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8. Kapitel

Dämonen der Zwietracht

So war es gelungen, was Steffen Brugg mühsam angebahnt und unter unendlichen Schwierigkeiten durchgesetzt hatte: In seinem Hause am Markt, das dem der Holk gegenüber lag, bescheidener zwar in Ausmaß und Zierat, in seinem Hause hatten sich die Führer beider Parteien zusammengefunden. Ernsthaft, nicht brüderlich, aber doch der Bedeutung der Stunde gedenk, saßen sie um den mächtigen Eichentisch, Matthias Holk, der regierende Bürgermeister, und Rolf Ebelingk, Kai Estorff, Tom Börner und Claus Rodecke von den Geschlechtern, während man den allzu derb drauflos polternden Basedow nicht gebeten hatte; dann Wolf Vynke, Jan und Harald; im Namen und Auftrag der Zünfte und Gilden der Schuster Peter; von den Hafenarbeitern abgeordnet, Riele Haden, der gewaltige Schmied, und, zur Versöhnung etwaiger Meinungsverschiedenheiten, zur Glättung aller Schroffheit, Abt Iso. Auf besonders dringenden Wunsch, den er Steffen Brugg ausgesprochen hatte, war auch Hans Jakob Tysenhusen zur Beratung zugelassen worden.

Noch herrschte keine kraftvolle Eintracht, keine straffe Bürgergesinnung, die das Wohl der Stadt über alles stellte, in der Gemeinschaft. Jedem Redner mißtrauisch auf den Mund blickend, lauerte Jan die Gelegenheiten ab, immer wieder seinen unbändigen Haß gegen die Ratsherren vulkanisch zu offenbaren, schwer genug war es selbst Wolf Vynke gefallen, ihn zu bändigen. Mehr als einmal wäre der fanatische Hitzkopf vom Tische aufgesprungen und hätte die Versammlung verlassen, wenn eben nicht Wolf Vynkes Ansehen und Haralds halb mitleidiger, halb zürnender Blick ihn gebannt hätten.

»Darin stimmen wir wohl alle überein, daß Matthias Holk der Befehlshaber auch in diesem Kampfe sein wird,« bemerkte Steffen Brugg. »Ihm, dem Bürgermeister und alten Feldhauptmann der Stadt, gebührt die Ehre auch diesmal.«

Jan sprang auf. »Das mit Nichten!« schrie er. »Wir aus dem Volk stellen bei weitem den größten Heerhaufen. Die Zeit ist vorbei, da wir uns von euch blindlings und Knechtsgehorsam leiten ließen. So heische ich, daß zum mindesten einer aus unserer Mitte dem Matthias Holk zur Seite gestellt werde.«

»Wie im weiland großen römischen Reiche,« glaubte der gelahrte Ratsschreiber Adam erklären zu müssen. »Ein Konsul der Patrizier, ein Konsul der Plebejer, und abwechselnd befehligte jeder an einem Tags die bewaffnete Macht.«

»Wer fragt dich?« rügte streng Matthias Holk, und der blasse Adam errötete.

»Der römische Staat ist ums Haar an seinen beiden Konsuln zugrunde gegangen,« warf Steffen Brugg hin. »Einer muß den Haufen führen. Einer bringt das Glück, zwei stürzen uns unaufhörlich in neuen Hader.«

»So heischen wir Harald als einigen Führer!« trumpfte der riesige Schmied auf.

Tysenhusen blickte flüchtig zu Iso hinüber, der aber beharrlich vor sich nieder sah. Da wußte er, daß der Abt sein Eingreifen in den Wortkampf nicht wünschte.

Die Ratsherren sahen sich betreten an. Mühsam nur hielt Rolf Ebelingk an sich.

»Und warum muß es denn unbedingt Krieg sein?« fragte Wolf Vynke. »Mich deucht, noch läßt sich ohne Schande alles beilegen.«

»Du vergißt, daß Herzog Heinrich drei Tagesmärsche von uns steht,« rief Rolf Ebelingk zornig, »wenn ihn die Regengüsse nicht aufhalten, hält er noch in diesem Mond die Stadt umklammert.«

»Drauf und dran!« schrie der Schuster Peter und sein gesund blühendes Gesicht färbte sich noch röter. »Schleudern wir den Tyrannen mit seiner ganzen Macht in die Ilmenau, wo sie am tiefsten ist.«

»Gemach!« winkte Claus Rodecke ab. »Daß du ein gewaltiger Krieger bist, wer wüßte es nicht, Peter? Jedesmal, wenn ich ein Paar Stiefel von dir gebrauche, setzt es wochenlangen Krieg wegen der Ablieferung zwischen uns beiden.« Er lachte behaglich, und Peter stimmte schallend ein.

»So verlange ich, daß wir dem Herzog Heinrich Boten entgegenschicken und ihn zu versöhnen trachten, solange es noch Zeit ist,« forderte Wolf Vynke. »Unseres Herrn mildes und gütiges Herz wird der grausamen Rachsucht vergessen, wenn wir, wie es sich gebührt, den ersten schritt tun. Bardowieck hat ihn schwer beleidigt und muß den schimpf aus freiem Herzen mit mannhaftem Entschluß wieder gutmachen.«

»Dein Vorschlag ließe sich wohl erwägen,« meinte Kai Estorff, »aber auch wenn der Herzog geneigt ist, über Vergangenes Gras wachsen zu lassen, glaubst du, daß er dieser Stadt die alte Freiheit gönnen würde? was hilft uns seine großherzige Verzeihung ohne fürstliche Bürgschaft für unsere verbrieften Rechts?«

»Ein Verräter, wer ihn in diese Mauern läßt!« ereiferte sich Jan, die Linke auf den Tisch stoßend. »Lieber sterben, Mann für Mann, ehe wir dem Verhaßten die Tore öffnen!«

»In der Tat,« mischte sich Tysenhusen ein, »mag Bardowieck auch den Herzog bitterlich gekränkt haben – wie er bisher gegen die Stadt handelte, das könnte unsere Herzen nicht für ihn erwärmen. Löschen wir den alten Zwist aus, des wäre ich von Herzen froh, aber in unsere Tore darf er nicht einziehen.«

Kai Estorff ließ wägend den Blick auf ihm und dem Abte ruhen, sagte aber nichts.

»Wohl hat der Herzog den Geschlechtern dieser Stadt wenig Gutes erwiesen, seitdem sie von ihm abgefallen sind, ihn verhöhnt und beschimpft haben,« erwiderte Wolf Vynke. »Doch die Zünfte verdanken ihm ihre Rechte, die jetzt auch von den Geschlechtern anerkannt worden sind, über all die Dinge wird, mein' ich, zu entscheiden sein, wenn wir sein freundliches Gehör erlangt haben.«

»Da Tysenhusen gegen den Vorschlag ist, stimme ich dafür,« bemerkte Kai Estorff trocken.

»Ist's mir nicht, als weile einer unter uns, der wohl der geeignetste wäre, neue Freundschaft zwischen Bardowieck und dem Herzog anzubahnen?« fragte der schnell bekehrte Peter. »Ist nicht einer unter uns, dem, so sagt man, Herzog Heinrich die Stadt nach seinem Tode anvertrauen will?« Er wies auf Harald, vor dem er sich tief verneigte.

»Sprich jetzt nicht davon, Schuster, ich warne dich!« grollte Rolf Ebelingk.

»Die Rechte des Prinzen erwürgst du nicht mit solcher Drohung,« erwiderte Wolf Vynke gemessen. »Harald ist Herr der Stadt, wenn sein erhabener Vater die Augen schließt.«

Unwilliges Murren, gereiztes Rufen klang von der Tischecke her, wo neben Rolf Ebelingk Tom Börner und Claus Rodecks saßen. »Heil dem Prinzen Harald!« krähte Peter in die gärende Unruhe hinein.

»Lasset, ich bitte euch, Harald selber sprechen,« meinte da Abt Iso.

»Was ich meinen Brüdern draußen verkündet habe, heute und gestern, alle die Zeit hindurch, das wiederhole ich hier vor euch, ihr Herren,« scholl Haralds feste Stimme. »Ich bin nicht Prinz und Herrscher. Ein Freier unter Freien bin ich. Bardowieck steht in Kämpfen wie keine andere Stadt des Reiches, Bardowieck ist die erste, in der Hoch und Niedrig sich freudig die Hand bieten zu gemeinsamem Wirken. So werfe ich die Krone von mir, die meines Vaters Gunst mir verheißen hat und tausche, meine Freunde,« er wandte sich an seine Getreuen, »eure Liebe dafür ein. Laßt uns gemeinsam zur Höhe streben, und mein Vater wird, wenn er unser ernstes Wollen erkennt, seinen Frieden mit uns machen.«

Peter klatschte knallend in die Hände, und Steffen Brugg reichte Harald die Hand über den Tisch hinüber, »So wacker! So muß es uns ja glücken!«

Selbst Tom Börner und Claus Rodecke strahlten plötzlich übers ganze Gesicht. Nur Rolf Ebelingk wandte sich feindselig ab.

»Und so, Harald,« erhob sich Matthias Holk, »bitten wir dich, zu deinem Vater zu reiten und mit ihm zu verhandeln, wir legen vertrauensvoll Bardowiecks Geschick in deine Hände.« Rolf Ebelingk konnte sich nicht enthalten, höhnisch aufzulachen. »Laß eiligst satteln, damit du zeitig beim Herzoge eintriffst und der Frieden gesichert werde.«

Tysenhusen wollte Einspruch erheben; ein mahnender Blick des Abtes hielt ihn zurück.

Einmütig ward beschlossen – nur Rolf Ebelingk enthielt sich der Stimme –, Harald sofort ins herzogliche Lager zu entsenden.

Noch standen die Männer eine Weile im Gespräche beieinander. Der Hausherr ließ köstlichen Griechenwein reichen, und während die Pokale klangen, ward manches vertraute, fast freundschaftliche Wort gewechselt, vertrauter und freundschaftlicher als noch vor Wochenfrist irgendeiner geglaubt hätte.

Ehe aber Abt Iso sich verabschiedete, wechselte er mit Tysenhusen insgeheim noch einige Worte ...

»Ganz und gar mißfällt mir, hochgebietender Herr, was da beschlossen worden ist,« machte sich Tysenhusen nach einer Weile, als Kai Estorff gegangen war, an Rolf Ebelingk heran, der verdrossen beiseite stand. »Bedenk' ich, daß die Zünfte und Gilden den adeligen Herren schier um das zwanzigfache an Kopfzahl überlegen sind, so beschleicht mich Sorge vor der Zukunft, wie leicht ist es doch, eure Waffenknechte durch einen Handstreich zu überrumpeln!«

Da horchte Rolf Ebelingk auf. »Ich habe dich immer als einen braven, ehrlichen und klugen Mann erkannt, Hans Jakob,« sagte er leise. »Auch jetzt triffst du den Nagel auf den Kopf, wenn ich dir vertrauen könnte –«

»Baue auf mich wie auf die Grundmauern deines stolzen Hauses drüben!«

»Noch größer als deine Sorge ist meine. Doch wenn wir vereint vorgehen – und es soll dein Schade wahrlich nicht sein – dann kann uns die Überzahl nicht erschrecken. Nur freilich, mein Goldschatz reicht nicht hin, um ohne Matthias Holks Einwilligung vier- oder fünfhundert neue Waffenknechte heranzuziehen. Hätten wir die, Hans Jakob, so wären wir vor jedem Handstreich sicher.«

Tysenhusen trat näher an ihn heran. »Ihr wißt, ich habe Forderungen an die in Lübeck. Bisher weigerte sich der Rat, mir seine Stütze zu leihen, wenn ihr euch verpflichtet, zu guter Stunde, sobald wir wieder in festem Frieden leben, für mein Recht einzustehen, nun, dann erweist mir die Gunst, hochgebietender Herr, daß ich die Hälfte der Waffenknechte aus meinem bescheidenen Schatz bezahlen darf. Es geht um Bardowiecks Ehre, um das Glück der Vaterstadt. Da ist mir kein Opfer zu groß. Befehlt über mich!«

Bewegt streckte ihm Rolf Ebelingk die Hand entgegen. »Abgemacht! Die Lübecker werden dich bezahlen. Du bist ein wahrer Freund in der Not. Sei gewiß, diese Tat wird dir nie vergessen werden!«

Bald nahmen die Gäste Abschied. Tysenhusen als einer der ersten. Unten auf dem Markt, an das Portal des Domes gedrückt, wartete er, bis Jan Dieter das Haus verlassen hatte. Dann heftete er sich an die Fersen des einsam seines Weges Schreitenden.

»Laß mich dir danken, Jan, für die Tapferkeit und Treue, mit der du des Volkes Sache verfichtst! Du bist der einzige Mann, auf den die Freunde der Freiheit rechnen dürfen. Aber hüte dich wohl! Verrat ist unterwegs! Nütze die Stunde, solange sie dir günstig ist. Harald reitet aus der Stadt, zu seinem Vater. Er wird sich ihm verbinden, ihm Bardowieck in die Hände spielen, wie könnte er anders? Harald reitet aus der Stadt! Nun wohl! Solange er abwesend ist, ist die Stadt dein, wenn du zuzugreifen wagst. Nie wieder glänzt dir der Stern der Stunde so günstig.«


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