Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel

In dem Engpaß

Die Turniere um den Grenzpokal waren vor etwa hundert Jahren dem lokalen Wettbewerb entsprungen. Die jährliche Zusammenkunft ward später zur Gewohnheit und nahm ständig an Bedeutung und Würde zu, bis sehr bald das Ringen um den Schäferpreis unter den Schafzüchtern zum ausschlaggebenden Ereignis des Jahres wurde.

Es war gut, als Sieger im Cambrischen Wettbewerb zu Llangollan begrüßt zu werden, noch besser, inmitten lauten Triumphgeschreies bei den Hochlandsturnieren den berühmten Widderkopf als Preis davonzutragen; aber den eigenen Namen und den seines Hundes auf den schimmernden Seiten des mächtigen Grenzpokals eingraviert zu sehen, bedeutete, eine vielbeneidete Unsterblichkeit erringen. Ja, im Norden bezeichnet man das jeweilige Jahr als das Jahr »Jocks«, als das »des Schwarzen Köters« oder als »das Jahr von Rex, Sohn des Rally!« und so weiter.

Stolz ist die Gegend, die in dem jeweiligen Jahr den brennenden Glanz des Pokals widerspiegelt, aufgeblasen prahlerisch jeder, der sich Nachbar des Siegers zu sein rühmen darf. Und doch, lieber als daß jener Emporkömmling und Eindringling ihrem grauen Favoriten den Lorbeer entriß, lieber als miterleben, wie zehntausend Schäfer mit Donnerstimme den Schwanzlosen Köter als Sieger begrüßten, lieber, so beteuerte jeder Talbewohner mit emphatischem Faustschlag auf den Tisch, wolle er den Pokal in das fernste nordische Hochland zurückwandern sehen.

Als schwelend der Sommer verstrich und der große Tag sich nahte, wuchs die Erregung in einem Maße, das jeder Beschreibung spottete. Brünstige Feindschaft gegen den einen Rivalen und hitzige Liebe zu dem anderen begrüßten sich an jeder Straßenecke.

Unten im »Sylvester-Wappen« kam es allabendlich zu einem ausgiebigen Wortgefecht zwischen M'Adam und Tammas Thornton, dem Sprecher der Grenzbewohner. Aus diesen Duellen ging Tammas gewöhnlich als Zweiter hervor. Meist siegte sein Ärger über seine Zunge; der zynische Dialektiker wurde von dem aufgeregten und wortreichen Parteigänger verdrängt. Jedoch nur wenn ihr Vorkämpfer auf der ganzen Linie in schmachvolle Flucht geschlagen war und es an der Zeit schien, die Macht der Logik durch Stärke der Lungen zu überwinden, pflegten sich Rob Saunderson und die übrigen mit Wärme am Gespräch zu beteiligen und den Kleinen Mann durch ein Babel von Stimmen zu betäuben.

»Ja, ja, ich weiß genau, James Moore war es lieber, seine Frau als seinen Hund zu verlieren.«

»Sein Hund ist sein Hund und seine Frau ist seine Frau«, erklärte Tammas, eigensinnig wie ein Bock.

»Jawohl, aber ein Mann sollte seine Frau nicht wie einen Hund und seinen Hund nicht wie eine Frau behandeln, was ja von unserem Freunde –«

Da standen sie wie ein Mann gegen ihn auf, und es wäre wohl zu einem Mord gekommen, hätte nicht der Schwanzlose Köter wie immer in abscheulicher Wachsamkeit und gierig nach Blut zu seines Herrn Füßen gelegen.

Erst als M'Adam, auf James Moores Langmut pochend, ihm ein Tüttelchen seines guten Rechtes abzustreiten suchte, gerieten der Großbauer und er hart aneinander.

Das geschah so: Der Schwarzmoorpaß verengt sich, ehe er in die Teufelsmulde mündet, zu einer schmalen und gefährlichen Schlucht, die als »der Schlund« bekannt ist. Hier können drei Mann Arm in Arm gehen – der eine hart am Rande der Ewigkeit, der andere mit dem Rücken an die Steinwand geschmiegt. Falls zwei Herden einander dort begegneten, wäre eine Katastrophe zu befürchten. Und so hat Zweckmäßigkeit eine Regel geschaffen: die bergabwärtsziehende Herde hat der bergansteigenden zu weichen. Es ist daher Sache des zu Tal ziehenden Schäfers, sich zu vergewissern, daß keine hinaufkommende Herde ihm den Weg versperrt. Das ist die allgemein anerkannte, unverbrüchliche Regel. Eines Tages in jenem Spätsommer nun hatte James Moore, vor sich seine dichtgedrängten Schafe, den Schlund betreten, als hart über dem Rand der Mulde eine Schar trägblickender, horngekrönter, schwarzwangiger Köpfe am Horizont auftauchte und den Abstieg begann. Der Großbauer schrie, gestikulierte – vergeblich.

Eine kleine, dürre Gestalt hob sich vom Himmel ab, neben ihr ein ungeschlachter, löwenartiger Hund; die Gestalt hielt inne, blickte hinab und setzte ihren Weg fort.

»Die Schuld ist sein«, murmelte der Großbauer und stieg weiter hinauf.

Langsam näherten sich die beiden, der unvermeidliche Zusammenprall rückte heran, ähnlich dem zweier feindlicher Schicksalsmächte.

In Steinwurfweite voneinander blieben die Leithammel stehen, gafften, begrüßten sich ängstlich und schritten aufeinander zu.

Kopf an Kopf hielten sie von neuem inne, schüchtern, linkisch, besorgt, dann versuchten sie umzukehren, aber der mitleidlose Druck von hinten zwang sie vorwärts; sie drängten und preßten sich gegeneinander, kläglich schreiend gleich Sklaven, die man in die vorderste Reihe der Schlacht gestellt. Über das gelbe, blökende Gedränge hinweg musterten sich die beiden Männer: der Großbauer streng, M'Adam ironisch.

»Es tut mir leid, daß Ihr umkehren müßt, James Moore«, rief der kleine Mann höflich.

»Nein. An Euch ist es, das zu tun, M'Adam«, entgegnete der andere und trieb seine Schafe vorwärts.

»Gut, gut,« meinte jener behaglich, »wir müssen warten, Willie, bis die Wolke vorüberzieht«, und er lehnte sich tabakkauend gegen die Felswand.

Der Großbauer trieb seine Schar voran. Zwei der vordersten Hammel senkten die Köpfe und begannen einander zu stoßen. Der Großbauer winkte einen wortlosen Befehl. Wolkengleich stahl sich der Graue Hund über den Rücken seiner Herde. Der Rote Will erkannte seinen Feind, seine Augen glühten rot, und er knurrte dumpf. Die beiden Böcke stießen, stießen aufeinander ein. Ein Spalt öffnete sich in dem gelben Gewoge, leicht wie ein Schatten ließ der Graue Hund sich hinabfallen. Sanft, langsam, eindringlich schob er sich die Felswand entlang und bahnte sich einen schmalen Weg zwischen Klippen und Schafen, ständig sich umschauend, ob seine Kinder ihm auch folgten.

»Vorsichtig, Junge, vorsichtig«, warnte der Bauer und trieb seine Herde in den sich öffnenden Spalt, voller Sorge, ob auch nicht der Rote Will dem Vormarsch sich widersetzen werde.

Nein, eines Schäferhundes Pflicht – seine erste und letzte Pflicht – sind seine Schafe. Privater Groll, persönliche Fehden, alles muß dem unerbittlichen Gebot des Berufes weichen. Der Rote Will zitterte zwar vor Haßlust, allein er bezog seine rechtmäßige Stellung an dem Punkte, wo Gefahr drohte, unmittelbar am Rande des Abgrunds: eine feste und furchtbare Schranke zwischen seinen Untergebenen und dem tödlichen Hang.

Auch im besten Falle war das Manöver wagemutig, so aber wurde es durch die stachelnde Antipathie des Roten Wills sowie durch seines Herrn schlechtverborgene Feindseligkeit noch erschwert. Trotzdem führten Männer und Hunde unter Anspannung aller Kräfte endlich doch die Sache erfolgreich durch.

Als die beiden Heere sich von neuem formierten und die beiden Männer aneinander vorbeigingen, wobei jeder instinktiv seinen Hund fest packte, schleuderte M'Adam dem anderen eine giftige Bemerkung zu.

»Ich sah schon, worauf Ihr hinauswolltet, James Moore«, rief er mit böser, zitternder Stimme. »Wünsche Euch mehr Glück fürs nächste Mal.«

»Was?« fragte der andere verständnislos.

»Na, ein einziger kleiner Stoß gegen meinen Willie, während er so am Klippenrand stand – und der Weg zum Pokal wäre für Euern grauen Teufel dort frei.«

Der Großbauer betrachtete den finster lächelnden, boshaften kleinen Kerl, und Verachtung verschlang sein grenzenloses Staunen über des anderen schmutzige Phantasie. Er schritt weiter, blieb stehen und drehte sich um. »Was das betrifft, M'Adam,« entgegnete er, »so gebe ich Euch zu verstehen, daß ich meinen Bob nicht mitlaufen lasse.« Damit wandte er sich hinweg.

M'Adam sog jäh den Atem ein. »Ihr lügt«, keuchte er.

Der Bauer schwang sich auf dem Absatz herum, Gewitter in seinem Gesicht, dann schritt er weiter.

M'Adam sah ihm nach. Er zitterte vor Aufregung.

»He, Mann,« rief er hinterdrein, »ich nehme das letzte zurück. Ich will sagen: ich glaube, Ihr lügt!«

Auch dieses Zugeständnis rührte den anderen nicht. Noch immer schritt er hinter seinen Schafen drein, M'Adam beobachtete ihn – er sah die strenge, hohe Gestalt in ihrem dunklen Anzug, sah den Trauerflor am Arm und faßte sich blitzschnell.

Ein häßliches Lächeln kräuselte seine Lippen. Bei jedem anderen Mann hätte ihn ein derartiges Zeichen der Pietät gegen eine kürzlich verstorbene Gattin gerührt; bei dem Bauer von Kenmuir schien es ihm nichts als selbstgefällige Heuchelei.

»Jetzt versteh' ich,« höhnte er, »er will durch solch 'nen Aufwand an Anstandsgefühlen den Pachtzins herabdrücken.«

James Moore wandte sich in so heißglühender Wut, daß M'Adam erschrak.

»Danket Gott auf Euren Knien heut nacht, M'Adam,« rief er bebend, »daß er Euch so schwächlich schuf. Das ist heut Eure Rettung gewesen.« Er wandte sich noch einmal weg.

Einen Augenblick Pause, dann hallte eine leise gepreßte Stimme hinter ihm drein.

»James Moore, James Moore! Es tut mir leid, daß ich das eben sagte.«

Der Großbauer schritt weiter, viel zu aufgewühlt, um seiner selbst mächtig zu sein.

»Und jetzt –«, erklang es nach einer weiteren Sekunde, »jetzt tut's mir noch viel mehr leid, daß ich das letzte sagte.«

Und nach diesem gesprochenen und sofort widerrufenen Sühnewort sprang der Kleine Mann seiner Herde nach, einen Wirbelsturm im Herzen.


 << zurück weiter >>