Robert Müller
Tropen
Robert Müller

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XXXI

Auf dem Rückwege fühlte ich ein Unwohlsein. Der Aufenthalt in der giftigen Höhle tat nicht gut. Der Kopf war mir heiß vor tiefen Gedanken. Als ich so hinunterging, gegen unser Lager zu, beobachtete ich meinen Gang. Richtig, wenn man von dem Schwanken absah, das ein beginnendes Fieber in mir hervorrief, konnte man merken, daß ich bereits so dahinging, wie zuvor der Holländer. Wie wir in diesem Zusammensein einander ähnlich geworden waren!

Als ich ins Lager kam, lag van den Dusen am Rücken und ächzte. Sein Gesicht war gedunsen, seine Lider waren gesenkt, aber ungleichmäßig und aus den Spalten kam ein kalter, stechender Blick. Die Lider sahen übrigens durch kleine, violette Äderchen wie verletzt aus; sie färbten sich rot und schienen eiterig am Augapfel zu kleben. Und dieser Umstand verunstaltete das Gesicht. Ich kannte es, es war nicht lange her, da hatte ich es gesehen – es war ein kaltes, gemeines Katzengesicht.

Ein Stück von dem Holländer entfernt lagen seine Brillen. Ich ergriff sie und setzte sie zum Spaße auf; dabei sah ich van den Dusen scharf in die Augen. Sofort wurde die lichte Welt eine violette Grotte. Meine Kindereien machten den Kranken jedoch nervös, er bog in Verzweiflung den Hals zurück, das Gesicht nach hinten – es war das einer Leiche. Ein tiefer Seufzer sprengte seinen verschnürten Gaumen. Dieser Seufzer brachte mich auf einen Gedanken.

»Was ist das für eine komische Manier, Charlie, ha?« erkundigte ich mich teilnahmsvoll. »Jetzt weiß ich doch, wo ich diesen Ton her habe. Er wollte mir eine Zeitlang gar nicht aus dem Kopfe. – Sie seufzen wohl oft so des Nachts? Was ist denn los mit Ihnen, he, alter Knabe, reden Sie!«

Er sagte aber nichts und wir schwiegen. Ich untersuchte das Gepäck. »Das Chinin ist fort!«, rief ich plötzlich. Das war ein böser Fall, aber ich bekam kein Wort aus ihm heraus. Er hatte sichtlich einen schlimmen Tag.

Ich war mit meinen Gedanken auf mich angewiesen. Das Chinin war alle! Wenn jetzt einer von uns kräftig das Fieber bekam – ach, daß doch Slim noch dagewesen wäre! Dummes Zeug; ein solcher Kerl und mußte auf diese stupide Art und Weise zugrunde gehen. Daß er aber nicht schwimmen konnte – es war unverständlich. Merkwürdige Dinge! »Charlie, sagen Sie mal«, sagte ich wieder, »Vielleicht haben Sie schon etwas davon gehört – nämlich feuchtes Holz, nicht wahr, oder Holz in einem Wasser sagen wir, das zieht doch an – nicht, scheint Ihnen das nicht plausibel?« Er schwieg. »Es gibt so Gravitationsgesetze, von denen wir noch nichts wissen«, fügte ich als Erklärung hinzu. »Das heißt, ich meine nur so. Ich kann mich möglicherweise auch irren. – Soll ich Ihnen Wasser bringen, Charlie?«

»Nicht vom Fluß«, sagte er. »Warum denn nicht? Aber Charlie, sonst ist ja keines hier rund herum!« »Ich weiß nicht; lassen Sie mich. Ich weiß nichts.« Seine Stimme war scharf, sein Gesicht verzerrt. Die Augenlider klafften und entblößten einen grauen, verschleierten Blick. »Aber ich verstehe Sie nicht, Mensch, wir haben doch den Filter, warum wollen Sie es denn nicht aus dem Flusse?«

»Es ist ja Leichengift darin, Sie Dummkopf, verstehen Sie denn nicht?« schrie er. Er richtete sich auf und sah mich triumphierend an.

»Ach so«, sagte ich. »Na ja, ich glaube, das macht nichts. Wir haben ja früher auch schon immer dieses Wasser getrunken!«

Er lachte. Ich war offenbar ein unerhörter Idiot. Mit flüsternder Stimme sagte er: »Man muß die Leiche aus dem Wasser herausziehen. Das Wasser ist jetzt kleiner, der Wirbel gibt jetzt alles von sich, was er gefressen hat. Man muß die Leiche in die Höhle bringen, ja – Slim war ja ein großer Mann hähä, er hatte dort so ein – eine Art von Mausoleum – – – Sie sind ein Dummkopf, Mann. Was sehen Sie mich denn so an? Sie verstehen nichts. Gar nichts verstehen Sie. Verstehen Sie etwa das, daß Slim doch ein Höhlenbewohner ist, ein Urmensch, und daß er jetzt in die Höhle gehört? Der neue Mensch und der Urmensch. – Sie, Sie – – – das ist Symbolismus. Haben Sie eine Ahnung, Mann? Sie halten mich für verrückt. Ich bin auch verrückt. Aber darum denke ich doch scharf. Ich denke ungefähr zehnmal schärfer, zehnmal mikroskopischer, sagen wir in zehnfacher Vergrößerung! – Haben Sie noch nie bemerkt, daß Verrückte Sprachfatalisten sind? Passen Sie auf, Mann. Die Zufälligkeiten der Sprache sind die Schicksale des Gedankens – – – die Leiche des neuen Menschen gehört also in die Höhle! Man muß die Leiche in die Höhle bringen. Sie vergiftet den Fluß!«

»Ach, meinen Sie«, sagte ich sanft, »das könnte ja sein. Aber vielleicht ist sie schon in der Höhle. Vielleicht ist sie gar nicht mehr im Flusse!«

»Man sollte die Leiche wirklich in die Höhle bringen. Aber man muß acht geben« – fuhr er fort – »sie nicht ganz zu zerbrechen. Kein Knochen ist ganz im Leibe. Man muß sie mit den Rudern heraufschleifen – – –«

»Ja, mit den Rudern.«

Er warf mir einen Blick zu und hielt inne, als ob er sich auf etwas besönne. »Mit den Rudern«, sagte er langsam. »Woher wissen Sie das? Haben Sie das etwa geträumt? Ich habe es heute geträumt. Man benützt die Ruder als Tragbahre – der Wirbel gibt seine Beute jetzt wieder her. Es ist wenig Wasser da; das Gift verbreitet sich in diesem wenigen Wasser zu schnell. Verstehen Sie?« Er legte sich zurück und zerrte mit den Händen pantomimisch etwas vom Halse weg, das ihn dort würgte. Sein Gesicht stand nach oben. »Das Gewehr muß auch dazu«, sagte er plötzlich; »man muß ihn rituell begraben, er war ein großer Jäger; man muß ihm eine Kugel geben, er ist an einer Kugel gestorben. Unsinn, ein Mann wie Slim kann nicht ersaufen. Er stirbt kriegerisch, die Kugel geht mitten durchs Herz. Puff, da liegt er. Dann haben Sie ihn erschossen. – Geben Sie zu, Sie haben ihn erschossen? Sie brauchen ihn nie wirklich erschossen zu haben. Aber Sie haben so einmal unter der Hand daran gedacht, so nebenbei, zum Vergnügen, hähä. Der Gedanke allein tötet. Die Kugel kommt dann später. Gestehen Sie also, haben nicht vielleicht Sie ihn getötet? Sie glauben natürlich, ich sei ein Narr, oder ich triebe meinen Spaß mit Ihnen. Aber Sie sind kein moderner Mensch; Ihre Sinne sind nicht scharf. Riechen Sie zum Beispiel hier – dort, riechen Sie nicht, daß das Wasser nach Leiche schmeckt? Es schmeckt ganz bestimmt danach. Was sage ich Ihnen?«

Sein Gesicht erhielt einen Zug von bösartiger Schlauheit, es drückte eine erschreckende, verwickelte Intelligenz aus. Er lächelte, seine Lider fielen herab und bekamen rote und violette Knötchen, darunter kroch glasig sein Blick hervor. Seine Gedanken waren offenbar mit einem bestimmten Bilde beschäftigt. Er lächelte immerfort und ließ mich nicht aus den Augen. Sein Gesicht wechselte die Farbe, sein Lächeln verkrampfte sich, Angst und Ironie erhellten seine Züge etwas und ließen sie einen Augenblick ganz vernünftig erscheinen, seine Versponnenheit wich. Wir kämpften mit Blicken um den Vorrang! Da verdrehte er die Augen. Im nächsten Augenblick hatte er aufgeheult. Der Speichel floß ihm über die Lippen. »Was sehen Sie mich so an? Gehen Sie weg. Weg, weg von hier. Ich kann Sie nicht ertragen. Sie schleichen sich in meine Gedanken ein, Sie stehlen mir meine Seele, Sie – weg, gehen Sie weg von hier!«

»Aber, was ist denn los«, sagte ich; »beruhigen Sie sich doch. Ich tue Ihnen ja nichts. Ich will Ihnen doch helfen. Ich suche schnell noch einmal nach, vielleicht ist doch noch etwas Chinin da.« Ich hatte mich zu ihm herabgebeugt und die Hand auf seine Schulter gelegt. Er krümmte sich zusammen und entzog sich der Berührung. »Um Gottes willen, tun Sie das nicht«, weinte er. »Rühren Sie mich nicht an. Ich erbreche, wenn Sie mich berühren. Ich hasse Sie. Nein, ich hasse Sie ja nicht. Ich habe gar nichts gegen Sie. Ich kann Sie vielleicht ganz gut leiden. Aber ich vertrage Sie nicht, ich gehe zugrunde, wenn Sie nicht fortgehen. Ihre Nähe demoralisiert mich, sie braucht das Mark auf, das noch in mir ist. Wie Sie Slim ähneln! Wenn Sie ahnten, wie Sie ihm ähnlich sind! Alle sind wir derselbe geworden, seit wir so zusammenleben müssen – ich ertrage es nicht mehr, ich werde Sie töten, gehen Sie fort, lassen Sie mich verkommen, lassen Sie mich um Gottes willen verkommen!« Er lag schief auf der Hüfte wie ein Blessierter, dicke Tränen rannen ihm in den Bart. Ich entfernte mich ein Stück und blieb ratlos stehen. Wohin sollte ich denn gehen? »Gehen Sie, Hund!« schrie er mir nach. Ich fühlte einen stechenden Schmerz am Herzen, ich war tief traurig, ich hatte das paradoxe Bedürfnis umzukehren, um mit ihm zu schluchzen. Ich entschloß mich niederzuknien und ihn um seine Liebe zu bitten, ich ging aber schnell weiter, hinaus in die heiße Luft und empfand sofort eine große, monotone Klarheit gegenüber meiner letzten Sentimentalität. Er war geistesgestört. Aber ich hatte damals kein Maß für Menschliches, ich hatte keine Exemplare zum Vergleiche, ich nahm ihn also für voll.


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