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Der Autor beantwortet dem Leser eine einigermaßen wesentliche Frage, gleichgültig ob der Leser die Frage überhaupt stellen will oder nicht.

Ja, sie war wohl dunkel, die Hinterstube! Und wenn sie bloß dunkel gewesen wäre! aber sie war außerdem schmutzig, eng und mit all den Dämpfen angefüllt, die die tägliche Atmosphäre von III, 7, b 1 (Pp) ausmachen.

Wie ein bleierner Dampfer drückt solch Aufenthalt aufs Herz, und ich mag nicht, was vielleicht meine Pflicht wäre, dem Verlangen nach einer ausführlichen Beschreibung einer solchen Hölle nachgeben, denn ich möchte nicht gern die Veranlassung zu dem Ekel sein, der Autor und Leser bei solch einer Beschreibung befallen müßte.

Ja, es wäre vielleicht meine Pflicht. Denn wer mit der Feder zum Volke spricht, hat eine Aufgabe zu erfüllen, eine Aufgabe, die um so heiliger ist, als sie nicht wie andere Aufgaben zu einem Berufe gemacht werden kann.

Was veranlaßt mich denn, euch von Jüffrauen unten vorn zu erzählen, und von Pennewips Perücke? Von singenden Mühlen und von dem alten Umhang der Hebamme? Von schmutzigen Hinterstuben und von der hysterischen Bigotterie der Lapsen? Von Stoffels schwachen Zeitwörtern und von Walthers Königtum?

Was veranlaßt mich dazu?

Ist mir's um die Ehre?

Schöne Ehre, der Kopist der schimmligen Bilder zu sein, die unter, neben, über, hinter uns herumlaufen, und die auf jedem Markt zu besehen sind, für nichts.

Oder Dank?

Du hast mir nicht zu danken, Publikum. Ich schreibe, was ich mir aussuche, ganz gleich, ob es dir ansteht. Und wenn ich die Dinge betrachte, die dir anstehen, wenn ich den Plunder untersuche, wäge und schätze, dem du Beifall klatscht – dann möchte ich, daß du mein Werk auspfiffest, bis du platztest.

Meint ihr in der That, daß ein Schriftsteller, dem das Schreiben Mittel ist, nicht Zweck – ein Schriftsteller, der etwas auf dem Herzen hat, einer, der sich berufen fühlt, etwas zustande zu bringen, was außer dem Bereich der Litteraturhandwerker liegt – meint ihr wirklich, daß so einer auf eure Zustimmung angewiesen ist, und daß er euer »Bravo, mein Junge!« in seiner Mütze auffängt, wie ein Almosen, von dem gutgelaunten Rentner dem Genie hingeworfen?

Meint ihr das?

Ha ... ha ... ihr, die ihr alles aus Paris bezieht oder aus Nürnberg ... und ihr anderen, die nichts wären, wenn sie nicht in dem königlichen Vorzimmer zu etwas gemacht würden, oder im Kabinett eines Ministers, der meistens selbst Mühe hat etwas zu bleiben – meint ihr wirklich, etwas zu bedeuten, weil ihr in vorteilhaftem Handel mit Korn, Spielwaren, Schlafmützen oder Verwaltungsschlummer die Paar Stüber verdient habt, die nun einmal nötig sind, um mein Werk, das heißt das Papier und die Arbeit des Schriftsetzers, zu bezahlen?

Reißt doch einmal ein Blättchen aus eurem Kopiebuch, ihr Kaufleute, und zeichnet einmal einen Gedanken auf das Blättchen, dann wollen wir einmal sehen, wie das erste Ding ausfällt, das ihr nicht aus fremder Fabrik bekommen habt.

Nehmt doch einmal die seidenen Schnüre ab von eurem Portefeuille, das ihr so großartig unter dem Arme tragt, ihr Minister, als ob das Volk nicht wüßte, daß diese Fetzen seit Jahren das Merkmal der Prachtausgaben von Unbedeutendheit sind! Nehmt sie ab, die seidenen Schnüre, macht's auf ... auf! Laßt uns sehen, was ihr habt, was ihr seid, was ihr wirklich seid als Menschen! Wenn ihr gerade einmal nicht durch eine obenauf schwimmende Clique von Parlamentshelden zur scheinbaren Repräsentation der Ideen erhoben werdet, die sie selbst nicht haben.

Was mich zum Schreiben veranlaßt, noch einmal?

Geld ... Bezahlung?

Bekommt das Schaf Bezahlung für seine Wolle, die Kuh für ihre Milch?

Die Bezahlung ist für die Posamentiere und die Käsehändler, die die Wolle und die Milch nicht selber machen. Das ist viel anständiger, wie wir gesehen haben.

Die Schafe und die Kühe werden wenigstens gefüttert, sei es auch nicht zur Belohnung für ihre Gaben, so doch, damit sie weiter geben.

Aber Schriftsteller, Dichter, Künstler!

Ja, auch diese Kühe und Schafe werden manchmal gefüttert. Aber nicht auf der großen frischen Wiese. Man hält sie in muffigen, dumpfen hinteren Bodenlöchern – und dann beklagt man sich noch, daß sie nicht vorteilhaft aussehen, und schlechte Wolle geben, oder blaue Milch ...

Pfui!

Bezahlung?

Was mich also dann veranlaßt? Ich will dir's sagen, Publikum, zum Teil wenigstens. Ich bin dir nichts schuldig, auch nicht alle Wahrheit. Aber was ich dir gebe, soll Wahrheit sein.

Was mich bewegt? Sieh hier:

Du wirst Mühe haben, es mir zu glauben, aber doch muß ich dir versichern, daß es Menschen giebt, die von Jugend auf sich mit Denken beschäftigten.

Es klingt sonderbar, paradox, es jagt euch einen Schreck ein – aber es ist so.

Darunter sind Leute, die bemerkt haben, daß in unserer Gesellschaft vieles ist, was anders sein sollte, und mit etwas gutem Willen auch anders sein könnte. Alles Verkehrte in Ordnung zu bringen, ist unmöglich, aber in den Verkehrtheiten stecken zu bleiben, weil wir sie nicht alle abstellen können, ist zu verwerfen, ja – nach meiner Auffassung von der Bestimmung des Menschen – ein Verbrechen.

Wer auf seinem Wege einen Stein findet, der einen späteren Wandersmann zum Straucheln bringen könnte, der rolle ihn zur Seite. Es genügt nicht, dem Stein aus dem Wege zu gehen und sich selbst vor Schaden zu wahren. Auf jedem Gliede der großen Reisegesellschaft des Menschengeschlechts ruht eine teure Verpflichtung, die Strecke Weges, die er ging, mit weggeräumten Hindernissen zu zeichnen, auf daß diese ehrenvollen Zeugen seiner Arbeit späteren Reisenden zum Vorteil gereichen und sie zur Dankbarkeit und Nachfolge anspornen.

Es giebt auch schwere Steine! Dafür nehmen die Bergleute Pulver und Dynamit.

Und die großen, plumpen, scheinbar unbeweglichen Felsblöcke, die den Weg zum Völkerglück und zur Vollkommenheit versperren, läßt man springen mit etwas Geist.

Viel braucht's nicht, wie du siehst. Aber doch immerhin etwas mehr, als aus deinem Korn, geliebtes Publikum, destilliert wird.

Seit lange habe ich mich beeifert, hie und da einen Stein aus dem Wege zu räumen. Und wenn es mir nicht glückt, so will ich doch Sorge tragen, daß, wer nach mir kommt, Spuren meiner Anstrengungen vorfinde.


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