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Das Glück der andern

Drei von uns, Laure, Regine und Maguy, haben bei Christiane zu Abend gegessen.

Christiane hat das Eigentum, aber nicht den Nießbrauch an einem rechtmäßigen Gatten, an einem Eßzimmer, das nicht ganz, aber doch fast Henri II ist, endlich an einem Mahagonizimmer und besitzt darüber hinaus, als Krone des Ganzen, den häuslichen Sinn und die platte Gemütsruhe, wie sie einer Frau zukommen, die ihren festen Platz im Leben hat.

Früher einmal, vor ihrer Ehe, die nun drei Jahre alt ist, hatte Christiane, als junges Mädchen, ihre Neugierde und ihre Wünsche, liebte die schöne Literatur und verstand auch etwas von Kunst. Im übrigen betonte sie Neigung zu allem Modernen und träumte von einem ›Studio‹ voll ungeheurer Kissen und niedriger Tische (diese möglichst rot) im gedämpften Licht aus Alabasterschalen.

Heute besitzt sie einen Salamander, dem ihr ganzes Mühen und Sorgen gilt; einen Deckenschmuck, der den Ziergirlanden unserer Großmütter zum Verwechseln ähnlich sieht; und auf ihrer Anrichte haben wir, mit unseren eigenen Augen, ein vergoldetes Tablett stehen sehen, das an den vier Ecken mit dem Kriegskreuz geschmückt ist, zu Ehren von Christianes Gemahl, der ein tapferer Soldat war.

Christiane steht ganz im Bann der häuslichen Pflichten, der Waschmaschine und des Kochgeschirrs. Sie weiß nicht mehr, wie man ein Buch hält. Neulich einmal hat sie gefragt, wer Signac und Mathisse wären.

»Ich habe die Zeit nicht ...«, seufzt sie. »Wenn man einen Mann hat, ein Heim ... Ihr habt es wohl gut, daß ihr euch so auf dem Laufenden halten könnt.«

In Wahrheit interessiert sie nichts mehr. Das Gefühl des Schönen packt sie heute nur noch vor den Wäschestößen in ihrem Schrank. Und sie weiß kaum noch eine andere Musik zu würdigen, als die des Suppentopfes, der auf dem gepflegten Herd leise brodelt.

Ein Fall von häuslicher Abstumpfung, wie er, so scheint es, bei jungen Ehefrauen recht häufig ist.

»Wollt ihr wissen, wie ich denke?« sagt Maguy auf dem Heimweg. »Ich verzeihe Christiane ihr Speisezimmer und ihre Suppenterrine nicht. Ein Speisezimmer, in unserer Zeit, das geht nicht! Und ich neide ihr ihr Glück nicht. Was für ein armseliges Leben! Ihr sollt sehen, daß sie es schließlich dahin bringt, ihren Mann zu vergrämen. Nicht genug, daß sie sich nicht erneuert, nicht bereichert – geht sie mit Haut und Haar in der ödesten Werkelei auf. Es ist wahrhaftig, als wäre sie in Schlick geraten.«

»Lucien scheint nichts dabei zu finden«, meint Regine. »Er scheint ganz zufrieden mit der häuslichen Brutwärme. Und dabei ist er doch recht hell und aufgeweckt.«

»Es kommt noch«, versichert Maguy mit Nachdruck. »Ich habe immer gesagt, daß die wahre Klippe jeder Ehe diese gefährliche Eingewöhnung beider Teile ist.«

Regine wirft ein:

»Das macht aber auch ihre Stärke aus ...«

»Sieh dir Christiane an«, schneidet Maguy kurz ab. »Sie ist nicht einmal mehr kokett. Sie trägt zu Hause kleine Schürzen, um ihre Kleider zu schonen. Diese kleinen Schürzen sind für mich das Sinnbild ehelicher Mittelmäßigkeit. Und ich sage euch noch einmal, Christiane wird sich die Liebe ihres Gatten nicht erhalten können.«

Laure sagt nichts. Sie geht wie im Traum vor sich hin.

Wir haben beschlossen, zu Fuß heimzukehren. Der Abend ist schön, und Christiane wohnt nicht sehr weit vom Quartier Latin, auf der Ile Saint-Louis.

Ein wenig abseits von ihren beiden Freundinnen träumt Laure von ihrer Liebe. In ihrem Kopfe summt es wie in einem Bienenkorb, sie möchte die Nacht ans Herz drücken. Und nichts scheint dem Überschwang, der Hingegebenheit dieses Herzens gewachsen – nicht der weite Nachthimmel, über den die Lichter von Paris rosigen Schein werfen; nicht der stumme Aufschwung der Kathedrale den Sternen zu; nicht die Seine, die dunkel und schwer, zwischen engen Bänken die Geschichte von Jahrhunderten hinwälzt.

... Christiane, Christiane ist glücklich.

Lucien ist da, bei ihr, immer. Sie kennt die Stunden, zu denen er heimkehrt, zu denen sie sicher ist, ihn erscheinen zu sehen; und der Zweifel, die Angst sind ihr fremd. Sie sind nicht Teil ihres Daseins. Ihr Glück ist maßvoll in längst vertraute Regeln gefügt. Sie wendet die Blätter des großen Buches, ohne Erregung, ohne Hast. Sie weiß, was sie darauf lesen wird. Sie findet die gleiche Freude daran: gestern, heute, morgen. Eine vertrauensvolle Freude, die nicht enttäuscht werden wird.

»... Mir ist mein eigenes Glück lieber, mein schönes Glück voll Ungeduld, Sehnsucht und Angst.

Und selbst die Zeiten der Trennung, während derer ich den doppelten Zauberkreis der vergangenen und der künftigen Stunden durchirre, wo jeder Tag voll Arbeit, Anstrengung, Einsamkeit ein kleiner Sieg ist, dem Fernesein abgekämpft, ein Schritt näher zu IHM. Diese Trennungszeiten, während derer ich nicht voll lebe, zu sehr belastet von Erinnerung, zu sehr erregt von Hoffnung, die mich doch befähigen, frisch und bereit wieder vor ihm zu erscheinen, ohne Spur der müden Abende auf meiner Stirne.

Er wird kommen. Die Minute wird in die gleichgültige Sanduhr des Raums verrinnen, wo die selige Qual der Erwartung aufhören, wo er in meinem Leben erstehen wird, ruhig gelöst in dem Willkommskuß, wie ein Raubtier über seiner Beute.

In dem Augenblick nichts zwischen uns als die Gewißheit unserer Liebe, unwiderstehlich wie der Gang der Gestirne.

Unsere Liebe, seine Gegenwart. Diese Vollendung in der Gebärde, im Wort, die beide an ihm immer sind, was sie sein sollen, nichts sonst. Der vollendete Einklang zwischen uns, der, wenn wir vereint sind, ein so glückliches Gleichmaß schafft.

Und seine Stimme, sein schönes Lachen. All das, was ich erwartet, ersehnt habe, wie um mich davon zu nähren. Seine festen Arme, in denen ich mich so zerbrechlich fühle und so stark zugleich. Und diese breite Brust, in der, unter meinen nie gestillten Lippen, sein Herz schlägt wie ein ehernes Pendel.

. .. Christiane. O ja, Christiane! ...

Glücklich, gewiß.

Aber gleicht sie, wie ich, einer rauschenden Leier, die eine unruhige Liebe mit wuchtigen Griffen schlägt?«

Zweiter Teil

Der Riss


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