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Zweiunddreißigstes Kapitel

Gestellt

Am folgenden Morgen fand in »Des Grenzers Tochter« eine Schafsauktion statt.

Früh traf die Mehrzahl der Talbewohner dort ein, aber einer kam zeitiger als die anderen alle. Tupper, der als erster die sandbestreute Gaststube betrat, fand dort M'Adam.

Er saß ein wenig vornübergeneigt in seinem Stuhl, die mageren Hände ruhten auf den Knien, und in den Augen stand ein sanfter träumerischer Ausdruck, wie ihn keiner zuvor an ihm gesehen. Alle harten Linien schienen über Nacht verwischt, und das sauertöpfische Gesicht, das den Stempel einer lebenslangen Bitterkeit getragen, war milde geworden, als wäre endlich Frieden eingekehrt.

»Als ich heut morgen herunterkam, saß er schon da, akkurat so«, flüsterte Teddy Bolstock. »Und er hat sich seitdem nicht gerührt und auch kein Wort gesprochen.«

»Wo ist denn ›Der Schrecken‹?« fragte Tupper, leise eingeschüchtert, er wußte selbst nicht, warum.

»Hinter dem Haus in den Hürden,« antwortete Teddy; »dort marschiert er auf und ab, auf und ab, wie so 'ne Schildwach. Und das hat er schon getan, als ich heut morgen aufstand und zum Fenster rausschaute.«

Jetzt betrat Londesley die Stube, hinter ihm Ned Hoppin, Rob Saunderson, Jim Mason und andere, jeder mit seinem Hund. Und jeder, der die einsame kleine Gestalt, dies eine Mal in ihrem Leben ohne ihren Spiritus familiaris erblickte, stellte die nämliche Frage, während die Hunde den Kleinen Mann argwöhnisch umschnüffelten, als witterten sie Verrat. Die ganze Zeit über saß M'Adam, ohne zu sehen oder zu hören, versunken in einen wehmütigen lieblichen Traum, so still, so regungslos, daß manche ihn schlafend wähnten.

Nach dem ersten staunenden Blick beachteten die Bauern ihn nicht weiter; alle umdrängten den Gastwirt am anderen Ende des Raumes, um die neuste Geschichte von Old Bob zu hören.

Wie es sich herausstellte, war James Moore vor acht Tagen samt einer Herde Schafe in »Des Grenzers Tochter« dem Metzger des Städtchens Grammoch begegnet. Nach abgeschlossenem Handel hatte der Metzger sich mit der Herde auf den Heimweg gemacht. Da er keinen Hund bei sich hatte, bot ihm der Großbauer »den Alten« an. »Er wird mich morgen in der Stadt wiedertreffen«, meinte er.

Nun war aber der Metzger in jener Gegend fremd. Zwar hatte er von Old Bob von Kenmuir gehört, aber er kam nicht auf den Gedanken, dieser prachtvolle gesetzte Gentleman mit dem energischen Wesen, der seine Schafe behandelte, wie er noch nie hatte Schafe behandeln sehen, könne jener Paladin: der beste Schäferhund des Nordens sein.

Das eine war klar: als die Schafe glücklich in dem Pferch hinter seinem Laden untergebracht waren, begehrte er den Hund zu kaufen – – ja, er war bereit, ganze zehn Pfund für ihn anzulegen.

Folglich sperrte er den alten Hund – – der Gipfel aller Kränkungen – – in einem Nebengebäude ein, fest entschlossen, am folgenden Morgen sein Angebot zu machen.

Als der Morgen kam, war das Nebengebäude leer – und schlimmer noch – der Schafpferch ebenfalls. Eine losgebrochene Planke verriet den Weg des einen, ein entriegeltes Hürdentor den der anderen. Und noch während der Metzger diese Entdeckung machte, trafen ein Grauer Hund und eine Herde Schafe auf dem Heimweg nach »Des Grenzers Tochter« mit ihrem Herrn zusammen.

Vom ersten Augenblick an hatte Old Bob dem Manne mißtraut. Der Versuch, ihn einzusperren, hatte seinem Argwohn die Krone aufgesetzt. Seines Herrn Schafe waren nichts für einen solchen Schelm; daher nahm er seine Befreiung selbst in die Hand und führte die Schafe gleich mit. (Ein Jahr später bewahrheitete sich des alten Hundes Urteil: der Metzger brannte durch unter Hinterlassung zahlreicher Schulden.)

Die Geschichte ward unter fortlaufenden Zurufen wie:

»Donnerwetter noch einmal! – – Bravo, Alter!« und »Haha, ist's wirklich wahr?« erzählt.

Von allen Anwesenden schwieg allein M'Adam in seltsamem Schweigen.

Rob Saunderson, dem es stets Spaß machte, den Kleinen auszuholen, bemerkte das.

»Und was haltet Ihr davon, Mr. M'Adam? Ist's nicht eine wunderbare Geschichte von einem wunderbaren Hund?«

»'s ist eine gute Geschichte, eine sehr gute Geschichte«, entgegnete versonnen der Kleine Mann. »Und James Moore hat sie nicht erfunden; er hat sie aus der Weihnachtsnummer des ›Schafzüchters‹, Jahrgang 1860.« (Am folgenden Sonntag holte der alte Rob aus schierer Neugier die betreffende Nummer hervor. Zu seinem grenzenlosen Erstaunen fand er, daß der Kleine Mann recht hatte. Dort stand fast wörtlich die gleiche Geschichte. Trotzdem ist sie auch wahr von Old Bob von Kenmuir.)

»Ja, ja,« fuhr der Kleine Mann fort, »und in ein, zwei Tagen wird Euch James Moore noch eine zweite Geschichte erzählen – – eine noch bessere, werdet Ihr meinen – eine noch komischere. Und doch – nein – ja – nein – ich will's nicht glauben. Hab den James Moore nie leiden können, aber ich glaube, was Mr. Hornbut von ihm sagt: er würde lieber sterben, als zum Lügner werden. – – Old Bob von Kenmuir!« fügte er flüsternd hinzu, »bis zuletzt kann ich ihn nicht abschütteln. Manchmal denk' ich, dort, wo ich hingeh', werden mich auch Graue Hunde umschnüffeln, lauter Graue Hunde, wenn's dunkel wird. Immer, immer sind sie hinter mir her, und ich kann nicht, kann nicht – – –«

Teddy Bolstock unterbrach ihn durch eine Schweigen gebietende Handbewegung.

»Horcht! Ein Gewitter!«

Sie lauschten. Von draußen kam ein gurgelndes, mißtönendes, scheußliches Grollen.

»Es kommt näher.«

»Nein, es entfernt sich wieder.«

»Das ist kein Gewitter.«

»'s ist mehr wie die Lea bei Hochwasser. Und doch – – Mr. M'Adam, was ist es nur?«

Endlich hatte sich der Kleine Mann gerührt. Er war aufgesprungen und starrte wild um sich.

»Wo sind Eure Hunde?« kreischte er.

»Meiner ist hier – – nein, zum Donnerwetter! Er ist fort!« lautete der erstaunte Ausruf.

Über der interessanten Geschichte hatte keiner von ihnen bemerkt, daß sein Hund sich von seiner Seite erhoben; keiner hatte eine Reihe zottiger Körper sich nacheinander aus dem Zimmer schleichen sehen.

»Ich sag' Euch: es sind die Hunde! Die Hunde! Sie sind über meinen Willie her – – fünfzig gegen einen sind sie über ihn her! Mein Gott! Mein Gott! Und ich bin nicht dabei! ... Willie, Willie!« ein gellender Aufschrei – – –

»Ich komme!«

Im gleichen Augenblick stürzte Bessie Bolstock totenbleich ins Zimmer.

»Vater! Mr. Saunderson! Ihr alle! Die Hunde raufen wie toll! So hört doch nur!«

Dazu war keine Zeit. Jeder einzelne packte seinen Stock und stürmte zur Tür, allen voran M'Adam.

*

Ein seltener Fall, den Kleinen Mann ohne seinen Roten Will anzutreffen, so selten, daß andere noch als die Bauern in der kleinen Schankstube es bemerkten.

Ruhig schritt Saundersons alter Shep zum Hoftor hinaus und blickte sich um. Dort unten auf dem Hang entdeckte er, was er suchte; dort marschierte es auf und ab, grimmig, gierig, ein Löwe zur Futterzeit. Und während der alte Hund schaute, wedelte er langsam mit dem Schwanz, als wäre er wohl zufrieden.

Er kehrte in die Wirtsstube zurück, gerade als Teddy seine Geschichte begann. Zweimal maß er auf lautlosen Sohlen die Runde des Zimmers. So ging er von Hund zu Hund und hielt bei jedem inne, wie um ihn zu einer großen Tat anzuspornen; schließlich schritt er zurück zur Tür und schaute sich noch einmal um, ob sie ihm auch folgten.

Einer nach dem anderen stand auf und stahl sich hinaus: der große blaue Rasper, Londesleys Lassie, Ned Hoppins junger Hund, Grip und Grapple, des Wirtes Bullenbeißer, Jim Masons Gyp, töricht und tändelnd selbst jetzt, und die anderen alle; als letzte watschelte Venus, die narbenreiche Amazone, auf krummen Beinen hinterdrein.

Aus dem Hause trotteten sie, geräuschlos, unbeobachtet, Mord in ihren Herzen. Endlich, endlich hatten sie ihren Feind allein. Und langsam, eine schwarze Wolke, dem Schatten des Todes gleich, krochen sie den Hang hinunter.

Will' sah sie kommen, durchschaute ihre Absicht und freute sich. Sie bedeutete Tod – vielleicht – aber einen Tod, wie er ihn sich wünschte; zum mindesten eine Erlösung von jenem langen quälenden Schmerz. Und er grinste beim Anblick der sich nähernden Schar, als er erkannte: unter ihnen war nicht einer, den er nicht seinerzeit gezüchtigt.

Er ließ ab von dem ruhelosen Wandern und erwartete sie. Das mächtige Haupt zurückgeworfen, musterte er sie verächtlich und schleuderte ihnen eine Herausforderung zu.

Und sie kamen heran, langsam, stumm, wie Soldaten bei einem Begräbnis; jung und alt, Stummelschwanz und Bullenbeißer, Terrier und Schäferhund: Geier, die sich zum Aase drängen. Und Venus, schwer von der Last ihrer Jahre, wackelte auf krummen Beinen hinterdrein, keuchend vor Furcht, zu spät zu kommen: galt es nicht Blut ihres Blutes zu rächen?

So rückten sie vor, gemächlich, ihrer Sache sicher, mordgierig, ausschwärmend, um ihn von allen Seiten einzukreisen.

Des bedurfte es nicht. Will' dachte nicht an Flucht. Wohl war es eine schwere Übermacht – erdrückend schwer; jedoch er liebte sie darum, er zitterte vor Ruhmesfreude über den kommenden Kampf.

Jetzt waren sie da: die Schäferhunde schritten auf Zehenspitzen, eckig, steif wie Katzen auf glühenden Kohlen, die Rücken gekrümmt, die Köpfe abgewandt, doch nach ihm schielend.

Er blieb stocksteif stehen, ohne sie anzublicken, den mächtigen Kiefer vorgeschoben, die Schnauze zu einem scheußlichen Grinsen verzerrt. Er bebte leise, in den rollenden Augäpfeln trat das Weiße hervor, sein Atem ging rasselnd, und jede Borste war gesträubt: so glich er einem wahren Höllenhund.

Venus stellte sich gegen ihn: für sie gab es keine Präliminarien. Nie ging sie, wo sie stehen konnte, nie stand sie, wo es ihr zu liegen möglich war. Jetzt aber mußte sie stehen; sie atmete schwer durch die Nüstern und wandte nicht eine Sekunde den Blick ab von der Stelle, die sie sich zum Biß ausersehen. Dicht an ihrer Seite standen Grip und Grapple und starrten nach oben auf den Punkt, wo der borstige Nacken in das Schultergelenk überging. Hinter ihnen hatte sich der große Rasper und dicht neben ihm Lassie sich aufgestellt. Auch von den anderen allen hatte jeder einzelne seinen Angriffspunkt gewählt, seinen Posten bezogen.

Als letzter von allen pflanzte sich der alte Shep unmittelbar vor seinem Gegner auf, Schulter neben Schulter, Kopf an Kopf.

So standen die beiden eine Sekunde lang wie in flüsterndem Gespräch, jeder mit diabolischem Ausdruck und blutunterlaufenen, rollenden Augen, und aus der kleinen Meute stieg ein knurrendes, schnarchendes Röcheln auf, wie von Riesen in ihrem Schlaf.

Und jetzt, blitzschnell, sprang jeder zu. Hochaufgereckt mit ringenden Pfoten kämpften sie, Teufel in Hundegestalt. Da lagen sie am Boden, zuunterst der alte Shep, über ihm der mächtige Köter mit einem Dutzend dieser Höllenwölfe in ihn verbissen; Rasper hockte ihm mitten auf dem Rücken, Venus – zu seinem Glück – hatte zugeschnappt und gefehlt; aber Grip und Grapple hielten fest, und die anderen stürzten sich, aufbäumend, toll gewordenen Dämonen gleich, in den Strudel.

Und dort, wo er zwei Wochen zuvor den Kampf um den Schäferpreis ausgefochten, focht der Rote Will jetzt um sein Leben.

Schwere, erdrückende Übermacht: aber was kümmerte ihn das? Die lange Qual der Nacht war versunken über diesem herrlichen Rausch; der Haß vieler Jahre brach ungehemmt hervor. In jenem höchsten Augenblick rächte er sich für alles Unrecht, das die Welt ihm angetan. Mit Wollust stürzte er sich in den Kampf und schwelgte wie ein Riese in der Lust am Töten.

Schwere, erdrückende Übermacht. Nie zuvor hatte er sich einer so illustren Schar von Feinden gegenüber gesehen. Seine einzige Rettung lag in Schnelligkeit; er mußte verhindern, daß die wütende Meute sich festbiß, ehe er sie geschwächt.

Man hätte ihn sehen müssen; das mächtige Tier, groß wie ein Bullenkalb, stark wie ein Stier, wälzte und überkugelte sich geschmeidig wie eine junge Katze, sprang auf, sprang zu, schüttelte sie alle ab, trat aus mit den kräftigen Hinterbeinen, kämpfte mit Krallen, Körper und Zähnen zugleich, jeden Muskel, jede Sehne angespannt. Mehrmals sprengte er den tobenden Hauf, nur um sich noch einmal gegen ihn zu wenden. Für ihn gab es keine Flucht, nicht einmal den Gedanken daran.

Hinauf und hinab wogte das dunkle Knäuel, einem Wracke gleich, mit dem die Wellen spielen. Schwarz und weiß, dunkelbraun und grau, beißend, reißend an dem mächtigen Ding in ihrer Mitte, hinauf und hinab in weitem Bogen, allüberall eine Blutspur hinterlassend.

Gyp rang er nieder und warf ihn rückwärts über seine Schulter. Grip folgte; er schüttelte die Hündin, bis ihre Knochen krachten, dann schleuderte er sie weit weg. Dumpf, mit hartem Aufprall traf ihr Körper den Boden, um nie mehr aufzustehen, und Grapple verbiß sich noch fester, ihren Tod zu rächen. In einer roten, sickernden Pfütze lag Kirbys Jagdhund, zu einer grausigen Kugel zusammengeballt. Und Hoppins junge Hündin, die drei Stunden zuvor noch zärtlich behutsam mit den Kindern gespielt, schleppte sich, ein trauriger Anblick, mühsam bergauf dem Knäuel nach. Abwärts von neuem rollte der Hauf, und als er vorüber war, lag sie dort steif und starr, grinsend, mit einem Büschel rotbrauner Haare in dem toten Maul.

So kämpften sie weiter. Und wieder und wieder tauchte die mächtige Gestalt empor aus dem sie umtosenden Inferno und reckte sich zu ihrer vollen Höhe auf, das blutende Haupt zerfetzt, triefenden roten Geifer ums Maul. In jenen Augenblicken glich sie einem dunklen Felsen in einer aufgewühlten See; doch in der nächsten Sekunde schon hatte die Brandung sie wieder verschlungen.

Sie fochten jetzt schweigend, stumm und entschlossen. Nichts war zu hören außer dem Reißen und Schleißen verwundeten Fleisches, dem heiseren Röcheln eines Hundes, der unterlag, dem Keuchen ausgetrockneter Kehlen und dann und wann einem Schluchzen von der Gestalt in ihrer Mitte. Will' kämpfte jetzt allen Ernstes um sein Leben. Der Schrecken der Grenzlande war gestellt.

Alle, die ihn haßten, waren jetzt über ihm. Venus hatte endlich zugepackt und nie, mit einer einzigen Ausnahme, in ihrem langen schlachtenreichen Leben hatte sie je wieder losgelassen; Raspers Atem hörte man in schrecklichen rasselnden Stößen; tief hatte er die Zähne in des anderen Flanken geschlagen, und ein Dutzend anderer Teufel mit glühenden Augen und grinsendem Gebiß saugte sich an ihm fest wie Blutegel.

Schwere, erdrückende Übermacht. Jetzt lag er unten, begraben von ihrem Gewicht; jetzt kämpfte er sich wieder hoch. Das gewaltige Haupt blutete aus unzähligen Wunden, die Augen rollten in rotem und weißem Feuer, und der kurze Schwanz ragte starr und steif wie ein abgeschossener Flaggenstumpf. Er war verzweifelt, aber unerschrocken, und knurrte dumpf, während er hartnäckig weiterfocht.

Schwere, erdrückende Übermacht: es konnte nicht dauern. Endlich lag er am Boden, immer noch stumm – – selbst in seiner Todesqual sollten sie ihm keinen Schrei entreißen. Venus hatte sich verkrampft in das zerfetzte Stückchen Fleisch, in das sie ihre Zähne vergraben; Rasper lag jetzt unter Will'; drei hatten sich in seine Kehle, zwei in seine Ohren verbissen, ein ganzer Schwarm in Flanken und Rücken.

Der Schrecken der Grenzlande war überwältigt.

»Willie! Mein Willie!« schrie M'Adam und jagte eine Krückenlänge voraus den Abhang hinab, »Willie! Willie! Hierher zu mir!«

Bei dem Schrei lief ein krampfhaftes Zittern durch den Haufen am Fuße des Hügels. Er wogte und wankte wie die See, gepeitscht von einem sterbenden Leviathan.

Eine mächtige Gestalt, rotbraun und blutig, rang sich an die Oberfläche. Ein riesiges Haupt, bis zur Unkenntlichkeit zerfleischt, schüttelte sich und stieß vor aus dem Gewühl. Einen einzigen raschen Blick warf er auf die eilige kleine Gestalt im Vordergrunde, dann, aufbrüllend, gleich einem Wasserfall, stürzte er auf sie zu und schüttelte die Blutegel im Laufen ab.

»Willie! Willie! Ich bin bei dir!« rief die Stimme, jetzt so nah.

Durch – durch – durch – mit unvergleichlicher letzter Willenskraft.

Sie hingen ihm an der Kehle, hefteten sich ihm an die Schnauze, umdrängten ihn bis zuletzt.

Wieder lag er unten – – ein Schluchzen, ein leises ersticktes Aufheulen, ein flehender Blick zu seinem Herrn, und das Meer von Blut schloß sich über ihm.

Sie ließen die Toten liegen und zerrten die Lebenden hinweg. Und die Aufgabe war nicht leicht, denn das Pack war bluttoll geworden.

Begraben unter einer feuchten Masse blutgetränkter Haare und blutenden Fleisches lag der alte Shep, tot. Und Saundersons Gesicht zuckte, als er den Leichnam hervorzog; kein Mann vermag den Freund vieler Jahre zu verlieren und unbewegt zu bleiben.

Dort lag Venus, die Zähne noch im Tode verkrampft, lächelnd, weil endlich Rache ihr geworden. Der große Rasper, das blaugraue Fell jetzt rotgefärbt, keuchte in wenigen Minuten sein Leben aus. Zwei andere Hunde krochen hinweg in einen stillen Winkel, um zu sterben. Ehe die Nacht herniedersank, war ein weiterer Hund in eine neue Heimat gegangen, und unter denen, die mitgefochten, blieb keiner zurück, der nicht die Narben jener Schlacht in sein Grab mitgenommen. Der Schrecken der Grenzlande, so furchtbar er in seinem Leben gewesen, war gleich Samson furchtbarer noch in seinem Sterben.

Am Fuße des Hügels lag, was von Adam M'Adams Rotem Will übriggeblieben.

Bei diesem Anblick blieb der Kleine Mann ganz ruhig; er tobte weder, noch fluchte er. Das lag alles hinter ihm. Dumpf ließ er sich auf dem blutfeuchten Boden nieder und zog das zerfleischte Haupt, zart, sehr zart, in seinen Schoß.

»Sie haben dich besiegt, Willie – haben dich besiegt, endlich«, murmelte er, fest überzeugt, der Angriff sei organisiert worden, während man ihn in der Schankstube festgehalten.

Als der Hund die leise Stimme vernahm, wedelte er ein letztes Mal müde mit dem Schwanz. Und damit ging der Schwanzlose Köter, Adam M'Adams Roter Will, der Schwarze Würger, in seine ewige Heimat ein.

Die Talleute trugen ihre Toten hinweg, einer nach dem anderen, und ließen den Kleinen Mann mit der Leiche seines letzten Freundes allein.

Trockenen Auges saß er da, Stunde um Stunde, und streichelte des toten Hundes Haupt. Derweil summte er leise vor sich hin:

»Manch' schweres Werk ha'n wir bezwungen,
Und mit der harten Welt gerungen,
Manch' bittern Tag hab' ich gedacht,
Wir würden unterliegen.
Und jetzt, Willie – jetzt ist's so weit.«

So ging es fort, Stunde um Stunde, immer mit dem gleichen traurigen Refrain.

»Eines Mannes Mutter – eines Mannes Weib – – eines Mannes Hund! Die drei sind alles, was der kleine M'Adam lieb hatte, ihm den Rücken zu steifen. Erinnerst du dich noch an die alte Mutter, Willie? An ihr ›Kopf hoch, Adam, du hast ja deine Mutter‹ – und eines Tages – hatte ich sie nicht mehr. Und Flora, Willie – du erinnerst dich doch an Flora? Nein, nein; das kannst du ja nicht –, mit ihrer Munterkeit und ihrem Lachen:›Adam, du sagst, du stündest allein. Du hast ja mich – – ist das nicht genug für jeden Mann?‹ Und Gott weiß es – das war es auch – solang' es dauerte.« Er brach zusammen und schluchzte eine Weile. »Und du, Willie – der einzige Freund, den ich je hatte.« Er tastete mit seiner Rechten nach des Hundes blutiger Pfote.

So saß er und liebkoste das arme Haupt und beugte sich über ihn, wie eine Mutter über ihr krankes Kind.

»Sie haben dich geschlagen, endlich – – hart geschlagen. Und jetzt, mein' ich, werden sie nicht ruhn, bis auch ich hinüber bin. Und – oh Willie! – ich träumte einen solch furchtbaren Traum: daß mein Willie – – aber nein! Es war ja nur ein Traum!«

Er summte weiter, vor sich hin, mit dem toten Hund auf seinem Schoß, und niemand wagte, sich ihm zu nähern. Nur Bessie, die Wirtstochter, beobachtete von fern die verlassene kleine Gestalt.

Mittag war längst vorbei, als er sich erhob, des Hundes Haupt ehrfürchtig auf die Erde bettete und den Weg hinabtrippelte zur Brücke, die jenes tote Etwas einst gegen Tausend gehalten.

Er querte sie und wandte sich um: in seinen Augen stand ein Ausdruck, halb hoffnungsvoll, halb ängstlich zum Erbarmen.

Er rief: »Willie, Willie! Hierher zu mir!« und die ehemals so feurige Stimme war die eines Sterbenden.

Er wartete vergeblich.

»Kommst nicht, Willie?« fragte er endlich mit bebender Stimme. »Hast mich doch sonst nicht im Stich gelassen.«

Er ging ein paar Schritt weiter und drehte sich noch einmal um; dann pfiff er seinen scharfen, durchdringenden Pfiff: aber er klang wie ein mattes Echo seiner selbst.

»Komm zu mir, Willie!« bettelte er in rührendstem Ton. »'s ist das erstemal, daß du nicht kommst, wenn ich rufe. Was fehlt dir, mein Bursch?«

Er schritt zurück über die Brücke, blind wie ein weinendes Kind, aber trockenen Auges.

Er kniete nieder neben dem toten Hundekörper.

»Was fehlt dir, Willie?« wiederholte er. »Willst du mich auch verlassen?«

Und jetzt sah Bessie, die ihn immer noch angstvoll beobachtete, wie er sich niederbeugte, den mächtigen Körper auf seine Schultern lud und unter dieser Last davonwankte.

Schlaff, abstoßend hing der Kadaver von seinen Schultern. Der riesige Kopf mit den finsteren, weit aufgerissenen Augen und der hervorquellenden Zunge schwankte und pendelte hin und her bei jeder Bewegung und schien der Welt, von der er schied, eine letzte grinsende Herausforderung zuzuschleudern. Und das Letzte, was Bessie sah, war jene blutige, baumelnde Maske über den verkümmerten, schwankenden Beinen, als die zwei aus der Menschen Gesichtskreis schwanden.

Am folgenden Tage in der Teufelsmulde fanden sie das Paar: Adam M'Adam und seinen Roten Will, Seite an Seite, tot, doch selbst im Tode nicht geschieden, einsam ein jeder bis auf des anderen Gesellschaft. Des Hundes finstere Augen blickten glasig und gräßlich in der Todesstarre, er lehnte gegen den verkrüppelten Felsblock, unter dem der Schwarze Würger seine letzte Tat verübt; dicht neben ihm auf dem Rücken lag sein Herr, die trüben toten Pupillen starrten himmelwärts, in der Hand hielt er eine zerknüllte Photographie. Der müde Leib war endlich zur Ruhe gelangt, das spöttische Gesicht – spöttisch nicht länger – verklärte tief innerliche Glückseligkeit.

Nachwort

Adam M'Adam und sein Roter Will liegen zusammen begraben, der eine gerad innerhalb, der andere gerad außerhalb der geweihten Erde.

Die einzigen Leidtragenden bei dem Begräbnis waren David, James Moore, Maggie und ein Grauer Hund, der durch das Gitter des Friedhoftores lugte.

Während des Gottesdienstes hielt eine Equipage vor dem Kirchhof, und heraus stieg eine Dame von edler Haltung und milden Gesichtszügen; sie querte den Rasen, um auch ihrerseits dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Und es dünkte Lady Eleanor, als sie sich der Gruppe am Grabe zugesellte, daß des Pastors Stimme ungewöhnlich feierlich klang, während er die Worte sprach: »Erde zu Erde – Asche zu Asche – Staub zu Staub – in sicherer und gewisser Hoffnung auf die Auferstehung zum ewigen Leben.«

*

Wenn man das graue Bergland des Nordens durchstreift, stößt man vielleicht in dem einsamsten Winkel jener einsamen Gegend auf ein uraltes Gehöft im Schatten der Moorspitze.

Tritt man ein, so kommt einem ein hochgewachsener alter Mann entgegen – der Großbauer von Kenmuir. Seine Schultern sind gebeugt, das einst so dunkle Haar ist eisgrau geworden; jedoch die blaugrauen Augen blicken stolz und klar wie je.

Und während ein junges Mädchen mit einem Glorienschein goldblonder Haare das Essen bereitet – sie sind gastfrei bis zur Sünde, diese Nordländer – bemerkt man auf dem Kaminsims in einsamer Größe einen zerbeulten massiven silbernen Pokal. Das ist der weltbekannte Schäferpreis, wie der alte Mann einem erzählt, auf ewig gewonnen von Old Bob, dem letzten der Grauen Hunde von Kenmuir; dem letzten, weil er der beste ist; weil eine einzige endlos sich dehnende Minute lang James Moore ihn für den schlechtesten gehalten.

Und wenn man endlich Abschied nimmt, begleitet einen der alte Mann bis zu dem Gipfel des Hügels, um einem den Weg zu weisen:

»Sie gehen über die Brücke und am Langholmer Forst entlang über den Steinigen Grund und jenseits den Berg hinauf. Sie werden das Haus oben liegen sehen. Und vielleicht begegnen Sie ›dem Alten‹ unterwegs. – Guten Tag, Herr, guten Tag.«

So zieht man weiter, wie einem geheißen – über den Fluß, am Waldessaum entlang, quer über die Schlucht und den Berg hinauf.

Unterwegs, wie der Großbauer vorausgesagt, trifft man einen alten Grauen Hund, der würdig dahertrabt. Ja, ›der Alte‹ scheint seinen Lebensabend auf dem Weg zwischen Kenmuir und dem Kornhof zu verbringen. Die dunkle Schnauze ist jetzt fast weiß, der Gang, einst so geschmeidig und stark, ist sehr langsam geworden; ehrwürdig in Wahrheit ist der, den die Leute nach wie vor als den besten Schäferhund des Nordens bezeichnen.

Im Vorbeigehen bleibt er stehen, um einen zu mustern, das edle Haupt zurückgeworfen, die eine Pfote erhoben, und man blickt in zwei tiefe graue Augen, wie man sie noch nie gesehen – weich, ein wenig trübe, unendlich schwermütig.

Das ist Old Bob von Kenmuir, dessen Ruhmestaten so zahlreich sind wie Blumen im Mai. Mit ihm erlischt das unsterbliche Geschlecht der Grauen Hunde von Kenmuir.

Man steigt den Berg hinauf, ein wenig nachdenklich, und klopft an die Tür des Hauses, das den Gipfel krönt.

Eine Frau, schön, von der ewigen Schöne der Mutterschaft, öffnet. In ihre Arme schmiegt sich ein kleiner Bub mit goldblonden Haaren und einem strahlenden Kindergesicht, wie ein Putto von Correggio.

Man fragt das Kind, wie es heiße. Es strampelt und kräht, blickt zu seiner Mutter auf und lispelt endlich schelmisch, als wäre es der lustigste Witz einer lustigen Welt: »Adam Mataddum.«

 

Ende


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