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Fünftes Kapitel

Die erste Abfuhr

»Du und ich, Willie, du und ich. Du für mich; ich für dich – so soll's sein, das ist klar.« Und der junge Hund war anscheinend durchaus einverstanden, denn er schickte sich von jetzt an in sein Los; vielleicht erkannte er darin auch die Stimme des Schicksals.

Von jetzt an schienen Adam M'Adam und sein Roter Will gleichsam miteinander verwachsen. Ihr Bündnis wurzelte im gemeinsamen Menschenhaß, ihr Ausblick in die Welt war scheelsüchtig, ihre gemeinsame Verbissenheit herzwärmend.

Die beiden wurden unzertrennlich; der kleine Hund hatte seine Treue restlos, ungeteilten Herzens, auf M'Adam übertragen und stand gesträubten Haares über seinem neuen Herrn, wie er es bei dem alten getan. Ja, einmal in dem »Sylvester-Wappen« griff er den Langen Kirby mit so kaltblütiger, furchtloser Wut an, daß der riesige Gegner völlig in die Flucht geschlagen wurde und Tammas und seine Zechgenossen eine Woche lang, wenn das Gespräch darauf kam, sich die Seiten hielten.

Zahlreich waren die Geschichten, die David in Kenmuir von jenem streitbaren Stückchen Leben erzählte; von jenes Köters Wolfsnatur, von seiner Treue gegen seinen Herrn und seinem bereits unverbrüchlichen Haß gegen ihn, David. Sehr bald führte diese gegenseitige Abneigung zu dem unvermeidlichen Ergebnis. Eines Morgens wachte David davon auf, daß eine erbarmungslose Pfote sich auf seine Nase preßte und ein schmutziger, rotbrauner Kopf Mord und Tod auf ihn niederfunkelte. Er schrie laut auf und machte sich mit Mühe frei. Versessen auf Blut, ging der Rote Will zu erneutem Angriff über. Ein Handgemenge entstand, in das M'Adam, notdürftig bekleidet, hineinplatzte. Er geriet sofort in maßlose Wut, riß den Hund an sich und verprügelte David nach Noten; schließlich erließ er als wirksamere Strafe ein Verbot auf unabsehbare Zeiten gegen des Knaben Besuche in Kenmuir.

Es war an dem darauffolgenden Tage, daß James Moore zum erstenmal mit dem Roten Will zusammentraf. Er wollte gerade über die Plankenbrücke unterhalb der Farm; Old Bob und eine Herde Schafe gingen ihm voran, als auf halbem Wege zwischen beiden Ufern der Graue Hund innehielt und in kalter Ablehnung erstarrte.

Der Großbauer folgte ihm und entdeckte im Schatten der Brücke M'Adam, der mit seinem kleinen, roten Köter spielte.

»Was macht Ihr dort, M'Adam?« fragte er scharf, fest entschlossen, nicht zu dulden, daß der kleine Mann auch nur einen Zoll breit von der Landstraße abwiche, die quer durch Kenmuir führte.

M'Adam blickte auf und lächelte unschuldsvoll.

»Ich wart' auf den lieben Buben«, lautete die Antwort.

»Ich dachte, Ihr hättet ihm verboten, dieses Weges zu kommen?«

»Hab' ich auch; rundweg verboten. Deswegen bin ich ja hier.«

Der Bauer war verwirrt; sein Gesicht bewies es.

»Die Sache ist sehr einfach,« fuhr der andere fort. »Wünsch' ich mit David ein Stelldichein, dann sag ich nur: ›David, hiermit verbiet ich dir ausdrücklich, zu dieser oder jener Stunde an diesem und jenem Ort zu sein.‹ Und dann geh ich 'ne Weile vorher hin und versteck' mich, und wenn er vorbeikommt, spring ich heraus mit 'nem Lächeln auf dem Gesicht und der echten Vaterliebe in den Augen und 'nem Stock in der Hand und rufe: ›Schau? David, wie geht's dir denn heute?‹ Und dann unterhalt' ich mich mit ihm ein Weilchen.« Er lächelte zärtlich in süßer Erinnerung und bog die frische Eschengerte zwischen den Fingern.

James Moore tat, als verstünde er nicht.

»Ist das des Toten Hund?« fragte er und deutete mit dem Kopf nach dem Roten Will, der auf den Rand der Böschung geklettert war und giftig Old Bob und die auf der oberen Wiese weidende Herde musterte.

»Nein,« sagte der kleine Mann, tabakkauend.

»Wie seid Ihr denn zu ihm gekommen?«

»Fand ihn zu meinem Geburtstag in meinem Strumpf. Wahrscheinlich ein Geschenk von meinem kleinen David an seinen alten Papa.«

»Schon wieder gelogen!« gellte eine schrille Stimme den Abhang hinunter.

M'Adam stand auf und blickte sich um; keine Menschenseele!

»Vielen Dank, lieber Bub, vielen Dank!« rief er freundlich. »Ich werd's dir nicht vergessen, nur keine Angst ah, James Moore« – er wandte sich an den Großbauern – »ich werd' schon die Spuren meiner Hand an meinem Sohne zurücklassen, so gut wie nur je ein Vater das tat.«

Allein James Moore war inzwischen den Berg hinauf seinen Untergebenen zu Hilfe geeilt, denn die Herde dort oben war jählings in Aufruhr geraten. Die Schafe drängten sich auf dem Sprunge zur Flucht in ängstlicher, hemmungsloser Unordnung zusammen, während kreuz und quer durch ihre Reihen, knurrend, beißend und reißend, raketengleich eine kleine, tückische Gestalt sauste. Ohne die Autorität des grauen Führers, seine rasche Geistesgegenwart und seine gebieterische Haltung hätte Panik sich des ganzen Packs bemächtigt.

»M'Adam!« – der Bauer warf es über seine Schulter zurück – »Euer Hund ist unter meinen Schafen.«

»Macht nichts,« entgegnete der Kleine, den unvermeidlichen Knaster weiterkauend, »sie werden ihm schon nichts tun.«

In diesem Augenblick brach ein Bock aus und jagte den Berg hinunter. Dicht hinter ihm, in roter Zerstörerwut, stürmte ein schwanzloser, winziger Köter. Eine Sekunde Pause, dann des Großbauern scharfes Kommando, und eine graue Gestalt schäumte auf gegen das Grün. Blitzschnell hatte der Dritte im Tanz den Verfolger überholt und sich dem Verfolgten, der grade über die Plankenbrücke rasselte, an die Fersen geheftet. Im nächsten Moment schnitt er dem Flüchtling den Weg ab und trieb ihn auf die Brücke zurück. Jetzt aber versperrte ein kleiner roter Kämpe jenem die Bahn, fest entschlossen, den Übergang gegen jeden zu halten.

M'Adam kicherte.

»Ich wette, der Graue kriegt ihn gegen meinen kleinen Will nicht 'rüber!« rief er.

»Jammerschade, sie aufzuhetzen; sind doch Nachbarn«, antwortete der Bauer.

»Ah-h! Ein couragierter Mann, James Moore!«

Der Hohn stachelte den anderen zu widerwilliger Zustimmung auf.

»Wie Ihr wollt. Aber merkt es Euch! Ein Grauer Hund vergißt nie.«

»Merkt es Euch! Mein Roter Will verzeiht nie.«

»Es sei.«

Also leichtfertig ward jene Fehde ins Leben gerufen, die jahrelang währen und ein Menschenherz brechen, zwei andere aber fast zerspringen lassen sollte.

Jetzt gesellten sich noch Tammas und Sam'l dem anderen Paare zu; die Mauer krönte eine einzige Reihe von Köpfen – die von David, Maggie und anderen: schweigend gespannt auf das Treffen, das sich in der grünen Arena abspielen sollte.

Die Herausforderung war angenommen: der Zweikampf begann.

Am Brückenkopf hielt der Bock inne und blickte zur Seite. Trotzig knurrend setzte der Rote Will zum Angriff an. Der Bock versuchte zurückzuweichen. Vergebens: der Graue Hund zwang ihn vorwärts, sanft, unerbittlich, gleich treibendem, würgendem Schnee.

Endlich wurde der Druck im Rücken unwiderstehlich. Unter tausend Ängsten unternahm der Bock den Versuch, ward auf derselben Stelle von der gelben Bombe angegriffen und machte jämmerlich blökend kehrt.

M'Adam war in Ekstase.

»Ich sagt' es ja! Ich sagt' es ja! Gut gemacht, Willie! Laß ihn nicht durch, Junge! ›Kommt nur heran!‹ sagt er. ›Alle, alle miteinander, Engländer Ihr, kommt nur heran!‹ – So ist's brav, Willie – ha, ha!«

Dreimal trieb der Graue Hund seinen Pflegebefohlenen auf das Hindernis zu; dreimal scheute der Feigling im Schafspelz. Nach dem dritten Versuch änderte Old Bob seine Taktik und eroberte selbst die Brücke.

M'Adams Ekstase nahm ein jähes Ende.

»Er wird doch meinem kleinen Will nichts tun? Er wird's nicht wagen!« murmelte er, ganz Angst, auf Zehenspitzen.

»Er ist arg gutmütig«, meinte der Großbauer.

»Er ist'n arger Feigling«, kläffte der andere.

Der mächtige Hund fegte über die Brücke, raffte das kleine, rotbraune Hindernis auf, wie die feindliche Welle einen Schiffsbug, und trabte den Abhang empor, geduldig, behutsam und liebevoll gleich einer großherzigen Frau, während der Rote Will in zappelnder Schmach zeterte wie ein boshaftes Kind auf den Armen der Mutter.

Tammas krümmte sich vor Lachen; der Bauer lächelte streng belustigt, und M'Adams Gesicht war zu gefährlicher Ruhe erstarrt. Der Graue Hund trabte zu ihm hin und legte seine Bürde dem kleinen Mann zu Füßen. Als Antwort schlug M'Adam brutal auf ihn ein, doch der stets wachsame Großbauer vereitelte seine Absicht.

»'s ist Eure eigene Schuld, M'Adam«, ermahnte er ihn. »Fair ist fair, so weit die Welt reicht«, und der Kleine beherrschte sich mit großer Mühe.

Jetzt machte sich der Graue Hund von neuem an seine Aufgabe. Flinkfüßig jagte er den Bock seinem Rubikon zu. Doch abermals stand mitten im Weg, zu weißglühender Wut erstarrt, der kleine Brückenposten.

»Du wirst's ihm noch zeigen, Willie! Angst hat er vor dir! Laß ihn nicht durch, Junge! Lieber sterben!« hetzte ihn die brennende Stimme vom Hügel her.

Wieder trottete der Graue Hund über die Brücke.

James Moore schwieg grimmig, Tammas kniff grinsend das eine Auge zu, Sam'l stöhnte, während M'Adam hart am Abgrunde eines Ausbruchs bebte.

»Hände weg, du Teufel!« murmelte er mit zuckenden Fingern. »Wagst du's, meinen Willie anzurühren? Nein, nein, hast nicht den Schneid dazu, wenn er auch nicht größer ist als deine eigene Pfote.«

Sein Gesicht stand in Flammen; seine Leidenschaft drohte, die Zügel zu zerreißen.

»Ich sag' Euch, M'Adam, 's ist Eure eigene Schuld«, tönte des Bauern harte Stimme an seiner Seite.

Zähnefletschend zog sich der Rote Will zurück, rückwärts den Hügel hinauf. Ebensogut hätte Achill den Blitz bekämpfen können. Der Graue Hund sprang zu, wich aus, überrannte den Feind, hob ihn mütterlich auf und wandte sich mit seinem Gefangenen in der Schnauze dem Flusse zu.

M'Adam warf einen einzigen Blick hinüber; dann sprengte er die Bande.

»Teufel«, brüllte er und sprang hinterdrein. »Mörder, elender, laß los! James Moore,« schrie er im Laufen zurück, »ruft ihn ab! Ruft ihn ab! Gottes Fluch über Euch!« Der Graue Hund schnellte in großen Sprüngen auf die Plankenbrücke zu, blieb in der Mitte stehen, beugte sich hinüber und ließ seine Bürde fallen.

Der weitschäumende Protest des Flusses ging in dem stürmischen und hohnvollen Applaus der Zuschauer unter, und auch der wurde von einem hohlen Aufplatschen übertönt, als M'Adam unter einem Wirbel von Gischt und Flüchen ins Wasser sprang.

In der nächsten Minute hatte er den jungen Hund gerettet und watete durch das aufgeregte, ihm bis zu den Hüften reichende Wasser an Land zurück. Der Rote Will hing als schlaffer, nasser Fetzen in seinen Armen. M'Adam hatte die Mütze verloren; sein Gesicht troff vor Schweiß; schonungslos trat hinter der nassen Kleidung die ganze Erbärmlichkeit seines physischen Menschen hervor; seine Augen glichen zwei glühenden Kohlen.

Er sprang ans Ufer, und sein Zorn entlud sich tornadoähnlich gegen den Grauen Hund.

»Zurück, sonst habt Ihr ihn an der Kehle!« schrie der Bauer. Der Kleine donnerte her an.»Zurück, sag' ich, Narr!« Und als der andere wuttoll weiterstürmte, streckte er seine sehnige braune Hand aus und schleuderte ihn zurück; gleichzeitig vergrub er die andere Faust wellentief in Old Bobs Nackenfell. Und er tat gut daran, denn flammte jemals entfesselte Kampfeslust in den grauen Augen, so flammte sie jetzt. Der kleine Mann taumelte, verlor das Gleichgewicht und überschlug sich. Bei dem Sturz schoß ihm ein Blutstrahl aus der Nase und schlang um sein Kinn zwei rieselnde, rote, rinnende Bänder, während der Rote Will in weitem Bogen zur Erde sauste und betäubt liegen blieb. Eine Sekunde lang saß M'Adam starr, auf seine Ellbogen gestützt; dann sprang er auf die Füße, gespenstergraue Flecken auf den Wangen und die Blutrinnen um das Kinn.

»Gottes Fluch über Euch!« heulte er. »Gottes Fluch über Euch feigen Engländer!« Er schleuderte dem Bauern die Worte an den Kopf.

Hier mischte sich Sam'l ein.

»Immer ruhig, Kleiner!« Abwehrend hielt er ihm eine riesige Faust entgegen. »Bist eine fauchende Wildkatz', wahrhaftig.«

James Moore stand schweratmend, die Hand immer noch in des Grauen Hundes Fell.

»Hättest du ihn angerührt,« keuchte er, »er würde dich zerfleischt haben, noch eh' ich ihn hätte zurückreißen können. Es ist für keinen Menschen gut, er sei denn ein Moore, sich mit 'nem Grauen Hunde einzulassen.«

»Bei Gott, das stimmt«, bestätigte Tammas aus seiner sechzigjährigen Erfahrung. Man weiß es weit und breit: ein Moore kann einem Grauen Hund lebendig das Fell über die Ohren ziehen, aber kein anderer darf seiner auch nur zu spotten wagen.

Der kleine Mann wandte sich ab.

»Ihr seid alle gegen mich!« sagte er mit leiser, schulternder Stimme und beugte sich über den Roten Will, der wie tot zu seinen Füßen lag.

Bei der Berührung von seines Herrn Hand öffnete der junge Hund die Augen und funkelte den Grauen und die ihn umringende Gruppe in tödlichem Haß an.

Der kleine Mann nahm ihn zärtlich auf und schritt wieder zur Brücke. Auf halbem Wege machte er halt. Die Planke unter ihm zitterte wie im Fieber; er selbst bebte in einer Art Schüttelfrost.

»Mann, Moore!« Mühsam suchte er seine Stimme zu meistern, »an Eurer Stelle tät ich den Hund erschießen.«

Jenseits der Brücke drehte er sich ein letztes Mal um; sein Gesicht war grau, die trüben Augen schwelten; Blut tropfte von seinem Kinn; in den Armen hielt er behutsam das triefende, rote Teufelsbalg.

»Mann, Moore!« rief er noch einmal – Pause ... »Ihr sollt diesen Tag nicht vergessen!«


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