E. Phillips Oppenheim
Finanzkönige
E. Phillips Oppenheim

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Kapitel 7.
Ein Einbrecher

In einem der exklusivsten und vornehmsten Klubs in New York saßen Stephen Weiß, John Bradley und Higgins an einem Tisch, aber obwohl sie ihr Menü mit der größten Sorgfalt gewählt hatten, kam ihnen doch nicht zum Bewußtsein, was sie aßen. Sie hatten sich in einer stillen Ecke niedergelassen, so daß man ihre Unterhaltung nicht hören konnte.

»Ich möchte, daß Sie die Lage voll und ganz verstehen und würdigen«, sagte Weiß jetzt mit ungewöhnlichem Nachdruck. »Die Dinge stehen nicht besonders zu unseren Gunsten. Wir haben eine große Sache unternommen, als wir uns gegen Phineas Duge verbanden. Wenn er die geringste Ahnung davon hat, daß die Börsenmakler in Chikago auf unsere Anweisung hin handeln, wird er sofort die schärfsten Schritte gegen uns unternehmen.«

Higgins, der stets zum Optimismus neigte, zuckte die Achseln. Er war ein kleiner, untersetzter Mann mit glattem, faltenlosem Gesicht und noch fast knabenhaften Zügen.

»Das ist ja alles gut und schön, aber wenn Phineas hinter unsere Pläne gekommen wäre, hätte er das vor drei Wochen tun müssen, als wir das Unternehmen gegen ihn begannen. Glauben Sie, daß er die ganze Zeit stillgesessen hätte und uns für zehn Millionen Aktien hätte verkaufen lassen, ohne auch nur den kleinen Finger zu rühren? Ich glaube, Sie haben die Nerven verloren, nur weil wir dummerweise dieses verdammte Schriftstück gestern abend unterzeichneten. Ich kann aber immer noch nicht einsehen, wie er das gegen uns brauchen könnte. Er hat es doch selbst unterschrieben.«

»Darüber bin ich mir nicht ganz sicher«, entgegnete Weiß ruhig. »Ich habe nämlich zufällig auf das Schriftstück gesehen, als er die Unterschriften ablöschte, und sah, daß er seinen rechten Arm darüber legte. Auch kam es mir so vor, als ob er die Stelle, wo seine eigene Unterschrift stehen sollte, nicht mit dem Löschblatt berührte.«

»Warum haben Sie ihn denn dann nicht sofort gebeten, Ihnen das Schriftstück noch einmal zu zeigen?« fragte Higgins.

»Ich wünschte nur, ich hätte es getan«, erwiderte Weiß düster.

Bradley, ein großer Mann mit grauen Haaren und grauem Schnurrbart, mischte sich jetzt zum erstenmal in die Unterhaltung.

»Weiß einer von Ihnen zufällig, wo Duge seine wichtigen Papiere aufbewahrt?«

Weiß sah auf.

»Mir ist es nicht genau bekannt. Ich weiß nur, daß er irgendwo einen kleinen Miniatursafe hat einbauen lassen. Außerdem steht ein großer Geldschrank in dem äußeren Büro. Aber ich wüßte nicht, wo wir das Schriftstück finden könnten.«

»Durch Miß Longworth können wir nicht zum Ziel kommen?«

»Ich habe alles getan, was ich irgendwie konnte, aber sie scheint die Anordnungen ihres Onkels wirklich zu befolgen. Sie fürchtet sich zu sehr vor Phineas. Aus der Bibliothek hat sie mich direkt hinausgewiesen, als ich mich gerade darin umsehen wollte.«

»Es bleibt uns wahrscheinlich nur übrig, einen Einbrecher zu engagieren«, erklärte Higgins.

»Wir sind doch wirklich zu blöde gewesen und haben uns fangen lassen wie die kleinen Kinder«, brach Weiß los. »Wenn ich denke, daß Leute wie wir gezwungen werden, uns um Hilfe an die Verbrecherwelt zu wenden! Die Sache ist nicht so einfach, wenn wir das Gesetz in diesem Falle überschreiten. Wir haben nur neue Schläge zu befürchten, wenn wir uns das Dokument mit Gewalt zurückverschaffen. Diese Krankheit von Phineas Duge kann ja auch nur ein Vorwand sein. Der Mann braucht sich ja gar nicht aus seinem Zimmer herauszubemühen, um die ganze Welt durcheinanderzubringen.«

»Ich war heute morgen bei seinen Börsenmaklern«, bemerkte Higgins. »Er unternimmt zurzeit nichts, und er hat sich ja auch seit Wochen ruhig verhalten, entsprechend unseren Abmachungen.«

»Wäre es denn nicht möglich, daß er dieselben Manöver unternimmt wie wir, und daß er von Chikago oder Boston aus spekuliert?«

Higgins seufzte und goß sich ein neues Glas Wein ein.

»Sie beide sind tatsächlich nervös geworden«, sagte er verächtlich. »Duge kann uns doch gar nicht geschäftlich ruinieren, selbst wenn er unseren Plan ahnte. Ich glaube nicht, daß wir irgendetwas zu befürchten haben. Daß wir dieses Papier unterzeichnet haben, ist weiter nicht gefährlich. Wir müssen eben die Regierung stürzen, wenn sie uns vernichten will. Das sind doch nur gesunde Gegenmaßnahmen. Duge hat das Schriftstück auch unterzeichnet, aber wenn Sie beide tatsächlich so ängstlich sind, daß Sie den ganzen Tag deswegen zittern und vor Furcht nicht aus den Augen schauen können, so wollen wir es uns wieder beschaffen, selbst wenn wir Phineas' Haus in die Luft sprengen müßten. Ich will heute abend nach Dane schicken und einmal sehen, was wir durch ihn ausrichten können. Wenn wir das Papier wieder in unsere Gewalt bringen, und Duge hat seine Krankheit nur vorgeschützt, dann wird er einen furchtbaren Zusammenbruch erleben. Und verdammt noch mal, das geschieht ihm auch vollkommen recht. Mir ist der Kerl schon längst zuwider. Für jede Million, die wir eingesteckt haben, schluckt er zwei. Bei jeder größeren Sache, die wir zusammen unternommen haben, hat er stets den Rahm abgeschöpft. Wir werden uns jetzt einfach selbständig machen. Aber verderben Sie um Himmelswillen das Spiel nicht dadurch, daß Sie plötzlich ängstlich werden. Wir wollen zusammen noch eine Flasche Sekt trinken. Gleich nach Tisch werde ich Dane anrufen. Nun wollen wir aber einmal das Thema wechseln. Sehen Sie, Simpson und Henderson beobachten uns scharf. Vor allem ein ruhiges und gleichgültiges Gesicht zeigen.«

* * *

Ein paar Stunden später wurde Virginia in das Zimmer ihres Onkels gerufen. Als sie eintrat, fand sie einen kleinen, unbedeutenden Mann in einfacher Kleidung bei ihm, der einen etwas servilen und unterwürfigen Eindruck machte. Sie hatte ihn schon ein paarmal gesehen, seit sie in das Haus gekommen war, und trotz seines unauffälligen Wesens waren ihr seine scharfen Blicke und sein intelligentes Aussehen nicht entgangen. Phineas Duge ging im Zimmer auf und ab.

»Ich habe eben Nachricht von unseren Freunden erhalten, Virginia. Sie scheinen die Sache furchtbar ernst zu nehmen. Wenn sie sich das Schriftstück nicht durch List aneignen können, wollen sie es mit Gewalt stehlen.«

»Ist das nicht ein bißchen schwierig?« fragte sie.

Er lächelte.

»Jedenfalls bedeutend schwieriger, als sich diese Leute einbilden. Der kleine, eiserne Safe unter dem Fußboden ist aus bestem Panzerstahl und ungefähr einen Zoll dick. Das Schloß können sie nur mit Dynamit sprengen. Ich habe aber soeben gehört, daß sie einen Berufseinbrecher in ihre Dienste genommen haben. Wir werden also noch allerhand Interessantes erleben.«

»Woher weißt du denn das alles?«

»Der kleine Herr hier hat es mir mitgeteilt. Er ist ein Detektiv und überwacht augenblicklich meine vier Freunde. Ich erwarte, daß der Einbruch schon diese Nacht stattfinden soll.«

»Was wirst du denn dagegen unternehmen – die Polizei benachrichtigen?«

Duge schüttelte nur leicht den Kopf.

»Nein. Ich überlasse es hier Mr. Leverson, sich die nötige Hilfe zu nehmen und den Angriff abzuschlagen. Ich wollte es dir nur sagen, damit du weißt, was los ist, wenn es heute nacht Lärm gibt.«

Virginia zitterte ein wenig.

»Wird es denn zu einer Schießerei kommen?«

»Leicht möglich. Aber meinen kleinen Safe werden sie auf keinen Fall öffnen.«

 


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