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In diesem Herbst voll Gold und Nebel geht Laure des Morgens oft ins Luxembourg, wo Bäume und Blumen ihren bunten Tod sterben. Der Himmel ist hoch und bleich von verschleiertem Blau, wie man es in den Bergen sieht, und ein strahlenloses Licht, goldig fließend wie Honig, überfließt die großen Kastanienbäume, die mit ihren schwarzen Stämmen und den lodernden Ästen halb verbrannten Fackeln gleichen.
Laure geht an dem entblätterten Rosenbeet vorbei, wo unter dem unbeweglichen Aufschwung der bronzenen Läuferfiguren die letzte Rose verblüht.
In den gelichteten Alleen jagen ihre Schritte die Blätter auf, die am Sterben sind.
Zu dieser Stunde ist der Park noch nicht überlaufen. Laure wird die Ecke für sich allein haben, wo die weißen römischen Kamillen und die gelben Astern blühen, wo der Wind mit einem Wasserfaden über einem bemoosten Becken spielt, wo eine Taube, grau und rosa, zum Trinken sich an den Steinrand klammert, der zusammen mit der klassischen Strenge der alten Bauten so romantische Melancholie weckt.
Laure bleibt einen Augenblick stehen und läßt den Blick über die Symphonie von Farben wandern, in der Trauer und Glanz zusammenklingen; dann geht sie weiter, ohne bestimmtes Ziel: mit müden, unsichern Schritten steigt sie die Steinstufen zur Terrasse hinan. Vor der Kuppel des Pantheons tanzt ein bronzener Faun in einer Allee, die wie ein löchriges Kirchenschiff wirkt. Laure setzt sich an die Brüstung unter die rostfarbenen Granatbäume, die purpurn blühten, als sie noch glücklich war.
Unter ihren Augen flecken Blätter den Rasen. Blätter treiben auf dem dunklen Wasser des Medicäerbrunnens, der von Efeubüscheln umkränzt ist; Blätter auf den verlassenen Bänken, in der Luft, wo sie umherschwirren wie Motten, die ein Licht berückt.
Laure sieht das große Becken, in dem eine niederfallende Wassergarbe verlaufende Kreise weckt. Weiter weg, hinter den grünen Kugeln der Orangenbäume in Kübeln und den entlaubten Büschen, die nachdenklichen Gestalten der steinernen Königinnen, unberührt inmitten des strahlenden Niedergangs. Noch weiter weg das Dickicht in schwarz und rot, dessen Zweige voll welker Blätter zarter gegen den Himmel stehen als Goldregen im Frühling.
Wie grau die alten Steine des Palastes sind unter diesem zärtlichen Himmel, in diesem schwimmenden Licht in der glückseligen Unordnung der verblühenden Beete zu ihren Füßen.
Waren jemals vor diesem Jahr des Schmerzes die Blumen so farbenprächtig und so von Sehnsucht getränkt? Der wandernde Strahl eines Springbrunnens besprüht von jeder Ecke des großen Beetes her in die Runde die großen roten und gelben Dahlien, die erbleichenden Skabiosen und den flammenden Salbei, ›der jeden Zauber bricht‹.
»Oh,« denkt Laure, »welche Blüte könnte den Zauber brechen, der auf mir liegt.«
Sie weint. Den Kopf zurückgeworfen auf die Lehne des unbequemen Eisenstuhls, schließt sie eifersüchtig die Augen vor der Schönheit der Dinge, vor ihrer Süße, die sie peinigt. Sie gießt ihr Herz aus wie ein Gefäß des Schmerzes. Sie spricht zu ihrer Liebe:
»Liebster, mein Freund, mein Meister, ist es wahr, daß du nicht wiederkommen wirst, daß du für immer gegangen bist, daß du mich aus deinem Leben gestrichen hast ? Ist es wahr, daß du dein Leben wieder aufnehmen kannst ohne Unruhe, ohne Reue, in gleichem Rhythmus wie einst, als ich noch nicht da war?
Ist das möglich?
Oh, ich möchte nicht klagen. Nicht aus Stolz, sondern aus Liebe, aus feiger und so zärtlicher Liebe. Ich war stolz, früher einmal, bevor du in mein Leben gekommen warst. Ich war sehr geschlossen in meinem Selbstbewußtsein, jetzt aber bist du alles, was ich auf Erden schätze. Ich brauche dich wie die Luft, wie das Wasser. Ich sterbe daran, daß ich dich nicht mehr sehen, dir die Hände entgegenstrecken, meine Stirn an deine Schulter lehnen kann.
Lieber, mein Liebster, bist du es, der mich so fest in den Armen gehalten hat, als hättest du Angst gehabt, daß ich dir wegliefe; bist du es, der mich geliebt, bedient, der mich die Liebe gelehrt hat?
Damals fürchtetest du soviel für mich: daß mir kalt sei, daß ich müde wäre, daß ich aufhören könnte, dich zu lieben. Jetzt liebe ich, und du läßt mich sterben.
Liebster, hör' mich, es gibt nichts, an dem ich nicht leide. Nichts mehr, kein Kleid, den Himmel nicht und nicht die Musik, was mir nicht Tränen und Asche ins Herz trüge. Dieses Kleid, weil du es geliebt hast, und jenes andere, weil du es nicht geliebt hast, und dieser Himmel, weil er so blau ist, und ein anderer, weil er grau ist, und das Lied, das du so oft gedankenlos geträllert hast, weil es so gut ins Ohr ging und das ich nun auf der Straße nicht mehr hören kann, ohne daß mir das Herz blutet.
Nichts gibt es mehr, kein schönes Ding, keinen schönen Gedanken, keine schöne Landschaft, keinen der flüchtigen Reize, die mein armseliges Leben zu bieten hätte, was mir nicht verleidet wäre, weil ich es nicht in deinen Augen, in deinem Lächeln, in deiner Stimme widergespiegelt finde. Kein Stein in den Straßen, die wir nebeneinander durchwandert haben, der nicht sein Gesicht hätte, seine Stimme, nicht das herzzerreißende Abbild wäre der Tage, die nicht mehr sind.
Ich schlafe fast nicht mehr, oder ich schlafe wie die Kranken einen durchsichtigen, ungewissen Schlaf, und ich erwache, um mein Leiden wiederzufinden, dieses Leiden, das ich liebe, weil es etwas von dir hat und von dem ich nicht genesen möchte.
Ich träume mich zu dir, sehr oft, fast alle Nächte, und fast immer im gleichen Traum. Du bist da, stehst neben mir, so lieb mit deinem Gesicht aus schönen Tagen, deinen lächelnden Augen, deinem liebkosenden Mund. Du beugst dich über mich, küßt meinen Hals, lang und zärtlich. Ich sage mir, ist es denn wahr, daß er zurückgekehrt ist, daß er wieder da ist, daß ich seine Liebe neu gefunden habe? Ich habe es erfahren, daß die Freude überwältigen kann so gut wie der Schmerz. Ich gebe dir mein Gesicht hin, mein unterwürfiges Herz. Kein größerer Jammer als das Erwachen. Allein in der schwarzen Nacht, allein in diesem Leben, das dein Weggang zur Wüste gemacht hat, zu einem Grab. Allein recke ich bis zum bitteren Morgen die Hände nach dem Traum, der mich flieht: dem flüchtigen, leichten Traum deiner Arme um meine Schultern, deiner Lippen auf meiner Wange.
Und doch hast du mich geliebt, geliebt und dann vergessen. Nein, könnte ich glauben, daß du mich vergessen hast, dann wollte ich auch versuchen, die Qual dieser Erinnerung zu unterdrücken.
Aber du hast mich nicht vergessen, ich sehe dich nicht mit gleichgültiger, feindseliger Miene vor mir. Ich kann es nicht, du hast nicht die Zeit gehabt, meiner Liebe müde zu werden. Und sie hat dich mit Rührung, Glück und Stolz erfüllt.
Auch deine Liebe hast du nicht erschöpft. Du hast mich begehrt, gewollt. Hast mich gesucht, warst immer auf meinen Wegen. Und du bist aufrichtig, ehrlich. Ach! was ist die Ehrlichkeit eines Männerherzens!
Du hast mir gesagt: ›Ich werde dein Freund bleiben!‹
Nun muß ich diese lächerliche Freundschaft suchen hinter deinem Schweigen, hinter deinem Fernsein. Niemand ist mir weniger Freund als du, ummauert von einem Willen zu vergessen und Gleichgültigkeit; und der zerstreuteste Zufallskamerad nimmt eifriger Anteil an mir, als du es merken läßt. Als du die letzten Male kamst, da glaubte ich, einen Leichnam vor mir zu haben. Einen Leichnam, den ich berührte und weinend küßte. Und dieser Mund, der mir einstmals so willig entgegendrängte, diese heftigen, zärtlichen Hände, die liebkosten – das alles war eisig. Ich stieß mir Kopf und Herz wund daran wie an dem bleiernen Deckel eines Sarges. War das ein Freund? In jenen Augenblicken dachte ich in meiner Verzweiflung, in meiner Ohnmacht, ›nein, lieber nichts, nichts als diesen Leichnam an meiner Seite, nach allem, was gewesen ist und was glühend wie in den ersten Tagen in mir weiterlebte. Nein, lieber die Trennung, und sollte sie auch dem Tod ähneln.‹
Aber Liebster, es ist nicht wahr, die Trennung, das Vergessen, der Tod deiner Liebe; du bist mein Freund. Könntest du nicht mehr mein Freund sein, mein Gefährte, mein Meister, mein liebes Gedenken?
Ich will dein Gesicht wiedersehen, und sollte ich mir davon das Herz zerreißen.«