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An der Südseite von Hondo waren alle Kirschbäume schon mit rosigen Knospen bedeckt. Große Menschenmengen strömten in den Uenopark in Tokio, um das Frühlingserwachen zu bewundern. In Tokio, in Kioto, in Yokohama und Osaka, in Nagasaki, Nikko Nagoja und in allen kleineren und größeren Städten bereiteten sich die Geishas: die Sängerinnen, Tänzerinnen und Vortragskünstlerinnen zu den großen Frühlingsvorführungen in der Hauptstadt vor. Wenn die Morgendämmerung mit ihrem rosigen Scheine die Kirschbäume übergießt, die in ihrem Knospenschmuck frischen Bräuten gleichen, beginnt die Wanderung der Geishas aus allen Städten Japans nach Tokio hin. Die kleinen wie Porzellanpuppen aussehenden Geisha-Miako, die prächtigen Geisha-Magnolien aus Nara, die schönen Geisha-Pivonien aus Kioto, die Geisha-Azaleen, die Geisha des blühenden Ahorns und viele andere begegnen sich hier in der Hauptstadt des Mikado, um den ehrenhaften Titel der »Geisha-Königin« zu erkämpfen. Manchmal ziehen an die Zehntausende der schönsten, der begabtesten, der begehrtesten Frauen an der Menschenmenge vorbei, wo neben den stolzen Nachkommen aus dem Geschlechte der Tokugawa und den einst mächtigen Daimios, neben Offizieren und Gelehrten, die einfachen Arbeiter (Ninpu), die kräftigen Träger (Akabas) und die, trotz ihrer aufgesprungenen Hände immer lächelnden Sentakujas, die Wäscherinnen sitzen.
Vor allen diesen Leuten werden alljährlich Vorführungen des Tanzes, des Gesanges und des Vortrages abgehalten. Hier treten auch die berühmten »Chaosi«, die Sterne am Himmel der Geishas auf.
Im kleinen Städtchen Omori, in üppigem Pflanzengrün gebettet, liegt die bekannte Tanzschule der Geishas, durch die alte Miko-Jamagutschi, die vor zwanzig Jahren den Titel einer Geisha-Haru erwarb, geleitet, und auch hier bereitete man sich, wie überall, zur Vorführung in Tokio vor.
Miko hatte nur sechs Zöglinge und die begabteste unter ihnen war ein hohes, gertenschlankes Mädchen, taufrisch wie eine Nenupharenblüte, Kallio-Kanni genannt. Das Mädchen hatte schon voriges Jahr im Tanze der Erde mitgewirkt und hatte dafür bei den strengsten Richtern, den besten Kennern in der Kunst der Geishas Anerkennung gefunden. Vielleicht hätte sie schon damals den ersehnten Titel erhalten, wäre nicht die berühmte Aki-Schimbo, die in den historischen und rituellen Tänzen unübertroffene, aufgetreten. Dieser wurde die Siegespalme durch ihren Tanz der Erde zuteil, den sie in einer ganz neuen, unbekannten Auffassung ausführte. Die alte Lehrerin Miko-Jamagutschi hatte sich zwar heftig dagegen ereifert und hämisch etwas über den Untergang der Kunst, über die Neuerungssucht und das Nachlassen der Tanzsitten gesprochen, doch nichtsdestoweniger ist der Titel einer »Geisha-Haru« der Aki-Schimbo für ein ganzes Jahr zugefallen.
O wie gut erinnerte sie sich daran, die heißblütige, schlanke Kallio-Kanni! An jenem Tage war ihr neben diesem Unglück ein großes Glück widerfahren und bis jetzt konnte sie nicht unterscheiden, welches größer war: das Glück oder das Unglück.
So geschah es:
Als sie auf der Estrade in Erwartung ihres Auftretens saß, in ihren schönen farbigen Kleidern, die schon vor dreihundert Jahren getragen wurden, erblickte sie in der ersten Reihe der Zuschauer einen Jüngling, der schlank, hochgewachsen, mit einem stolzen, dunklen Gesicht und freien, ruhigen Blick aus seinen träumenden, großen Augen, die Reihen der Geishas und die Menschenmenge ringsherum musterte.
Er hatte ein kostbares, mit dem Familienwappen an der Schulter geschmücktes Kimono an und Kallio-Kanni kam es vor, als ob diejenigen, die mit ihm ein paar Worte wechselten, es mit einer gewissen Ehrfurcht taten.
Da ließ er zufällig seinen stolzen Blick eine kurze Weile auf Kallio-Kanni, der kleinen Geisha aus Omori ruhen und, als sie bemerkte, wie seine bis nun verträumten, ruhigen Augen bei ihrem Anblicke sich weit leuchtend öffneten, gab sie hochaufatmend einen Freudenlaut von sich und preßte ihre kleinen, verzärtelten Händchen an die Brust. Sie fühlte plötzlich eine heiße Blutwelle ihren Körper durchrieseln und in jede Ader eindringen ... Wie eine Purpurblume hatte sich ihre Liebe entfaltet, jäh und rotleuchtend ... Seit diesem Augenblicke hatte die Gestalt des unbekannten Mannes alle ihre Gedanken gefangengenommen und ihr alles Andere auf der Welt verdunkelt. Seitdem dachte sie immer an den schönen Jüngling und sah unaufhörlich seine träumerischen Augen auf sich gerichtet.
Die kleine Kallio-Kanni wußte, wie ihr alles auf der Welt fremd war, nicht, daß diese Augen dem Nachkommen des mächtigen Tokugawa gehörten.
Und nun war die Reihe des Tanzes an sie gekommen. Als wäre es gestern geschehen, so deutlich sah sie alles vor sich. Sie hatte damals nur für ihn allein getanzt, niemand anderen sah sie in der Menschenmenge, und nur instinktartig, wie geistesabwesend folgte sie dem Rhythmus des Orchesters. Als sie geendigt hatte, sah sie, wie der Jüngling ihr Beifall klatschte und sie dabei freundlich anlächelte.
Eine tiefe Röte war in ihr Gesicht gestiegen und fast wollte ihr das Herz in der Brust stocken. Als sie sich dann tief grüßend auf das blaue Tuch der Estrade niederließ und ihre Arme dem Publikum entgegenstreckte, hörte sie jemanden laut ausrufen:
»Eine unschätzbare Perle ist sie! Ein Dichtertraum! Wie eine Blume des Frühlings!«
Der Jüngling hatte die Worte ausgesprochen und die ernsten Sanwos in seiner Umgebung stimmten ihm bei.
Als sie nach den beendigten Tänzen der Geishas von der Estrade herunterstieg, um Miko-Jamagutschi aufzusuchen, trat der unbekannte Jüngling an sie heran und fragte mit einem kaum spürbaren, spöttischen Lächeln:
»Du hast nur für mich getanzt, ist es nicht so?«
»Wenn die Sonne scheint, erblicken die Augen der Sterblichen keine Sterne mehr, sie sehen nur das glanzvolle Gesicht der Sonne ...« flüsterte sie.
»Du bist nicht nur schön und anmutig wie ein Waldesreh, sondern auch wohlerzogen und weißt hübsche Worte zu sagen«, erwiderte er lächelnd.
»Die schönen Worte verbergen manchmal noch schönere Gedanken ...,« antwortete sie verwirrt.
»Gedanken? ...« wiederholte der Jüngling.
»Und Gefühle ...,« fügte sie leiser hinzu.
»Du machst mir eine Liebeserklärung, Mädchen ...,« sagte er mit spöttischer Stimme.
»Ja verehrter Sanwo ...«
»Und das gestehst Du mir so einfach ein, schöne Kallio-Kanni?«
Er griff nach ihrer Hand.
»Warum denn nicht, Herr? Eine entzückte Hand bricht eine Blume einfach ab ...,« sagte sie und blickte ihn offen an. Sie schwiegen.
»Wünschest du, daß ich dich abkaufe und dich zu meiner Geliebten nehme?« flüsterte er ihr ins Ohr und beugte sich zu ihr nieder.
»Ich will der Stein sein, den deine Füße berühren. Deine Sklavin will ich sein und dein Spielzeug und will dir Freude und Glück bereiten ...«
Der Jüngling faßte ihre Hand, führte sie in eine von Zypressen verdunkelte Allee und wandelte mit ihr auf und ab. Allmählich fühlte er, wie eine süße, ungewohnte Rührung sich seiner bemächtige. Sein Mund erzitterte und seine Augen leuchteten. Nach langem, sinnendem Schweigen sagte er:
»Kleine Geisha! Du gleichst einer Frühlingsblume, einer weißen, reinen Blume mit frischen Tauperlen bedeckt. Wie leicht wäre es mir, deine Wünsche zu erfüllen! Aber höre mich an! Ich stamme aus einem hohen, edlen Geschlechte ... Es ist mir verwehrt, ein Mädchen aus gewöhnlichem Hause zur Ehefrau zu nehmen. Sollte ich dich zu meiner Geliebten machen, wie es die jungen Aristokraten und reichen Kaufleute tun, die stolz auf ihre Geliebten sind? Nein! Das widerstrebt mir, ich will es nicht. Wie leid tätest du mir dann! Du bekämst eine rote Blume in dein Haar gesteckt und wärest zu einer Geisha-Kamelie gestempelt. Nein, das darf nicht sein.«
Er sprach die Worte mit einer heißen, inbrünstigen Stimme und die Hand, die die ihre umschloß, war kalt und zitternd.
»Sanwo, mein Sanwo!« antwortete die Geisha und schmiegte sich an ihn, »wäre es nicht schöner einen Monat lang heiße Liebe zu genießen als durch ganze Jahre ein graues, trauriges Dasein zu führen? Bedenke dies!«
Der Jüngling senkte den Kopf und verfiel in Sinnen. Er begriff, daß das Leben ein unschuldiges, an Herz und Seele reines Menschenkind seinen Weg kreuzen ließ und daß die gewaltige Göttin, die Mann und Weib zusammenbringt, in der Brust des schönen Mädchens eine heiße Liebe zu ihm entfacht hatte und eine Sehnsucht nach Liebe, Glück und Sonne in ihren Herzen erweckte.
Er schwankte.
»Nein!« rief er endlich mit einer festen Stimme. »Nein, Mädchen, das kann nicht sein! Es gibt aber einen Ausweg. Ist es dir bekannt, daß der Titel einer ›Geisha-Haru‹ vom Mikado selbst verliehen wird? Es ist ein Titel, der den Titeln des Adels gleichkommt. Solche Geisha-Königinnen wurden etliche Male durch Samurais, ja sogar durch Daimios als Ehefrauen in ihre Häuser geführt. Verstehst du mich?«
Kallio-Kani sah ihn mit freudigem Lächeln an.
»Ich habe dich verstanden, Sanwo! Heute wurde ich durch Aki-Schimbo besiegt, doch was tuts? Ich werde durch das ganze nächste Jahr von früh bis abends arbeiten und üben und werde sie übertreffen! O ja, das verspreche ich dir, Sanwo!«
Dann sprachen sie nichts mehr mit einander und trennten sich mit einem warmen Drucke ihrer Hände. Sie sollten sich erst im nächsten Frühling wiedersehen, wenn die alten Bäume im Uenopark sich mit neuen rosigen Blüten bedecken.
Der Tag der Vorführung war nun herangekommen. Achttausend Geishas ziehen zum Wettbewerb, um den stolzen Titel der »Haru« zu erhalten. Unter ihnen befindet sich auch die berühmte Aki-Schimbo. Die bescheidene Kallio-Kanni sieht, wie ihre Rivalin lächelt, wie sie mit Verachtung auf die anderen Tänzerinnen heruntersieht, denn sie scheint ihres Sieges und des Applauses der Menge gewiß zu sein.
Die Geishas führen zu Beginn die vom Volke allgemein beliebten Tänze auf.
Die Menge verfolgt in tiefstem Schweigen und mit voller Aufmerksamkeit jede Bewegung der Geishas. Von Zeit zu Zeit nur läuft, wie eine Windeswelle über ein Ährenfeld, ein leises Säuseln der Anerkennung durch die Menge und stirbt irgendwo im Schatten des Uenoparkes.
Lange Zeit traut sich Kallio nicht den Kopf zu erheben und die Menge anzuschauen. Sie fürchtet dieses Ungeheuer mit den tausend blitzenden Augen.
Und noch mehr fürchtet sie den Blick dessen aufzufangen, dem sie seit einem Jahr in heißer Sehnsucht ergeben war. Sie fürchtete dieses schmale, stolze Gesicht mit den dunklen, träumenden Augen zu erblicken.
Endlich kämpfte sie ihre Angst nieder und hob ihre Augen zu den ersten Reihen der Zuschauer empor.
Sie erbebte.
Denn da saß er, der über alles, über ihr Leben, über die Sonne und ihren Ruhm geliebte Mann. Er saß nahe der Estrade und, sich zu einer neben ihm sitzenden, reich geschmückten Musmé niederbeugend, flüsterte er dieser Etwas ins Ohr. Die kleine Tänzerin schrak zusammen. Eine fürchterliche Angst ließ sie erzittern. Sie erblaßte und starrte angestrengt dorthin, wo die Beiden saßen.
»Ach, das ist wahrscheinlich seine Schwester, sie hat ein ebenso stolzes Gesicht und ist ebenso hochgewachsen wie er;« dachte sie, um sich zu beruhigen und suchte mit aller Kraft ihre Angst und ihren Argwohn zu unterdrücken.
Währenddessen trat Aki-Schimbo in Begleitung einer anderen Geisha auf die Estrade, führte den Tanz »Kirschblüten« vor und hoffte bestimmt, in diesem Tanze ihre Rivalinnen zu übertreffen.
Lauter Applaus folgte den Vorführungen Aki-Schimbos und gab Zeugnis von dem Verständnis der Menge für die neue Zeitrichtung und die reizvolle Kunst der Tänzerin.
Jetzt betrat ein Herold das Podium und gab laut kund:
»Die Schule der Geisha Miako aus Omori, die die edle, berühmte Miko-Jamagutschi leitet, wird jetzt den schon halbvergessenen Tanz des Schwertes bringen, durch die anmutige Kallio-Kanni ausgeführt!«
Die Geisha erhebt und verneigt sich bis zur Erde. Als sie sich aufrichtet, ist sofort in jeder ihrer Bewegungen, im Blick, im Spiel der Muskeln, in der kleinsten Falte ihres golddurchwirkten Kimono, im Erzittern ihrer großen Schleife (Obi) der Tanzrhythmus zu fühlen.
Die ganze Gestalt der Geisha scheint zum Ausdruck einer ängstlichen Erwartung zu werden, dann mimt sie die Qual und Sehnsucht des Herzens. Diese Gefühle werden so stark, daß sie sich zeitweise bis zur Verzweiflung und zu Wahnsinnsausbrüchen steigern.
Ein halblautes Murmeln der Menge, die entzückt dem Spiele der Geisha folgt, läßt sich hören ... Hie und da ein leiser Ausruf von Frauen und Mädchenlippen ...
Der Tanz geht weiter. Kallio schreitet vorwärts mit langsamen Schritten.
Schmerz und tödliche Ermüdung senken sich bleischwer auf ihre Glieder, dann bleibt sie plötzlich stehen und mit verzweifeltem Ringen ihrer Hände sieht sie in die Ferne, von wo sie bebend den Spruch des Schicksals erwartet. Eine wilde Sehnsucht, ein tiefes Verlangen lassen ihren Körper emporschnellen ...
Bangen und Hoffnung spiegeln sich abwechselnd in ihren Bewegungen, und auf den jungen Gesichtszügen wieder.
Jetzt greift sie nach Blumen, zerpflückt ihre Blätter und sucht eine Prophezeiung aus ihnen herauszulesen ... Mit schwebendem Schritt gleitet sie über die Estrade und flattert den Schmetterlingen nach, wie um ihr entschwundenes Glück zu erhaschen.
Doch, was erblickt sie da plötzlich? Eine Geisha-Dienerin tritt heran und mit verzerrtem Gesicht, in Trauerkleider gehüllt, übergibt sie mit stummen Gebärden dem angsterfüllten Mädchen ein Schreiben und legt ein blutbespritztes Schwert ihr zu Füßen. Erzitternd und abwehrend streckt die Geisha die Hände dem herannahendem Unheil entgegen ... Sie will ihm entfliehen ... In jungem Lebensdrang und jauchzendem Rhythmus möchte sie dem schweren Schicksal entgehen und dem Glück und der Freude nachjagen ...
Doch nun nimmt sie zitternd die unheilvolle Kunde, das letzte Schreiben des geliebten Samurai in die Hand.
Er hat auf dem Schlachtfelde den ehrenhaften Tod eines Helden gefunden und mit erkaltenden Fingern diese Abschiedsworte der geliebten Braut geschrieben ...
Das blutige Schwert ließ er als Zeichen seiner höchsten Liebe und Ehrfurcht ihr zu Füßen legen.
Auf den Knieen rutscht die Tänzerin zu der verhängnisvollen Stelle, wo das Schwert liegt und in Tränen gebadet, schluchzend und bebend liegt sie wie eine geknickte Blume am Boden ... Dann erhebt sie mit ihren kleinen Händen das Schwert, neigt ihr verzweifeltes Gesichtchen über den kalten Stahl, in namenlosem Weh ... Nun rast sie im Sturme der Verzweiflung über die Estrade hin und her.
Das Publikum sieht atemlos und bebend diesem Bilde des tiefsten Schmerzes zu.
Einige Minuten lang weint und klagt das junge Mädchen, sie drückt in ihren Bewegungen den Kampf des jungen Körpers zwischen der Verzweiflung, die zum Tode führt, und dem gewaltigen Ruf des Lebens und seinen Lockungen aus.
Die Zuschauer hatten bis jetzt keiner ähnlichen Tanzaufführung beigewohnt.
Dieser Tanz war seit langen Zeiten in Vergessenheit geraten, bis die alte Miko ihn einst in alten Abbildungen japanischer Maler gefunden und den Nachkommen der längst verstorbenen Geschlechter gezeigt hatte.
Währenddessen schien der Stahl des Schwertes der Geisha etwas zugeflüstert zu haben, denn mit fröhlichem Gesicht und glänzenden Augen schaut sie darauf nieder. Was ist das für eine Kunde?
Mit Hilfe ihrer Gebärden und ihres Gesichtsausdrucks erzählt die schöne, schlanke Kallio-Kanni das Lied des Heldentums, der Tapferkeit des kämpfenden Samurai und der Kraft des Schwertes, das in seinen Händen zum Schrecken seiner Feinde geblitzt hatte.
Ein kurzer, unterdrückter Schrei ... Wie von einem Wirbelwind erfaßt, macht die Tänzerin plötzlich einen tollen Sprung ..., der letzte Kampf zwischen Tod und Leben ist vorüber ... Durch verzweifelte Sehnsucht getrieben, läßt sie sich auf die Spitze des Schwertes fallen ...
Mit einem blitzschnellen unsichtbaren Griffe hatte sie ein rotes Band aus ihrem golddurchwirktem Kimonoärmel gezogen und ließ es wie einen blutigen Streifen auf die Erde herunterrieseln ... Sie fällt nieder und das rote Band rollt ihr langsam nach, wie ein purpurner Strom, der ihren Adern entquillt ...
Noch nie hatte man in Tokio einen solchen Beifallssturm erlebt. Die Menge schrie, klatschte, stampfte und mit feuchtem Antlitz saßen die Frauen wie geistesabwesend da.
Der minutenlang andauernde Lärm erschütterte die Bäume im Uenopark derart, daß die herabfallenden rosaroten Blüten wie ein dichter Teppich den Rasen bedeckten. Das große Standbild Buddhas lächelte gütig und die Schatten der Vierzig »Ronin« schienen verwundert in ihre Grabkammern zurückflüchten zu wollen.
»Geisha-Haru! Geisha-Haru!« rief man von allen Seiten.
»Kallio-Kanni, wiederholen! Den Tanz wiederholen!«
Blaß und lächelnd wiederholte die Geisha-Miko aus Omori ihren Tanz, und dem Verlangen des Publikums nachgebend, führte sie den seit uralten Zeiten sehenswertesten Tanz Japans siebenmal auf. Sie tanzte immer schöner, immer ausdrucksvoller, da sie den geliebten Mann vor sich sah, dessen Antlitz voll Bewunderung und Stolz ihr entgegenstrahlte.
Die Menge brüllte wie wahnsinnig und verlangte jauchzend für die kleine Geisha den Titel der Königin.
»Haru! Haru!«
Herolde treten auf. Die Menge erwartet schweigend das Urteil. Sie verkünden mit lauter Stimme den Willen des Mikado und den Spruch der Richter, der so lautet:
»Kallio-Kanni, die Geisha aus Omori, wird zur ›Geisha-Haru‹, zur Frühlingskönigin ernannt!«
Ein brausender Beifall folgte diesen Worten, doch Kallio-Kanni hörte ihn nicht mehr.
Sie lag in tiefer Ohnmacht befangen, erschöpft, blaß und noch schöner als sonst da.
Als sie endlich aus der tiefen Betäubung erwachte, lag sie in einem glänzenden Gemach auf weichen, seidenen Kissen gebettet. Um sie herum standen Blumen in einer von ihr nie gesehenen Pracht und Fülle.
Ein Freudenschrei entrang sich ihren Lippen ... Verwundert sah sie sich um. Da schob jemand vorsichtig die Tür beiseite und ein Jüngling mit blassem Gesicht und träumerischen Augen trat herein. Ein alter Sanwo mit ernstem, ehrwürdigem Gesicht begleitete ihn.
Kallio-Kanni rieb sich die ermüdeten Augen. Lag sie noch im Traum? ... War es ein Spiegelbild ihrer Sehnsucht? ... Eine Täuschung ihrer Sinne? ... Doch nein!
In dem Augenblick trat der Jüngling an sie heran, hob sie zärtlich auf und sagte:
»Vater, ehrwürdiger Sanwo. Ich Hinajoschi aus dem Geschlechte der Tokugawa, will dieses, von mir über alles geliebte Mädchen zum Weibe nehmen. Ich liebe sie mehr wie die ganze Welt und mein Blut verlangt nach ihrer Schönheit. Ich werde sie bis zum letzten Lebenshauch lieben! Vater, sie soll mein Weib werden!« Der Greis berührte leicht den Arm des Mädchens und sagte mit gütiger Stimme:
»Und du Kallio-Kanni?«
»O Sanwo! O Vater! ...« rief sie und fiel zu seinen Füßen nieder.