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Der Verschlag, in dem Walther und Laurens in einer Bettstelle schliefen, lag über der Wohnstube. Sie teilten den Raum mit zweien ihrer Schwestern und mußten also aus Zartgefühl immer ein Viertelstündchen früher schläfrig werden als die jungen Dämchen.
Ich bin nicht gelehrt genug, um zu wissen, wie viel Sauerstoff vier junge Menschen für acht Stunden nötig haben, um nicht gerade zu ersticken. Aber enge war es in dem Winkelchen. Soldaten hätten sich beschwert...
In einem anderen Kämmerchen war eine ähnliche Einteilung, und auch da wurde die Minute der Schläfrigkeit, durch ähnliche Keuschheitsgesetze bestimmt.
Wenn nun der geehrte Leser ein klein bißchen Verwaltungsgenie hat, wird er sofort wissen, warum ein Teil der Familie, und natürlich der weibliche, noch im Wohnzimmer zusammen saß, als Walther davon träumte, daß Prinzeß Erika käme, mit ihm zu tauschen.
Statt dessen hörte er, wie wir wissen, die Stimme der Jüffrau Laps, die wie eine Rasende die Treppe herausstürmte, und heulend, schluchzend, weinend in die Stube flog.
Die gewöhnlichen Ausrufe »Menschenkind, was ist los?« und »Herrejeses, was ist denn passiert?« waren erledigt. Walther konnte wahrnehmen, daß das übliche Glas Wasser angeboten und getrunken war und daß man nun dabei war, die Tiefunglückliche zu veranlassen, »sich doch zu beruhigen.«
Jüffrau Laps fing mit der deutlichen Versicherung an, daß es ihr unmöglich wäre, ein Wort herauszubringen.
Die Sache schien also wichtig. Walther zog seinen einen Strumpf wieder an, um besser horchen zu können.
»Ich schwöre Ihnen bei Gott, dem Allmächtigen, Jüffrau Pieterse, ich kann nicht sprechen vor Schreck und Aufregung.«
»Lieber Himmel!«
»Wo sind Ihre Kinder? Zu Bett? Doch nicht alle, hoffentlich? Ich kann wirklich nicht sprechen! Noch 'n Glas Wasser, Trude. Hören Sie, wie ich zittere ... Zähneklappern kommt vom Schreck, nicht wahr? Danke, Trude, und wo ist ... Stoffel?«
»Nun, der zieht sich aus. Vor mir und Petro, Mine nämlich strampelt so, wissen Sie, und Trude muß bei den Jungens bleiben, sonst hauen sie sich. Deswegen schlaf ich mit Petro, wissen Sie. Und darum zieht Stoffel sich aus, und dann zieht er die Bettgardinen vor, wenn er uns auf der Treppe hört. Aber ...«
»Was mich das angeht? Ganz recht. Ich bin außer mir vor Schreck! Und ist ... Laurens auch schon zu Bett?«
»Natürlich, lange! Er muß früh nach der Druckerei.«
»Alle zu Bett! Und ich, ich laufe wie ein Unglück durch die Straßen, wie verrückt... und weiß nicht, was ich machen soll! So? Also ... hier ist ... alles ... zu Bett?«
»Aber was ist denn geschehen?«
»Ich will's Ihnen sagen, Jüffrau Pieterse! Ach, wenn Sie wüßten, wie ich erschrocken bin!«
Walther zog aus akustischen Gründen jetzt den zweiten Strumpf an.
»Sie wissen, Jüffrau Pieterse, daß jetzt so viel gestohlen wird.«
»Ja, aber ...«
»Und eingebrochen und gemordet! Und daß die Polizei nicht dahinter kommt, wer es gewesen ist. Der Mord an der alten Frau und dem Dienstmädchen in der Lommerstraße ...«
»Aber dafür sitzen ja drei im Loch! Was wollen Sie mehr?«
»Ja, schön! Die Mörder laufen frei herum, was ich Ihnen sage! Die drei Kerls haben sie eingesperrt, damit wir nichts merken sollen. Sonst würden die Menschen fragen: wozu ist denn eigentlich die Polizei? Sehen Sie! Ich sage Ihnen, daß so ein gemeiner Kerl, der einen Mord begeht, der viel Geld stiehlt, seine blutigen Kleider nicht verstecken kann. Und das Geld auch nicht. Er ist nicht gewöhnt, mit so viel Geld umzugehen. Alle seine Nachbarn kennen seine Hose und Jacke. 'ne Kiste, wo er was verstecken kann, hat so 'n Mann nicht. Verstand von Effekten und Obligationen hat er auch nicht. Und den Weg ins Ausland weiß er auch nicht. Und Freunde, die ihm helfen, das verdächtige Zeug los zu werden, hat er auch nicht. Und ich sage Ihnen, Jüffrau Pieterse – ein Mord oder ein Diebstahl oder so was – wenn sie da den Mörder nicht sofort fassen – dann sag' ich, Jüffrau Pieterse – dann hat's 'n anständiger Mensch gethan, einer, der mehr Röcke und Kisten und Spinde und so was hat und viel weiße Wäsche ... und Freunde unter den Banquiers... Ein gemeiner Mensch würde hunderttausend Gulden in den Brotkasten legen und da finden's dann die Kinder, wenn sie Butter naschen wollen. Was meinst du, Trude?«
Trude hatte über solche Kriminalstatistik noch nicht nachgedacht. Walther hörte wenigstens keine Antwort, wenn ihn auch die Neugier veranlaßte, die Hose anzuziehen.
»Aber,« hörte er wieder seine Mutter sagen, »was ist denn eigentlich mit Ihnen passiert?«
»Was passiert ist? Ich bin ja außer mir! Sehen Sie, wie ich zittere! Die Stadt ist ja voll Mörder!«
»Lieber Gott, was kann ich dazu thun?«
»Nichts! Ganz und gar nichts! Aber ich bin außer mir! Und ich will Sie um Rat fragen ... gehen denn Stoffel und ... Laurens und ... alle immer so früh zu Bett? Sehen Sie, wie ich noch zittere. Glauben Sie wohl, ich traue mich nicht nach Hause!«
»Aber warum denn nicht? Denken Sie, daß sie Sie ermorden werden?«
»Jawohl, das denk' ich! Die Mörder der alten Frau und des Dienstmädchens laufen noch herum – gestern bei der Illumination haben sie so viel Uhren gestohlen – und die Polizei – wissen Sie, was die Polizei thut? Die guckt nach, ob einer morgens nach zehne den Teppich ausklopft ... das thut die Polizei! Die Mörder aber läßt sie laufen. Das sage ich!«
»Aber was wissen Sie denn von den Mördern? Geben Sie sie an, wenn Sie sie kennen! Das ist Pflicht!«
Walther zog die Weste an und nahm das Tuch um den Hals.
»Was ich davon weiß! Sie belagern mich in meinem eigenen Hause! Ist das nicht arg? Ich bin mittags von Hause weggegangen, um mir das Wettsegeln auf der Amstel anzusehen. War aber nichts zu sehen, weil kein Wind war. Und die Masse Menschen! Alle Könige waren da und die fremden Prinzen und Prinzessen, wissen Sie, und die Menschen guckten nach den Kutschen und ich auch. Nicht, daß ich mir was aus 'm König mache, Gott nee! Denn er ist ein Wurm in Gottes Hand, und wenn der Herr ihn nicht stützt... alles Irdische ist nur Thorheit. Staub und Asche – glauben Sie mir! Aber ich sah nach den Kutschen, wissen Sie, und nach den Pferden und nach dem Volke, das danach guckte. Und ich dachte so bei mir selber, wenn ich des Abends nach Hause komme, werde ich mir die Kartoffeln braten – die waren nämlich von Mittag übrig geblieben, und wenn Kartoffeln übrig bleiben, wissen Sie, dann brat ich sie mir abends. Und 's war groß Gedränge bei der Amstel, und alle ärgerten sich, weil kein Wind war, denn die Menschen sind ganz toll aufs Vergnügen und fragen nicht, was des Herren ist! Weltlich, weltlich waren die Prinzen und Prinzessen – sehen Sie! Ja, dachte ich, da wundert's mich gar nicht, daß so sehr gemordet wird und gestohlen, denn sie versuchen Gott. Und ich dachte: der Herr wird euch schon fassen, denn der Herr wartet seine Stunde ab. Denn, Jüffrau Pieterse, das thut er immer! Eine Dame – das Mensch hatte rote Pickel im Gesicht und war noch älter als Sie, Jüffrau Pieterse – was meinen Sie, was die auf dem Kopfe hatte? 'n Turban, Menschenkind! Und sie saß in 'ner Kutsche mit vier Pferden. Ist das gegen den Herren oder nicht? Und sie spielte mit'm Fächer, und wie 'n Prinz an ihre Kutsche heranritt, streckte sie die Hand raus und ließ den Fächer dreimal rauf und runter gehen. Und der Prinz machte auch dreimal so. Waren sie toll oder nicht? Was soll der Herr dazu sagen? Wenn keine Pestilenz kommt...«
»Aber...was ist Ihnen denn zugestoßen?«
»Ganz recht...was mir zugestoßen ist? Das will ich Ihnen sagen. Ich zittere noch so. Ich hatte meine Kartoffeln in Scheiben geschnitten und auf 'm Tellerchen in den Schrank gestellt. Denn ich dachte, wenn ich nach Hause komm', kann ich mir sie gleich braten, denn ich mach' mir nichts aus weltlichen Dingen – denn ich hab' die Gnade – denn ich dachte so bei mir selber, daß ich nicht mehr lange unter all den Menschen bleiben wollte – ach, liebe Jüffrau Pieterse, Sie müssen ... Stoffel rufen. Dann kann er hören, was mir widerfahren ist.«
Stoffel war schon unterwegs und das freute Walther. Er hatte Geräusch in der Nebenkammer gehört, und er gründete auf Stoffels Aufstehen die Hoffnung, daß er auch noch zum Vorschein kommen dürfte, um die spannende Geschichte bequemer zu hören, als durch die Ritzen der Stubendecke. Inzwischen hatte er sich ganz angekleidet. Er hörte nun, wie Stoffel unten auf der Bildfläche erschien, und wie die Besucherin, nach dem üblichen Gruß und der feierlichen Versicherung, daß sie noch immer nicht vor Zittern sprechen könne, die Frage that: wo denn ... Laurens bliebe?
Laurens? Na, der schlief.
Es schien aber die Jüffrau Laps sehr zu hindern, daß... Laurens nicht da war. War das vielleicht der Grund, daß sie mit der Katastrophe nicht herausrückte? Mußte gerade... Laurens Zeuge sein...?
»Sagen Sie selbst mal. Stoffel, ist nicht die Stadt voll Mörder und Spitzbuben?«
Stoffel zog die Oberlippe einwärts und bemühte sich, mit der anderen seine Nasenspitze zu erreichen. Mach's nach, Leser, und du wirst genau wissen, wie und was Stoffel auf diese Frage nicht antwortete.
Jüffrau Laps that, als hätte sie »Ja« verstanden.
»Sehen Sie. Stoffel sagt's auch! Die Stadt ist voll von Dieben und Mördern, und – ein anständiger Mensch getraut sich schon nicht mehr allein zu Bett zu gehen. Das sage ich!«
»Aber... Jüffrau!«
»Die Polizei? Unsinn! Was hilft die Polizei, wenn man nicht auf Gott vertraut? Das ist das Wahre. Und wer das nicht thut, ist verloren. Menschliche Hilfe – ich kann's gar nicht fassen, daß ... Laurens immer so früh schlafen geht. Wissen Sie wohl, das viele Schlafen ist gar nicht gesund. Was sagt die Schrift? Wachet und betet! Aber ... jeder wie er will! Ich kann Ihnen vor Gott versichern, daß ich mich nicht allein nach Hause wage und –«
Walthers Neugier war aufs höchste gespannt. Um besser hören zu können, stand er in gebückter Haltung und stützte sich mit der einen Hand auf den Stuhlrücken. Der Stützpunkt kam ins Wanken, der Stuhl glitt aus, knirschte über den Fußboden, stieß an ein anderes Möbel –
»Herre Jesses Christes, was ist das nun wieder!« kreischte die Mutter. »Laurens, bist du's?«
Walther piepste verlegen, daß es »ich« wäre. Hieraus ergab sich, daß er sich nun in den Kreis der interessanten Ereignisse hinüberplacierte.
Sein Eintritt fand unter ungünstigen Umständen statt. Er wurde angefaucht, daß er »noch« nicht ausgezogen wäre – –
»Setzt du die Nachtmütze auf, ehe du die Kleider ausziehst?« rief die Mutter.
Wahrhaftig, der Junge hatte vergessen, die Schlafmütze abzulegen. Er meinte vor Scham zu versinken. Lieber hätte er alles andere gemißt.
»Und ... was hast du denn da?«
Ach! unser kleiner Held war noch viel lächerlicher, als man mit einer Nachtmütze allein sein kann. Er hatte sich mit dem eisernen Stab gewappnet, den in vorgeschichtlichen Zeiten sein Vater zum richtigen Abschneiden von Leder benutzt hatte!
Während der ganzen Lapsischen Geschichte, die so schlecht vorwärts kam, meinte er, dachte er, hoffte er ... ja er hörte etwas von dem »Wo bleibt Walther?!« Die Sprecherin sagte es nicht – nein, im Gegenteil, es waren gerade die Worte, die sie absichtlich zu vermeiden schien – er glaubte sie doch zu hören! Er hatte sich diesen Freitag feige und schlecht benommen, unritterlich und gemein, aber er blieb immer noch Walther!
Mörder? Spitzbuben? Eine Dame in Not – sie hieß Laps, Gott bessere es! – was konnte darauf folgen als: Da bin ich, ich, Walther!
O Schicksal, warum mußtest du das Ritterschwert ihm in die Hand geben, der vergessen hatte, seine Schlafmütze abzulegen! Warum hast du nicht diese zwei Lächerlichkeiten auf Stoffel und Walther verteilt! Warum hast du nicht dem schlafenden Laurens das federige Diadem aufgesetzt? Ihm konnte es ja gleich sein, wie er im Schlafe aussah!
Walther war wütend.
Und ich bin's auch. Femke gegenüber hatte seine Ritterlichkeit geschwiegen, und auf den Ruf von Jüffrau Laps kam sie zum Vorschein!
Mit heftiger Gebärde warf Walther seine Waffe prasselnd zu Boden, und schwapp! flog seine Mütze auf den Tisch.
Niemand hatte je gedacht, daß das Männchen so heftig werden konnte. Seine Mutter fragte ihn denn auch mit dem gewohnten Interesse für seinen Seelenzustand, ob er denn ganz und gar verdreht wäre?
»Ich sage, Sie müssen das Kind nicht so verschagrinieren,« sagte die Besucherin.
»Augenblicklich gehst du ins Bett!« rief die Mutter.
»Ach, lassen Sie das Kind hier bleiben! Aber ... was ich sagen wollte, Jüffrau Pieterse ... von meinen Kartoffeln –«
Walther blieb. Daß er das konnte, hatte er der allgemeinen Neugier zu danken.
»Stellen Sie sich vor... wie ich nach Hause komme, so gegen halb elf – früher konnte ich nicht, wegen des Gedränges, wissen Sie – sonst ... ich mache mir nichts aus solchem Rumor, wissen Sie – na, wie ich also nach Hause kam – die Stadt ist voll Spitzbuben und Mörder, das müssen Sie wohl beachten! da waren meine Kartoffeln ... was denken Sie, daß meine Kartoffeln waren? Sie waren – weg!«
»Weg?«
»Weg!«
»Ganz und gar weg?«
»Ganz und gar weg!«
»Ihre Kartoffeln ... weg?«
»Meine Kartoffeln ... ganz und gar, rein weg!«
»Aber ...«
»Und ich sage Ihnen, das haben die Diebe und Mörder gethan! Wer sonst? Diebe und Mörder sind auf meinem Boden! Und nun wollte ich Sie fragen – denn ich traue mich nicht nach Hause –«
Walthers Augen blitzten.
»Ich wollte fragen, ob vielleicht ... Ihr Sohn Stoffel ...«
Stoffel machte ein sonderbares Gesicht, ein Gesicht, das gewiß allen Mördern bestens gefallen haben würde, weil es sie über die Zukunft ihres Geschäfts ungemein beruhigen konnte.
»Aber, Jüffrau,« fragte er, »haben Sie denn keine Katze im Hause?«
»Eine Katze? Eine Katze gegen Mörder!«
»Nee, Jüffrau, nicht gegen die Mörder. Aber 'ne Katze, die vielleicht die Kartoffeln aufgefressen hat.«
»Ich weis; von keiner Katze. Ich weiß, daß die Stadt voll ist von gemeinem Volk, daß man Menschen mordet, ohne daß ein Hahn danach kräht! Nicht, daß ich um mein Leben bange, nein, nicht ... so viel! Wenn der Herr mich ruft, werde ich sagen: laß deine Magd in Frieden fahren, meine Augen haben deine Herrlichkeit gesehen ...«
»Aber Menschenskind, warum haben Sie denn nicht auf Ihrem Boden nachgesehen? oder unterm Bett?«
»Das wollte ich nicht, Jüffrau Pieterse! Wen Gott bewahrt, ist wohlbewahrt, aber – man soll den Herrn nicht versuchen! Auf den Boden gehe ich nicht, und unters Bett sehe ich nicht, für alles weltliche Gut nicht! Denn da sitzt er ganz gewiß! Und gerade darum wollte ich fragen, ob Ihr Sohn ... Stoffel – oder wenn Stoffel keine Lust hat, ob vielleicht Ihr Sohn ... Laurens ... oder...«
»Aber warum haben Sie denn nicht die Nachbarn gerufen, Jüffrau?«
So sprach Stoffel.
»Die Nachbarn? Na, die muß man kennen, die Nachbarn! Der Mann, der unter mir wohnt, traut sich an kein Schoßhündchen heran, und nun gar ein Mörder! Und neben mir da wohnt ein Mann – wie soll ich sagen – 's ist 'n Junggeselle, und Sie wissen, ich will nicht gern ins Gerede kommen. »Denn ... der Mensch muß auf Anstand halten und niemals Ärgernis geben, das wissen Sie wohl.«
Niemand kam auf die Idee, zu fragen, was denn Stoffel für ein Wesen wäre. Kein Junggeselle? Oder sollte er durch sein Schulamt gegen weltlichen Verdacht geschützt sein?
»Und außerdem,« fuhr die Verführerin fort, »meinen Sie, daß alle Männer Courage haben? Ich sag' nein! Sie fürchten sich vor 'nem Dieb wie vorm Tode! Vorige Woche stand ein frecher Bettelkerl auf der Treppe, und der Kerl wollte nicht weg. Meinen Sie, daß sie sich da heranmachten? Aber ich, ich faßte ihn schnell und ...«
Sie verschnappte sich, und merkte es wohl.
»... Na ja, das hätte ich gethan, wenn ich nicht 'ne Frauensperson wäre. Denn Frauenspersonen müssen sich nie mit Roheiten einlassen. Das schickt sich nicht, was sagst du, Trude? Ich lief davon und schloß meine Kammer zu, sehen Sie! Nein, Courage haben die Mannsleute alle nicht!«
Alle Mannsleute! Walther fühlte sich beleidigt. Er erbebte vor zurückgedämmter Streitlust, oder doch vor Begierde, zu zeigen, daß er nicht zu »diesen Mannsleuten allen« gehörte. Jüffrau Laps merkte es wohl.
»Na, wenn's Stoffel nicht gern thut ...«
»Die Wahrheit zu sagen, ich ...«
»Und wenn Laurens schon schläft ... und wenn – sonst auch keiner Lust hat ...«
Sie stand auf.
»Ja, dann muß ich wohl, auf Gott vertrauend, allein – aber graulig ist es für eine Frauensperson ganz alleine!«
Sie sah alle der Reihe nach an, bloß den einen nicht, zu sie sprach. Walther mußte sich vergessen fühlen, über die Achsel angesehen, und dadurch zu dem Verlangen angespornt, auch zu der Ritterschaft des Hauses gezählt zu werden.
»Ja, wenn keiner hier ist, der sich traut ...«
»Ich getraue mich!«
Alle standen erstaunt, nur unsere Menschenkennerin nicht, die nichts anderes erwartet hatte, aber sich doch ebenso verwundert stellte wie die anderen.
»Du?«
»Du, Walther?«
»Junge, bist du toll? du?«
»Ja, ich! ich getrau es mich, und wären zehn auf dem Boden, und hundert unter dem Bett!«
So ein kleiner Luther! Aber es war ein Unterschied. Luther hatte einen Gott, auf den er meinte sich verlassen zu können... mit Hilfe von ein paar Kurfürsten, die trübes Wasser brauchten. Waltherchen – ohne Kurfürsten – war bereit, gegen einen Gott zu Felde zu ziehen, der es zuließ, daß tausend und einige Mörder unter dem Dach und Bett von Jüffrau Laps sitzen konnten.
»Junge!«
»Ich wag's!«
»Ach, laßt ihn. Jüffrau Pieterse. Sie verstehen ... es ist doch eine Gesellschaft für mich, so ein Kind bei mir zu haben! Sehen Sie, dann ängstige ich mich weniger, wenn vielleicht ein Mörder auf dem Boden sitzt. Der Mensch will etwas um sich haben, nicht?«
Sie erreichte ihr Ziel: Waltherchen wurde ihr mitgegeben. Mit seinem Päckchen unter dem Arm verließ er das Haus. Der Eisenstab blieb zurück, weil Jüffrau Laps versicherte, daß sie ein wohlgefülltes Zeughaus hätte mit vielen Gerätschaften, mit denen man, so viel man wollte, Räuber totschlagen konnte.
Die Ursache, daß die Pieterses so leicht ihre Zustimmung gaben, als Walther zum Schloßvogt berufen wurde, lag vornehmlich in der Eitelkeit. Eigentlich fand es keins der Mitglieder gut, daß der Junge mit der Jüffrau mitging. Aber die Familie war stolz auf seinen Mut. Die Sache würde ja bekannt werden, und man würde es weiter erzählen, und Jüffrau Vieterse würde schon dafür sorgen, daß dabei gesagt würde: »Es ist derselbe junge Herr, wissen Sie, der bei dem Doktor Holsma logiert hat auf dem Kolveniers-Burgwall.«
Ja ja, würde dann mancher sagen, es sitzt was drin in den Kindern der Jüffrau Pieterse!
Und so etwas hört man gern.
Walther aber überlief doch ein Schauder, als er mit der Jüffrau die Treppe ihrer Wohnung hinaufstieg.
Das erste, was sie ihm vorsetzte, waren natürlich die Bratkartoffeln, die durch die Schlecker von Mördern aufgegessen worden waren.
Hu! Walther hätte gern mit Schinderhannes angebunden. Er meinte wenigstens, er hätte es gethan – aber mit diesen Bratkartoffeln und dieser ekelhaften Freundlichkeit allein zu sein – da gehörte mehr dazu.
Er überlegte, wie er eigentlich sich auf diese Heldenfahrt hatte einlassen können, ohne an die Nebenumstände zu denken, die nun einmal unvermeidlich waren.