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Sechzehntes Kapitel

Ein Wahnsinniger

Im Schankzimmer zum »Sylvester-Wappen« ist Tammas aufgesprungen, er schwingt einen Maßkrug in der hocherhobenen Hand.

»Meine Herren!« – Röte steigt in dem alten Gesicht auf – »ich habe einen Trinkspruch auszubringen! Bitte aufstehen!« Die um das Feuer versammelten Talbewohner erheben sich wie ein Mann. Der Alte schwenkt immer noch seinen Krug, ohne des guten Biers zu achten, das auf den Boden tropft.

»Der beste Schäferhund des Nordens – Old Bob von Kenmuir!«

Augenblicklicher Tumult: klirrender Beifall der Bierkrüge, das Trampeln vieler Füße und Gerassel von Stöcken, die aneinander schlagen. Rob Saunderson und Jim Mason schreien mit den anderen. Tupper und Ned Hoppin brüllen einander in die Ohren; der lange Kirby und Jem Burton klopfen sich kräftig auf die Schulter; ja selbst Sam'l Todd und Totengräber Roß sind ihrer üblichen Melancholie entrissen.

»Auf den Alten! Auf unseren Bob!« lärmen viele Stentorstimmen, und Rob Saunderson ist auf einen Stuhl gesprungen.

»Ich trink' auf den besten Schäferhund des Nordens und auf den Schäferpreis – endgültig gewonnen, denn das wird er!« Sofort verdoppelt sich das Getöse.

»Auf den Grenzpokal und den Alten! Auf den Preis und auf unseren Bob! Hipp hipp hurra für die Grauen Hunde! Hurra für den besten Schäferhund, den es je gegeben und den's je geben wird! Hurra! Hurra!«

Es dauert eine ganze Weile, bis der Lärm sich legt. Langsam nehmen die Enthusiasten ihre Plätze wieder ein.

»Meine Herren!« Im Hintergrund hat sich ein kleiner Mann erhoben, den bisher niemand beachtet hat. Sein Gesicht steht in Flammen, und seine Hände zucken krampfhaft. Vor ihm mit gesträubtem Fell und gierig schimmerndem Kiefer steht ein riesiger rotgrauer Kriegshund.

»Wer wagt es, diese Lüge zu wiederholen?« ruft der Kleine Mann.

»Lüge?« kreischt Tammas. »Lüge? Ich geb' ihm die Lüge zurück. Laßt mich an ihn 'ran, sag' ich!«

In seiner Wut wäre es dem Alten beinah geglückt, den ihn umringenden Kreis von Stühlen zu überklettern, ehe Jim Mason von der einen und Rob Saunderson von der anderen Seite ihn zurückrissen.

»Immer ruhig Blut, Mr. Thornton«, beschwichtigt ihn Rob. »Lassen Sie ihn doch laufen. Sie werden sich doch nicht über seinesgleichen ärgern?« Er deutet verächtlich mit dem Daumen nach der einsamen Gestalt hinter seinem Rücken. Widerstrebend sinkt Tammas auf seinen Stuhl zurück.

Der Kleine Mann schweigt, er wartet, daß jemand seine Herausforderung annehme. Umsonst. Als er die lange Reihe breiter, gleichgültiger Rücken mustert, lächelt er bitter.

»Sie wagen es nicht, Willie, kein einziger von ihnen hat den Mut. Es sind ihrer ein, zwei, drei, vier ... elf Mann, Willie, und doch wagen sie's nicht. Volle elf Mann und jeder einzelne eine Memme. Der lange Kirby – Thornton – Tupper – Todd – Hoppin – Roß – Burton und die anderen, und kein einziger, der nicht größer wäre als ich, und doch – na, wir hätten's uns ja denken können. Wir müßten inzwischen wissen, was an den Engländern dran ist, sie sind sich alle gleich und immer gleich gewesen. Nichts als Lügen, pechschwarze Lügen –«

Tammas ist wieder halb vom Stuhl hochgefahren und wird nur noch mit Gewalt von zwei Seiten zurückgehalten.

»Und sie haben nich' mal den Mut, 'ne Lüge zu vertreten. Engländer seid Ihr, jeder einzelne Mann von Euch! Engländer bis auf die Knochen!«

Des Kleinen Mannes Stimme hat sich zu einem Schluchzen gesteigert. Er reißt einen Humpen an sich. »Engländer, Ihr!« schreit er, den Krug schwenkend. »Ich weiß einen anderen Toast! Auf den besten Schäferhund, der je eine Herde getrieben – auf Adam M'Adams Roten Will!« Das Gefäß an seinen Lippen, betrachtet er funkelnd die Versammlung. Keiner antwortet.

»Willie, auf dein Wohl! Viel Glück und 'n langes Leben, mein Freund! Tod und Vernichtung deinen Feinden!« Er hebt den Humpen und leert ihn bis zur Neige.

Dann wendet er sich noch einmal hochaufgerichtet an das Publikum.

»Und jetzt warne ich euch alle, ein letztes Mal, und ihr könnt es James Moore wiedererzählen: mag er sich verschwören gegen meinen Willie und mich, mag er uns noch so sehr drohen, mag er meinetwegen für seinen grauen Teufel da den Pokal gewinnen – noch nie hat es Mann oder Hund gegeben, die Adam M'Adam und seinem Roten Will was zu Leide taten, ohne daß sie's bereut hätten, daß ihre Mutter sie je geboren.«

Gleich darauf marschiert er, begleitet von seinem Schatten, zur Tür hinaus.

Jetzt erst wagt Rob Saunderson die Bemerkung: »Der Kleine ist verrückt – er wird vor nichts zurückschrecken.« »Nein, nicht einmal vor einem Mord«, lautet Tammas' Antwort.

M'Adam ist in letzter Zeit recht alt geworden. Sein dünnes Haar ist jetzt schneeweiß: seine Augen gleichen Flammen, und seine Hände zittern unablässig wie in dauerndem Schmerz. Nach des Grauen Hundes zweitem Sieg war er finster und trübsinnig geworden. Zu Hause pflegte er oft stundenlang stillzusitzen, zu trinken und auf den Platz zu starren, wo einstmals der Pokal gestanden hatte. Mitunter unterhielt er sich in leisem, unheimlichem Flüsterton mit dem Roten Will, und einmal hatte David, als er sich plötzlich umdrehte, seinen Vater dabei ertappt, wie er ihn mit einem Ausdruck anfunkelte, daß dem Burschen das Blut in den Adern gerann. Die zwei sprachen jetzt kein Wort mehr miteinander, allein David empfand diese heimliche, tödliche Feindschaft weit schlimmer als den früheren nie endenwollenden Krieg.

Nicht anders benahm sich M'Adam in dem »Sylvester-Wappen«. Stets saß der Kleine Mann abseits mit seinem Roten Will; ohne mit irgend jemandem zu sprechen, trank er, brütete er über dem ihm angetanen Unrecht und raffte sich nur von Zeit zu Zeit zu unerwarteter, verzweifelter Beredsamkeit auf.

Andere Leute noch als Tammas Thornton kamen zu der Überzeugung, daß M'Adam vor nichts zurückschrecken würde, um James Moore oder den Grauen Hund zu vernichten. Sie sagten, Alkohol und Enttäuschungen hätten ihm den Kopf verdreht, er sei wahnsinnig und gefährlich. Am Neujahrstage schien die Krisis ihren Höhepunkt erreicht zu haben; das Gerücht ging um, er habe in der Dämmerung des abendlichen Schneetreibens mitten auf der Hauptstraße sein Messer gegen den Großbauern gezückt, sei aber ausgeglitten, ehe er seinen heimtückischen Vorsatz auszuführen vermochte.

Pastor Leggy bekannte offen, er würde froh sein, wenn der letzte große Kampf erst vorüber wäre und James Moore den Preis entweder endgültig gewonnen oder für immer verloren hätte. Er sehne sich nach keiner cause célèbre in seiner Gemeinde; Überschriften in Riesenlettern: »Mord auf den Mooren – Von einem Hunde zu Tode gehetzt – Die Ansichten des Geistlichen – Etwaige Vermutungen!« Um Gottes Willen, nein.

Vor allen Dingen aber quälte David nie weichenwollende Furcht. Er hatte seinen Vater im Trunk in der Totenstille der Nacht schreien und toben hören, hatte gehört, wie er Gottes Rache auf seine Feinde herabbeschwor und ihn anflehte, sie durch eine fürchterliche Katastrophe zu vernichten; das hatte er gehört, und er fürchtete sich. Der Bursche ging so weit, seinen Freund vor seinem Vater zu warnen. Allein der Großbauer lächelte nur finster.

»Ich danke dir, Junge, ich danke dir. Aber ich glaube, wir können uns schon selbst beschützen, Bob und ich, nicht wahr, Alter?«

Trotz seiner Besorgnis fühlte sich David nicht darüber erhaben, aus Maggies Befürchtungen einen gewissen Vorteil zu ziehen. Eines Sonntagabends begleitete er sie von der Kirche nach Hause, als er plötzlich vor einem kleinen Lärchengehölz entsetzt ausrief: »Um Gottes Willen, was ist das?«

»Was denn, David?« stieß das Mädchen hervor und schmiegte sich zitternd an ihn.

»Weiß selbst nicht genau. Es kann was sein, es kann aber auch nichts sein. Aber halt' nur meinen Arm fest, ich faß dich dann um die Taille.«

Maggie protestierte.

»Siehst du denn etwas?« forschte sie, immer noch aufgeregt.

»Ja, dort hinter der Hecke.«

»Wo denn?«

»Dort«, meinte er vage.

»Ich seh' aber nichts.«

»Dort, dort, Mädel. Siehst du's nicht? ... Lehn' deinen Kopf nur an meinen, so, ein bißchen dichter!« – und gekränkt fügte er hinzu: »Was ist nur in dich gefahren, Mädel? Benimmst dich, als hätt' ich den Aussatz.«

Aber das Mädel stolzierte davon, den Kopf so hoch erhoben wie der schneeige Scheitel der Moorspitze.

»In all meinem Leben geh ich nie wieder mit dir zur Kirche, David M'Adam.«

Die so nahe liegende Antwort ließ sich unmöglich vermeiden. »Das wirst du wohl müssen, ein einziges Mal wenigstens«, entgegnete er leise.

Sie fuhr herum in prachtvoller Empörung. »Was wollten Sie damit sagen, Mr. M'Adam?«

»Du weißt's ganz genau, Mädel«, erwiderte er, schafsdumm und verlegen von einem Fuß auf den anderen tretend.

Sie musterte ihn vom Scheitel bis zur Zehe und von unten bis oben.

»Nie wieder red' ich ein Wort mit Ihnen, Mr. M'Adam, und wenn's noch so lange dauern sollte ... Nein, danke, ich kann allein nach Hause finden, ich will mit Ihnen nichts mehr zu schaffen haben.« So marschierten sie nach Kenmuir, einer hinter dem andern, wie eine große Dame mit ihrem Lakaien.

Davids Kühnheit hatte bereits mehr als einmal fast zu einem Bruche geführt. Der Vorfall hinter der Hecke setzte seinen Unverschämtheiten die Krone auf. Das konnte man sich nicht mehr gefallen lassen, und Maggie ließ es ihn deutlich merken.

David ertrug des Mädchens neues Verhalten ganze zwölf Minuten, nach der Küchenuhr. Dann: »Maulen? Mit mir? Dir werd' ich's schon zeigen!« Er stelzte zur Tür hinaus. »Nie wieder betret' ich ihre Schwelle, mein Wort darauf!« Später jedoch gab er insofern nach, als er seine Besuche in Kenmuir fortsetzte; er achtete jedoch sorgfältig darauf, die reizende Sünderin von seiner Gunst auszuschließen, und sie, ihrerseits, ging mit erhobenem Kinn, ganz rosige Verachtung, ihren Obliegenheiten nach.

*

Der Verdacht, daß M'Adam irgendwelche Ränke gegen James Moore schmiede, wurde dadurch bestärkt, daß man zu verschiedenen Gelegenheiten in der herben Dämmerung eines Januar-Nachmittags eine kleine, heimliche Gestalt die Nebengebäude von Kenmuir umstreichen sah.

Das eine Mal ertappte Sam'l Todd den Kleinen Mann auf frischer Spur. Sam'l packte ihn und trug ihn buchstäblich den Abhang hinunter an den Fluß, wobei er ihn die ganze Zeit sanft schüttelte. Am anderen Ufer stellte er ihn wieder auf die Füße.

»Erwisch' ich dich noch einmal beim Herumschleichen auf unserem Hof, Kleiner«, ermahnte er ihn mit warnend erhobenem Zeigefinger, »dann nehm' ich dich und schmeiß dich in den Schafsteich, verstanden? Hätt's schon längst getan, wärst du ein bißchen größer und jünger. So bist du mir ein gar zu erbärmlicher Brocken. So, und nun mach', daß du nach Hause kommst.« Und der Kleine schlich davon. Eine ganze Weile ließ er sich nicht wieder blicken. Dann, eines Tages, als sie die Runde durch Scheunen und Schober machten, merkte James Moore, wie Old Bob an seiner Seite stehen blieb und sich straffte.

»Was ist denn, Junge?« flüsterte er, innehaltend. Er ließ seine Hand auf des alten Hundes Nacken fallen und fühlte, wie darunter langsam eine Halskrause wuchs.

»Immer ruhig, Junge, immer ruhig. Was ist denn los?«

Er spähte in den dunkelnden Abend und entdeckte endlich die wohlbekannte kleine Gestalt zwischen zwei Heuschobern in eine Ecke gedrückt.

»Du bist's, M'Adam!« rief er, beugte sich vor und packte wie mit Eisenklammern eine Strähne von Old Bobs Fell.

Und mit mächtiger Stimme, zu seltenem Zorn fortgerissen, fügte er hinzu: »Hinaus mit dir, eh' ich dir noch was antue, elendes, spionierendes Geschöpf! Mußt du warten, bis es dunkel wird, um dich zu verstecken, Feigling, ehe du's wagst, hier um mein Haus zu schleichen, die Weiber zu erschrecken und deinen Teufeleien nachzugehen? Wenn du mir was zu sagen hast, so komm wie ein Mann am hellichten Tag ... Jetzt pack' dich, bevor ich dich in den Klauen halte!«

Ragend, gewaltig, eine drohende Gestalt stand er dort in der Dämmerung, die eine Hand deutete auf die Tür, die andere klammerte sich immer noch an des Grauen Hundes Fell. Eilig polterte der Kleine Mann im Zwielicht zum Hoftor hinaus.

Auf der Plankenbrücke wandte er sich noch einmal um und drohte mit der Faust zu dem dunkelnden Haus hinüber. »Gott verfluche dich, James Moore!« Es klang wie ein Schluchzen. »Wir werden noch einmal quitt.«


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