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Vor vierhundert Jahren standen, nicht weit vom alten Yokohama, riesige Tempel mit den Bildnissen des Buddha Gautama. Die Leute erinnerten sich nicht mehr der Zeiten, da sie erbaut worden sind, noch der Menschen, die diese mächtigen Wände aus dicken Fichten- und Zedernklötzen, die Mauern aus Stein, die schönen Pagoden aus Porzellan, Lack und Vergoldung errichtet, auch nicht mehr derjenigen, die die Statuen des Gottes aufgestellt hatten. Die einen waren aus Bronze gegossen, die anderen aus Holz, Elfenbein und aus dem geheimnisvollen Nephrit geschnitzt, der in seinen Farben an die grünen Seepflanzen am Grunde eines tiefen Teiches oder an die warme, rosige Haut einer unschuldigen Musmé oder auch an die milchigen Wolken erinnert, die geheimnisvoll nebelhaft über der Erde schweben.
Hinter dem Tempel dehnten sich die Gebäude des Klosters, Gasthäuser, Speicher voll Reis, Lager mit verschiedenem Hab und Gut, die kleinen Paläste der älteren Mönche und Bonzen aus, die in ihren gelben und roten Gewändern hier herumwandelten.
Die Priester Buddhas hatten die Vorschriften seiner weisen Lehre vergessen und führten nun ein Leben in Untätigkeit, dem Vergnügen und der Ausschweifung ergeben. Sie erregten dadurch Anstoß im Volke von Daj-Nippon und vergifteten es durch ihr verderbliches Beispiel.
Es gab niemand mehr, der in den alten Büchern der Weisheit geblättert hätte, niemand, der sich in das Studium des Atharva-Veda, des Dhammapada und Katha-Vatthu vertieft, der die Lebensgeschichte des göttlichen Sakya-Muni gelesen hätte. Die Mönche versanken in Unwissenheit und Sünde. Ihre Worte glichen dem trockenen Sande oder einem längst verfaulten, verdorbenen Samen, niemand hörte ihnen zu, da sie es nicht mehr vermochten, die Menschen zu stützen und zu belehren. Die Frommen kamen nie mehr in die Tempel und gingen den Priestern aus dem Wege, da sie die hohen Lehren der Weisheit mit kalten Worten der Heuchelei verkündeten.
Unglaube und Zweifel fraßen sich in die Seele des Volkes hinein, bis es den Weg, der durch die Sümpfe des Lebens zu Gott führt, verlor. Verbrechen und Sünde beherrschten nun das Land Daj-Nippon, da es nichts mehr gab, das das Volk zu führen vermochte. Der Glaube wurde zum Aberglauben, die Liebe zur Ausschweifung, die Klugheit zum Zweifel, und das Vaterland zum Jahrmarkt.
Es schien, als ob das alte, bis dahin tapfere und ehrliche Volk in ein schweres und tödliches Siechtum verfallen wäre.
Dieses Unheils war sich Nobunaga, der große Sohn seines Landes bewußt. Sein ganzes Leben hatte er dem Kampfe um die Macht und den Frieden seines Vaterlandes geopfert. Er züchtigte die reichen, widerrechtlich handelnden Daimió, er hemmte den Mutwillen der tapfern Samurai und ließ die Ansiedlungen der Räuber und Piraten in Flammen und Rauch aufgehen.
Doch auf seinem Rettungswege stieß er immer mit den Priestern und den Mönchen aus den Tempeln Buddhas zusammen. Da sie schon längst an die Vorschriften, die vom Ganges herkommend bis weit nach Hondo, Hokkaido, Kiuschiu, Schikoko und Karafuto vorgedrungen waren, vergessen hatten, verwandelten sie das Volk allmählich in eine untätige, stumpfe und unordentliche Menschenmasse, dieses Volk, das Nobunaga über alles liebte.
Eines Tages rief Nobunaga seinen getreuen Feldherrn Hidejoschi und seinen Freund Jejas vor sein Antlitz und sagte zu ihnen:
»Wenn auf einem gesunden Baume faules Obst zu wachsen beginnt, ist der Gärtner gezwungen, den Baum zu fällen.«
Die Feldherrn hörten ihn schweigend an, ohne zu verstehen, was er damit meinte, bis dieser weiter fortfuhr:
»Unser großer Lehrer Buddha streute unter die Menschen den Samen seiner Lehre, die Funken seines Geistes aus. Der Südwind trug sie fort über Indien und China hin nach Korea, bis sie auf unsere Erde fielen und reiche Ernte gebracht haben. Doch es gibt hier böse Menschen, schwach an Geist und des großen Zieles unbewußt, die die fruchtbare Erde zerstampfen und die göttliche Flamme verlöschen. Unkraut ist aus dem gesunden Samen hervorgegangen, das Licht hat sich in Finsternis verwandelt. Die Schuldigen müssen mit dem Tode bestraft und die Giftpflanze mit der Wurzel ausgerottet werden.« »Du hast es gesagt, o Herrscher!« antworteten die Feldherrn, »aber von wem sprichst du denn, wen soll deine Hand bestrafen?«
»Diese elenden, die Ausschweifung lehrenden Priester des weisen Buddha, müssen vernichtet werden! Lasset ihre Klöster und Tempel in Flammen aufgehen!«
Ein schweres Ungewitter zog ein paar Tage später über das Land. Die Krieger des Hidejoschi mordeten mitleidslos die gelben und roten Mönche und Priester, verbrannten ihre Klöster und Tempel, als ob in diesen Mauern eine fürchterliche Pest wütete.
Als Hidejoschi dem Herrscher Nobunaga Kunde brachte, daß alles vollzogen war, ging Nobunaga dahin, wo eines der nächsten Klöster auf seinen Befehl vernichtet worden.
Dann zeigte man ihm alle die anderen Orte neben Yokohama, wo die Häuser der Priester, die Tempel und die Pagoden gestanden.
Nobunaga blieb nachdenklich stehen und schaute auf die Trümmer, die Brandstätten und die Leichen ringsherum.
Plötzlich fühlte er, wie ein tiefer Zweifel sich seiner Seele bemächtigte. »War es wohlgetan, daß ich die Tempel Buddhas vernichten ließ?« dachte er angstdurchschauert.
Lange dauerte dieser Zwiespalt und der Kampf seiner Seele, bis er sich endlich mit dem Gesicht nach unten auf die Erde warf und laut ausrief: »Buddha, Du heiliger, gütiger Lehrer! Meine Seele wird hin und her gezerrt und keine Antwort wird mir zuteil ... Ich flehe Dich an! Laß ein Wunder geschehen, damit ich weiß, ob ich recht getan, Deiner Weisheit wegen und zum Glück Deines Volkes! Tue ein Wunder! ...«
Kaum hatte er die letzten Worte seines Gebetes ausgesprochen, als aus der Erde, die mit Trümmern und blutigen Menschenleichen bedeckt war, Lotosblumen hervorzusprießen begannen.
Die Pflanzen wuchsen rasch in die Höhe, bedeckten sich mit Trieben, mit wundervoll frischen grünen Blättern und mit tausenden von Knospen, die sich zu rosigen, gelben und weißen Blumen prächtig entfalteten. Die ganze weite Ebene verwandelte sich in ein Meer von Lotosblumen, die Augen Nobunagas erfreuend und die Angst seiner Seele beschwichtigend ...
*
Seit jener Zeit ist dieses Lotosfeld hinter Yokohama geblieben. Die Lotosblumen welken dahin und entfalten sich von neuem, wenn der Monat des Amida (August) hoffnungslos und traurig heult und die Erde mit seinen Regentropfen überflutet. Sie sprießen um Yokohama herum, rauschen mit ihren breiten Blättern und erwecken ein Lächeln der Hoffnung durch ihre wunderbaren, farbenprächtigen Formen. Im Säuseln ihrer Blätter hören wir alte Sagen über vergangene Zeiten und Menschen, die einst hier gelebt haben. Und ihr Flüstern raunt uns zu:
»Der Wille des Amida besteht unveränderlich!
Die unterirdischen, rächenden Dämonen ließen das schöne Hondo erzittern, haben das prächtige Tokio in einen Trümmerhaufen verwandelt, haben das verträumte Yokohama, das nachdenkliche Kamakura, das stille Nikko und Nagoya in ihren Fundamenten erbeben lassen. Doch wir, die Lotosblumen, haben diese fürchterlichen Tage überdauert, entfalten uns weiter, prächtig und farbenreich, und erzählen Euch von vergangenem Glück und von entschwundenem Leid. Wir erzählen Euch vom unsterblichen, mächtigen Geiste, der über alle Sünden, Menschenlügen, Krieg und Mord hinweg das schöne Land Daj-Nippon mit der schönsten Gabe beglückt:
mit unseren weißen, rosigen und gelben Lotosblüten.«