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14. Kapitel

Aber nachher ...

Die Reiter des Herzogs sind in Eggersdorf, bald werden wir von St. Paul und Peters Turm seine Vorposten erspähen,« feuerte Matthias Holk die Versammlung an. »Nun steht die Gefahr unmittelbar vor uns, nun ist nicht mehr Zeit zu Meinungsverschiedenheiten und Gezänk.« Er sah sich im Kreise um, suchte die Blicke der Männer und bannte sie.

»Gegen Bardowieck, gegen die teure Vaterstadt frevelt verräterisch, wer jetzt noch mit dem Bruder hadert,« sprang ihm Steffen Brugg bei. »Wohl scheiden sich in Friedenszeiten unsere Wege, wohl beseelt uns nicht alle derselbe Geist und Gedanke, aber jetzt gibt es für jeden Redlichen nur ein einziges Ziel: die Rettung Bardowiecks! Ihm wollen wir Blut und Leben weihen; solange der Feind vor den Wällen liegt, darf uns nichts trennen.«

Kein Widerspruch ward laut. Abt Iso ließ unablässig den Rosenkranz durch seine Finger gleiten, und selbst Jan Dieter vermied es, die Weihe dieser Stunde, die Einigkeit des bedrohten Gemeinwesens zu stören.

»Und in deine Hände,« wandte sich Matthias Holk an Harald, »legen Rat und Bürgerschaft die Verteidigung unserer Stadt. Nur sie sei deine Sorge! Vergiß auch, was uns beide trennt und was wir, wenn günstigere Sterne scheinen, miteinander auszutragen haben! Vertraue uns, wie wir dir vertrauen! Laß die Stadt der Freiheit nicht dem Würger zum Opfer fallen und sieh in ihm nichts als den Zerstörer, der uns alle versklaven will.«

Ein böses Lächeln um den Mund, neigte Harald leicht den Kopf.

»So grüßen wir dich als den Stadthauptmann.«

»Wer sind seine Gehilfen?« fragte Tom Börner. »Ich halte es für klug, die Ratsmannen und Waffenknechte, die Zünfte und Gilden, die Hafenmänner unter je einem Führer zu vereinigen. Harald mag das entscheidende Wort sprechen, aber die anderen Hauptleute müssen ihn beraten. Bedenkt immerhin seine Jugend, ihr Herren!«

»Bedenkt auch seine Tapferkeit, sein Ansehen und seine Erfahrung!« fuhr Wolf Vynke scharf dazwischen. »Es liegt bei ihm, ob er Rat einholen oder ablehnen will. Rüttelt nicht an den Vereinbarungen, die wir getroffen haben! Höhlt nicht die Kraft des Oberbefehls aus, indem ihr ihn abhängig von langwierigen Beratungen macht! Wohl stehe ich in diesem Kampfe beiseite, aber was ich tun kann, um der Stadt das Schlimmste zu ersparen, das werde ich als treuer Bürger tun. Deshalb aber warne ich euch vor aller Zersplitterung des Machtbefugnisse, die notwendig zum Hader führt.«

Niemand wagte zu widersprechen.

»Bei alledem, vielleicht ist es richtig, daß wir uns, ehe der Ring um Bardowieck geschlossen ist und einer allein entscheidet, bedachtsam über die kriegerischen Maßregeln der Stunde besprechen,« meinte Tom Börner. »Unser Sinnen muß dahin gehen, dem Herzog, schon ehe er die Stadt berennt, so viel Abbruch zu tun, wie irgend möglich. Boten melden, daß seine Reiterscharen da und dort sorglos das Land durchstreifen und daß wir manche von ihnen aufheben könnten, wäre es nicht tapferer Männer würdig, ein paar Schläge gegen den Eroberer zu wagen und ihm zu zeigen, daß er gegen Felsen anrennt?«

»Wir sind nicht stark genug, um die Besatzung zu schwächen, weit dehnen sich die Wälle, und ausreichende Kräfte, die jederzeit in die Bresche springen können, müssen zurückgehalten werden,« entgegnete Harald.

»Und doch,« mischte sich der Schuster Peter ein, »wäre es eine gewaltige Tat, dem übermütigen Herzog eine empfindliche Schlappe beizubringen. Er soll erkennen, daß wir noch dieselben Männer sind, die ihm, ehe er ins Exil mußte, die Tore Bardowiecks geschlossen und damit den Abfall aller Städte von ihm herbeigeführt haben. Er soll erkennen, daß es vorbei ist mit seinen stolzen, hochfahrenden Plänen, mit seinem kecken Wollen, das sich nicht einmal kaiserlicher Gewalt beugte, ja selbst gegen kaiserliche Gewalt anstürmte. Zeigen wir uns als mutige Herzen, werfen wir, selber Löwen, dem Löwen einen Teil unserer Macht entgegen!«

»Kindskopf!« schalt Wolf Vynke. »Kennst du den Stoß seiner Heere? Die Wucht seiner schlachterprobten Reiterei, die List seiner Führer? Rascher als Spreu würde unser Zug im Kampf zerflattern, wenn er nicht schon vor dem Treffen im Hinterhalte fiele.«

»Gelänge es uns, mit überlegener Macht eine seiner Streifpartien abzufangen, so würde das die Kampflust in der Stadt, die Siegesgewißheit beträchtlich erhöhen,« gab jetzt auch Tysenhusen zu bedenken.

»Hiskias stürmte aus Jerusalem mit einigen Tausend, stürzte sich auf das Heer Sanheribs, und der Gott Israels war ihm gnädig,« sagte Abt Iso feierlich. »Auch unseren Tapferen werden die Engel des Herrn zur Seite stehen, wenn sie nur wagen, was gewagt werden muß. Möge Harald selber sie führen; er ist jedem Obristen des Löwen gewachsen.«

»Ihr verwöhnt ihn, Hochehrwürden!« gab Kai Estorff lächelnd zu bedenken.

»Stellet den Uria hin im Felde, wo die Schlacht am wütendsten tobt, daß er vom Schwerte getroffen werde! schrieb König David dem Joab,« murmelte der Ratsschreiber Adam vor sich hin.

»Wie meinst du?« fragte Iso freundlich.

Aber der Ratsschreiber Adam bückte sich schnell auf seine Schrift.

Kai Estorff lächelte wieder.

»Was bedünkt dich über den Vorschlag?« wandte sich Matthias Holk an Harald.

»Es ist ein unsinniger Plan,« lehnte Harald schroffer ab, als es seine Absicht gewesen war. Aber das Blut stieg ihm zu Kopfs angesichts dieser sich Überhebenden. Er war nicht mehr imstande, sich zu beherrschen, seinen fressenden Groll zu verheimlichen. Keiner von ihnen hatte einen Blick ins herzogliche Lager getan, keiner außer Wolf Vynke ahnte, mit welcher Stärke der Löwe heranzog. »In Sanheribs Heer, hochehrwürdiger Vater,« fuhr er, das Wort an Iso richtend, fort, »war die Pest ausgebrochen, ehe der Juden König den Ausfall wagte. Heinrichs Leute aber, das habe ich mit diesen meinen Augen gesehen, sind kerngesund. Und wehe uns, wenn wir in offener Feldschlacht gegen diese in hundert Kämpfen geübten, eisernen Krieger anzugehen versuchen.«

»Du unterschätzest unsere Wackeren,« meinte Tysenhusen.

»Du willst deinen Vater vor unseren Schwertern bewahren,« schrillte jetzt Jans Stimme auf.

Verlegenes Schweigen trat ein.

»Welche gottverfluchte Narretei, dir, dem Herzogssohn, Bardowiecks Geschick anzuvertrauen!« zürnte der Bleiche weiter. »Wahrlich, gälte mein Wort hier, wären sie nicht alle verworren und verblendet, sie zwängen dich, die Stadt zu verlassen, ehe denn die Schlacht beginnt. Du kannst es nicht mit uns halten, denn du bist Löwenbrut!«

»Nicht darf ich dulden, daß du die ernsten Vereinbarungen brichst, Jan,« fiel ihm Matthias Holk in die Rede, »Versündige dich an der Vaterstadt nicht noch mehr, als du es schon getan hast, wage nicht, noch jetzt, wo Feuersbrunst sie umzirkt, die Brandfackel auch in die Stadt selbst zu werfen. Wir müßten uns sonst deiner erwehren.«

So schloß mit grellem Mißklang die Besprechung der mühsam Geeinten.

Alle rückten von Jan Dieter ab, selbst Schuster Peter hielt es für geraten, über ihn hinwegzusehen. Und nur Iso schenkte ihm, als er hastig und zornig durch die Tür schritt, ein väterliches, verständnisvolles Lächeln.

Es war nicht Jan Dieters Art, Zorn und Verdruß beim Bier zu vergessen, aber die Hoffnung, gleichgestimmte Freunde zu finden und ihnen seinen Grimm ins Herz sprühen zu können, trieb ihn noch zum Krummen Saladin. Freilich traf er dort niemanden als Heini Hoyer und den Maler Zachäus. Beide schienen ihre Rollen heute getauscht zu haben. Heini starrte mißmutig, wortkarg und brummend vor sich hin, und Zachäus versuchte, ihn durch freundliche Reden aufzuheitern. Doch sein trüber Witz versiegte bald, versiegte völlig, als Heini ihn um eine Handvoll Taristücke anging.

»Gestern hättest du kommen müssen,« brummte Zachäus, »gestern konnte ich Nordland kaufen. Aber von heut an muß ich wieder fleißig arbeiten. Bin schon in aller Frühe am Werk gewesen.«

»Schändlicher!« fuhr ihn Heini an. »Die kostbare Leinwand hättest du, solange sie noch weiß und unberührt war, zum Lamparten tragen und dafür einiges Geld erlangen können. Jetzt, wo du sie bemalt hast, ist sie völlig wertlos.«

Auf diese schnöde Rede hin hielt auch Zachäus es für angemessen, in finsteres Brüten zu versinken, so saßen sie beieinander, tranken und schwiegen, schwiegen und tranken und vergnügten sich damit, dem Hunde Zinnober zuzuschauen, der von der Wand die letzten lebensmüden Fliegen wegschnappte. Jans Versuche, die beiden Lukasjünger an seiner Glut zu entflammen, sie in Kampfstimmung gegen Harald und den Rat zu versetzen, scheiterten an ihrer völligen Gleichgültigkeit. Plötzlich aber öffnete sich die Falltür zum Bierkeller, und aus der Tiefe stieg Sultan Saladin zum Lichte empor. Er hatte Jans helle Stimme vernommen und wußte nun, daß ihm im Augenblick keine Gefahr drohte. Heldenhaft rückte er am Turban und rasselte mit dem Schwerte.

»Maschallah! Barmherzig ist der Herr, der solche Gäste in mein Haus führt! So entbiete ich euch den Gruß des Gläubigen aus dem Bauche der Erde. Doch mein zauberkundiges Weib hat mir befohlen, vom Erdboden zu verschwinden, solange der Kampf mit Herzog Heinrich toben wird, denn in den Sternen steht mein jäher Tod durch das Schlachtschwert geschrieben. Ich bin eben zu mutig, zu draufgängerisch. Den dräuenden Planeten Saturn und Jupiter vermag ich nur zu entgehen, wenn ich mich im Schoß der barmherzigen Allmutter verberge. Oh, mein Schmerz! Oh, wie es mich nach blutigem Kampf gelüstet. Nicht zu halten würd' ich im Gebraus sein. Und Heinrich hat die Stadt beleidigt! Ich fühle mich eins mit der Stadt, und noch niemand hat mich ungestraft beleidigt. Aber was ist des tapfersten Mannes stärke gegen Zauberkraft, gegen die Gewalt der Sterne?«

»Einfältiger Narr,« unterbrach ihn Frau Trud ärgerlich, »bleib in deinem Versteck, daß sie dich nicht doch noch erwischen und auf den Wall zwingen. Du bist ein Familienvater, hast für mich zu sorgen, dir geht's nicht so gut wie den beiden Schlingeln da, den trägen Kerlen, die dem lieben Gott den Tag fortstehlen.«

»Schweigst du nicht auf der Stelle,« drohte Saladin, »so nähe ich dich in einen Sack und schleudere dich noch heute in die Ilmenau.«

»Geh in deinen Keller,« gebot Trud ihm abermals und griff nach einem vor ihr liegenden Besenstiel. »Du schonst dein Leben, hörst du? Ich habe es in den Wolken gelesen, daß ein Unglück naht; der Mond stand gestern blutrot am Himmel und zeigte drei Flecken. Ein Unglück naht!«

»Ein Unglück naht? Es naht erst?« fragte Heini hämisch. »Du weilst doch schon lange bei uns, du Hexe!«

»Nimm dich in acht!« knurrte auch Zachäus. »Was für seltsame Dinge hört man von dir! Unchristliches Zauberwerk treibst du. Der eigene Mann gesteht es ein! So wirst du auch Pestsamen streuen, zum Blocksberg fahren, Ferkel in Mäuse und Fliegen verwandeln.«

»Und Bier in Wasser,« pflichtete ihm Heini bei. »Möchte ich doch noch den Tag erleben, wo sie dies Ungetüm am Spieße braten.«

Saladin lachte laut auf und rieb sich vergnügt die Hände, »Wacker so!« hetzte er. »Duckt sie tüchtig, Leute!«

»Willst du Jammerweib wohl schweigen, wo Männer ernsthaft miteinander reden!« fauchte ihn Trud an.

Jan winkte verdrossen ab. »Schämt euch solcher Narrenspossen, während das Verderben auf uns niederwettert!« zürnte er. »Rat und Tat hoffte ich hier im Bierhaus zu finden, weil sie auf dem Rathaus die Tat feig versagen und auf den Knien vor ihm herumrutschen, vor ihm, der sie allesamt verraten wird. Und nun treffe ich hier Trunkenbolde und ein Teufelsweib.«

Heini legte ihm gemütlich die Hand auf die Schulter. »Erreg' dich nicht, Lieber! Haben sie dir wieder einmal den Harald vorgezogen?«

»Gott hat sie mit Blindheit geschlagen, während der Vater die Stadt stürmt, verteidigt sie der Sohn, derselbe Sohn, dem er Bardowieck zum Eigentum geschenkt hat.«

»Sei unbesorgt, Jan, wir halten durch. Es ist kein Verräter in unserer Mitte.«

»Keiner, außer dem Führer.«

Wieder nahm Heini einen tiefen Zug aus dem Kruge. »Du tust ihm unrecht, so deutlich mußt du deinen Haß nicht verraten. Es bleibt sonst niemand bei dir, es glaubt dir sonst niemand mehr.«

Jan hielt sich zornbebend mit beiden Händen am Tische fest. »Er verrät uns! Ich weiß es. Und ob er mit den fürchterlichsten Eiden schwüre, für die Freiheit kämpfen zu wollen, ob er sein Blut und seine Seligkeit dafür verpfändete, ob selbst der Heiland dort am Kreuze für ihn zeugte – ich traute ihm nicht! Er bleibt welfischen und wölfischen Geschlechts, bleibt der Tiger, und des Tigers wilde Herrschsucht wird hervorbrechen, wenn ihre Stunde da ist. Erbarmungslos, unbezwinglich! Wehe dann dieser Stadt, wehe uns allen!«

»Und trotzdem hast du ihm das Feldherrnschwert anvertrauen lassen?«

»Ich bin machtlos gegen die Verblendeten. Ich bin machtlos gegen die Schiffsleute, die nur dann in den Kampf zu ziehen gelobt haben, wenn Harald sie führt und die keinem anderen folgen als ihm. So hat sich denn der Rat gebeugt, so die Bürgerschaft – was bin ich? Ein verlachter Warner!«

Erschöpft ließ er sich auf die harte Bank fallen.

»Nun gut. Im Kampfgetümmel wird er dem Volke nicht schaden,« sagte er dann leise, wie zu sich selbst. »Er ist, das geb ich zu, der Kriegserfahrenste in der Stadt, und keiner weiß die Geister so machtvoll zu entflammen, wie er. Möge er denn seine Pflicht tun, bis die Stadt gerettet ist. Nachher ...«

»Ein entsetzliches Lächeln flog um seinen Mund.

»Nachher?« fragte Heini Hoyer.

Da schwieg Jan Dieter.


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