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In Kioto, der Hauptstadt Mikados, des Nachkommen des göttlichen Dschimmu-Tenna, herrschte an einem schönen Sommertage reges Leben. Ritter, Kaufleute, einfache Soldaten, Bonzen aus den Schinto-Tempeln, buddhistische Priester, Arbeiter, Frauen mit ihren Kindern wandelten in Scharen die Straßen auf und ab, strömten in verschiedenen Richtungen den öffentlichen Plätzen, den Parkanlagen und dem Herrscherpalaste zu. Die meisten aber gingen zum Denkmal »der tausend Ohren und tausend Nasen.«
Dort angelangt, blieben sie stehen und beschauten es von allen Seiten, sogar die Samurais vermochten nicht an dieser Steinpyramide, die einen so seltsamen Namen trägt, gleichgültig vorüberzugehen. Ehrfurchtsvoll sahen sie das Denkmal an und maßen seinen Umfang mit ihren Schritten ab. Ein alter Mann im Mönchsgewande näherte sich, als er die Samurais und einige gewöhnliche Gaffer dabei stehen sah, und begann mit seiner zittrigen Stimme seine unzählige Male und doch immer von Neuem gern gehörte Erzählung.
»Sieben Jahrhunderte sind verflossen, meine edlen Samurais, seit der Zeit, da euere mutigen Vorfahren aus der Kaste der Ronin, den dreisten Überfall auf Tschosen-Tschi (Korea) gewagt haben. Der Feldzug ist, wie ihr wißt, glücklich verlaufen. Die tapferen Ritter haben einige am Ufer gelegene Städte bis auf den Grund vernichtet, große Mengen der kostbarsten Beute zusammengerafft und beschlossen dann, mit Feuer und Schwert in das Innere des Landes einzudringen, wohin sich die ängstlichen, weiß gekleideten Einwohner von Tschosen-Tschi zurückgezogen hatten.
Vor Beginn dieses gefährlichen Kriegszuges ins Innere des Landes schickten sie dem Schogun (Reichsverweser) ein Geschenk, um sein tapferes Herz zu erfreuen. Ein blutiges Geschenk war es: lederne Säcke voll Nasen und Ohren, die sie bisher den Feinden abgeschlagen hatten, doch sind die Ritter leider von ihrem Feldzuge nicht mehr zurückgekehrt, da sie alle in den engen und tiefen, von den Koreanern gegrabenen Gräben umkamen.
Der Schogun ließ, um das Andenken der gefallenen Krieger zu ehren, dieses Denkmal für ewige Zeiten errichten. Es wurde ein einhundert und zwanzig Fuß messender, dreißig Meter tiefer Graben gegraben, mit den Trophäen der tapferen Krieger gefüllt und darüber ein Hügel aus behauenen Steinen errichtet ...«
Lange noch berichtete der Greis den ihn umgebenden Zuhörern vom Heldentume und der Tapferkeit der Ritter. Die anwesenden Samurais legten geschmeichelt ihre Hände auf die Griffe ihrer beiden hinter dem Gürtel steckenden Schwerter, deren Tragen als das Privilegium des Rittertums gilt.
»Es lebe der Schogun!« rief der Greis und alle Samurais stimmten in den Ruf ein, der donnergleich über die Bäume, die das Denkmal umgaben, in der Ferne hallte.
»Es lebe der Schogun!« wiederholte ein junger, dunkelgekleideter Mann aus der Menge. »Bei Kwan-Non, das soll er! Warum aber gedenkt ihr, edle Samurais, nicht des Mikado und warum hast du alter Mann ihn bei deiner Erzählung nicht erwähnt?«
Ein allgemeines Schweigen folgte. Als erster nahm der Mönch das Wort:
»Der Mikado, der den Göttern gleicht und von Göttern abstammt, soll nur während der Gebete gelobt werden, und nicht zufällig bei gewöhnlichen Erzählungen, junger Mann!«
»Bei uns denkt man anders darüber«, antwortete der Jüngling, indem er sein stolzes Haupt mit den feinen, ausdrucksvollen Zügen hob und den Mönch scharf ansah.
»Woher kommst du, daß du so sprichst?« fragte man von allen Seiten.
»Ich bin heute von der Insel Hokkaido angekommen«, erwiderte er kühn, wobei sein Gesicht den Ausdruck eines Raubvogels bekam.
»Wie denkt man also bei euch darüber?« fragte jemand aus der Menge mit unsicherer Stimme.
Nachdrucksvoll erwiderte der Jüngling:
»Wir Menschen aus den Wäldern und vom Ufer eines kühlen Meeres, wir denken anders, ehrlich und einfach, so einfach wie unsere eigene Erde ist. Wir glauben, daß, da Gott uns seinen Nachkommen zum Herrscher gab, wir ihm treu zur Seite stehen und liebevoll wie Söhne ihrem Vater in sein Antlitz blicken sollten. Der Schogun hat es uns aber verwehrt, da er den Vater vor seinen Kindern verborgen hält, und selbst unser Land regiert. Als wären hier nur Daimios und Samurais, hat er an alle anderen vergessen: an die Scharen arbeitsamer Landbewohner, an die Kaufleute, Handwerker und alle anderen Stände. Er hält das Volk in Unwissenheit und behandelt es schlecht. Ein Nachkomme der Götter kann auf diese Weise nicht herrschen! Wir Leute des Nordens wollen über uns den Mikado und nicht den Schogun haben! Es lebe der Mikado!«
Kaum war dieser Ausruf erschollen, als sich ein Samurai mit seinem blitzenden Degen auf den Jüngling stürzte. Dieser zog sich ein paar Schritte zurück und rief mit spöttischer Stimme:
»Seit wann pflegt ein Samurai einen Wehrlosen anzufallen? In unserem Klan würde so etwas als eine Schändung des Degens angesehen.«
»Ich weiß nicht, wer du bist, du scheinst mir aber aus edlem Geschlechte zu sein. Ich fordere dich also zum Kampfe auf, und zwar sofort, an dieser Stelle!«
»Ich willige ein! Und bitte einen von den tapferen Rittern, mir seinen Säbel zu leihen.«
»Der Arme!« flüsterte einer von den Zuschauern. »Er weiß nicht, daß er mit unserem besten Fechter kämpfen wird. Mit Konosuke Abiko. Es wird Blut fließen! ...«
Der Jüngling hatte indessen sein dunkles Kimono abgeworfen und stand da im kurzen Rock, wie ihn die Schiffer und Matrosen tragen. Er nahm den ihm gereichten Säbel in die Hand, beschaute ihn aufmerksam beim Sonnenlichte und murmelte vor sich hin:
»Der Säbel ist gut! ...«
»Ja, der Säbel ist gut! Ich weiß nur nicht, ob er in gute Hände gerät ...« sagte der Besitzer der Waffe, ein ehrwürdiger Samurai mit spöttischer Stimme.
»Fürchte nichts, tapferer Inne! Ich werde diesem edlen Stahl keine Schande machen!« mit diesen Worten stellte sich der Jüngling in Kampfesstellung.
Sein Gegner sah in seine drohenden, feuersprühenden Augen und wurde plötzlich verwirrt. Doch bald darauf hob er den Degen mit der Spitze nach oben und sagte:
»Ich stelle mich dir vor. Ich heiße Konosuke Abiko! Nenne auch du deinen Namen, damit ich weiß, wer meiner Hand zum Opfer fällt!«
»Ich kenne dich, Abiko, und dich, Inne: ich habe euch vor einem Jahre in Tokio gesehen.«
»Wir erinnern uns nicht!« lautete die Antwort.
»Ihr seid zu mächtig und zu berühmt, damit ihr euch an mein nichtssagendes Antlitz erinnern solltet ... ich bin doch kein Schogun! Doch nun ist es an der Zeit, den Kampf zu beginnen. Ich heiße Kasiwa-Tenna.«
Mit diesen Worten griff er an. Der Samurai parierte ..., da machte der Jüngling eine schlangengleiche Bewegung mit seiner Waffe: sie warf den Säbel des Gegners in die Luft, der dann im Bogen niedersausend, sich mit der Spitze tief in den Sand eingrub.
Tenna legte die Spitze des Degens an den Hals des Samurai und rief:
»Beim Namen der Göttin Kwan-Non, ich hätte das Recht, dich jetzt wie ein Rindvieh zu erstechen, doch ich will dir das Leben schenken. Ich werde dich, Konosuke Abiko, vielleicht in kurzem brauchen können. Denke an das Gesetz der Samurai! Ein Mensch, der seinen Gegner geschont hat, hat das Recht in ihm einen Freund, treu bis zum Grabe, zu sehen. Ist es nicht so, Samurais?«
»Du kennst, scheint es, unsere Sitten und Gesetze genau!« sagte einer von den Rittern, während Abiko seine Hand an die Stirne legte und sie dann an sein Herz drückte, zum Zeichen des Schwures.
»Arigato!« (Ich danke) erwiderte der Jüngling würdevoll, seinen Kopf vor dem ernsten Inne beugend und ihm mit freundlichem Lachen den Säbel zurückgebend. Als sich Tenna mit dem Abschiedswort »Sajonara!« entfernen wollte, näherte sich ihm Abiko mit der Frage:
»Du scheinst doch ein Edelmann zu sein, mein Freund?«
Der Jüngling öffnete seinen Rock und wies auf ein Zeichen auf seiner entblößten Brust.
»Ein Wappen der Daimios?« flüsterte verwundert der Samurai.
»Das ist es nicht, aber ebenso gut!« antwortete Tenna mit leisem Lächeln und verschwand in der Menge.
Es geschah im Jahre 1868, in diesen für Japan denkwürdigen Zeiten, als der Mikado Mutsu Hito, durch den hinterlistigen Schogun verhaftet, sich in seinem tempelartigen Palaste in Kioto wie in einem Gefängnisse befand, ohne ihn je verlassen zu können. Hier verbrachte er die Tage, von den Priestern und der Wache umgeben, die wie vor einem Gott bei seinem Anblick mit dem Gesichte zu Boden fiel, nichtsdestoweniger ihn aber wie einen Gefangenen behütete. Mutsu-Hito gedemütigt, faßte endlich den festen Entschluß, mit dem Schogun zu brechen, ihn zu beseitigen und selbst die Ruder der Regierung in die Hand zu nehmen. Der Mikado war zwar jung, doch klug und verständig. Von seiner Frau, die aus einem gewöhnlichem Edelgeschlechte stammte, brachte er in Erfahrung, daß der Daimio, Fürst Owasi, dem vom Schogun ein Unrecht geschehen war, sich in seinem Zorn mit Rachegedanken trage. Daran knüpfte der Mikado seine Pläne. Durch die Kaiserin wurde die Zusammenkunft des Daimio mit ihrem kaiserlichen Gemahl vermittelt und die Verschwörung beider, die sich mit anderen, durch den Reichsverweser beleidigt fühlenden Fürsten verbanden, wurde beschlossen. Die Fürsten Hizena, Satsumo und Nagato hatten schon vorher eine gewisse Anzahl Streitkräfte zusammengebracht und warteten jetzt nur auf den Befehl des Kaisers, um mit ihrem Heer in den Kampf mit dem Schogun zu treten.
Die Spione, die sich aber in der Umgebung des Mikado befanden, hatten bald von seinen Plänen erfahren und sie dem Schogun hinterbracht.
Die Familie der Kaiserin wurde gefangengenommen und ins Gefängnis nach Kamakura gebracht. Die Wache im Palaste aber wurde verstärkt und verstärkte Posten aufgestellt, damit, im Falle bewaffnete Militärabteilungen der zum Kaiser stehenden Fürsten sich nähern sollten, eine Abwehr möglich wäre.
Da wußte Mitsu-Hito, daß er nun endgültig in die Hände des Schogun gefallen sei und daß dieser ihn jeden Augenblick des Lebens berauben könne. Er beschloß einen Fluchtversuch zu wagen, um sein Leben zu retten. Es gelang ihm, als Diener verkleidet, sich unauffällig den Knechten, die die Schloßpferde zur Tränke führten, zu nähern und dann unbemerkt zu verschwinden ...
Entkommen, dachte er nach, wie er Owasi und den anderen Fürsten im Kampfe beistehen könne.
Währenddessen fahndete der Schogun umsonst nach dem entflohenen Kaiser. Der Mikado schien wie ein Maulwurf in der Erde verschwunden zu sein oder wie ein Fisch im Wasser oder eine Wolke in den Schneeabgründen des Fudschiyama.
Drei Tage verbrachte der Mikado in tiefster Verborgenheit, bis er endlich am vierten Tag seinen Schlupfwinkel verließ, um jemanden zu finden, der seinen Befehl den treugebliebenen Daimios, die ungeduldig auf das Zeichen aus dem Palaste Mikados warteten, übermitteln könnte. Da traf er gerade an diesem Tage, er, der Nachkomme Gottes, zum erstenmal mit seinem Volke zusammen. Hier unter dem angenommenen Namen Kasiwa Tenna und in einer Verkleidung hat er den Auftritt mit dem Samurai Abiko gehabt.
Der Ritter war dem Kaiser bekannt, da er ihn im Gefolge des Schogun, der zwei Mal im Jahre den Herrscher besuchte, gesehen hatte. Auch wußte er, daß der Samurai im Ritterviertel Kiotos seine Wohnung inne hatte.
Dort Konosuke Abiko zu finden, war kinderleicht, da ihn jeder als einen Liebling des Schogun und den Befehlshaber der Leibwache kannte.
Am Abend dieses Tages wandelte der Mikado unbekannt und ruhig durch die Straßen des Samuraiviertels, wo man ihm auf seine Frage einen prächtigen Bau in einem malerischen großen Garten als Wohnhaus des Ritters bezeichnete.
»Ich bitte dem edlen Samurai zu melden, daß sein ›Koinaku‹ (Freund) auf ihn am Eingange seines Gartens wartet. Ich heiße Kasiwa Tenna«, sagte der Mikado zum Torwächter. Kurz darauf kam der Diener zurück und geleitete ihn unter tiefen Verbeugungen in das Haus.
Hier wurde Tenna vom Samurai herzlich begrüßt. Der Mikado hatte beim Betreten des Saales am Waffenständer sofort einen mit einem weißen Bande, zum Zeichen der Trauer umwickelten Säbel erblickt.
»Erst heute habe ich die Waffe gesehen! ...« dachte er innerlich lächelnd.
Als die Begrüßungszeremonie beendet war, sagte Tenna:
»Hast du nicht, mein Sohn, an deinen mir heute gegebenen Schwur der Treue und des Gehorsams vergessen?«
»Nein, mein Freund! Doch wieso nennst du mich deinen Sohn, da ich doch um so viel älter bin?«
»Du bist mein Sohn. Alle Bewohner von Daj-Nippon sind meine Kinder.«
»So darf nur der göttliche Mikado, unser Vater, sprechen«, bemerkte Abiko.
Als Antwort entblößte Tenna seinen linken Arm. Da erschien mit Purpurfarbe gemalt eine tätowierte Chrysantheme, das Wappen des göttlichen Geschlechtes der Dschimmu-Tenna.
»Der Mikado!« stöhnte der Samurai und fiel auf das Gesicht nieder.
»Steh auf!« befahl der Herrscher, »du bist mein Freund geworden, da uns der kalte Stahl mit einander verband. Bis jetzt, so lange das Land Daj-Nippon besteht, hat sich niemand in Anwesenheit des Mikado eine Waffe zu tragen erdreistet. Ich aber erteile dir dieses Recht, Konosuke, aus dem ritterlichem Geschlechte der Abiko.«
Der verschüchterte Samurai wagte sich trotzdem nicht zu erheben und in das Antlitz des Göttlichen zu schauen. Und nur mit Mühe gelang es dem Mikado, ihn dazu zu bewegen. Später besprachen sie Vieles mit einander, aßen dann Reis und tranken Tee zusammen, verneigten sich im Gebet vor dem Altare der Vorfahren, beide vereint, der Gott Mikado und der Ritter.
Als spät in der Nacht der Herrscher das Haus Abikos leise verließ, folgte ihm eine Stunde später, zu Rosse im schnellen Trab nach Hiogo eilend, der Samurai, wo bewaffnete Abteilungen der Fürsten Owasi und Satsumo seiner warteten.
Der Mikado aber fürchtete sich, während der Nacht in sein Versteck zurückzukehren, da er wußte, daß Diener und Häscher des Schogun die Vorübergehenden mißtrauisch musterten und sie manchmal verhafteten.
Als er nun an einem nicht gar zu hohen Zaun vorüberging, schwang er sich darüber und befand sich in einem Garten, der an das Ufer eines hellrauschenden Baches zu führen schien.
Unbemerkt schlich er weiter, versteckte sich im dichten Gebüsch und zusammengekauert wartete er, der große Sohn der Sonne, auf die ersten Strahlen der Morgendämmerung.
Kaum war der erste rote Schimmer auf die Gipfel der Mangolien und Zypressenbäume gefallen und in ihre dichten Blätter gedrungen, das nächtliche Dunkel verscheuchend, als aus einem kleinen, im Garten stehenden Häuschen plötzlich eine Frauengestalt hinaustrat.
Sie war ganz nackt. Nur eine Wirrnis rabenschwarzer Haare bedeckte wie ein prächtiger Mantel, Brust und Schultern. Sie schritt vorwärts, einer aus silberhellen Wolkenschleiern gesponnenen Geistererscheinung gleich ... als wäre sie eine in den Meereswogen geborene Wassernixe, die ihres Spieles mit den Wellen der mächtigen Göttin Amaterasu müde geworden, dem Wasser entstieg ...
Da ging die Sonne auf und übergoß mit ihrer pfirsichfarbigen Röte und den Kaskaden der goldleuchtenden Strahlen den perlmutterweißen, jungen, biegsamen Frauenleib ...
Es schien dem Mikado, als hätte die barmherzige Göttin Kwan-Non diese Mädchengestalt aus allen Blumenfarben, aus allem Duft der Kirschblüte, aus der freudigstillen Melancholie des anbrechenden Morgens geschaffen. Sie schien ihm das Symbol einer neuen Gestaltung seines schönen, blühenden Landes Daj-Nippon zu sein, das er von seinen gottähnlichen Vorfahren geerbt hatte.
»Die gute Göttin soll deine Lebenstage segnen, du liebliche, zarte Musmé!« ... flüsterte der Mikado.
Das Mädchen glitt indessen mit leichten, kaum hörbaren Schritten auf dem weichen Sande bis zum Ufer des reißenden Baches und sich darüber beugend, begann sie mit ihren kleinen Händchen das klare Wasser zu schöpfen und damit ihren biegsamen Körper wie mit glitzernden, in der Sonne rotschimmernden Perlen zu begießen.
Die junge Gestalt erschien jetzt noch schlanker, noch reizvoller, noch mehr glückbringend und Freude verheißend ...
Plötzlich drang wie ein kreischender Mißton zwischen die süßen Klänge eines Liedes, ein durchdringender Schrei an die Ohren des Mikado. Zwei dicke, häßliche Bonzen waren aus dem dichten Gebüsch herausgeschlüpft und hatten sich in großen Sprüngen dem badenden Mädchen genähert. Ihre schmutzigen Hände berührten schon fast ihren weißen Körper ... Jetzt griffen sie nach dem Mädchen und zerrten es hin und her, während unflätige Worte der Gier ihren Lippen entströmten. Das Mädchen wehrte sich schreiend mit aller Kraft, doch willenlos gemacht und immer schwächer, wurde sie von den Männern unter die Bäume geschleift.
Mit einigen raschen Sprüngen war der Mikado an ihrer Seite und im selben Augenblick krümmten sich die dicken Männergestalten stöhnend am Boden.
Wutverzerrt und ängstlich blickten sie in das Antlitz des Jünglings, der sie aber nicht zu bemerken schien, denn jetzt stand er sprachlos vor der wunderbaren Gestalt. Mit entzückten Augen sah er sie an, ihren unaussprechlichen Reiz, die vollendete Harmonie ihrer Formen, als wäre sie die Offenbarung der Schönheit und der Ausdruck der göttlichen Macht.
»Wer bist du?« fragte er endlich, »und was wollten diese Männer von dir? Wie sind sie hieher gekommen.«
Das zitternde Mädchen, das ihre dunklen Augen auf ihn geheftet hatte, antwortete keuchend:
»Ich bin eine Geisha! Eine Geisha-Sängerin, doch fast wäre ich jetzt eine »Joro« geworden, wenn du, Herr, nicht gekommen wärest! Der Schogun hat uns vor kurzer Zeit aller unserer alten Rechte beraubt und uns in die Kaste der verkäuflichen Weiber eingereiht.«
Sie schluchzte laut auf und verbarg ihr alabasterweißes Gesichtchen in die vom kalten Wasser rosa farbenen Hände.
»Jetzt ...« sprach sie weiter, »nimmt sich jeder das Recht, uns Geishas zu verachten und zu beleidigen! Die Männer haben vergessen, daß wir es waren, die einst auf dem Schlachtfelde unser Leben einbüßten, als wir mit den Kriegern zogen, um ihnen mit unserem Gesang Mut einzuflößen. Auch sind wir die Einzigen«, fügte sie stolz hinzu, »die die Kunst und die alten Gebräuche des Landes beschützt und bewahrt haben. Wofür also diese Strafe?«
Immer schmerzlicher und hoffnungsloser weinte sie, dann hob sie ihr von Tränen übergossenes Gesichtchen zu dem vor ihr stehenden Jüngling auf.
»Ich schwöre dir auf den Namen Mikados, daß ich die zwei Falten die ich an meinem Kimono habe, mit vollem Recht trage. Ich bin eine Jungfrau! Ich bin bisher noch keinem Manne erlegen, kenne seine Liebkosungen nicht und habe nie bisher das Feuer der Leidenschaft in meinen Adern gespürt.«
Mutsu-Hito berührte leicht mit der Hand ihr Köpfchen.
»Geh und ziehe dich an, Kind! Nimm dein Kimono um und umgürte dich mit deinem Obi; dann kehre zurück, ich erwarte dich!«
Aus seiner Stimme hörte sie einen milden, doch starken Willen und einen Befehlston heraus. Sie verneigte sich schweigend und entlief wie ein flüchtiges Waldesreh. Als sie zurückkam, hatte sie ihr Haar kunstvoll aufgesteckt und mit goldenen Nadeln geschmückt, sie war mit einem gelben Kimono, mit weißen und violett-farbigen Irisblumen bestickt, bekleidet, und hielt in der Hand einen großen Fächer, der die Form eines Lotosblattes hatte. Sie fiel vor dem Jüngling auf die Kniee nieder und verneigte sich tief.
»Ich kenne deinen Namen nicht, Sanwo, doch weiß ich, daß du edel bist, edel in deinen Worten und edel in deinen Taten, denn dein Angesicht ist fein geschnitten und deine Augen sind voll Glanz der Güte. Ich danke dir, daß du mich errettet und auf mich gewartet hast, nun will ich dir meinen Namen nennen: Ich heiße Haru-(Frühling)San ...«
»Arigato!« antwortete sie errötend, und nach einer Weile:
»Du hast auf mich gewartet, Herr, hättest du mir etwas zu sagen? Befehle, ich werde alles tun!«
Der Mikado sah das Mädchen gerührt an und fiel in Sinnen. Seine hohe, offene Stirn bewölkte sich und seine hellen Augen wurden trübe.
»Höre mich an, Haru-San ...« sagte er, den abwartenden Blick der Musmé bemerkend.
»Höre mich an! Ich habe eine Frau ... Sie ist wie eine Lotosblume und mir lieb wie ein sonniger Himmel ... Haruka ist ihr Name.«
»Haruka? ...« wiederholte die Geisha. »Haruka, das ist der Name der Kaiserin, der Gattin des dreimal gepriesenen Kaisers!«
»Sie ist mein Weib und die Blume meines Herzens. Ich bin Mutsu-Hito, dein Herrscher, der Nachkomme des Dschimmu-Tenna, des Sohnes der Götter.«
Die Musmé fiel bestürzt nieder und murmelte ein Gebet zum Lobpreise der Vorfahren Mikados.
»Steh auf, Haru-San, und höre mir aufmerksam zu. Tritt näher ...« und nun flüsterte er: »Die schöne und kluge Haruka verbringt ihre Tage in Einsamkeit, voll Sorge und Angst um mich ...«
Das Mädchen war aufgestanden und vor Freude und Ehrfurcht zitternd, sagte sie mit heißer, leidenschaftlicher Stimme:
»Befehle, göttlicher Herrscher! Ich eile hin und bringe deiner edlen Gattin Nachricht von dir, damit ihr Herz vor Sehnsucht nicht verzweifle.«
Doch plötzlich senkte sie traurig das Köpfchen:
»Ich vergaß, daß man uns Sterbliche in den Tempel-Palast nicht einlassen darf! Umsoweniger mich, eine Geisha! Mich, die ich fast eine »Joro« geworden bin, aus Ungnade des mächtigen Schogun! Wie sollte ich vor das Antlitz der Kaiserin vorgelassen werden. Wie unbesonnen waren meine Worte und das Versprechen, das ich dir, o Herrscher, im heißen Eifer gab!«
Verzweifelt rang sie ihre Hände.
»Du wirst hereingelassen werden, du kleine reizende Haru-San, wenn du nur listig und vorsichtig vorgehst«, sagte der Mikado.
»Zeige mir den Weg, o Herrscher, damit ich deine Gattin trösten und dir mein Leben zum Opfer bringen kann ...«
In heißer Gefühlswallung fiel sie zu den Füßen des Kaisers nieder.
»Sei es denn! Kennst du den goldenen Tempel, der am lotosbewachsenen Teiche im westlichen Teile des Schloßgartens steht?«
»Ich kenne ihn!« rief das Mädchen. »Ich war zum erstenmale dort, als du, edler Mikado, uns deinen Garten geöffnet hast und dort die Vorführungen der Geishas im Frühling stattfanden. Später besuchte ich ihn viele Male ...«
»Gehe hin, steige die Terrasse, die zum ersten Stockwerk des Palastes führt, hinauf ... dort wirst du einem jungen Samurai begegnen. Rufe ihm zu: »Nogi, ich werde von Kasiwa zu dir gesandt! Er wird dich sofort zu Haruka geleiten! Hast du mich recht verstanden?«
Mit diesen Worten streifte er einen dünnen Eisenreifen von seinem Finger und übergab ihn dem Mädchen. »Zeige Haruka diesen Ring und begrüße sie mit den Worten: Die Sonne der Tenna wird niemals untergehen.«
»Ich habe dich verstanden, Herrscher, und werde alles tun, wie du es befohlen. Soll ich nun gehen?«
»Meine Gedanken werden bei dir weilen, Haru-San, und später einmal, wenn der Glanz meiner Sonne wieder aufleuchten wird, werde ich deiner gedenken. Beeile dich!«
Doch ehe die Geisha nach einer tiefen Verbeugung von dannen lief, fiel sie auf die Kniee nieder und berührte Stirne und Brust mit den Händen:
»Deine Seele, o Herrscher, soll Vertrauen zu der kleinen Geisha-Miako haben! Eher würde ich sterben, als daß irgend jemand außer mir den Ort deines Versteckes erführe ... ich schwöre es dir ...«
Sie lief davon und war bald hinter der Hecke aus Glyzinien und Myrtensträuchern verschwunden.
Der Mikado Mitsu-Hito und seine Getreuen hatten nach blutigen Kämpfen den Schogun besiegt und die Macht aus seinen Händen gerissen. Er aber, der den Mut hatte, sich dem Herrscher entgegenzustellen, verzweifelte nicht. Er flüchtete nach Norden, wo es ihm gelang, ein neues Heer aus verschiedenen Klans zusammenzustellen. Kämpfe und Märsche begannen von Neuem. An der Spitze der kaiserlichen Regimenter stand der Mikado selbst, der mit feurigem Mut wie ein gewöhnlicher Samurai kämpfte, und wie ein gewöhnlicher Samurai sich des öfteren vor Regen und Wind in einem Leinwandzelt verbarg. Er, der Mikado, der Nachkomme der Götter!
Nun war die Zeit des letzten Kampfes gekommen, die Schlacht fand in der Gegend von Fuschima unweit der Hauptstadt statt und dauerte drei Tage und drei Nächte. Die Beschützer Mikados, die Daimios Satsuma, Owasi und Nagato blieben am Schlachtfelde liegen, doch hundertfach größer waren die Opfer auf der Seite der Gegner. Der Schogun wurde endlich zur Unterwerfung gezwungen und bat den Herrscher voll Demut um Leben und Barmherzigkeit.
Als der Mikado nach dem Siege den stolzen Daimios, den strengen Samurais und der aus Landleuten zusammengesetzten, treuen Mannschaft, die mit Sichel und Sense für die Dynastie und ihre Rechte gekämpft hatte, mit lauter Stimme seinen hohen Dank aussprach, näherte sich ihm der alte Samurai Rikitaro-Okuma und sagte:
»Nicht nur uns, den Männern mit den zwei Schwertern und den treuen Landbewohnern soll deine Dankbarkeit gelten, o Herrscher! Eine Musmé, uns allen unbekannt, hat ihn wahrlich nicht minder verdient. Sie ist mit einer klangvollen Senisen (Zither) und einem süßen Gesang in unseren Reihen aufgetaucht, wie es einst in alten Zeiten bei den Geisha-Sängerinnen Sitte war. Sie hat deine Soldaten zum Kampfe angefeuert, hat ihnen während der Schlacht Mut zugesungen, hat von den Taten deiner Vorfahren erzählt und deinen hohen Namen gepriesen.«
»Sie soll hier erscheinen!« befahl der Mikado.
Der alte Held Rikitaro-Okuma antwortete:
»Sie wird nicht mehr erscheinen, o Herrscher, denn sie ist im Kampfe einer Kugel erlegen und wie ein junger, gefällter Zypressenbaum zur Erde gestürzt.«
»Ich will ihren Namen kennen!« rief der Mikado ergriffen! »Ich will ihn unseren Nachkommen überliefern und hoch in Ehren halten.«
»Als sie im Sterben lag«, berichtete Okuma, »hat sie den neben ihr kämpfenden Samurai gebeten, er möge dem Mikado ihren Namen ›Haru-San‹ nennen. Er möge dem Herrscher von der Geisha-Miako erzählen, die voll Liebe und Treue für den verehrten, göttlichen Herrscher opferfreudig ihr Leben lassen wollte ...«
»Haru-San! ... Diese Frühlingsblume ..., diese kleine, zarte, unschuldige, wehrlose Geisha! Du Inbegriff eines reizvollen Weibes und eines opferfreudigen Herzens«, flüsterte der Mikado. Dann sagte er laut:
»Sie soll im Andenken der kommenden Geschlechter leben! Ich befehle, daß vom heutigen Tage niemand mehr in meinem Reiche eine Geisha erniedrigen, beleidigen und verachten darf ... Die Beste, die Schönste und die Edelste unter ihnen soll von den Richtern während der Frühlingsprüfung öffentlich gepriesen werden und vom Mikado selbst den edlen und ehrenhaften Titel einer »Geisha-Haru« erhalten. So sei es.«
Der Mikado schwieg und sah nachdenklich vor sich hin. Er glaubte vor seinen Augen die Gestalt der kleinen Geisha zu sehen, wie er sie beim Sonnenaufgang im taufrischen Garten erblickt hatte. Wie ein Wesen, dem Meeresschaum entstiegen, wie eine Erscheinung aus Blumenduft, wie ein Gebilde aus Wolkenschleiern und Sonnenstrahlen gewoben ... Die kleine, unschuldige Haru-San mit dem großen Herzen lebte wieder auf.
Er flüsterte:
»Gelobt seiest du Haru-San! ...«