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Buschido.

Schon seit ein paar Tagen wohnte ich im Hotel Station und langweilte mich fürchterlich. Die Hitze im Juli ist in Tokio unerträglich. Das gesellige Leben stirbt ab, denn die fremdländische Kolonie flüchtet aus den überhitzten Mauern nach Kamakura, Yokohama, Nikko oder noch weiter bis an die Ufer des Sees, der nicht weit vom Fudschi gelegen ist.

Doch bald fand ich eine unerwartete Zerstreuung. Im verdunkelten, durch das rasende Kreisen der Ventilatoren abgekühlten Speisesaale oder in der traulichen Bar des Hotels begegnete ich oft einem wunderbar schönen Menschenpaare. Sie, eine japanische Musmé, scheinbar aus gutem Hause, in einer eleganten Kleidung, mit distinguierten Manieren und entzückend im Rahmen ihrer schwarzen Haare, frisch und schneeweiß, mit Purpurlippen und brennenden, dunklen Augen.

Er, ein hoher, rassiger Russe von ungefähr dreißig Jahren, in einem weißen Flanellanzug und einem Kopf, der stolz auf seinen breiten Schultern saß. Sie sprachen miteinander französisch und, wenn sich ihre Blicke begegneten, stieg eine dunkle Röte in ihre Gesichter und ein warmes Leuchten in ihre Augen.

In ihrem ganzen Benehmen, in jedem Wort und jeder Gebärde, verriet sich das gegenseitige Wohlgefallen und eine überschwängliche Liebe.

Mit Freude sah man dem schönen Paare nach. Die Diener sogar im Restaurant, der Portier und die Stubenmädchen, die so drollig auf den etwas schiefen Füßen herumtrippelten, begrüßten sie mit einem freundlichen und wohlwollenden Lächeln.

Ich begegnete ihnen oft, wenn sie zusammen das Theater verließen, im Hibia-Park auf einer Bank saßen oder ein Museum besuchten und dabei immer lustig und glücklich, ihre Hände in einander verschlungen, plauderten.

Allmählich fühlte ich die Notwendigkeit, sie täglich zu sehen und, wenn es mir nicht gelang, sie im Speisesaal zu treffen, ging ich sie im Park oder auf der Ginza-Straße suchen. Ich brauchte den Anblick dieser glücklich Liebenden wie die Sonne, wie die Luft, als bestes Mittel, meine Sehnsucht zu mildern. Und plötzlich war Alles zu Ende. Eines Abends kam der Unbekannte ohne das junge Mädchen an seinen Tisch. Er saß nachdenklich und traurig da, rauchte eine Zigarette nach der anderen und, kaum angezündet, warf er sie in den Aschenbecher. Er interessierte mich, ich beobachtete ihn und verfolgte das Spiel seines Gesichtes und seiner Bewegungen, die voll leidenschaftlicher Gereiztheit waren.

Was ist mit der Musmé, die so frisch wie eine Kirschblüte war, geschehen? dachte ich. Wäre es möglich, daß diese zauberhafte Liebe zu Ende sein sollte?

Als hätte er meine Gedanken erraten, warf der Unbekannte plötzlich einen raschen Blick auf mich, stand auf und näherte sich meinem Tische. Mit einer unsicheren, etwas stockenden Stimme, hub er an:

»Ich habe Sie schon an verschiedenen Orten getroffen, mein Herr, so daß wir fast Bekannte geworden sind, erlauben Sie, daß ich mich vorstelle: Fürst Piotr Gamin ...«

Ich nannte meinen Namen. Er setzte sich neben mich und mit einer Aufrichtigkeit, die ebenso unerhofft wie etwas beschämend war, die aber so oft bei den Russen anzutreffen ist, begann er seine Erzählung:

»Ich habe Joko-Witoni mehr als mein Leben geliebt und bin überzeugt, daß ihre Gefühle den meinen gleich waren. Ihre Eltern willigten nach längerem Zögern in unsere Ehe ein und freuten sich unseres Glückes. In einer Woche sollte endlich unsere Hochzeit stattfinden. Zwei Monate lang lebte ich in einem berauschenden Glückszustand. Und plötzlich traf uns dieser Schlag wie ein Blitz aus heiterem Himmel.«

In seiner Stimme zitterten verhaltene Tränen.

»Was ist geschehen?« fragte ich.

»Als wir gestern einen Spaziergang durch die Ginza-Straße machten und fröhlich über Allerlei plauderten, richtete Joko unverhofft an mich die Frage, wo ich während des Krieges zwischen Japan und Rußland gewesen wäre. Ich antwortete wahrheitsgemäß, daß ich am Kriege teilgenommen habe. Sie fragte mich weiter, ob ich selbst mitgekämpft hätte. Und nun begab sich etwas Seltsames. Wie von einem fremden, unsichtbaren Willen getrieben, weder meiner Worte noch ihrer Wirkung mir bewußt, antwortete ich freudig:

»Ja, ich habe gekämpft und für die Versenkung eines japanischen Torpedobootes habe ich sogar das Tapferkeitskreuz des heiligen Georg erhalten.«

Ich schwieg und weilte im selben Augenblick mit meinen Gedanken in der Vergangenheit, da ich siegesbewußt und kampfesstolz das hohe Abzeichen aus den Händen meines Kommandanten erhielt. Die Gegenwart war mir plötzlich wie verschwunden. Nach einer Zeit wurde ich erst aus meinen Erinnerungen durch das Beben der kleinen Hand auf meinem Arme gerissen und die umflorte Stimme des Mädchens neben mir fragte leise:

»O, das hast Du getan?«

»Ich fühlte mein Herz im Schreck erstarren. Ich hatte sie verstanden. Ich weiß nicht mehr, was ich zu ihr sprach, mit welchen Worten ich sie zu beruhigen trachtete, mit welchen Argumenten ich mit ihr kämpfte ... alles, alles war umsonst.

Auf alle meine Worte schwieg sie beharrlich, hielt das Köpfchen tief zur Erde gesenkt, ihre Bewegungen waren müde und wie gebrochen. Ich lenkte unsere Schritte in den Hibia-Park und hier, nachdem wir uns auf eine Bank gesetzt hatten, ... ach da war alles ... alles zu Ende.«

In Verzweiflung griff er an seinen Kopf. Nach einigen Augenblicken erzählte er weiter:

»Wie eine verwelkte Blume saß Joko neben mir. Nach langem Sinnen stand sie auf und flüsterte mit ihrer süßen, zitternden Stimme mir zu: »Lebe wohl ... Lebe wohl ... Geliebter ... auf immer! ...« »Unmöglich!« rief ich verzweifelt und erschüttert griff ich nach ihrer Hand. Sie entzog sie mir leise, senkte ihr blasses Gesichtchen noch tiefer und gab mir als Antwort dieses eine, einzige Wort:

»Buschido« ...

Er schwieg, saß lange in sich gekehrt da, bis sein Körper von einem Schluchzen gerüttelt ward. Da stand er auf und verließ eilig den Saal. Am nächsten Morgen begegnete ich ihm in der Halle, als er eben das Hotel verlassen wollte und der japanische Boy sein Gepäck auf das kleine Wägelchen auflud. Gamin bemerkte mich, kam auf mich zu, drückte mir die Hand und sagte:

»Heute während dieser fürchterlichen, schlaflosen Nacht überdachte ich das Unglück, das ich selbst heraufbeschworen habe, das aber vielleicht der Wille des allmächtigen Schicksals war. Ich bin verzweifelt, doch liebe ich Joko nicht weniger und verehre sie aus tiefstem Herzen. Jetzt habe ich endlich die Seele der japanischen Frau begriffen, ihr Ehrgefühl und ihren Edelsinn. Hätten die Frauen bei uns in Rußland das Gesetz des ›Buschido‹ gekannt, wer weiß, ob das Schicksal meines Vaterlandes nicht ein ganz anderes geworden wäre! Leben Sie wohl! ...«

Er folgte dem Boy und verschwand in der Menge ...

*

Mächtig ist Japan durch sein »Buschido.«

Es bedeutet Vaterlandsliebe und die Pflicht des Einhaltens der Bürgerrechte und Bürgerpflichten aller gegen alle, der Gesellschaft, der Staatsobrigkeit und der Familie gegenüber.

An »Buschido« denken ebenso die Männer wie die Frauen, die neckische Musmé wie die Kinder. Für »Buschido« opfern sie ihr Vergnügen, ihr persönliches Glück, ihr Leben und das stärkste aller Gefühle: die Liebe.

Selbst diese verblaßt vor einer anderen Liebe, die größer und mächtiger ist, denn sie umfaßt das ganze arbeitsame, opferfähige Volk und alle die Inseln, die, wie eine Perlenschnur an einander gereiht, sich von dem eisigen Kamtschatka, wo Eisberge schwimmen, bis zum feurigen, in süßer Üppigkeit liegenden Formosa hinziehen, die alle zusammen das Reich Daj-Nippon bedeuten.


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