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Das häßliche, schmutzige chinesische Dampfschiff brüllte mit heiserer Stimme auf und warf seinen Anker im Hafen von Anping auf der Insel Formosa. Nach kurzer Zeit kam ein kleines japanisches Dampfboot, zischend und rauchend an das Schiff geschwommen. Am Deck des großen Schiffes begannen die japanischen Beamten die Pässe zu kontrollieren, während die Ärzte die Passagiere untersuchten. Das Schiff ging nach Saigon, führte chinesische Kulis mit, die halbtot vor Hitze und Gestank in der Tiefe des Schiffes herumlagen, und einige europäische Familien, die die Absicht hatten, in Saigon ein französisches Schiff zu nehmen, um weiter nach Europa zu reisen. Es war ein gar armseliges Publikum; zumeist Flüchtlinge aus Rußland, die der Sowjetregierung entgehen wollten, dann einige unglückselige Glückssucher, die in den Mauern des lärmenden und prächtigen Schanghai es zu finden hofften, endlich eine taubstumme Frau mit einem siebenjährigen, goldlockigen Knaben, der wie ein Engel aussah, dabei voll Leben und Frohsinn war.
Die Stumme erklärte ihren Reisebegleitern mit Hilfe der Schrift, daß sie als Dienstmädchen bei reichen Polen in Wladiwostok angestellt gewesen und, da die ganze Familie während der Bolschewikenrevolution ermordet worden war, das jüngste, am Leben gebliebene Kind jetzt nach Frankreich zu seinen Verwandten bringe.
Der Knabe wurde der Liebling aller auf dem Deck. Die chinesischen Matrosen sogar, die sonst immer schlecht aufgelegt und mürrisch waren, lächelten bei seinem Anblick und gaben ihm steinharte Marzipankuchen und rote Datteln zu essen. Sie nahmen ihn auf ihre Kniee und hörten dem Zwitschern des Kindes zu, das seltsamer Weise sich mit Japanern, Chinesen und selbst mit schwarzen Malaien zu verständigen wußte.
»Kasi«, wie die Chinesen den kleinen goldlockigen Kasimir nannten, hatte überall freien Zutritt, die Kapitänsbrücke sogar nicht ausgenommen, diesen Ort aller Geheimnisse. Hier spielte der Kleine mit dem Kapitän, einem dicken Chinesen Domino, tollte mit dem kleinen Hündchen »Tschao-Tschao« herum, und wurde mit Tee und englischen Bisquits bewirtet.
Im großen Speisesaal drängten sich, nachdem das Schiff in den Hafen eingelaufen war, die Menschen an den Tisch, wo die japanischen Beamten saßen, während im anderen Winkel des Saales den Passagieren durch Ärzte die Temperatur gemessen, die Augen und die Zunge genau untersucht wurden. All dies ging in einer ermüdend umständlichen und unangenehmen Weise vor sich. Der chinesische Kapitän und seine Gehilfen gaben den Japanern im anstoßenden Saal Deklarationen über die Ladung des Schiffes ab und bezahlten die Kohle, die von Kulis aus den daneben liegenden Booten in den Kohlenraum des Schiffes heraufgeholt wurde. Alles war bei der Arbeit und in voller Bewegung. Plötzlich ertönte vom Deck ein fürchterliches Geschrei und das dumpfe Heulen der Kulis.
Der diensthabende Offizier lief aus dem Saale und beugte sich beunruhigt über die Brüstung.
Die brennende Tropensonne ergoß ihre Feuerstrahlen auf den eisernen Boden des Decks, brachte den Teer auf den Schiffsseilen zum Schmelzen und machte das Wasser dampfen und träge. Die Kulis, schweißbedeckt und schwarz vom Kohlenstaub, waren mit ihren Körben wie angewurzelt stehen geblieben und schauten schreiend einem Etwas zu, das man unter der hervorstehenden, bauchigen Schiffsseite im Wasser plätschern sah. Der Offizier lief die Treppe herunter bis zur letzten Plattform, die von derselben herunterhing. Er sah aufs Wasser und stieß einen durchdringenden Schrei aus, als er den kleinen, goldlockigen Kasi erblickte, der schreiend und weinend mit seinen Händchen an dem schlüpfrigen Blechbeschlag des Schiffes sich festzuhalten bemühte. Auf Augenblicke tauchte er mit seinem Köpfchen ganz unter, um dann durch den Lebensinstinkt geleitet, auf die Oberfläche wieder heraufzuschwimmen und sich an die Außenseite des Schiffes anzuklammern wie eine ertrinkende Fliege, die umsonst eine Stütze an den glatten Wänden eines Gefäßes sucht.
Unwillkürlich wurde der Junge von den Wellen näher und näher an die Kette der Fallbrücke getrieben und bald klammerten sich die geschwächten Händchen des Kindes krampfhaft an der Kette fest.
Der Offizier stieß erleichtert einen Seufzer aus und befahl dem nebenstehenden Matrosen, den Knaben herauszuziehen. Dieser stürzte eilig die Treppe hinunter, indem er laut »Ka-si, Ka-si«! rief, als er plötzlich wie gelähmt stehen blieb und starr seine Augen auf das Wasser heftete. Im selben Augenblick erschütterte das heisere Geschrei der Kulis die Luft und rief die Passagiere, die Beamten und den dicken Kapitän auf das Deck.
Was sie jetzt erblickten, ließ alle vor Schrecken erstarren. Die Leute standen Bildsäulen gleich da, vor Entsetzen regungslos. Sie sahen, wie neben der herunterhängenden Kette das Wasser sich schäumend bewegte und ein langer, schwarzer Körper, im vollen Sprung aus der Tiefe kommend, auf der Oberfläche erschien, den weißen Bauch zeigte und, an dem Jungen vorbeisausend, ihn fast durch den Wasseranprall von der Kette losriß.
»Ein Haifisch! Ein Haifisch!« schrieen die entsetzten Passagiere und die Kulis. »Rettet das Kind! Das Kind geht unter! ...«
Währenddessen erschien der Haifisch in einigen Metern Entfernung vom Knaben wieder. Er schwamm langsam, wie unbekümmert, seiner Beute sicher, indem er den glänzenden schwarzen Rücken mit seinen krummen, wie eine breite Sichel herausragenden Flossen herausstreckte. Man konnte schon seinen ungeheuern Kopf und die kleinen, schief eingesetzten Augen erblicken. Es war ein Haifisch, der in den südlichen Meeren »Hund« genannt wird.
»Jetzt wird er sich umwenden! ...« rief eine Japanerin und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Und wirklich begann sich das Raubtier allmählich auf den Rücken zu legen, zeigte einen ungeheuern Rachen und die Reihe seiner scharfen, gekrümmten Zähne. Jetzt war auch der weiße Bauch schon fast ganz sichtbar und nur einige Bewegungen trennten den Angreifer von seinem Opfer. Da sprang plötzlich aus einem unweit liegenden Boote ein Mann mit lautem Klatschen in's Wasser. Das Tier verschwand. Der Fischer, ein Japaner mit einem Handtuch um die Stirne, wie es die Fischer tragen, schwamm in der Richtung des Jungen. Er hielt seine Hände aus dem Wasser hoch und in seinen Zähnen war ein kurzes, dünnes Messer zu sehen, das zum Öffnen der Austern und Krabben benützt wird.
Blitzschnell tauchte er unter. Am selben Platz erschien auf einen Augenblick der Haifisch, krümmte sich zu einem Bogen, zerschnitt mit dem Schwanz die hochaufschäumenden Wellen und verschwand wieder. Doch da schwamm der Fischer herauf, indem er jetzt das Messer in der hoch aufgehobenen Hand hielt. Er drehte sich im Kreise schwimmend herum und schien den Haifisch mit seinen Blicken in der Tiefe zu suchen. Das Kind wurde fast vergessen ... Man hatte gar nicht bemerkt, wie der Fischer mit einer blitzschnellen Bewegung es ergriffen, an seinen Kleidern hinaufgehoben und auf die Treppe in Sicherheit gelegt hatte.
Die Passagiere, die Kulis und die Mannschaft des Schiffes sahen dem Kampfe des Menschen mit dem Tiere gespannt zu und verfolgten ihn mit zurückgehaltenem Atem.
Einmal untertauchend, dann wieder heraufschwimmend, zeigte sich der Fischer immer öfter an der Oberfläche. Es schien, als ob er unter den Bauch des Ungeheuers zu kommen trachtete. Der Haifisch wich ihm aber aus und ging selbst zum Angriff über. Endlich erblickte man nur zwei miteinander kämpfende, an sich gepreßte Leiber. Eine breite Wunde blutete schon an einer Seite des Haies, der aber nicht locker ließ und immer dreister den Menschen anzufallen suchte. Doch da nützte der behende und aufmerksame Mann eine ungeschickte Wendung seines Gegners aus und glitt schlangengleich unter den breiten schwarzen Rumpf. Das Wasser spritzte hoch auf, bedeckte sich mit dickem Schaum und mit dem Blut des sich wälzenden Tierleibes. Der Haifisch tauchte unter. Der Fischer, das blutige Messer zwischen den Zähnen, verblieb am Platze des Kampfes und wartete. Als er nach kurzer Zeit auf den sonnenbeleuchteten Wellen den weißen, blutbespritzten Bauch des Haifisches und seinen fürchterlichen, nach Luft schnappenden Rachen erblickte, stieß er stark ab, kam in die Nähe des Tieres, versetzte seinem Feinde noch einige Messerstiche und rief mit einer jauchzenden und triumphierenden Stimme »Banzaj, banzaj!«
Dann schnitt er mit einem raschen Griff dem Haifische die Flossen ab und schwamm dem Schiffe zu. Am Deck angekommen zwängte er sich durch die Menge, die das goldlockige Kind umgab. Hier sah er den Knaben mit einem langen Blick an, legte seine abgearbeitete Hand auf das helle Köpfchen und sagte, indem er ihm eine von den abgeschnittenen Flossen lachend hinreichte:
»Kirejna kodomo, Kirejna kodomo ... Du schönes Kind!«
Er sah noch einmal in die blauen Augen des schönen Knaben und mit freudigem Schrei warf er sich mit einem Schwung vom Deck ins Meer. Bald darauf war er schon in seinem Boote, nahm das nasse Tuch von seiner Stirn herunter, machte mit der Hand ein Abschiedszeichen und stellte sein rotes, geflicktes Segel auf.
Ein leichter Wind faßte das kleine Boot und trieb es dem Norden zu, wo Amaterasu, die Göttin des Meeres, auf ihren edlen Sohn wartete ...