E. Phillips Oppenheim
Finanzkönige
E. Phillips Oppenheim

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Kapitel 10.
Ein neues Abenteuer

Phineas Duge hatte sich trotz seiner vielseitigen Tätigkeit doch eine gewisse Kultur angeeignet und genoß gerne die Feinheiten des Lebens. Obgleich er allein beim Abendessen saß, war der Tisch mit den teuersten und seltensten Blumen geschmückt. Seine Mahlzeit war von seinem Küchenchef sorgfältig zusammengestellt, und die erlesensten Früchte standen auf seiner Tafel. Nachdenklich und mit der Miene eines Kenners trank er von dem vorzüglichen Wein.

Hinter seinem Stuhl stand ernst und feierlich der englische Hausmeister, der auf jeden Wunsch seines Herrn achtete.

Aber trotzdem schien Phineas Duge etwas zu fehlen, auch war er in den letzten Wochen zusehends gealtert. Er wunderte sich über sich selbst. Seit vielen Jahren waren Männer und Frauen in seinen Gesichtskreis getreten und wieder daraus verschwunden, ohne daß er sich um ihre Schmerzen oder ihre Freuden gekümmert hätte. Aber heute abend ertappte er sich dabei, daß er an die Vergangenheit dachte und nicht ganz mit sich zufrieden war. Ein gewisses Reuegefühl beschlich ihn, als sein Blick auf den leeren Platz ihm gegenüber fiel, an dem noch vor wenigen Wochen Virginia gesessen hatte.

Ihre großen, dunklen Augen hatten ihn angestrahlt, und ihr harmloses Geplauder hatte ihn wundersam abgelenkt. Niemals hätte er sich träumen lassen, daß er sie so stark vermissen würde. Wenn er gerecht sein wollte, mußte er sie eigentlich bewundern. Mit welchem Recht tadelte er sie? Sie konnte doch wirklich nichts für das Mißgeschick. Es kam ihm fast so vor, als hätte er sich dadurch selbst gestraft, daß er sie fortgeschickt hatte. Der feine Charme ihres Wesens, die liebliche Anmut ihrer Erscheinung, die eine so warme Note in die kalte Pracht seiner Umgebung getragen hatten, fehlten ihm. Seit Tagen hatte er sich gegen diese Erkenntnis gesträubt, aber an diesem Abend gestand er sich die Wahrheit ein. Er, Phineas Duge, der Besitzer vieler Millionen, saß nachdenklich am Tisch, starrte ins Leere und dachte an ein Mädchen! Was hätte er jetzt im Augenblick darum gegeben, wenn sie bei ihm gewesen wäre!

Plötzlich hörte man Stimmen in der Halle. Mr. Duge sah stirnrunzelnd zur Türe, denn er war um diese Zeit keine Störungen gewöhnt.

»Was ist das?« fragte er scharf.

Der Hausmeister war selbst erstaunt.

»Ich werde selbst nachsehen. Es klingt so, als ob James Schwierigkeiten mit jemand hat.«

Die Türe wurde plötzlich geöffnet, und Weiß und Higgins traten schnell ein. Der Diener, der dauernd protestierte, folgte ihnen. Phineas Duge erhob sich und schaute die beiden hart und kalt an. Er sah aus wie ein Mann, der sich auf seine Feinde stürzen will. Langsam faßte er nach dem Revolver in seiner Tasche, zog ihn aber nicht. Kein Wort des Grußes kam über seine Lippen, auch schien er nicht im geringsten überrascht zu sein. Er wartete nur.

»Die Herren sind in der Halle einfach an mir vorübergegangen«, erklärte der Diener verzweifelt. »Ich hatte ihnen nur einen Augenblick den Rücken zugewandt.«

»Sie können gehen«, erwiderte Phineas Duge kühl und gab ihm einen Wink, das Zimmer zu verlassen.

»Was wollen Sie von mir, Weiß?« fragte er dann.

»Wir möchten ein paar Minuten vernünftig mit Ihnen sprechen. Es wird Ihnen nicht schaden, wenn Sie uns anhören. Schicken Sie Ihren Hausmeister fort und schenken Sie uns eine Viertelstunde.«

Duge zögerte einen Augenblick. Diese Leute waren offiziell gekommen, und es war wenig wahrscheinlich, daß sie hier Gewalt anwenden wollten. Er wandte sich an den Hausmeister.

»Bitte, geben Sie den Herren Stühle und verlassen Sie das Zimmer.«

Die beiden setzten sich zu seiner Linken nieder. Mr. Duge stellte eine Karaffe Rotwein, Gläser und Zigarren zu ihnen hinüber, lehnte sich dann in seinen Stuhl zurück und wartete.

»Duge, wir hätten schon früher zu Ihnen kommen sollen«, begann Weiß. »Unser Streit ist einfach kindisch.«

»Ich habe ja nicht angefangen.«

»Das wollen wir von vornherein zugeben. Wir sind im Unrecht. Sie haben die Oberhand. Wir haben mehrere Millionen Dollars an Sie verloren, damit wollen wir es genug sein lassen. Im Augenblick müssen wir an andere Dinge als an unsere Geldgeschäfte denken. Wir sind nämlich gerade nicht sehr begierig, vor ein Polizeigericht gestellt zu werden.«

Phineas Duge sah sie ruhig und unbeweglich an.

»Sie meinen damit die Maßnahmen gegen die Trusts, die der Präsident wahrscheinlich rücksichtslos unterstützen wird?«

Weiß nickte.

»Die Sache ist weiter gediehen, als irgendeiner von uns annahm. Wir sind alle in gleicher Weise daran interessiert, Sie sogar noch mehr als wir. Wenn die Bill Harrison im Senat angenommen wird, können wir jeden Augenblick ins Gefängnis gesteckt werden. Wir haben einen schweren Stand und können uns nicht den Luxus gestatten, uns wie die kleinen Kinder herumzustreiten, während wir eine Einheitsfront bilden sollten.«

»Sie schlagen also vor, daß wir unseren Finanzstreit an den Börsen abbrechen und die Sache auf sich beruhen lassen?«

»Ja, deshalb sind wir hergekommen. Sie haben ja den größten Vorteil davon gehabt. Wir müssen Ruhe haben, um dieser neuen Gefahr begegnen zu können.«

»Einverstanden«, erwiderte Duge. »Wir treffen uns morgen in Ihrem Büro und ziehen unsere Börsenmakler zu der Konferenz zu. Ich bin bereit, den Streit zu beenden. Ich habe ihn ja nicht begonnen.«

Higgins atmete erleichtert auf. Er war am wenigsten begütert und hatte am meisten unter dem Kampf leiden müssen.

»Gott sei Dank«, sagte er. »Nun haben wir wenigstens eine Atempause. Wir müssen aber vor allem über das Dokument sprechen, das wir unterzeichnet haben. Ich kann verstehen, daß Sie diese gefährliche Waffe brauchten, solange wir Gegner waren. Aber da wir nun zu einer Verständigung gekommen sind, sehen Sie doch auch ein, daß eine Veröffentlichung dieses Schriftstücks unseren Ruin bedeuten würde, selbst wenn Ihr Name nicht darauf steht.«

»Wenn ich das Papier noch besäße, würde ich es in diesem Augenblick zerreißen. Aber es wurde mir leider während meiner Krankheit gestohlen.«

»Das wissen wir bereits. Wir wissen auch, wer es hat.«

Phineas sah fragend auf.

»Es ist im Besitz Vines. Wir haben ihm bereits eine Million Dollars dafür geboten, aber er lehnte es ab, uns das Papier auszuhändigen«, erklärte Weiß. »Ich stellte ihm die Folgen vor, die eine Bekanntgabe für das ganze Land haben würde. Daraufhin fuhr er nach London, um mit Deane zu beraten. Der Schlag kann jeden Augenblick fallen. Es ist möglich, daß die Sache in jeder Zeitung steht, wenn wir morgen aufwachen.«

»Der Preis, den Sie ihm dafür geboten hatten, war eigentlich hoch genug – welchen Vorschlag machen Sie denn jetzt?«

»Das Papier wurde Ihnen gestohlen, Sie besitzen Anspruch darauf. Verhandlungen mit uns lehnt er wahrscheinlich ab. Deshalb müssen Sie mit dem nächsten größeren Dampfer nach London fahren und Norris Vine aufsuchen. Das übrige können wir ja Ihnen überlassen. Sicher haben Sie Erfolg.«

Phineas Duge saß einige Zeit vollkommen ruhig da. Er nahm nachdenklich einen Schluck Wein, warf seine ausgegangene Zigarre ins Kaminfeuer und steckte sich eine neue an. Er wußte wohl, daß er größere Chancen hatte, das Dokument zurückzuerhalten als die anderen, und eine Reise nach Europa kam ihm im Augenblick nicht ungelegen. Aber er wollte eine solche Entscheidung doch nicht ohne die nötige Überlegung fällen.

»Noch vor einer Woche, ja selbst vor einem Tage wäre meine Abwesenheit von New York mein Ruin gewesen. Wenn ich nun das Land morgen verlasse, welche Garantie geben Sie mir, daß Sie den Vertrag halten, den wir morgen abschließen?«

»Wir können uns ja binden, keinerlei Käufe oder Verkäufe an der Börse vorzunehmen. Natürlich sind Handlungen ausgenommen, die unseren gemeinsamen Vorteil bedeuten. Wir können ja einen Vertrag machen, daß wir an allen Gewinnen während dieser Zeit gleichmäßig beteiligt sind.«

Phineas Duge nickte nachdenklich.

»Ja, so könnten wir die Sache arrangieren. Ich selbst wäre sehr froh, wenn ich das Dokument wiederbekommen könnte. Aber mit Norris Vine läßt sich nicht leicht verhandeln. Er nennt sich selbst stolz meinen Feind. Ich werde mir bis morgen abend überlegen, wie ich vorgehe. Inzwischen treffen wir uns morgen früh um zehn in Ihrem Büro. Wahrscheinlich fahre ich nach Europa.«

Weiß atmete erleichtert auf, goß sich ein Glas Wein ein und trank es aus.

»Ich freue mich, daß Sie das sagen, Duge. Der Kampf mit Ihnen ist uns in der letzten Zeit sehr schwer geworden, und ich fühle mich bedeutend ruhiger, wenn wir wieder zusammenarbeiten.«

Nachdem es zu dieser Einigung gekommen war, zeigte sich Phineas Duge als der liebenswürdigste Gastgeber. Er konnte es sich ja auch gestatten, großzügig zu sein, nachdem er als einzelner diese vier mächtigen Gegner besiegt hatte.

 


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