E. Phillips Oppenheim
Finanzkönige
E. Phillips Oppenheim

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Kapitel 4.
Der amerikanische Gesandte

Die Unterhaltung zwischen Vine und dem amerikanischen Gesandten war allmählich ins Stocken geraten. Der Journalist hatte seinem Gastgeber noch nichts von dem wirklichen Grund seines Besuches gesagt, da ihm das unendlich schwer fiel. Aber schließlich ebnete ihm Philip Deane durch eine Frage den Weg.

»Sagen Sie mir doch,« begann er, »warum Sie gerade jetzt nach London gekommen sind. Erst vor vierzehn Tagen hörte ich, daß Sie bis über die Ohren in Arbeit steckten und keine Aussicht hätten New York vor dem Herbst zu verlassen.«

Vine nickte.

»Das dachte ich auch, aber inzwischen hat sich etwas Wichtiges ereignet. Ich muß Sie in einer sehr dringenden Angelegenheit um Rat fragen.«

Der ältere Herr nickte, ohne sich sein Erstaunen merken zu lassen.

Vine erzählte ihm nun, was sich zugetragen hatte, und daß er sich nach reiflicher Überlegung entschlossen hätte, auf eine oder zwei Wochen nach Europa zu fahren und Mr. Deanes Rat zu hören, bevor er eine endgültige Entscheidung über die Veröffentlichung des Dokuments treffen wollte.

Der Gesandte erhob sich und ging einige Male auf und ab. Die beiden befanden sich im Dachgarten der amerikanischen Botschaft. Mr. Deane war groß und hatte kluge und freundliche Augen und Gesichtszüge. Er hielt sich nicht mehr ganz gerade, sondern etwas vorgeneigt wie ein Gelehrter. Er machte nur kleine Schritte, was sich durch seine Kurzsichtigkeit erklären ließ. Seine Ernennung zum Botschafter in London war ein großer Erfolg gewesen, und er hatte dabei viel Klugheit, Takt und Umsicht bewiesen. Einer seiner besten und ältesten Freunde war Norris Vine. Schließlich blieb er an dem Geländer stehen und sah auf den großen Platz hinunter, der von hellen Lampen erleuchtet war. Die Geräusche des Verkehrs drangen nur schwach nach oben. Nach einer Weile drehte er sich wieder um und ging zu Vine zurück.

»Große Reformen können niemals ohne große Opfer durchgeführt werden. Eine andere Frage ist allerdings, ob das Land ein derartig großes Opfer bringen kann. Diese Frage läßt sich nicht im ersten Augenblick entscheiden.«

»Es ist ja auch gar kein Grund zur Eile und Überstürzung vorhanden. Ich habe das Dokument bei mir, und ich will nicht übereilt handeln. Überlegen Sie sich bitte die Sache genau, und sagen Sie mir, wann ich Sie in dieser Angelegenheit wieder sprechen kann.«

»Das steht Ihnen jederzeit frei«, entgegnete der Gesandte herzlich. »Sie wissen sehr gut, daß ich mich immer freue, Sie zu sehen. Noch eine Frage? Sie tragen dieses Dokument doch nicht etwa bei sich?«

»Nein, dazu sorge ich mich doch zu sehr um meine persönliche Sicherheit. Die Männer, deren Namen unter dem Schriftstück stehen, schrecken vor nichts zurück, und es wäre ihnen eine Kleinigkeit, mich aus dem Wege zu schaffen.«

»Das ist richtig. Ich würde mich an Ihrer Stelle auch sehr in acht nehmen. Hier in London passieren ebenfalls merkwürdige Dinge. Übrigens fällt mir eben ein, daß sich vor zwei Tagen eine junge Dame hier nach Ihrer Adresse erkundigte.«

»Hat sie ihren Namen angegeben?«

»Ich glaube nicht. Mein Sekretär hat sie empfangen.«

»Ich habe keine Ahnung, wer es gewesen sein mag«, entgegnete Vine nachdenklich. »In England habe ich nur sehr wenig Bekannte.«

»Littleson hat auch nach Ihnen gefragt. Er speiste gestern abend hier in der Gesandtschaft mit mir.«

Vine lächelte.

»Ich kann mir wohl vorstellen, daß er gern erfahren möchte, wo ich wohne. Ich habe mir aber Räume genommen, in denen man mich nicht so leicht ausfindig machen kann. Höchstens durch Zufall.«

Deane erhob sich.

»Ich glaube, es ist besser, daß wir jetzt nach unten gehen. Die Damen werden sich wundern, was wir solange treiben. Meine Frau erwartet heute abend eine junge Dame, die Sie auch kennen werden – Stella Duge.«

 


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