E. Phillips Oppenheim
Finanzkönige
E. Phillips Oppenheim

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Kapitel 7.
Eine Verabredung

Sie fand im Augenblick keine Worte, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Verzeihen Sie mir«, sagte er leise. »Ich hätte anders sprechen sollen. Aber ich muß immer fürchten, daß Sie London plötzlich verlassen, und daß ich Sie dann aus meinem Gesichtskreis verliere wie das erstemal.«

Sie sah ihn unter Tränen an, und er legte seine Hand leicht und zärtlich einen Augenblick auf die ihre.

»Mr. Mildmay, bitte schweigen Sie davon. Es ist ganz unmöglich, vollkommen ausgeschlossen.«

»Das glaube ich nicht«, entgegnete er ruhig. »Sie müssen mir wenigstens triftige Gründe sagen, bevor ich Sie wieder allein lasse.«

»Aber es gibt doch soviele Gründe«, erwiderte sie mit stockender Stimme, »Sie kennen mich nicht, und Sie wissen nichts von mir. Es ist Ihnen höchstens bekannt, daß ich Dinge tue, die sonst kein anständiges Mädchen tun würde.«

»Nein, von alledem weiß ich nichts«, antwortete er lächelnd. »Sie sind ein anständiges Mädchen von gutem Charakter. Aber trotzdem bin ich froh, daß Ihre Nachforschungen nun zu Ende sind. Sie können mir davon erzählen, oder auch nicht, wie Sie wollen. Vielleicht könnte ich Ihnen bei der Ausführung Ihrer Pläne helfen, oder Sie werden ruhiger, wenn Sie sich jemand anvertrauen können. Aber ich will Sie keineswegs dazu drängen.«

»Sie verstehen mich nicht. Ich bin durchaus nicht eine Frau, die Sie heiraten könnten. Ich bin arm, und ich bin nach England gekommen, weil ich einen Mißerfolg hatte. Ich habe das Vertrauen nicht gerechtfertigt, das man in mich setzte. Und dann noch eins. Meine hiesige Tätigkeit oder die Ausführung meiner Pläne bringen mich vielleicht ins Gefängnis. Es ist möglich, daß ich noch Schweres durchzumachen habe. Glauben Sie mir. Sie dürfen in keinerlei Verbindung zu mir stehen.«

Er lächelte.

»Meine liebe Virginia, ich glaube an Sie, und das ist genug. Morgen werde ich mir eine besondere Heiratslizenz verschaffen.«

Sie lachte nervös auf.

»Wie dürfen Sie von einer Heiratslizenz sprechen, wenn ich gar nicht daran denke, Sie zu heiraten?«

Er sah sie plötzlich scharf an.

»Lieben Sie einen anderen?«

»Nein!«

»Davon war ich eigentlich auch überzeugt. Sind noch andere Gründe vorhanden, warum Sie mich nicht heiraten wollen?«

»Ich liebe Sie doch noch nicht genug«, entgegnete sie atemlos.

»Nun, das kommt noch. Sie waren noch nicht lange genug mit mir zusammen. Ich weiß, daß ich Sie jetzt im Sturme nehmen muß, aber ich kann Sie nicht mehr länger allein in dieser fremden Stadt lassen. Besonders, da Sie noch in abenteuerliche Pläne verwickelt sind. Virginia, es ist wirklich nicht nötig, daß Sie sich solcher Gefahr aussetzen. Ich bin so reich, daß für unsere Zukunft gesorgt ist, und wenn jemand durch Ihre Fahrlässigkeit Schaden erlitten hat, dann kann ich das wieder gutmachen. Sprechen Sie sich doch aus, und lassen Sie mich an Ihren Sorgen teilnehmen.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Es ist nicht mein Geheimnis allein, und abgesehen davon ist es ein gefährliches Geheimnis. Durch meine Achtlosigkeit wurde ein gewisses Dokument gestohlen, und die Person, die es augenblicklich besitzt, schwebt in Lebensgefahr. Und ich muß dieses Dokument wiederbeschaffen.«

Er sah sie ungläubig an.

»Das mag ja für New York zutreffen. Aber hier in London kommt so etwas nicht vor. Hier befolgt man die Gesetze besser, denn wir haben eine unbestechliche Polizei.«

»Ach, Sie verstehen mich nicht«, sagte sie traurig. »Es handelt sich hier um eine ganz große Sache.«

»Können Sie denn das Dokument nicht zurückkaufen? Kann ich das nicht für Sie tun?«

»Nein, der betreffende Mann hat bereits eine Million abgelehnt, die ihm dafür geboten wurde. Aber ich darf Ihnen jetzt kein Wort mehr sagen. Bitte, Mr. Mildmay –«

»Nennen Sie mich doch mit meinem Vornamen. Ich heiße Guy.«

Sie errötete.

»Vergessen Sie alles, Guy, was Sie mir gesagt haben, wenigstens jetzt. Vielleicht später –«

»Später brauchen Sie meine Hilfe ja nicht mehr. Aber gerade jetzt müssen Sie jemand haben, der Ihnen beisteht. Sie sind zu jung und zu unerfahren, um sich in so wichtige Dinge mischen zu können, wie Sie mir eben erzählt haben. Es gibt nur einen Weg, um Sie wirklich zu beschützen, und ich werde mir deshalb morgen eine Heiratslizenz beschaffen.«

»Aber ich erkläre Ihnen, daß eine Heirat zwischen uns beiden unmöglich ist.«

»Das glaube ich nicht. Bitte, trinken Sie noch etwas Wein. Sie sehen angegriffen aus. Und sagen Sie mir jetzt, wie Sie den Rest des Abends verbringen wollen.«

»Ich will den Versuch machen, dem Mann das Leben zu retten, der das Dokument augenblicklich besitzt. Vielleicht kann ich es dabei selbst zurückerhalten.«

»Darf ich Sie begleiten?«

»Nein, das ist vollständig ausgeschlossen. Sie dürfen sich in diese Angelegenheit nicht einmischen. Wenn Sie mitgingen, hätte ich keine Aussicht auf Erfolg.«

»Das klingt allerdings nicht sehr ermutigend.«

Sie sah auf die Uhr.

»In ein paar Minuten muß ich gehen.«

»Sie haben mir ja noch nicht gesagt, wann Sie mich heiraten wollen?« erinnerte er sie.

»Bitte, seien Sie doch jetzt vernünftig. Ich kann Sie nicht heiraten. Schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Ich gehe jetzt, und ich muß Ihnen Lebewohl sagen.«

Ihre Stimme zitterte ein wenig.

»Haben Sie mich denn nicht ein klein wenig lieb, Virginia?«

»Vielleicht«, erwiderte sie leise.

»Ich wußte es doch«, sagte er glücklich lächelnd. »Auf jeden Fall hat mich meine Hoffnung nicht getäuscht. Nun ist alles gut, Virginia. Das entscheidet. Ich lasse Sie nun nicht mehr von mir. Sie müssen sich jetzt an den Gedanken gewöhnen, daß Sie von morgen an Mrs. Mildmay heißen.«

»Aber das ist doch ganz unmöglich«, rief sie verzweifelt. Wie kann ich Sie nur davon überzeugen, daß wir uns nicht heiraten können?«

»Das wird Ihnen niemals gelingen. Darf ich Sie heute abend begleiten?«

»Nein«, entgegnete sie entschieden.

»Nun gut, Sie sollen Ihren Willen haben – aber nur unter einer Bedingung. Sie müssen mir sagen, wo ich Sie morgen wiedertreffen kann. Bis dahin beschaffe ich die Heiratslizenz.«

Virginia sah sich um, als ob sie fliehen wollte, und doch machte seine Gegenwart sie glücklich. Sie wollte gegen dieses Gefühl ankämpfen, das sie doch vollkommen erfüllte. Ihr Widerstand gegen seinen unerschütterlichen Willen wurde schwächer und schwächer, und sie erschrak nicht einmal darüber, als sie es merkte. Wie sollte sie ihm widerstehen, da ihr Herz doch nach ihm verlangte. Sie liebte ihn. Wie gerne hätte sie sich ihm anvertraut!

Schließlich gab sie ihm die Adresse ihrer Pension.

»Ich suche Sie morgen kurz vor zwölf dort auf. Vorher gehen Sie doch nicht aus?«

»Ich glaube nicht«, erwiderte sie zögernd.

Er rief den Kellner und zahlte. Virginia erhob sich. »Bitte, begleiten Sie mich nicht auf die Straße«, sagte sie ernst. »Ich muß jetzt allein gehen.«

Er sah nach dem Tische hinüber, an dem noch die drei jungen Leute saßen.

»Gut. Aber Sie werden mir gestatten, daß ich Sie wenigstens zur Türe bringe.«

Er wollte ein Auto für sie besorgen, aber sie erklärte, daß sie lieber gehen wollte.

Er nahm ihre beiden Hände und drückte sie.

»Meine liebe Virginia, denken Sie daran, daß ich morgen zu Ihnen komme. Sie werden mich heiraten, ob Sie es wollen oder nicht, und zwar sehr bald.«

Sie eilte davon, ohne etwas zu erwidern.

 


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