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13. Kapitel

Es dämmert die Nacht

»Du kommst nicht mit ins Gildenhaus?« rief Jan zu Heini Hoyer hinauf, vor dessen Haus er wartend stand, »wir rechnen auf jeden Tüchtigen.«

Der Maler schob den Kopf durchs kleine Fenster. »Ahntest du, wie hart ich zu scharwerken habe!« rief er hinunter. »Nichts verfluche ich so zornig wie die späten Morgen und die frühen Abende. Hätte der Tag doch doppelt so viele Stunden! Ach, Kunst ist eine harte Herrin. Geh, guter Jan, vertrau auf mich! Ich werde zur Stelle sein, wenn ihr einen am Wall mehr braucht, aber heut muß ich arbeiten.«

»So wenig gilt dir die Freiheit?« machte Jan einen letzten Versuch.

»Jegliche Ehrung der Freiheit, aber die Freiheit malt mir kein Bild fertig, das muß ich schon selber besorgen.«

Und damit verließ Heini das Fenster, um sich zwar nicht der Malerei, aber dem Inhalt des großen Tonkruges zu widmen.

Achselzuckend setzte Jan seinen Weg zum Gildenhause fort, schon hatten sich in der Zunftstube Obermeister und Obleute versammelt, heftige Zwiesprache war im Gange. »Entschließt euch, wie ihr wollt,« rief der alte Vynke mit harter Stimme, und seine grauen Augen blickten unerbittlich. »Ich hebe das Schwert nicht gegen meinen Herzog. In Ehren bin ich grau geworden, in Ehren will ich sterben, nicht aber als Verräter an meinem geliebten Herrn.«

Jan griff sofort ein. »Auf deinen Arm können wir zur Not verzichten, und wir begreifen wohl, daß dein Herz dich zwingt, der Entscheidung fernzubleiben. Aber keinem anderen darf es gestattet sein, beiseite zu treten, wer nicht für Bardowieck und die Freiheit ist, der ist wider sie. Der letzte Mann, jeder waffenfähige Knabe gegen Herzog Heinrich! Und wenn Tausende und aber Tausende von uns fallen, seine Tyrannenmacht muß in unseren Gräben ersaufen, vor unseren Wällen zersplittern.«

»So recht!« klang sine dreiste Stimme dazwischen. »So nützest du wacker dem Rate!«

Jan fuhr auf. Sein wirres Haar hing in dunklen Strähnen um das wildverzerrte, bleiche, magere Gesicht, Wütend hob er die Linke wider den Kecken. »Wer ist unter euch, der mich einen Freund des Rats nennen dürfte?« rief er. »Seht mich an, was sie aus mir gemacht haben! Einen todkranken Menschen, der sterben geht, sterben für euch und Bardowieck! Einen armen Verstümmelten,« und er zeigte den rechten Armstumpf. »Meinen Vater haben sie hingerichtet, meine Mutter ermordet, mir alles, auch das letzte Lebensglück genommen, wer ist unter euch, der mich einen Freund des Rates nennen dürfte? Und doch mahne ich euch, liebe Brüder, steht jetzt zusammen mit dem Rate, Mann für Mann, gegen den Teufel Heinrich! Mit Ruten hat uns der Rat gepeitscht, Heinrich wird mit uns Skorpionen züchtigen. Seid Helden, damit ihr nicht kläglicher als Sklaven werdet! Hier im Norden muß Bardowieck dem Übermächtigen trotzen, wie einst, alte Mären künden es, in Hispanien die Stadt Sagunt den gewaltigen Römern getrotzt hat! Sagunts Ruhm klingt durch die Welt, solange freie Adler durch freie Lüfte rauschen, freier Geist ein freies Herz pochen macht. Nichts soll uns in diesen Tagen bewegen als der Gedanke, den blutgierigen Löwen zurückzuschlagen. Deshalb stehen wir heute zum Rate. Deshalb gehören ihm unsere Schwerter. Die Stunde ist nahe, wo wir auch seiner ledig werden, inzwischen aber gilt nur eines: Tod dem Herzog Heinrich! Tod allen, die ihm anhängen! Nieder mit den Verrätern in der Stadt!«

Er schrie es mit letzter Kraft heraus, seine heisere Stimme überschlug sich. Plötzlich ging ein Zucken durch seinen Körper, Blut strömte ihm aus dem Munde, und er brach zusammen, sein fanatisches Toben hatte die Seelen entzündet, und wer die Ruhe zu bewahren trachtete, den bewegte doch aufs tiefste der Anblick des schwerkranken, aber noch in hartem Siechtum nur an Bardowieck denkenden Führers. Lärm brandete auf, und »Tod dem Herzog Heinrich! Tod den Verrätern!« donnerte Geschrei der Erregten.

»Und des Herzogs Sohn?« schrie einer im Gedräng.

Der Schuster Peter trat vor. »Wir alle achten und lieben Jung Harald,« beteuerte er süßlich. »Aber steht er noch an rechter Stelle? Dürfen wir ihm, just ihm zumuten, im Kampfe unser Führer zu sein? Der Sohn des Herzogs, darf und wird er die Hand gegen den eigenen Vater erheben? Niemand hält treuer zu Harald als ich, niemand liebt ihn inniger – doch eben deshalb, um seinetwillen, und damit er vor bitterem Seelenleid bewahrt bleibt, ermahne ich euch, auch ihm dasselbe Recht zu gönnen, wie Wolf Vynke. Er bleibe dem Kampfe fern, denn da er beide liebt, seinen Vater und Bardowieck, vermag er für keinen von beiden Partei zu ergreifen.«

Einen Augenblick lang verstummte die Menge. Überraschtes Staunen und Verlegenheit malten sich auf den Gesichtern. Da drängte sich noch einmal Wolf Vynke aus dem Hintergrunde hervor. »Das wagt ihr dem zu bieten, den wir bis heute unseren Feldherrn genannt haben? Dem, dessen Wort euch vom Hungertode gerettet, der euch die Speicher geöffnet hat? Freilich, Hunger und Elend sind vorüber, und Dankbarkeit und Treue kennt nur der Hund. Wie aber wollt ihr ohne Harald die Schlacht bestehen? Meint ihr, die tausend Männer am Hafen lassen sich von ihm trennen, weil ihr schon kläglich von ihm abfallt? Ohne Harald kämpfen sie nicht, dessen seid versichert. Nichts wäre mir lieber, als wenn Harald sich aus dem Kampfe zurückzöge, aber stärker in ihm ist die Liebe zur Heimatstadt als zum Vater, der die Heimatstadt mit dem Untergange bedroht. Und einen Helden so edlen Herzens, so strahlender Freiheitsliebe wollt ihr tödlich kränken? Wer von euch vermag denn an seine Stelle zu treten? Etwa der kranke Unglückliche, den er erst heute morgen wieder aus dem Turm befreit hat? Schämt euch eurer Schwachmütigkeit und Torheit! Soll es dahin kommen, daß es jedem Braven für eine Schande gilt, sich mit euch Narren einzulassen!«

Das harte Wort verfehlte seine Wirkung nicht. Wolf Vynkes hohes Ansehen entschied noch immer jeden Streit; nicht umsonst verehrte man den Kreuzfahrer fast wie einen Heiligen. Aller Augen richteten sich auf Harald, der in starrem Schweigen dastand und seine Verachtung der wankelmütigen Menge nur aus den Augen blitzen ließ.

»Hab' es ja gar nicht bös gemeint, Wolf Vynke,« verteidigte sich Peter. »Was einer von uns hier sagt, sagt er zum gemeinen Besten der Stadt, nicht um Tapfere zu kränken. Hält die Gemeinschaft dafür, daß kein anderer als Harald uns zum Siege führen kann, nun wohl, so folgt ihm niemand begeisterter als ich und meine ganze Zunft. Also nichts für ungut, Harald!« Damit streckte er ihm die Hand mit den kurzen Fingern entgegen. Aber Harald berührte sie nicht. Um seine Lippen ging ein Zucken, seine Nüstern zitterten leise, dann wandte er sich zum Gehen. In diesem Augenblicke faßte die Versammelten rauher Schrecken an. Verzagtes Gemurmel, ängstliche Bitten wurden laut, die Umstehenden drängten näher an Harald heran, der und jener wagte ein erklärendes, Versöhnung heischendes Wort. Er aber kümmerte sich um niemand mehr und schritt durch die sich ängstlich-achtungsvoll öffnende Gasse zur Tür ...

Das Licht war schlecht geblieben, aber trotzdem hatte sich Heini Hoyer bald nach seinem Gespräch mit Jan Dieter zu Jussunda begeben. Wenigstens das Madonnenbild wollte er im ersten Farbenauftrag vollenden, ehe er die Stadt verließ. Da es zu dem freundlichen Mädchen am Westergraben ging, war auch Zinnober mit Eifer bei der Sache. Hielt doch Jussunda immer eine besondere Leckerei, einen saftigen Knochen oder auch ein Stück Speck, für ihn bereit.

»Wenn ich mich nicht beeile, so sperrt Herzog Heinrich mir den Ausweg,« befürchtete Heini Hoyer, als er Jussunda gegenüberstand. Ach, und fürchtete es doch nicht. Denn in diesen letzten Stunden hatte er wieder erkannt, wie bitter schwer, wie unmöglich ihm das Scheiden von ihr fallen würde. Leuchtender und glücklicher als heute hatte sie noch nie ausgesehen. Ein morgenländisches Gewand von lichtem Weiß umfloß ihren schlanken Körper, in zwei schwarzen Zöpfen fiel das mit roten Seidenbändchen und Korallen geschmückte Haar hernieder.

»So willst du wirklich wandern,« fragte Jussunda, »jetzt, wo der Winter vor der Tür steht? Nein, Meister, das leid' ich nimmer! Wie freundlich wird hier alles werden, wenn wir des Herzogs erst ledig sind und froh beieinander sein dürfen.«

»Warum soll ich dir nicht sagen, wie gerne ich bliebe, Kind?« erwiderte er. »Doch mein Weg führt in Nacht und Schnee hinaus. Er ruft mich, und ich, der Verlorene, muß folgen. Denn sieh, Jussunda, ich habe ein Mädchen lieb ... es ist schön wie du, mit schwarzen Augen wie du ... Manchmal ist mir in diesen Tagen fast die Gewißheit gekommen, daß ich an ihrer Hand den Himmel hätte finden können. Doch es ist zu spät. Ein Größerer hat sie mir genommen. Trotzdem, das will ich dir auch verraten – wenn ich bei meiner Freundin bin und ihrem Lachen lausche, das wie Lerchengetriller klingt, dann hege ich wohl den Wunsch, zu ihren Füßen zu sterben, ehe mein Herz unrettbar und für ewig im Schlamm versinkt. Warum soll ich allein auf Erden nicht einmal die Seligkeit der reinen Liebe kosten? Ja ... aber du hörst ja gar nicht hin, Jussunda! Verzeih mir, daß ich dir von meinen Träumen sprach, Liebste!«

In ihre blassen Wangen stieg helle Röte, und tief senkte sie die schwarzen Wimpern auf die dunklen Augensterne.

Heini war in Verzückung geraten. »Du bist doch Christin, Jussund. In deinen Augen wohnt des Heilands milder Sinn, der sich dem Sünder neigt. So erbarme dich mein, Jussunda, und verstoße mich nicht. Laß mich vor dir knien, Herrin meiner Seele!« Und damit warf er sich ihr zu Füßen. Sie legte traurig ihre kühle Hand auf seine heiße Stirn.

»Ich bin nur ein schwaches Mädchen, mein Bruder, nicht weise und gut genug, aber ich will für dich beten.«

»Beten?« lachte Heini wild auf. »Dein Gebet will ich nicht, Mädchen, dich selber will ich. Und niemand ist stark genug, kein Teufel klug genug, dich mir zu entreißen.«

Wie er das sagte, kläffte Zinnober ingrimmig und boshaft los, als nahe sich ein Feind. Heini sprang auf und wendete sich rasch wieder der Staffelei zu. Und schon war Harald ins Zimmer getreten, bleich und müde, schwere Furchen zwischen den Brauen.

Mit einem Freudenschrei flog ihm Jussunda entgegen und warf sich ihm an den Hals. Heinis Trübsal, die eben noch ihr mitleidvolles Herz bewegt hatte, war vergessen; glückselig lächelnd strahlte sie den Geliebten an. Harald zog sie zärtlich an sich, aber die finsteren Schatten wichen nicht von seiner Stirn.

»Du warst im Gildenhaus?« fragte Heini.

Harald nickte.

»Hab' ich's doch gewußt. Jedesmal, wenn du verdrossen und zornig dreinschaust, warst du bei deinen teuren Freunden im Gildenhaus.«

Behutsam machte sich Harald aus Jussundas Arm frei, strich mißmutig das blonde Haar aus der breiten Stirn. »Ich ertrag's nicht länger,« brach er los. »Mit dieser verborgenen Tücke, diesem boshaften Undank, der mich aus sicherem Hinterhalte befehdet, mag ich nicht kämpfen. Daß ich des Herzogs Sohn bin, dessen klagen sie mich an, das machen sie mir zum Vorwurf, obgleich es doch, da ich treu zum Volke stehe, mein höchstes Lob sein sollte. Oh, wie mir aller Mut und aller Stolz zerbricht, vor der Tücke des Pöbelsinns!«

»Du kommst allmählich in die Jahre, wo man sich der Schwärmerei entschlagen muß,« sagte Heini mit erzwungenem Gleichmut. »Diese Welt läßt sich eben nicht mit Fahnenrauschen und Fanfarengeschmetter erstürmen. Sie will den Alltag und gediegene Alltagsleute. Schweiß dir aus den Sternen ein Diadem, schlage des Himmels Seide wie einen Prunkmantel um deine Schultern – und sei gewiß, sie sagen dir nach, du hättest all die Pracht geraubt, um sie beim Handelsjuden zu verkaufen.«

»Es wird Zeit, daß die Entscheidung fällt,« warf Harald gesenkten Hauptes hin. »Ich unterliege, muß ich noch länger in diesem Streit gegen Verleumdung und Mißgunst stehen. Ich wende mich von dieser Stadt, ehe sie mich mit ihrer Erbärmlichkeit zum Erbärmlichen stempelt.«

Ein triumphierendes Lächeln spielte unmerklich um Heinis Lippen, aber Jussunda deuchte es, als wären Haralds Worte ein Dolch, der ihr ins Herz gestoßen ward. Bang suchten ihre Blicke die seinen, die düster auf der Erde hafteten. »Wenn du dem Kampfe fernbleibst, sinken alle Fahnen,« klang es leise von ihren Lippen. »Wer soll die Stadt retten, wenn nicht du?«

»Erinnerst du dich unseres letzten Gesprächs auf dem Butenspäler? Ich sah dies Unheil voraus, wußte, daß du aus wirrem Traum erwachen mußtest und danke den Heiligen um deinetwillen, daß es so bald geschah,« stachelte Heini, um Jussundas Schmerz unbekümmert, den dumpfen Unwillen Haralds weiter an. »Was suchst du in dieser Krämerstadt? Wann hat der Tiger je mit Hunden Freundschaft geschlossen? Wann ist der Löwe den anderen Kreaturen ein Bruder und nicht König gewesen? Laß das Pack und werde wieder der Prinz! Lieber noch fünf Jahre auf dem Nordermeer, als auf diesem kläglichen Ententeiche!«

Da hob Jussunda das Haupt, und ihre schwarzen Augen sprühten Flammen. »Glaube ihm nicht, Harald! Glaube ihm nicht! Gott hat dich auserkoren, das große Werk zu tun. Gott hat dich uns zum Retter gesandt, und du wirst siegen, wenn du nur willst. Geh nicht mit ihm, Harald! Er will dich für immer von uns fortlocken, von uns, die dich lieben und deinem Stern vertrauen ... Ich liebe dich mehr als den Heiland ... Geh nicht von mir, Harald!« Und schluchzend schlang sie die Arme um seine Schultern, legte ihren Kopf an seine Brust und weinte erschütternd. Da stieg in seinen blauen Augen ein helles Leuchten auf, er lächelte das Mädchen dankbar und beglückt an.

»Warum so furchtsam, Kind? Wie könnte ich dich verlassen, die ich über alles lieb habe!«

In eifersüchtiger Qual zuckte Heini zusammen. Er sah, daß sich die beiden nicht mehr um ihn kümmerten, flüsterten sie doch in zärtlicher Rede miteinander. Und so schlich er verstört und sinnlos, alle Höllen im Blute, leise aus dem Gemach fort.

Lange noch plauderten Harald und Jussunda von ihrer Liebe. Zögernd hob sie endlich den Mund an sein Ohr zu der leisen Frage: »Hast du ein anderes Mädchen lieber als mich, Harald? Ach, sage es doch!«

Statt der Antwort preßte er sie enger an sich, vergrub sein Gesicht in ihrem dunklen, duftenden Haar und träumte. Mit geschlossenen Augen sah er vergangene Nächte vor sich, wo er unter einem kleinen Fenster sehnsüchtig wartend gestanden hatte. Fahler Mondenschein rieselte an ihm hernieder, von fern bellte der Hofhund, sonst kein Laut in der sterndurchfeuerten Stille. Plötzlich wehte oben am Fenster der Vorhang, wie im lauen Nachtwinde, durch die weiße Nacht schimmerte es weißlich und eine Nelke fiel ihm zu Füßen ... Fester preßte Harald die zitternde Jussunda in seine Arme und küßte sie immer wieder. Ihm war, als wehe rund um ihn herum Licht und Klang, als stünde er auf weißglühender Sonne allein, ganz allein, allein mit ... Maria Holk.

Da erschrak er und wand sich hastig aus Jussundas Umarmung. Die Luft im Gemach schien ihm plötzlich unerträglich schwül, und heftiger Schmerz bohrte in seinen Schläfen, als heische der Wahnsinn Einlaß. Wirr rasten wilde Wünsche und Gedanken durch sein Haupt, deren er nicht Herr zu werden vermochte. Er stammelte wenige abgerissene Worte und verließ das bleiche Kind.

Fassungslos, erschrocken blickte sie ihm nach, sah sich im Zimmer um, rief ihn beim Namen, als hätte sie nur ein böser Traum genarrt. Was habe ich ihm schlimmes getan, wodurch habe ich ihn gekränkt? schluchzte sie, immer bereit, dem Freunde alles zu verzeihen und jeden Vorwurf auf sich zu nehmen. Wie sie aber die Worte überdachte, die er heut zu ihr gesagt hatte, da durchzuckte es sie plötzlich wie ein Blitzstrahl, der die Nacht in ihrer Seele rot erleuchtete. In namenlosem Schmerze krampfte sie die Hände fest in ihr Gewand, ihre Augen starrten weit geöffnet in die Ferne, als steige Entsetzliches vor ihr empor. »Du mein Gott, allbarmherziger Gott!« schrie sie auf und stürzte in die Knie. »Er liebt mich nicht, er liebt die andere noch, und ich muß sterben« ...

Wieder schritt Harald die Gassen entlang. Kriegerisches Getümmel überall; mit hartem Schritt zogen Trupps von Waffenknechten vorbei. Gedankenlos folgte er einem davon. Schon wurden hier und da die den Toren benachbarten Straßen mit Eisenketten abgesperrt, die dicken Eichentüren der Patrizierhäuser waren verschlossen und öffneten sich nur noch vertrauten Freunden. In allen Schmieden sprühten die Feuer höher als je, klangen die Ambosse wuchtiger. Bis in die späte Nacht hinein ging der Lärm. Alles, was Bardowieck an Waffen barg, ward geprüft und instand gesetzt.

Käme es doch zur Schlacht! dachte Harald. Ließen die Qualgedanken endlich mich frei! Vergäße ich die Kette, die mich eng umschnürt! Dürfte ich doch morgen, noch heute nacht als erster Toter verbluten, ins Fahnentuch der neuen Freiheit gehüllt! Ich stehe zu meinem Volke, ich will nichts von dir, Herzog Heinrich, nichts von dem Reichtum, nichts von der Macht, die du mir bietest. Aber das dies Volk mich beschimpft und verdächtigt, mich, ich weiß es genau, verachtungsvoll beiseite schleudern wird, wenn ich die Schlacht gewonnen habe, der Gedanke bringt mich zur Raserei ... Pfad- und ratlos stehe ich am Scheidewege. Gib mir ein Zeichen, Gott, welchen Weg ich gehen soll!«

Die Waffenknechte verschwanden am Flusse. Harald blickte sich um. Er stand am Eichhof, den die Ilmenau umfließt, im Schatten der Türme von St. Nikolai. Wie abwesend starrte er über das Herbstgelände hin. Aber plötzlich veränderte sich jäh der Ausdruck seines Gesichts. Er fühlte, wie er erbleichte, ausweichen, fliehen wollte und doch, von unwiderstehlicher Kraft gefesselt, verharren mußte. Maria Holk kam des Weges gegangen. In dunkelgrünem Prachtgewand, das anmutvoll die reizvolle Gestalt umhüllte, schritt sie wie der Frühling durch den Herbsttag. Zwei lichtgekleidete Mägde, helles Frühlingsgewölk, folgten ihr.

Ganz dicht streifte ihr Kleid den stillen Mann am Waldessaum, und ihr Blick ruhte auf seinem Antlitz, ein Blick voll süßer Bitte und süßem Gewähren. Harald wandte sich nicht trotzig ab, lachte nicht in finsterem Hohn – mit Gier trank er das Leuchten der blauen Sterne. Fragend hob er die Augen zu ihr, und wieder lächelte sie ...

Längst war Maria mit ihren Dienerinnen im Grau des Herbsttages verschwunden, aber Harald stand immer noch am Waldesrande und sah ihr nach. Endlich riß er sich zusammen. Sein Blick flog zum wild zerrissenen Himmelsgrau empor. »Ist dies das Zeichen gewesen, das du mir geben wolltest, Gott da droben?«


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