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5. Kapitel

Das Kind aus Morgenland

Durch den friedenvollen, goldenen Abendhimmel flutete Glockenklang. Von allen Kirchtürmen her lud es, mit hellem und dunklem Schall, zur Andacht, und auf allen Lippen zitterte ein Ave Marie. Noch glühte das mächtige Dach des hohen Doms im Sonnengeriesel, rot funkelte weit ins Land hinein das Kreuz, doch der Tag wollte zur Ruhe gehen. Mählich entschlief in Bardowieck all treues Schaffen. Nur im Dachstübchen von Wolf Vynkes Haus, das, unter Linden halb versteckt, am Westergraben lag, regte wenigstens einer noch fleißig die Hände. Heini Hoyer hatte während des Nachmittags Jussundas liebliches Bild gemalt, und nicht bloß das holde Mädchen, sondern auch der Hund Zinnober und schließlich Heini selber waren mit der Schöpfung zufrieden gewesen. Nur Jan Dieter, der sich dem Maler ungerufen angeschlossen hatte, hockte schweigend in der Ecke und verglich unaufhörlich die feinen Züge Jussundens mit dem Gemälde. »Kein Meister, auch du nicht, Heini, vermag uns diese Wunderschönheit auf die Leinwand zu bannen!« Heini hatte ungewohnt fleißige Arbeit geleistet und seinen Durst bisher mannhaft bezwungen, so nachdrücklich er von Zinnober durch heftiges Bellen auch immer wieder daran erinnert worden war, sich und dem erfrischungsbedürftigen Hunde einen guten Tropfen zu verschaffen. Ohne auf die ernste Mahnung des gewissenhaften Tieres zu achten, hatte er eben noch eine neue Leinwand aufgezogen und sich daran gemacht, das prunkende Bild des Domes mit leuchtenden Farben festzuhalten. In der Tat, so gewaltig und köstlich zugleich in der vom Sonnenpurpur überflammten Silberpracht bot sich das mächtige Gotteshaus dem Blicke von keinem anderen Fenster Bardowiecks aus dar. So herrschgewaltig und liebevoll zugleich erhob es sich über die Giebel, die Katen und Lehmhäuser der Stadt, daß es wie ein sonnengekrönter Riesenkönig in die Unendlichkeit zu schauen schien.

»Wird er tausend Jahre später, wenn wir alle längst wieder Erde geworden sind – auch du, liebreizendes Jüngferlein, nur daß du dich dann in lauter Rosen verwandelt haben wirst –, wird er nach tausend Jahren noch so gebieterisch über alles Land fortblicken?« fragte Heini und ließ den Pinsel einen Augenblick ruhen.

»Vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag,« erwiderte die fromme Christin Jussunda. Jan lachte in seiner Ecke. Ein befremdliches, häßliches Lachen. »Sieh, was ich hier unter der Jacke trage,« sagte er dann und wies ein eisernes Hämmerlein am breiten Bande vor. »Dem dies Zeichen heilig war, der große Gott unserer Väter, er waltete vor tausend Jahren unumschränkt über diesen Gauen, wo ist er hingegangen? Mein Vater erzählte mir oft: Auf die letzten und ödesten Höhen des wilden Harzgebirges haben sie ihn verscheucht, und wer noch an ihn glaubt, muß sich in der Dunkelheit verstecken, muß bei Nacht und Nebel die heilige Opferstätte aufsuchen. Meint ihr, dem Gotte, der da drüben im herrlichen Steinhaus wohnt, sei ein besseres Schicksal beschieden?«

»Nimm dich in acht, du Ketzer,« drohte ihm Heini mit dem Pinsel. »Mir und dem Zinnober schaden solche bösen Reden nicht, aber das Jungfräulein hier, das darfst du mir nicht verderben, wagst du es noch einmal, so melde ich dich dem hochehrwürdigen Herrn Abt Iso, daß er dich auf offenem Markte rösten lasse.«

»Pah, Iso!« lehnte Jan verächtlich ab. »Der ist, wenn ich's will, morgen mein allerbester Freund. Hättest einmal hören sollen, wie liebreich er mich heute in der Wassergasse ansprach und mich einlud, doch einmal zu kurzem Schwatz ins Refektorium zu kommen.«

Heini schüttelte sich. »In der Wassergasse? Das läßt böse Schlüsse zu auf den Wein, den er dir im Refektorium vorsetzen will.«

Jan zuckte die Achseln. »Wasser oder Wein – an mir prallt seine Freundlichkeit ab. Sie sind aus einem Ton gemacht, die hohen Herren vom Stadtadel und von der Geistlichkeit. Kloster und Rathaus gehören zueinander und schmieden vereint dem armen Volke Ketten.«

»Ob's damals, zu Wodans und Tors Zeiten, wesentlich anders gewesen ist?« erkundigte sich Heini spöttisch.

»Wohl ist's anders gewesen,« erwiderte Jan heftig. »Ich weiß es vom Vater, der ein Wissender war und den sie deshalb getötet haben. In Vorzeiten entschied der schlichte, kampfgewohnte, freie Mann. Zur Hundertversammlung ging jeder erhobenen Hauptes mit aufrechtem Nacken und urteilte, wie ihm das eigene Gewissen gebot. Da war kein Pfaff und kein Herr über ihm. Die Könige selbst, die sie sich wählten, um in der Schlacht einen Führer zu haben, die Könige sorgten mit strengem Gesetz dafür, daß jeder Stammesgenosse zur Versammlung kam. Wer ausblieb, ward gepönt und geächtet. So, Heini Hoyer, lebten und handelten unsere Väter, als der Gott mit dem Hammer noch mächtig im Lande war.«

»Der Vater bleibt lange aus,« lenkte Jussunda ab. »Ich sorge mich um ihn.«

»Harald ist bei ihm,« beruhigte sie Heini Hoyer.

»Just deshalb sorgt sie sich,« stichelte Jan eifersüchtig.

Rasch verwehende Röte zog über des Mädchens Gesicht und überflammte noch ihren weißen Hals.

Dann vertiefte sich draußen das himmlische Blau, Dämmerung kündigte sich an. Der fleißige Maler mußte das Handwerkszeug beiseite legen. »Und nun, Jussund, wenn du das Tröpflein spenden willst, das du mir heut schon so oft dargeboten hast, dann will ich deiner Bitte gnädig willfahren.«

Lächelnd griff die Anmutvolle nach der Chiantiflasche auf dem Schranke, der Gabe, die Wolf Vynke großherzig für Heinis Kunstwerk bestimmt hatte. Dunkelrot floß der fremde Wein in die zierlichen Zinnbecher, der wildschnüffelnde Hund bekam sein Teil in einem Tonnäpfchen vorgesetzt und war der erste, der es mit Gier verschlang, so daß der Bart ihm saftete. »Wie rasch ist ein Malerverdienst durch die Gurgel gejagt!« seufzte Heini der allzu bald geleerten Flasche nach. »Nur noch ein Schluck im Becher! Indessen, Jussunda, man bringt sich schon wieder in Ordnung. Rolf Ebelingk hat mir befohlen, seiner Eheliebsten Konterfei zu malen, und fünfzig Solidi sind der Preis. Mädchen, das wird dann einmal ein Leben werden! sag' schon heute, was ich dir schenken soll. Beim Lamparten sah ich gestern eine silberne Halskette, maurische Arbeit – ich meine, die wird sich wohl fühlen bei dir und gut ausschauen. Schneeweiß auf schneeweiß! Jammern tut's mich nur, Jussund, daß du hier im finstern Nord sitzest und nicht mehr unten in deiner heißen, sonnigen Heimat. Da wär's mir dann ein Leichtes, mit meinen fünfzig Solidi zu deinem Vater zu gehen und dich ihm abzukaufen. Weißt ja, die Weiber sind Ware im Morgenlande, und nicht immer sehr marktgängige. Man kriegt sie oft billiger, als einem gut tut.«

»Das sind verworfene Gedanken, Heini,« tadelte Jan. »Bist im Herzen auch so einer von den Menschenjägern und Sklaventreibern!«

»Aber ebenso gern Sklave, weiße Königin,« sagte Heini und beugte vor Jussunda das Knie. Er haschte dabei nach ihrer Hand und küßte sie. Aus Jans Augen schoß ein Blitz; es schien, als wollte er von seinem Schemel aufstehen und Heini beiseite schieben. Aber im selben Augenblicke kläffte Zinnober grauenvoll auf, fletschte die stumpfen alten Zähne und schien nicht übel Lust zu haben, sich auf Jan zu stürzen. Da unterließ er es, Heini Hoyer in seiner Anbetung zu stören.

Der Maler erhob sich lächelnd, zupfte sich den farbenbeklecksten, früher einmal weiß gewesenen Kittel zurecht und griff wieder nach dem Becher. »Daß wir dich umsonst vergöttern, Jussund, das ist mir wohl bewußt,« warf er dann beflissen leicht hin. »Meinst du, nur dem Jan ward es offenkundig, wie du immer heimlich aus dem Fenster blickest und mit deinen Märchenaugen nach einem gewissen jemand ausschaust?«

Die Frage kam aus lachendem Munde wie harmloses Geneck, aber Jussunda hörte wohl heraus, daß er ihr insgeheim zürnte, und errötete von neuem. Ja, Heini Hoyer hatte recht, während er sie malte, während er lustig plauderte und Allotria trieb, weilten ihre Gedanken immer nur bei dem einen, dem starken, herrlichen Königssohn. Und alles goldene Gewölk, das vorbei wallte, fragte sie heimlich, ob er jetzt wohl auch an sie denke. Immer fühlte sie die Wärme seiner Hand, die beim Hochzeitsfeste Marias freundlich über ihre Finger hingeglitten war. Und immer bangte sie dabei um sein Glück, um sein unaufhörlich bedrohtes Leben. Aus der Krähen heiserem Schrei wollte sie Prophezeihung hören, ob ihm heute Erfolg erblühen würde aus der Unterhaltung mit Stephan Brugg, zu der er gegangen war.

Jan hatte aus seinem Winkel heraus das Farbenspiel auf ihren Wangen wohl bemerkt. Eifersüchtige Wut umkrallte sein Herz. Anders wie Heini, der mit einer witzigen Bemerkung auch über schwere Enttäuschungen leicht hinwegzuspringen schien, bohrte er sich in haßerfüllte Gedanken fest, drängte es ihn, sich selber zu verraten.

»Ihr lebt und sterbt ja alle nur für den einen, den stolzen Prinzen,« höhnte er. »Wie ein Rausch hat es die ganze Stadt gefaßt. Kein Vernünftiger mehr, keiner, der Manns genug ist, klar in die Zukunft zu blicken und nicht wie ein Kind ohne Unterlaß Kränze für den Abgott zu winden, wahrlich, wäre Harald nicht schon hochmütig wie kein Kaiser auf der Welt, ihr machtet ihn dazu. Und wenn sein Sinn nicht schon längst darauf stünde, sich diese Stadt zu unterjochen, ihr verführtet ihn dazu mit eurer blinden Verliebtheit.«

Zinnober knurrte vor Ingrimm, als Jan diese Zornrede hervorstieß. Um ihr Erschrecken zu verbergen, war Jussunda an die Staffelei getreten, während Heini, ein vergnügtes Lied pfeifend, seinen Pinsel fein bedächtig in Mohnöl zu reinigen begann.

»Aber einer ist auf der Hut,« fuhr Jan heiser fort, »und einer wird die Freiheit dieser verlorenen Stadt bewachen. Du kennst mich, Heini Hoyer, und gerade weil du sein Freund bist, so sage ich dir: Wehe dem, der sich vermißt, das stolze Bardowieck knechten zu wollen! Sei er nun Herzog oder Herzogssohn. Wagt er das Ungeheure, greift er zur Krone, so muß er sterben. Dann schleudere ich mit dieser verkrüppelten Hand die Fackel in Bardowiecks Häuser und brenne die Stadt nieder bis auf den Grund. In Asche liegen soll sie, ehe sich ein Tyrann zu ihrem Herrn aufschwingt.«

»Du hassest ihn,« zürnte Jussanda, vor Angst und Zorn bebend. »Du hassest ihn, der wie ein Bruder mit dir ist und dir nur Gutes getan hat!«

»Ja, ich hass' ihn!« entfuhr es Jan. »weil du ihn liebst!«

Da zuckte das Mädchen zusammen. Scham sprach aus ihren weit geöffneten Augen, und ihre Lippen bebten. »Geh fort,« rief sie, »geh auf der Stelle fort von hier! Ich mag dich nicht mehr sehen, du tückischer, böser Wolf! Geh, befehle ich dir!«

Und mit schmerzlichem Lächeln, geduckt wie ein gescholtener Hund, schlich Jan gehorsam aus dem Zimmer. Eine Weile standen sich die beiden, Heini und Jussunda, schweigend gegenüber.

»Es ist so unser Schicksal,« sagte dann endlich der Maler. »Wohin ich mit ihm auch gekommen bin, immer flogen die Weiberherzen ihm zu. Alleweil stand ich im Schatten, obwohl ich, das wirst du mir zugeben, trotz meiner langen Nase ein ganz ansehnlicher Kerl bin und obgleich mir doch etwas mit Trompetenstößen voranfliegt, was er erst erobern will. Aber diesmal, Mädchen, bei St. Lukas sei es geschworen, weich' ich ihm nicht.«

Jussunda war froh, ablenken zu können. »Dein Ruhm, dein großer Ruhm, Meister Heini!« pflichtete sie ihm bewundernd bei. »Wer in deutschen Landen kennt deinen Namen nicht? So mancher Fahrende ist durch dies Haus gegangen, seitdem du fern warst, aber wenn wir von dir sprachen, dann verneigte sich auch der Dreisteste und war unter allen Malern keiner, der dir die Palme streitig machen wollte. Ja, einer, der aus dem Süden heraufgezogen war, verkündete uns, wie sie selbst in Welschland mit Ehrfurcht deinen Namen nennen. Die Madonne im Dom, vor der ich wie vor der Himmlischen selber in Demut und Glück erschauere, sie soll, so schwärmt er, jedes Kunstwerk von Wisby bis Rom überstrahlen. Ein himmlisches Wunder nannte Hann von Speyer deine Auferstehung des Herrn, die der Kölner Bischof gekauft hat, und was sie uns nun gar von dem doppelköpfigen Götzen erzählten, den das Heiligtum in Rhetra birgt, den Triglaff, den du purpurn auf Silber gemalt hast –«

»Halt ein, halt ein, halt ein, hohe Herrin!« lachte Heini. »Mach mich nicht ebenso eitel und hochmütig, wie, wenn Freund Jan recht hat, Harald eitel und hochmütig ist. Wisse, Königin, daß alle diese Bilder, die mir unterwegs gediehen sind, nichts bedeuten als farbige Liebeslieder für dich.«

Wieder schlug Zinnober an, und gleich darauf traten Wolf Vynke, Peter der Schuster und Harald ins niedere Gemach. Ihnen schloß sich, immer noch wie verängstigt, Jan an, der draußen auf der Wendeltreppe gesessen hatte.

Wolf Vynke berichtete kurz von der Unterredung, die sie auf Wunsch des Ratsherrn Steffen Brugg eben mit ihm gehabt hatten. Der einsichtsvolle Ratsmann ließ nichts unversucht, den verhängnisvollen Zwist in der Bürgerschaft zu schlichten und den Abgrund zu schließen, darin, seiner Überzeugung nach, wenn kein Retter erschien, Bardowiecks Macht und Herrlichkeit elend zerschellen mußte. So hatte er denn die Führer der Unzufriedenen zu sich entboten und mit ihnen lange nach einem Ausweg gesucht. »Noch beharren sie im Rate fest auf ihrem Eigenwillen,« waren seine letzten Worte gewesen, »noch verzage ich am Siege über sie. Aber dessen ungeachtet werde ich das Letzte tun, beide Parteien auszusöhnen und miteinander zu verbinden, so wütend ihr euch befehdet, ihr gehört zusammen. Und die Not der nächsten Tage wird, das sagt mir der Geist überdeutlich, allen früheren Hader rasch vergessen machen.«

»Sie haben ihn vorgeschickt, denn sie brauchen uns zum Kampf gegen den Herzog,« mutmaßte der Schuster Peter und sah recht stolz ob dieser Entdeckung drein. »Ein paar tausend Schwerter und Spieße mehr, beim heiligen Eustachius, es macht schon etwas aus.«

»Für den Kampf gegen den Herzog sind wir zu gut,« wies ihn Wolf Vynke zurück. »Er ist unser Herr geblieben, was immer ihm begegnet sein mag, was Kaiser und Reich wider ihn verhängt haben mögen, wenn die Ratsherren es für recht hielten, ihn unsagbar zu beschimpfen, als er aus seinem Lande fliehen mußte, so ist es ihre Sache, den Gewaltigen zu versöhnen. Und Gottlob, er ist nicht unversöhnlich, ich weiß es. Wer unter Heinrich diente, wer seinen stolzen Sinn, sein erhabenes Wollen erkannt hat, der zweifelt nicht an seiner weisen Regentengröße. Aber auch wenn der gewaltige Herzog, mit dem ich Tortona genommen und im Wendenlande gesiegt habe, auch wenn er die Waffe gegen Bardowieck führt – ich werde mich nicht an dem Kampf beteiligen. Ich stehe nicht in Wehr und Waffen gegen den ragenden Helden.« »Wenn du so sprichst, Wolf Vynke, wie schwer machst du dann mir die Entscheidung!« sagte Harald schlicht.

»Vortrefflich!« schrillte Jans Stimme schneidend durchs Gelaß. »Ich verstehe dich, Harald. Nun verrätst du dich! Weil er dein Vater ist, darum willst du ihm Bardowieck gebunden vor die Füße werfen. Doch, es soll dafür gesorgt werden, daß dein böser Wille nicht entscheide. Vor das Volk will ich treten, vor das arme betrogene Volk, und ihm sagen, wie es um deine Freiheitsliebe bestellt ist, und wer dann noch wagt, dich zum Führer zu küren –«

Harald stand wortlos vor dem Ausbruch ungeahnten Hasses.

»Wagehals, du wagst viel!« wies Peter den Wilden zurecht. »Doch nicht du allein entscheidest im Rate des Volkes, nicht du bestimmst, wann und für wen wir den Wall besteigen sollen.«

»Für niemanden sonst, als für das Volk. Ich mache keinen Unterschied zwischen Herzog Heinrich und den Geschlechtern. Henker hüben und drüben! Nur wenn das Volk Sieger in Bardowieck ist, nur wenn unsere vertrauten im Rate sitzen, nur dann wollen wir dem Herzog die Spitze bieten.«

»Schweig!« donnerte ihn Wolf Vynke an, und in seinen Augen flackerte es gefährlich.

Jan hielt es für geraten, vor diesem jach aufflammenden Zorn des alten Kriegers zurückzuweichen.

»Wie meinst du den Rat dafür gewinnen zu können, daß er dich und deinesgleichen auf seine Polstersessel läßt?« fragte Heini, »wir haben andere Melodie gehört, neulich am Hochzeitstage, und einen anderen Platz hat dir Rolf Ebelingk zugedacht, als den weichen Sitz in der Ratskammer.«

»Narr!« ließ Jan seine Wut an ihm aus. »Nur ein Mittel ist freilich, die Übermütigen zu bändigen. Der Aufruhr! wir müssen die Macht an uns reißen, und noch in diesen Nächten, ehe ein Verräter ihnen Kunde bringen kann.«

»Im Aufruhr würden wir nur die letzte Kraft der Stadt zerschlagen,« warnte Harald. Er sah bleich und müde aus.

»Du weigerst dich, weil du selbst zu den Herren gehörst,« schrie Jan. »Wie du deinem Vater nicht entgegentreten willst, so schonst du die Geschlechter, schonst die verwandten deiner Mutter, wer könnte auch von dir erwarten, daß du mit dem Herzen bei uns bist?«

Und wieder zwang sich Harald mit Macht zur Ruhe.

»Von meinem Herzen und meinem Wollen zu sprechen, ist jetzt nicht die Zeit, Jan,« sagte er leise. »Aber das Volk mag zwischen dir und mir entscheiden. Selber soll es sagen, welchen Weg es zu gehen gedenkt. Ob den in Wahnsinn, Blut und Nacht, den du ihm vorschlägst, oder den zum Aufstieg in Einigkeit, mit gesammelter Kraft.«

»Du brauchst das Volk nicht erst zu fragen, Harald,« rief Wolf Vynke. »Da ist keiner in der Stadt, der nicht zu dir hält, was wären wir heute ohne dich? Vom Hunger entnervt, fehlte jedem die Kraft zum Widerstande; nur dazu reichte es noch eben hin, daß sie tobten und die Fäuste schüttelten. Nun aber du wieder bei uns bist, ist neuer Mut, ist Siegesgewißheit in allen Seelen entfacht. Und sie wissen, daß diesmal unsere Banner Lorbeer umkränzen wird.«

»Wacker, wacker,« lärmte Heini lustig und klatschte in die Hände, wobei Zinnober ihn durch tobendes Geheul nach Kräften unterstützte. Verwunderlich leuchteten jetzt, im Abendsonnenglanz, die dunklen, von hellgelben Flecken unterbrochenen Streifen auf seinem rötlichen Fell. »Und nun, glaube ich, ist es genug des Geschwätzes. Die Arbeit hat mir Durst gemacht, und der Chianti allein vermochte ihn nicht zu löschen, so bitte ich euch, ihr Lieben und Getreuen, folgt mir in den Krummen Saladin! Ist mir doch gewisse Kunde zugegangen, daß der brave Wirt sein fürchterliches Ehegespons, die schlimme Hexe, dazu überredet hat, heut abend endlich ein Faß Dickbier anzuschlagen. Die hohe Stunde ist gekommen, sorgen wir dafür, daß wir die ersten am Zapfen sind!«

Alle waren wohl einverstanden.

In der Tür fühlte Harald, als letzter das Gemach verlassend, plötzlich Jussundas Hand an seiner, während sie mit dem Zeigefinger der Linken zur Vorsicht mahnte. »Was ist's?« fragte er leise.

»Ich habe dir wichtiges zu sagen,« flüsterte sie, bebend in tödlicher Furcht, von den anderen gehört zu werden. »Ich muß es dir heute noch sagen. Schlimme Gefahr droht. Geh nicht mit ihnen! Bleibe im Hause oder komme sobald wie möglich zurück!«

Erstaunt weilte sein Blick auf ihrem Gesicht. Dann lächelte er wieder, »weil du es forderst, Jussunda, muß ich wohl gehorchen. Warte unten im Garten auf mich. Ich bin bald bei dir.«

Die Genossen waren in eifrigem Gespräch vorangegangen. Durch die stillen, dunklen Gassen hallten weithin vernehmbar ihre Schritte. Und als sie sich, bei der Schenke angelangt, nach Harald umsahen, war keine Spur mehr von ihm zu entdecken. »Laßt ihn nur seinen einsamen Weg gehen,« meinte Hoyer. »Es ist besser für uns, besser für ihn. So war er immer, schon damals, wenn wir die Nacht brav durchschlampampen wollten und uns darauf einrichteten, letzter Gast im Haus zu sein. Er kam dann gewiß als der vorletzte, blaß und aufgeregt, hatte die halbe Nacht über Folianten und Pergamenten gesessen und sich an der großen Vergangenheit berauscht. Wie floß ihm dann glühende Rede vom Munde! Wenn er von Freiheit und Christi heiligem Vermächtnis sprach, alle Tyrannei verdammte, zumal die des Rates und der Geschlechter, wie riß er uns alle mit sich fort! Er träumte gar so lebendig, und dann träumten wir mit. In einer solchen Nacht war's ja auch, wo wir den Beschluß faßten, uns wider die Ratsherren aufzulehnen und mit den Waffen in der Hand Bardowieck von ihnen zu befreien. Erinnerst du dich, Jan? Nun, heut Nacht wird uns der Herzogssohn solche Bergpredigt nicht wieder halten. Hast es gut verstanden, ihn auf die Erde zurückzubringen!«

Harald wandelte derweilen in den engen Gängen des Gärtchens. Er kannte das liebe grüne Fleckchen, das am Wall hinlief, genau, nur hatte er es noch niemals im Lichte des eben heraufsteigenden Mondes gesehen. Weißes Licht rann feierlich durchs Lindengeäst und spielte zauberisch über Beete und Wege hin. Manch andere Mondennacht fiel Harald dabei ein, die er unterm Fenster Marias durchwacht hatte, stundenlang geduldig wartend, bis alles im Hause still geworden war und sie heimlich zu ihm heruntergeschlüpft kam. was waren das für dunkelumhüllte Stunden zärtlichster Leidenschaft, heißesten Glückes gewesen! Und nun versunken und vergessen! Wie ein Wilder und doch unendlich süßer Traum lag das hinter ihm. Als wäre er von langem Besuch bei der Meerfrau aufgetaucht, die ihn mit holder Gewalt in der Wassertiefe zurückgehalten hatte. Nun aber stand er wieder auf festem Erdboden. Nun durfte, nun mußte er wieder an das allzu lang vernachlässigte Werk gehen. Mußte mit verdoppeltem Eifer die selbstübernommene, hohe Pflicht erfüllen, der geliebten Stadt, ja dem ganzen Lande ein Befreier werden.

Silberschimmer schmückte das hölzerne Heilandsbild, vor dem er in frommer Ehrfurcht halt machte. Ein Schnitzwerk Heinis, genialisch aus dem Eichenklotz herausgeholt und doch, bei aller Herbheit der Linien, von unsäglichem Zauber umflossen. Harald schlang seine Hände um das Kreuz. »Härteren Pfad bist du gewandelt als ich, und keine Bosheit, keine Verleumdung, kein Unverstand hat dich abgelenkt,« sagte er leise. »Wer zu deiner Gottesgröße aufschaut, der verzagt nicht, so flehe ich dich nur um eines, laß mich dir ähnlich werden, erfülle mich mit der lebendigen, unbeugsamen Kraft, die von dir über alle Welt ausstrahlte! Schüre, o mein Gott, zum Feuer den Funken in meiner Brust, den du mir geschenkt hast! Schaffe, daß ich nicht klein und verdrossen werde, nicht an mir selbst verzweifle, wenn andere zweifeln! Halt mich fest im Glauben, daß du mich bestimmt hast, Sämann und Samenkorn für das Heil deiner Menschheit zu werden! Bewahre mich, du mein Gott, vor dem Dämon im Herzen, der mich abtrünnig machen will, wenn ich Haß und Falschheit wider mich aufsprühen sehe!«

Durch die lichtumsponnene, helle Nacht zogen plötzlich Nebelschwaden. Die Sterne löschten aus, wie hinter wallenden Schleiern glomm nur noch gedämpft das Mondlicht. Schlich nicht plötzlich ein Gespenst auf leisem Sohlen neben Harald her? Von der Wallhöhe schweifte sein Blick über die in Silberdunst gebadete Stadt. Noch rang sich, ein mächtiger Ringer, der Dom aus den Dämpfen frei, aber die anderen Kirchtürme waren schon längst in ihnen versunken. Das geheimnisvolle, blasse, zitternde Leuchten rann von Giebeln und Dächern nieder wie unirdisches Feuer, und es schien, als züngelten spukhafte Flammen am Dom entlang, an den Häusern hin. Weißer Brand, schauriger Widerschein eines Schreckens, der noch unterm Horizont loderte!

Als offenbare sich ihm jäh und furchtbar zukünftiges Geschehen, so starrte Harald auf die in seltsamem Glast schwimmende Stadt zu seinen Füßen. Das unheimliche Geleucht hatte auch den Hafen erreicht. Um Topp und Rahen der Schiffe schlang sich bleiches Nebellicht wie züngelnde Brunst, drängte sich an die Speicher ...

Trotz der lauen Nacht leise fröstelnd, riß sich Harald von dem Bilde los. Und wie er langsam vom Wall herniederstieg, sah er durchs Gebüsch ein anderes weiß als das des verhüllten Mondes schimmern: Jussundas helles Kleid. Rasch schlüpfte er hinter den nächsten Baumstamm, und nun hob ein Amseltririlieren an, kunstvoll und täuschend, wie er's von Heini gelernt hatte, der in allen Vagantenkünsten Meister war. In immer längeren Kadenzen perlte der Sang durch den stillen Garten; dann schloß er plötzlich, und der Sänger brach in ein lustiges Lachen aus.

Sogleich erkannte Jussunda die Stimme, die sie im Traum und wachen hörte. Ihr glockenhelles Lachen antwortete dem Freunde. Hand in Hand wandelten sie durch die geheimnisstille Nacht. Zwar, was Jussunda ihm jetzt angstvoll von Jans düsteren Drohungen zu berichten hatte, das kümmerte ihn wenig. Mit einem leisen Ruck des Hauptes schob er's beiseite. Hatte er doch mit seinem Heiland gesprochen. »Ein armer, unglücklicher Mensch,« meinte er bedauernd, »mißtrauisch auch gegen seine Freunde, immer in sich vergraben und keines guten Wortes teilhaftig, wir müssen seiner schonen, Jussund. Wir wollen ihn lieb haben, daß er uns lieben lerne.«

Das Mädchen erwiderte kein Wort. Aber selig lächelnd duldete sie es, daß Harald ihre Hand ergriff.

»Noch habe ich dir nicht so, wie es mir im Herzen befohlen steht, dafür gedankt, daß du im Hochzeitssaal der Holk mir zur Seite getreten bist,« sagte er leise. »Laß mich's jetzt tun.«

»Wofür willst du mir danken?« fragte sie, und ihre Augen senkten sich vor seinem Blick. »Könnt' ich für dich sterben, ich tät es gern. Ja, halte mich nicht für ein törichtes Kind! Stelle mich auf die Probe! Befiehl mir, daß ich etwas Großes und Gewaltiges für dich tue, und ich werde es vollenden, so wahr ein Gott ist und die heilige Jungfrau!«

Lauer, weicher Wind war erwacht und hatte die Nebeldünste fortgescheucht. Aller Spuk war verronnen, wieder schimmerte die Welt in reinem Silber, hob sich das Geäst deutlich von der samtenen Nacht ab, und aus den letzten Astern, die den herbstlichen Garten schmückten, schien süßer, schwerer Duft aufzusteigen, wie von Sommerrosen. Oben zuckten und flimmerten die Sterne, als saugten sie den opfergleich aufsteigenden Blütenhauch ein. Wie seliger Traum auf weichen Kissen war diese Nacht. Und von ihrem Zauber erfaßt, ihrer süßen Lockung ganz hingegeben, küßte Harald Jussundas Mund.


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