E. Phillips Oppenheim
Finanzkönige
E. Phillips Oppenheim

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Kapitel 5.
Verrat

Zu ihrem Erstaunen fand sie Mr. Duge allein in der Bibliothek, als sie mit einem gewissen Herzklopfen über die Schwelle trat. Viele Dokumente lagen vor ihm auf dem Schreibtisch. Er sah kaum auf und lud sie mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen.

»Noch fünf Minuten«, sagte er. »Dann spreche ich mit dir.«

Sie setzte sich in einen der Sessel, die im Halbkreis um den Schreibtisch standen. Der Raum war mit Zigarrenrauch gefüllt, und leere Likörgläser standen auf dem Büffet. Aber Virginia wußte, daß die Leute nicht allein hergekommen waren, um Kaffee und Likör zu trinken und sich harmlos nach Tisch zu unterhalten. Sie hatte das bestimmte Gefühl, daß sich ganz bedeutende Dinge in diesem Raum abgespielt hatten.

»Virginia!«

Ihr Onkel sah sie an, und sie hob den Kopf. Sein Blick lag kalt und ausdruckslos auf ihrem Gesicht. »Bitte, höre jetzt zu und unterbrich mich nicht.«

Sie lehnte sich aufmerksam vor und lauschte seinen Worten angestrengt.

»Du hast dich sicher gewundert, warum ich dich nach New York kommen ließ. Alle Welt hat sich darüber den Kopf zerbrochen. Nun, ich will es dir sagen. Aber zuerst möchte ich noch eine Frage an dich richten. Bist du mit deinem Leben hier und mit dem, was ich für deine Familie getan habe, zufrieden? Mit anderen Worten, bist du mir dankbar?«

»Ich wundere mich, daß du mich überhaupt danach fragen kannst«, entgegnete sie ein wenig verwirrt. »Du weißt doch, wie unendlich dankbar ich dir bin.«

»Also, dann gefällt dir das Leben in meinem Hause? Findest du es hier schöner als in Wellham Springs? Nun gut. Du glaubst wahrscheinlich, daß ich über unendlichen Reichtum verfüge. Ich kann dir aber nur sagen, daß dieser Macht Grenzen gezogen sind. Und das ist ein Grund, warum ich dich herkommen ließ. Ich hoffe, daß ich von dir das erhalte, was ich mir in New York nicht für die größte Summe kaufen kann.«

Sie unterbrach ihn nicht, sah ihn aber fragend an.

»Ich meine absolute, unverbrüchliche Treue. Die vier Herren, die heute abend hier waren, nennen sich meine Freunde. Wir sind miteinander verbündet und tätigen große Geschäfte und Unternehmungen zusammen, bei denen ungeheure Kapitalien investiert sind. Aber wenn ich einen nach dem anderen genauer betrachte, so ist niemand unter ihnen, dem ich über den Weg trauen könnte. Ich habe sie alle einzeln auf die Probe gestellt. Ich zahle meinen beiden Sekretären höhere Gehälter als sonst irgendjemand in der City. Sie tun ihre Pflicht, aber ich weiß sehr gut, daß sie sofort zu einem anderen übergehen und alle meine Geschäftsgeheimnisse preisgeben würden, wenn er ihnen ein höheres Gehalt böte. Ich muß aber einen Menschen haben, mit dem ich über alles sprechen und dem ich alles anvertrauen kann. Und deshalb habe ich nach dir geschickt.«

Er machte eine lange Pause, so daß sie schließlich doch das Schweigen brach.

»Du weißt sehr wohl, Onkel, daß ich noch wenig von deinen Geschäften verstehe. Aber ich kann dir wenigstens versprechen, daß ich dir treu sein werde. Das scheint allerdings ein sehr geringes Entgelt für das zu sein, was du für mich getan hast.«

»Ich glaube dir, daß du es ehrlich meinst. Nun möchte ich dir folgendes sagen. Diese Vier, die heute abend mit mir gespeist haben, sind durch ein feierliches Versprechen gebunden, alle Geschäfte und finanziellen Unternehmungen auf den verschiedenen Geldmärkten mit mir zusammen auszuführen, ganz gleich, ob es sich um die Vereinigten Staaten oder um Europa handelt. Wir verfügen über unbegrenztes Kapital, und wir teilen alle unsere Gewinne. Niemals spekulieren wir einzeln. So lauten wenigstens die Bedingungen unseres Vertrages. Du magst das im Augenblick noch nicht übersehen, aber ein Trust wie der unsere kann an den Börsen der ganzen Welt seinen Willen durchsetzen, wenn sich die einzelnen Teilnehmer unverbrüchlich an ihr gegebenes Versprechen halten. Wir können überall die Kurse diktieren, ganz gleich, ob wir kaufen oder verkaufen, und unser Gewinn ist von vornherein sicher. Wir haben unseren Vertrag geheimgehalten, aber natürlich vermutet man unser Geheimnis. Wir sind die fünf bestgehaßten Männer in den Vereinigten Staaten. Während der beiden letzten Jahre allein haben wir große Vermögen erworben, und unser System ist vollkommen. Es liegt eigentlich kein Grund vor, unser Bündnis zu sabotieren, und doch hat einer ein doppeltes Spiel gespielt, vielleicht waren es sogar mehrere.«

»Hast du die Beweise dafür in der Hand?« fragte sie atemlos.

Er schüttelte den Kopf.

»Nein, aber ich weiß es. Heute abend«, fuhr er leiser fort, »ist mir ein neuer Verdacht gekommen. Ich glaube, daß die Vier den gemeinsamen Plan gefaßt haben, mich zu ruinieren und die Beute zu teilen.«

»Das wäre aber doch unerhört!« rief Virginia entrüstet.

Er lächelte zynisch. Dieses Lächeln haßte sie. Es änderte sofort seine ganzen Gesichtszüge. Er sah jetzt hart und unerbittlich, ja fast satanisch aus.

»Es ist ein harter Kampf für mich, aber ich habe schon öfter gegen mehrere Leute angekämpft und gewonnen. Nun höre einmal zu. Die Millionäre, die große Geldgeschäfte an den Börsen machen, sind von den Leuten der mittleren und unteren Klassen aufs tiefste gehaßt. Viele Politiker kämpfen gegen uns. Vorigen Monat hat man beschlossen, einen großen Schlag gegen uns und unsere Interessen zu führen. Man beabsichtigt nämlich, ein Gesetz vor den Senat zu bringen, das unsere ganze Macht zerstören soll. Hast du mich bisher verstanden?«

»Ich glaube ja.«

»Heute abend sind wir nun zusammengekommen, um dazu Stellung zu nehmen. Ich habe meinen vier Freunden dabei eine Falle gestellt, und sie sind alle darauf hereingefallen. Sie haben ein Schriftstück unterzeichnet, in dem sie sich verpflichten, dieses Gesetz zu bekämpfen, und zwar in solcher Weise, daß sie sich dadurch einer Verschwörung schuldig machen, die gegen die Gesetze unseres Landes verstößt. Dieses Dokument ist jetzt in meinem Besitz. Ich sollte als letzter unterschreiben, aber niemand hat gemerkt, daß ich meinen Namen auf ein Stück Papier schrieb, das ich einfach auf das Dokument legte. Durch dieses Dokument habe ich sie nun in die Hand bekommen. Solange ich dieses Papier habe, können sie praktisch nichts gegen mich unternehmen. Weiß wurde unruhig und ängstlich, bevor er heute abend fortging. In weniger als einer Woche werden sie natürlich versuchen, dieses Dokument unter dem einen oder anderen Vorwand zurückzubekommen. Ich will dir jetzt zeigen, wo ich es aufbewahre.«

Er schob seinen Stuhl beiseite, rollte den Teppich zurück und zählte einige Teile des Parketts ab. Dann drückte er auf eine gewisse Stelle, eine Platte sprang nach oben und konnte leicht entfernt werden. Darunter zeigte sich der Stahldeckel eines kleinen Safes mit zwei Schlüssellöchern.

»Dies ist mein geheimes Versteck, und hier sind die beiden Schlüssel«, erklärte er seiner Nichte.

Er legte die beiden merkwürdig geformten Schlüssel vorsichtig auf den Tisch und nahm aus der Schublade seines Schreibtischs eine dünne Platinkette.

»Du wirst in Zukunft diese Schlüssel aufbewahren. Und zwar trägst du sie an dieser Kette um den Hals.«

Er zog einen goldenen Anhänger aus der Tasche, berührte eine Geheimfeder, und gleich darauf zeigte sich an der Innenseite ein Hohlraum, in den die kleinen Schlüssel genau hineinpaßten. Er schloß sie darin ein und legte Virginia das Schmuckstück um. Halb erstarrt und halb erschreckt sah sie auf den brillantbesetzten Hänger.

»Ich verstehe nicht, warum du mir das anvertraust. Sicherlich wären die Schlüssel viel sicherer in deinem Besitz!«

Er lächelte grimmig.

»Du kennst meine Freunde nicht. Bedenke vor allen Dingen, daß nicht nur das Schriftstück in meinem Besitz ist, das sie zwingen kann, alle Angriffspläne gegen mich aufzugeben, sondern daß ich sie durch Veröffentlichung dieses Dokumentes auch alle vier ruinieren und vor der Öffentlichkeit lächerlich machen kann. New York ist eine zivilisierte Stadt, das ist wohl wahr, aber für Geld kann man sich irgendeinen Mörder dingen. Ist dir noch niemals aufgefallen, wieviel unaufgeklärte, ja selbst unentdeckte Verbrechen hier im Jahr passieren? Und merkwürdigerweise sind die Opfer stets reiche Leute. Du brauchst dich deshalb aber nicht zu beunruhigen. Die Schlüssel sind sicherer in deiner Obhut.«

Virginia legte ihre Hand zitternd auf das Schmuckstück.

»Sie sollen bei mir auch sicher sein. Ich darf sie natürlich keinem anderen als dir aushändigen.«

»Selbstverständlich.«

»Wenn mir nun zum Beispiel jemand eine schriftliche Botschaft von dir brächte?«

»Nicht einmal in diesem Falle gibst du die Schlüssel her.«

Plötzlich klingelte das Telefon, und Phineas Duge nahm den Hörer ab. Stephen Weiß rief ihn an.

»Sagen Sie, Duge, ich bin schon halb und halb zu der Überzeugung gekommen, daß es ein großer Fehler war, dieses Dokument zu unterzeichnen. Ich weiß ja, daß es in Ihrem Besitz sicher ist. Aber mein Name soll nicht unter einem Schriftstück mit derartigem Inhalt stehen. Ich glaube, auch Higgins teilt meine Ansicht. Er ist ebenso nervös geworden wie ich. Am besten kommen wir morgen abend wieder zusammen und sprechen die Sache noch einmal durch.«

Phineas Duge lächelte verschmitzt, als er antwortete. »Ganz wie Sie wollen. Aber ich kann Ihnen nur sagen, daß ich durchaus nicht Ihrer Meinung bin. Dieser Gesetzesantrag gegen uns wird durchgehen, wenn wir nicht etwas dagegen unternehmen, und zwar sofort. Und wenn es erst einmal beschlossene Sache ist, dann können wir nach Europa auswandern und von dort aus unsere Geschäfte betreiben.«

»Ich spreche aber auch im Auftrag der anderen«, fuhr Weiß fort. »Wir wollen uns morgen abend wieder treffen. Ich schlage vor, um acht Uhr.«

Phineas Duge legte den Hörer beiseite und wandte sich zu seiner Nichte.

»Es beginnt bereits, interessant zu werden. Sie wollen nichts gegen mich unternehmen, bevor sie nicht dieses Dokument in ihren Besitz gebracht haben. Wenn sie alle entschlossen sind, es zurückzunehmen, und ich ihnen Widerstand leiste, dann wissen sie, daß ihr Plan vereitelt ist, und daß ich sie durchschaut habe. Und das muß ich vorläufig noch verhindern. Sehe ich eigentlich krank und angegriffen aus?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich dachte gerade, welch gesunden Eindruck du heute abend machst.«

Er rollte den Teppich über das Versteck.

»Von morgen ab werde ich sehr krank sein!« sagte er dann.

 


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