heran und blickten zunächst durch die Fenster. Wir sahen, wie Pouzikoff, Kanine und das kurzhaarige Mädchen Kleider und andere Sachen verteilten und Silberklumpen abwogen. Ich konnte die Bedeutung dieses Bildes nicht sofort verstehen, fühlte indessen, daß es gut wäre, weiter auf der Hut zu sein. Deshalb befahl ich einem Soldaten, über den Zaun zu klettern und das Tor zu öffnen. Wir rannten in den Hof hinein. Die erste Person, die uns aus dem Hause entgegenlief, war Kanines Frau. Sie rang die Hände und schrie in äußerster Furcht: »Ich wußte, daß es Unglück bringen würde.« Dann wurde sie ohnmächtig. Einer der Männer stürzte durch eine Seitentür nach einem Hofschuppen und versuchte dort über den Zaun zu entkommen. Ich selber bemerkte ihn nicht. Doch wurde er von einem meiner Soldaten ergriffen. An der Tür trat uns Kanine bleich und zitternd entgegen. Nun verstand ich, daß sich etwas Bedeutungsvolles zugetragen haben mußte, und kündigte allen an, daß sie verhaftet seien. Die Männer wurden gebunden und unter strengste Bewachung gestellt. Auf alle meine Fragen erhielt ich zunächst keine Antwort, nur Frau Kanine schrie: »Habt Mitleid mit den Kindern, sie sind unschuldig.« Sie fiel auf die Knie und rang flehend ihre Hände. Das kurzhaarige Mädchen lachte währenddessen aus unverschämten Augen und blies mir einen Mund voll Rauch ins Gesicht. Ich war gezwungen, ihnen zu drohen, und sagte:
»Ich weiß, daß Ihr irgendein Verbrechen begangen habt, aber noch nicht bekennen wollt. Wenn Ihr nicht bekennt, werde ich die Männer erschießen und die Weiber vors Gericht in Uliassutai bringen lassen.« Ich sprach entschlossen, denn ich war zornig. Zu meiner großen Ueberraschung sprach das kurzhaarige Mädchen als erste.
»Ich will Ihnen alles erzählen,« sagte sie.
Ich ließ Tinte, Feder und Papier bringen. Meine Soldaten waren die Zeugen. Dann protokollierte ich das Bekenntnis des Weibes Pouzikoffs. Ihre blutige Erzählung lautete:
»Mein Mann und ich sind bolschewistische Kommissare. Wir sind ausgesandt worden, ausfindig zu machen, wie viele weiße Offiziere sich in der Mongolei versteckt halten. Doch der alte Kerl Bobroff kannte uns. Eigentlich wollten wir weiterreisen, aber Kanine hielt uns zurück und erzählte uns, Bobroff sei reich und er, Kanine, habe seit langer Zeit vor, ihn zu töten und sein Besitztum zu plündern. Wir erklärten uns bereit, ihm dabei zu helfen. Wir verlockten den jungen Bobroff zum Kartenspiel. Als der junge Bobroff nach Hause ging, schlich sich mein Mann hinter ihm her und erschoß ihn. Danach gingen wir alle zu Bobroffs Besitztum. Ich kletterte über den Zaun und warf den Hunden vergiftetes Fleisch zu, so daß sie nach wenigen Minuten verreckten. Dann kletterten wir alle hinüber. Die erste Person, die aus dem Hause heraustrat, war Bobroffs Frau. Pouzikoff, der hinter der Tür versteckt war, erschlug sie mit der Axt. Den alten Kerl töteten wir mit einem Axthieb, als er schlief. Das kleine Mädchen rannte infolge des Lärmes in das Zimmer. Kanine schoß ihr eine Kugel in den Kopf. Danach plünderten wir das Haus, brannten es nieder und ließen dabei auch die Pferde und Rinder umkommen. Später wäre alles vollständig verbrannt gewesen, so daß keine Spuren übrig geblieben wären. Aber da kamen Sie plötzlich an, und diese dummen Kerle verrieten uns sofort.«
»Es war eine schurkische Sache,« fuhr der Leutnant fort, als wir uns auf dem Rückweg zu der Station befanden. »Mir stand das Haar zu Berge, als ich die ruhig vorgebrachte Erzählung dieses jungen Weibes, das eigentlich noch ein Kind ist, hörte. Erst dann verstand ich, in welche Tiefen der Bolschewismus durch die Vernichtung von Glauben, Gottesfurcht und Gewissen die Menschheit gestürzt hat. Erst dann kam mir zum Bewußtsein, daß alle ehrenhaften Menschen gegen diesen gefährlichsten Feind des Menschentums unnachsichtlich kämpfen müssen.«
Während wir zur Station zurückgingen, bemerkte ich an der Wegseite einen schwarzen Fleck, der meine Aufmerksamkeit auf sich zog. »Was ist das?« fragte ich, auf den Fleck weisend.
»Das ist der Mörder Pouzikoff, den ich erschoß,« antwortete der Leutnant. »Ich würde auch Kanine und Pouzikoffs Weib erschossen haben; aber Kanines Frau und Kinder taten mir leid. Ich habe noch nicht gelernt, wie man Frauen erschießt. Ich werde diese Leute jetzt zusammen mit Ihnen unter der Bewachung meiner Soldaten nach Uliassutai senden. Sie werden auch so den Tod finden; denn die Mongolen, vor deren Gerichte sie kommen, werden sie sicher wegen Mordes töten.«
Dies ist, was sich am Tisingol zutrug, an dessen Ufern die Irrwische über die Moraste huschen.
Unsere Reise von Tisingol nach Uliassutai in der Begleitung dieser Verbrecher war sehr unangenehm. Mein Freund und ich verloren unsere gewöhnliche Geisteskraft und Gemütsstärke vollständig. Kanine war beständig in trotzige Gedanken versunken, während das unverschämte Weib lachte, rauchte, mit den Soldaten und mehreren unserer Begleiter gemeine Scherze trieb. Endlich überquerten wir den Jagisstai und konnten dann nach wenigen Stunden zuerst die Festung und danach die über die Ebene gesäten Häuser entdecken, von denen wir wußten, daß sie Uliassutai waren.