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Turniertag!
Strahlend und still brach er an, ohne eine Wolke am Horizont, ohne Drohung kommenden Unwetters in der Luft – ein rechter Tag für das endgültige Ringen um den Schäferpreis.
Wahrhaftig ein Glück! Noch nie seit Begründung der Grenzturniere hatten sich derartige Menschenmassen am Nordufer der Silbernen Lea zusammengeschart. Sie strömten herbei aus den Hochlanden, aus den entlegenen Bezirken der Campbells, aus Derbyshire, von der silbernen Küste des Solway; alle versammelten sich in jenem stillen Winkel der Erde, um Zeuge zu sein, wie der berühmte Graue Hund von Kenmuir seinen letzten großen Kampf um den Schäferpreis ausfocht.
Von Tagesanbruch an staute sich der Verkehr auf der breiten Heerstraße nach Grammoch. In den Koppeln hinter »Des Grenzers Tochter« drängte sich ein lärmender, schwatzender Menschenschwarm: Pächter in lebhaften Gruppen, Haufen schwerfälliger Bauern, schlauäugige Städter, schreiende Buchmacher; alle zusammengewürfelt gleich Spielzeug in einer Schachtel, während hier und dort an den Ausläufern der Menge ein einsamer Mann samt seinem weise blickenden Hund wartete, von fernher gekommen, um dem besten Schäferhunde des Nordens seinen stolzen Titel zu entreißen.
Hinter den Hürden drängte sich ein riesiger Park von Wagen und Wägelchen, so verschieden in ihren Eigenschaften wie die einzelnen Charaktere ihrer Besitzer. Dort stand des Barons Landauer Seite an Seite mit Jem Burtons bescheidenem Eselfuhrwerk, dort Viscount Birdsayes prunkvolle Chaise neben dem roträdrigen Wagen aus Kenmuir.
Aus diesem lehnte sich Maggie, traurig und anmutig zugleich in ihrem einfachen Sommerkleid, in Gespräch mit Lady Eleanor, während Klein-Anne mit den blonden Locken, höchlich entzückt über die wogende Menge, ihren Freunden zuwinkend und jubelnd vor lauter Lebenslust, überall hin und her lief.
Dicht daneben hatten sich die eigentlichen Talbewohner versammelt. Da waren der lange Kirby, heimgekehrt aus seiner Verbannung; Jim Mason, bleich und hohläugig; Tammas, zynisch und selbstbewußt; Sam'l, eine Niederlage prophezeiend, während im Mittelpunkt des Gedränges der alte Ned Hoppin berichtete, wie er vergangenen Dienstag ein Schaf an den Würger verloren; aber er wisse genau, wer der Verbrecher gewesen.
Jenseits der Silbernen Lea inspizierte eine Gruppe Preisrichter das für das Turnier abgesteckte Terrain.
Folgendes war die vorgeschriebene Aufgabe: Die Schafe mußten zuvor auf den Hügeln rechts von der Startflagge gesammelt werden; dann galt es, sie über den Hang von den Zuschauern weg um eine zweite Flagge herum den Berg hinauf und schräg wieder herunterzutreiben mitten durch eine Lücke im Wall; weiter den Abhang entlang parallel mit der Silbernen Lea, alsdann mit einer jähen Wendung nach links zwischen zwei Flaggen hindurch – wohl der knifflichste Punkt in der ganzen Bahn – und zuletzt den Hang hinunter in die Hürde, die dicht neben der den Fluß überspannenden Plankenbrücke aufgestellt war.
Das Turnier begann mit dem Preis von Grammoch, der von Rob Saundersons altem Shep gewonnen wurde. Es folgte das Rennen für Jugendliche, in dem Ned Hoppins junger Hund siegte. Erst spät am Nachmittag fand das Hauptereignis statt.
In den Koppeln hinter »Des Grenzers Tochter« wuchs der Lärm der Menge um das Zehnfache, und das Gebrüll der Buchmacher verdoppelte sich.
»Hier bin ich, meine Herren! Hier bin ich! Der alte Jack, den Sie alle kennen. Großzügige Odds, und das Geld Ihnen sicher ... Bob! Wieviel auf Bob? Halte sieben gegen vier für den Grauen – gleich gegen gleich auf Rot! Fünf zu eins weniger zwei! Wette jede Summe!«
*
Jenseits des Flusses in der Nähe des Starts hat sich die auserlesenste Schar von Schäferhunden, die man je zusammen gesehen, versammelt.
»Dergleichen ist mir noch nie vor Augen gekommen, und ich habe schon fünfzig Turniere mitgemacht!« lautet Pastor Leggys Urteil.
Dort neben seinem Herrn, das Ziel aller Augen, steht Old Bob. Mit geschmeidiger Reverenz, die wehende Silberrute und den dunklen Kopf stolz erhoben, mustert er seine Gegner. Jener schäbig aussehende, schlanke, terriergleiche Schwarze ihm gegenüber ist der unüberwindliche Pip, der Sieger in dem Cambrischen Preis von Llangollen – wie manche behaupten, der beste aller guten Hunde, die je aus dem schafreichen Wales gekommen. Neben ihm der herrliche schwarze Collie mit dem unergründlichen Fell und dem weißen Streifen quer über Kopf und Hals ist der berühmte Mac Callum More, frisch angekommen von seinem Sieg in den schottischen Hochlandturnieren. Der grauhaarige Stummelschwanz mit den hohen kräftigen Beinen, dessen blaue Augen durch einen förmlichen Vorhang zottiger Haare blinzeln, ist der Champion der Schafzüchter von Hampshire und Sussex: Sir Galahad, und jene wolfsgleiche Black- und Tan-Hündin, auf die die Yorkshire-Leute wetten, als hätten alle sie in ihr Herz geschlossen, ist Jeß, die, wie es heißt, sogar einen Hasen im Lauf einholen kann. Neben diesen sind da noch Tuppers großer blauer Rasper, Londesleys Lassie und viele andere, allzu viel, als daß man sie aufzählen könnte: große und kleine, stolze und unscheinbare, glatte und rauhe – darunter auch nicht ein einziger minderwertiger Hund.
Und ganz allein mit dem Rücken gegen die anderen steht eine kleine gebeugte, auffallende Gestalt – Adam M'Adam, und neben ihm der mächtige Köter, die personifizierte Wut und Herausforderung, der Rote Will, der Schrecken der Grenzlande.
Der Schwanzlose Köter hatte bereits die Kriegsflagge gehißt. Denn Mac Callum More faßte, als er sich diesem einsamen großen Gegner näherte, um ihn genauer kennen zu lernen, auf der Stelle gegen ihn eine unüberwindliche Abneigung und stürzte sich auf ihn mit der ganzen Wut eines schottischen Hochlandräubers, der zunächst einmal kämpft und danach erst Rede steht. Der Rote Will hatte sich ihm mit stummer wölfischer Gier entgegengeworfen; gleichzeitig jagte der stummelschwänzige Rasper herbei, um sich dem Kampfe anzuschließen, und in der nächsten Sekunde hätten alle drei zu einem Knäuel verstrickt dagelegen, wäre nicht M'Adam noch gerade zur rechten Zeit dazwischengefahren.
Einer der Richter kam hastig herbeigelaufen.
»Mr. M'Adam,« rief er zornig, »falls Ihr Köter da noch einmal zu raufen anfängt, will ich Hans heißen, wenn ich ihn nicht disqualifiziere.«
Eine dunkle Blutwelle überflutete dumpf des Kleinen Mannes Gesicht. »Hierher, Willie!« befahl er, »wenn der Hochlandsköter dich noch einmal angreift, sollst du disqualifiziert werden.«
Keiner achtete auf ihn. Das Ringen um den Pokal hatte seinen Anfang genommen, und der kleine Pip eröffnete den Tanz.
Am jenseitigen Hange war das Stimmgewirr verstummt. Hausierer ließen ihre Waren, Buchmacher ihre Stände im Stich. Aller Augen folgten gespannt den sich bewegenden Gestalten von Mensch, Hund und Schafen auf dem gegenüberliegenden Ufer des Flusses.
Ein Wettbewerber nach dem anderen löste die ihm gestellte Aufgabe und sammelte glücklich seine Schafe in der Hürde: nirgends ein Versagen. Und jeder erntete sein gerechtes Maß an Beifall, ausgenommen allein Adam M'Adam und sein Roter Will.
Als letzter von allen trabte Old Bob in die Schranken, seinen Titel zu verteidigen, und ein Brausen stieg auf, das über Maggies blasse Wangen die Röte der Freude ergoß und Klein-Anne laut aufjauchzen ließ.
Unvergleichlich war seine Leistung. Schafe sollen unmerklich geleitet, nicht getrieben werden, durch Überredung, nicht durch Zwang. Und jener Schäferhund steht auf der Höhe seiner Kunst, der sich selbst bezwingt und seine Schafe führt, indem er vorgibt, selbst geführt zu werden. Kein Wunder, daß bei diesem Schauspiel Stolz die Talmänner schwellte, daß wieder und wieder von Tammas' Lippen die abgedroschene Phrase erscholl: »Den Kopf eines Mannes und die Art einer Frau!«, daß die Menge vor Begeisterung brüllte und der Lange Kirby die Backen aufblies und mit dem Geld in seinen Taschen klimperte.
Genug, daß zum Schluß Pip, Old Bob und der Rote Will auserlesen wurden, den Kampf von neuem untereinander auszutragen.
Die Bahn wurde geändert und die Aufgabe erschwert. Am jenseitigen Ufer blieb alles beim alten: den Berg hinauf ging's, um die Flagge herum, dann wieder bergab und durch die Lücke im Wall, am Abhang entlang zwischen zwei Flaggen hindurch, eine Wendung nach links und zurück zu dem Fluß. Doch die Hürde wurde jetzt von dem früheren Platz weggerückt, über die Brücke getragen und am nächstliegenden Abhang zu Füßen der Zuschauer aufgepflanzt.
Eine heikle Aufgabe, falls es je eine solche gab, und die gewährte Frist zehn kurze Minuten.
Die Zuschauer stießen und drängten sich, um besser sehen zu können; und das mit Recht, denn jetzt begann die Vorführung des Höchsten an Leistungen von Schäfer und Schäferhund, was die dort Versammelten in ihrem Leben zu Gesicht bekommen sollten.
Evans Jones und der kleine Pip führten.
Diese beiden, die schon auf so mancher hart umstrittenen Arena gesiegt, arbeiteten Hand in Hand wie noch nie zuvor. Glatt und rasch wie eine Yacht in Southampton Water steuerten sie um die Flagge herum durch die Lücke im Wall und zwischen den zwei Flaggen hindurch – die schwierige Schwenkung wurde mit Glanz vollzogen – zurück zur Brücke.
Hier machten sie halt: die Schafe weigerten sich, den schmalen Steg zu überqueren.
Ein, zwei und ein drittes Mal brachen sie aus, und jedesmal trieb der feurige Pip mit hängender Zunge und bebendem Schweif sie wieder vor den Brückenkopf. Endlich gelangte das erste hinüber, das zweite folgte – und die Zeit war um. Ein Zeichen der Richter; der Walliser pfiff seinem Hund und zog sich zurück.
Außer Sichtweite jedes menschlichen Auges in einer Bodensenke setzte Evans Jones sich nieder und nahm den kleinen dunklen Kopf zwischen seine Knie, und des darf man sicher sein: des Hundes Herz war so schwer wie das seines Herrn. »Wir taten, was wir konnten, Pip,« sagte der Mann gebrochen, »aber sie haben uns geschlagen – das erstemal in unserem Leben.«
Keine Zeit, keine Zeit!
James Moore und Old Bob haben ihr letztes Rennen angetreten.
Diesmal kein Beifall, keine Stimme, die sich erhebt, nur sorgenvolle Gesichter, zitternde Finger, eine ganze Volksmenge, gestrafft wie gespannter Draht. Eine falsche Wendung, ein widerspenstiges Schaf, ein nörgelnder Richter, und der Graue Hund ist besiegt. Keiner unter ihnen allen, der sich dessen nicht bewußt wäre.
Jenseits des Flusses verrichteten Herr und Hund ihre Arbeit, so ruhig, so gesammelt, als gälte es, eine Herde Schafe auf der Moorspitze einzutreiben.
Augenblicks hatte der alte Hund seine Schafe gefunden, und von der ersten Sekunde an war es allen klar, daß es sich um ein wildes, aufgeregtes Trio handelte. Beim Umgehen der ersten Flagge versuchte ein helläugiger Widder ins Freie auszubrechen. Wohl war er flink, aber der Graue Hund war flinker: eine prachtvolle Parade, und ein Laut wie von einem Schluchzen seitens der tausendköpfigen Schar auf dem Hügel.
Den Abhang hinunter bis zur Lücke im Wall. Unterhalb des Durchgangs stellte sich James Moore auf, um die Tiere zum Wenden zu bringen. Hinter ihnen, in einiger Entfernung, verweilte Old Bob, dem Anschein nach sich führen lassend, statt zu treiben, jedoch jede Bewegung scharf ins Auge fassend, ja, ihr zuvorkommend, das eine Auge auf seinen Herrn, das andere auf die Schafe gerichtet, ohne sich zu übereilen, ohne sie zu verwirren und sie dennoch auf dem raschesten Wege zum Ziele führend.
Kein Wort, kaum eine Geste fiel; Herr und Hund arbeiteten: eine Seele in zwei Körpern.
Durch die Lücke hindurch, die Berglehne entlang, parallel mit den Zuschauern, einander in die Hände spielend wie Sportsleute beim Polospiel.
Ein kühner Bogen bis zu der Doppelflagge: die Schafe schwenkten wie auf Befehl, passierten und näherten sich eiligst der Brücke.
»Langsam!« flüsterte die Menge.
»Langsam, Mann!« murmelte Pastor Leggy.
»Bremsen, bremsen, um Gotteswillen!« krächzte Kirby heiser. »A–h–h, verdammt! ... Ich wüßt es ja! Hab's kommen sehen!«
Das Tempo bergab war rascher geworden, allzu rasch. Dicht vor der Brücke versuchten alle drei Schafe auszubrechen. Ein Sprung – zwei waren gerettet; allein das dritte sauste davon wie der Wind, ihm nach Old Bob, ein grauer Streif gegen das Grün.
Tammas fluchte leise; Kirby war bleich bis in die Lippen, und in dem Schweigen vernahm man deutlich der Talbewohner keuchenden Atem.
»Laufen? Sie sagen, er sei alt und langsam«, murmelte der Pastor. »Schneid? Man sehe sich das nur an!« Der Graue Hund jagte dahin wie der Nordost über das Meer und hatte den Flüchtling bereits abgefangen.
Mann und Hund drängten, lockten, schoben die drei Schritt für Schritt zur Brücke.
Das erste Tier nahm das Wagnis, die anderen folgten.
Mitten auf dem Steg zögerte der Leithammel und versuchte umzukehren; und die Zeit flog – flog; das Einpferchen allein würde mehrere Minuten in Anspruch nehmen. Manchen Mannes Hand war an seiner Uhr, aber keiner vermochte den Blick von der Gruppe zu seinen Füßen abzuwenden.
»Wir haben verloren. Ich hab' unsere Wette gewonnen, Tammas«, stöhnte Sam'l. Seit langem bestand zwischen diesen beiden eine Wette. »Hab' von jeher gewußt, wie's enden würde. Hab' dir immer schon gesagt, der alte Hund –«, er brach in brüllende Begeisterung aus, Purpurröte im ehrlichen Gesicht –: »Immer los, Bauer! Bravo, Alter! So ist's recht!«
Der Graue Hund war dem letzten Schaf auf den Rücken gesprungen; vorwärts schwankte es gegen das nächste, und alle drei waren hinüber und galoppierten unter donnerndem Applaus den Abhang hinauf.
Vor der Hürde angelangt, war es sehenswert, Schäfer und Hund zu beobachten – der Großbauer, ein wenig strenger und bleicher als sonst, mit beiden Händen die Schafe eintreibend; der Graue Hund mit großen funkelnden Augen, immer dicht an seiner Seite, kriechend, sich duckend, näher und näher schleichend.
»Sie sind drin! – Nein – ja – verdammt nochmal! Halt sie fest! Bravo, Alter! Ah –h –h! Sie sind wirklich drin!« erscholl es, als das letzte widerwillig in allerletzter Sekunde hindurchschritt.
Ein Brausen stieg aus der Menge auf; Maggies blasses Gesicht rötete sich, und die Talmänner wischten sich den Schweiß von den nassen Stirnen. Der Pöbel drängte vor, aber die Ordner hielten ihn zurück.
»Bitte zurück! Nicht drängen! Jetzt ist M'Adam dran!«
Vom jenseitigen Ufer beobachtete der Kleine Mann die Szene. Rock und Mütze hatte er abgelegt; sein weißes Haar schimmerte in der Sonne; er hatte die Ärmel aufgerollt, und sein Gesicht zuckte, während er in Bereitschaft wartete.
Endlich erstarb das Getümmel jenseits des Flusses. Einer der Richter nickte ihm zu.
»Los, Willie! Jetzt oder nie!« Und fort ging's.
»Zurück, meine Herren, zurück! 's hat angefangen! Er kommt! M'Adam kommt!«
Kein Wunder, daß sie lärmten und sich stießen, denn der mächtige Hund war, fast noch ehe sie wußten, was geschah, auf seine Schafe gestürzt; fort ging's im Sturmschritt, der Rote Will auf ihren Rücken. Den Abhang hinauf fegten sie, um die erste Flagge herum, alles im Galopp; den Berg hinunter nach der Lücke. M'Adam mit Windeseile voraus, um die Kehre zu nehmen. Doch wirbelsturmähnlich jagten sie an ihm vorbei, und mit einem Satz hatte der Rote Will sie überholt und brachte sie ganz allein zum Wenden.
»M'Adam gewinnt! Fünf zu vier für M'Adam! Ich wette gegen Bob!« durchschnitt eine klare Stimme das Schweigen.
Vorbei durch die Lücke rasselten sie, die Ohren zurückgelegt, Hufe blitzend, gleich den Schwingen aufgescheuchter Birkhühner.
»Er hat sie verloren! Sie brechen aus! Durchgebrannt!« gellte der Schrei.
Sam'l war halb auf ein Rad des Kenmuirer Wagens geklettert; jeder stand jetzt auf Zehenspitzen; Damen reckten sich in ihren Equipagen die Hälse aus; ja selbst Jim Masons Gesicht rötete sich vor Aufregung.
Die Schafe stürmten als weiße jagende Wolke den Abhang entlang, ihnen nach, wie ein Waterloorenner der Rote Will. Und als letzter von allen, in großen Sätzen, wie ein Wahnsinniger sich über den Boden schnellend, sauste der kleine weißhaarige M'Adam, nicht auf die Doppelflagge, nein auf die Plankenbrücke zu.
»Er hat verloren! Der Würger hat verloren!« brüllte eine mächtige Stimme.
»M'Adam gewinnt! Fünf zu vier für M'Adam! Ich wette gegen Old Bob!« erscholl die deutliche Antwort.
Der Rote Will jagte jetzt parallel mit den Flüchtlingen ihnen voraus. Alle vier folgten in wildem Tempo; die Flaggen leuchteten kaum zwanzig Meter entfernt. Um die Kehre zu nehmen, mußte eine rechtwinklige Schwenkung vollzogen werden.
»Er hat verloren! Hat verloren! M'Adam hat verloren! Er kann sie nicht mehr nehmen!« brauste es auf.
Von jenseits des Flusses gellte ein Schrei:
»Kehren, Willie, kehren!«
Und der mächtige Hund stürzte sich auf die fliehenden Drei. Die schwenkten, noch immer im Galopp, wie ein Trupp Kavallerie und passierten sauber und präzis die Flaggenöffnung; dann ging es weiter in Richtung des Flusses vorbei an M'Adam in einem Tempo, daß der Kleine fast stillzustehn schien.
»Gut gemacht, Willie!« schrie eine Stimme vom jenseitigen Ufer, und aus der Menge ertönte unwillkürlicher Applaus.
»Donnerwetter noch einmal!«
»Hast du das gesehen?«
»Bei Gott!«
Es war eine Schwenkung, die dem elegantesten Gespann der reitenden Artillerie zur Ehre gereicht hätte; den Bruchteil einer Sekunde später, und sie wären über das Ziel hinausgeschossen, einen Gedanken früher, und sie hätten es verfehlt.
»Er hat bisher noch keine zwei Minuten gebraucht. Wir haben verloren, meinst du nicht auch, Onkel Leggy ?« forschte Muriel Sylvester und blickte flehend zu dem Pastor auf.
»Es kommt nicht darauf an, was ich meine, Kind, sondern auf die Ansicht der Richter«, entgegnete nervös der Pastor.
Weiter, weiter, bis zur Mitte der Brücke stürmte der Leithammel und blieb urplötzlich stehen.
Oben am Hang unter den Zuschauern Totenstille, starre Blicke, verkrampfte Hände. Der Schweiß rann dem Langen Kirby übers Gesicht; im Hintergrund ein grünberockter Buchmacher ließ ein Notizbuch in die Tasche gleiten und blickte sich um. James Moore in der vordersten Reihe war der Ruhigste von allen.
Allein der Rote Will war unwiderstehlich. Wie sein Vorgänger sprang auch er auf den Rücken des letzten Schafes. Aber der Rote war schwer, der Graue leicht gewesen. Das Schaf taumelte, glitt aus und stürzte.
Fast noch ehe es das Wasser berührte, stand M'Adam brennenden Antlitzes und mit flammenden Augen im Fluß. In der nächsten Sekunde hatte er das sich sträubende Tier gepackt und es auf die Böschung halb geworfen, halb geschoben.
Abermals bewundernder Beifall, angeführt von James Moore.
Der Kleine Mann kletterte keuchend ans Ufer und jagte hinter Schafen und Hund her. Sein Gesicht unter der Schweißschicht war totenblaß; sein Atem kam in zitternden Stößen; die durchnäßten Hosen klebten ihm an den Beinen; bebend an allen Gliedern, war er dennoch unbesiegt.
Sie hatten die Hürde erreicht, und das letzte Ringen begann.
Die Menge, stumm und bewegungslos, reckte sich die Hälse aus und beobachtete das unheimliche Paar, das dicht zu ihren Füßen arbeitete. M'Adams Augen starrten in unnatürlichem Glanz; den krummen Körper vornübergeneigt, klopfte er wie ein Blinder mit dem Stab auf den Boden, lockte die Schafe hinein, während der Schwanzlose Köter mit hängender Zunge und keuchenden Flanken näher und näher schlich und kroch und sich heranarbeitete, geduldig wie nie zuvor.
Endlich waren sie geborgen.
Lauwarmer, flauer Applaus, dann Schweigen.
Erschöpft und zitternd lehnte sich der Kleine Mann gegen die Hürde; die eine Hand hatte er auf die Planken gelegt; sanft, mit noch immer keuchenden Flanken, leckte der Rote Will die andere. Dicht neben ihm stand James Moore mit dem Grauen Hund; oben ragte die schwarze Mauer schweigender Menschen; unten verglichen die Preisrichter ihre Anmerkungen. Fast konnte man in der Totenstille den stoßweise gehenden Atem der Menge vernehmen.
Dann näherte sich einer der Richter dem Großbauern und schüttelte ihm die Hand.
Der Graue Hund hatte gewonnen. Old Bob von Kenmuir hatte den Schäferpreis auf immer heimgebracht!
Sekundenlange bebende Stille: das hysterische Lachen einer Frau und ein tiefbrüstiger dumpfer Schrei zerriß die erwartungsschwangere Luft; Rufen, Brüllen, Hüteschwenken, Händeklatschen verschmolzen zu einem Getöse, davon die vielfach gewundenen Wasser der Silbernen Lea wieder und wieder erzitterten.
Old Bob von Kenmuir hatte für immer gesiegt.
Maggies Gesicht war dunkelrot geworden. Klein-Anne streckte ihrem sieghaften Bob die dicken Arme entgegen und schrie aus Leibeskräften; der Baron und der Pastor, beide mit erhitzten Backen, schüttelten einander triumphierend die Hände; der Lange Kirby ließ zum erstenmal seit dreißig Jahren ein Dankesstoßgebet zum Himmel aufsteigen. Sam'l Todd brüllte Tammas in die Ohren und hätte ihn mit seinen mächtigen Püffen fast umgebracht, während einige unter den Talbewohnern wie Trunkene lachten, andere gleich Kindern weinten, alle aber in das Siegesgebrüll einstimmten.
Dem kleinen M'Adam, der mit dem Rücken nach der Menge stand, kündigte jener Sturm von Hurrarufen seine Niederlage an.
Ein winterliches Lächeln, der Märzsonne vergleichbar, kroch über sein Gesicht.
»Wir hätten's wissen müssen, Willie«, murmelte er leise.
Die Spannung war zerrissen, die Schlacht verloren; es fehlte nicht viel, und er wäre zusammengebrochen. Hektisches Rot brannte auf seinem Gesicht; die Augen starrten weit aufgerissen, seine Lippen zitterten zum Erbarmen; er war dem Weinen nahe.
Ein alter Mann – völlig vereinsamt – hatte er alles auf diese letzte Karte gesetzt und – verloren.
Lady Eleanor bemerkte die verlassene kleine Gestalt abseits von dem tobenden Mob. Sie sah den Ausdruck auf seinem Gesicht, und ihr weiches Herz weitete sich in Mitleid mit dem geschlagenen Kleinen Mann.
Sie schritt auf ihn zu und legte die Hand auf seinen Arm.
»Mr. M'Adam«, sagte sie schüchtern, »wollen Sie sich nicht ein wenig im Zelt ausruhen? Sie sehen so müde aus.«
Rauh schüttelte der Kleine die Hand ab. Fast hätte ihn dieses unerwartete Mitgefühl überwältigt.
Nach wenigen Schritten wandte er sich noch einmal um.
»Es ist sehr gütig von Euer Gnaden«, sagte er heiser und wankte weiter seines Weges, allein mit dem Roten Will.
Derweil standen die Sieger wie zwei Felsen im Meer. Rings um sie wogte eine ständig wechselnde Menschenmenge, die dem Manne die Hand schüttelte und den Hund streichelte.
Maggie trug Klein-Anne herbei, um zu gratulieren; der Lange Kirby trat heran, Tammas, Saunderson, Hoppin, Londesley, Pastor Leggy – alle mit Ausnahme von Jim Mason; und jetzt bahnte sich der Baron mit den Ellbogen einen Weg durch den Haufen.
»Gut gemacht, James! Wahrhaftig, das haben Sie gut gemacht! Wußte ja, daß Sie siegen würden! Hab's Ihnen doch immer gesagt! Was?« Dann scherzhaft zu Old Bob: »Hab's gewußt, Robert, mein Alter! Müßtest eigentlich Robert der Teufel heißen – mußt aber ein braver Bursche sein – nicht wahr? Ach ja, da fällt mir ein! James, ich habe das jährliche Pächteressen im Schloß auf heute in vierzehn Tagen festgesetzt. Bitte sagen Sie's auch Saunderson und Tupper, ja? Möchte sie alle vollzählig haben.« Er tauchte in der Menge unter, hatte sich jedoch eine Minute später wieder zurückgekämpft. »Hab' noch was vergessen«, rief er. »Sagen Sie Maggie, bitte, Sie würden ihr vielleicht günstige Nachrichten zu überbringen haben, ja? Verstanden?« – und wieder war er verschwunden.
Als letzten von allen erkannte James Moore ein aufgedunsenes, bleiches Gesicht unmittelbar an seiner Seite.
»Muß Ihnen doch auch gratulieren, Mr. Moore. Sie haben uns geschlagen, Sie und Ihre feinen Herren Richter.«
»'s ging nur um ein Haar, M'Adam«, antwortete der andere. »Sie haben sich großartig gehalten. In meinem Leben habe ich keine bessere Kehre gesehen wie Ihre dort unten zwischen den beiden Flaggen. Ich hoffe, Sie tragen's mir nicht nach?«
»Nachtragen? Ich? Wie kommen Sie darauf? Nein, nein! Jedem das seine und noch 'n bißchen was drüber' ist mein Motto. Nein, nein, keinen Zweck gegen das Schicksal zu kämpfen, das Schicksal und die Herren Preisrichter! Na, viel Glück zu Ihrem Sieg! Am End kommen wir das nächste Mal dran.«
Im darauf folgenden Moment hatte ein anstürmender Menschenschwarm, geführt von Sam'l, den einen unsanft beiseite gestoßen und den anderen im lärmenden Triumph auf den Schultern davongetragen.
Beim Überreichen des Pokals übertraf Lady Eleanor sich selbst in einer liebenswürdigen Rede. Doch die ganze Zeit über verfolgte sie ein bleiches, todunglückliches Gesicht, und nicht einen Augenblick vermochte sie die zwei dunklen Punkte zu vergessen, die vor ihren Augen langsam den Schwarzmoorpaß hinauf sich bewegten – einsam, verlassen, ein harter Kontrast zu der hurraschreienden Menge.
*
Und so wurde der Champion-Turnier-Grenzpokal gewonnen – der weltbekannte Schäferpreis; so kam es, daß er nicht mehr zu wandern brauchte; gewonnen für ewige Zeiten von dem letzten der Grauen Hunde von Kenmuir – Old Bob, Sohn von Kampf.
Weshalb er der letzte seiner Rasse war, soll jetzt erzählt werden.