Robert Müller
Tropen
Robert Müller

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XXI

Dornen in van den Dusens Walroßrücken führten mich in dieser blauen Nacht zu einem merkwürdigen Abenteuer aus, das nicht ohne unaufgeklärte Häßlichkeit enden sollte. Es gibt viel Schlangen im Djungle. Ich werde niemals wieder bei Nacht in den Djungle schleichen, weil mir langweilig ist oder die galanten Taten meiner Begleiter mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Moki allein weiß es, was gefährlicher ist, ein vergiftetes Messer in den Händen des eifersüchtigen, lauernden Weibes oder der Stoßbiß einer jener dünnen, langen Schlangen, deren Schuppen beschleimt im Mondlicht glänzen!

Die Langeweile soll mich nicht mehr verführen. Ich bleibe brav in meiner Hütte oder im Bereich des Lagerfeuers, rauche träumerisch aus meiner Pfeife und sehe mit Sehnsucht zu Aruki hinüber, wenn sie das Kleine mit den Fingerchen an den langen Brüsten kneten und mit dem Schnäuzchen säugen läßt. Die Langeweile, die tropische Langeweile, dieses Geschenk des Waldteufels, dieses Schicksal einer Rasse, die Zeit und Entwicklung noch nicht entdeckt hat, die ewige, glänzende, grünende, üppige Langeweile hat an jenem Abende auf mir gelastet.

War das die Pracht des südlichen Himmels oder war es ein trivialer Sternenhimmel ohne Stimmung, ohne Poesie? Es war ein Himmel mit seiner Bewegung und mit Witzen, ein geistvoller Himmel, an dem es in Figuren zusammenrann, in lange Ketten zusammenschmolz, in Lettern und Signalen sich sträubte wie amerikanische Beleuchtungsreklamen. Es war gewiß ein Himmel, der Geist hatte statt Schönheit und Stimmung. Ich aber entbehrte die Stimmung, und dieser Himmelsgeist sättigte meine Sehnsucht nicht. Lange saß ich in Gedanken.

Schon war das große Abendgebet des Djungles verrauscht, das Krähen, Singen und Brünsten, das Schleifen und Schlüpfen durchs Laub, das Kreuzen horniger Insekten in den Wipfeln; und in endlosen Zügen waren fußlose Wesen über den modrigen Humus zum Stillstand gekrochen.

Nun hatte die Nacht nichts Ahndevolles. Im Dorfe erscholl Lärm, die Hunde waren unruhig, ihr Gebell verlängerte gleichsam den Tag. Und doch wurde gerade diese Nacht wild und grausig und erlöste die Taten, deren Keime in all diesem übermäßigen Fleische rings um mich schlummerten. Der Mond hing voll im Zenit. Eine Gestalt ging vorbei, klein, mit plumpen Schritten. Sie fielen von einem Paar stämmiger Waden ab, die wie Ballons aufgegangen waren. An den Gelenken waren sie dünn wie Tüten. Eine Sehnsucht entstand in mir, und ich sah, daß es Rulc war. Ich stand auf und ging ihr nach. Sie wandte sich um und lief rasch weiter. Vor der Hütte van den Dusens schritt sie vorüber, sie nickten einander zu und sprachen kurz. Ich schlug dem Holländer in Gedanken den Kopf ein, feuerte sechs Schüsse gegen ihn ab, trat ihn in den fetten Bauch und stellte ihn so allen Frauen des Dorfes aus. Schnell lief ich zurück. Es war mir etwas eingefallen. In dieser Nacht konnte man seine Waffen brauchen! Ich steckte die große Mauserpistole zu mir, mit der man einen... Puma totschießen kann, wenn man ihn an die Stirn oder in die Herzgrube trifft. Als ich zu van den Dusens Hütte kam, zitterte ich und tippte an die Pistole. Ich tippte aber bloß. Den Grund fand ich darin, daß er nicht mehr da war, so daß man also tippen durfte.

Gleich darauf aber geschah noch etwas, das ich als Verwicklung empfand. Ich ging jetzt nicht mehr die Kreisstraße entlang, sondern hatte mich seitwärts in einen der achsenlang führenden Wege geschlagen. Hier lag Unrat, schlechte und geräucherte Luft von den Mündungen der Feuerstellen hing sich an die geschwärzten Palmstrohwände. Darum war es der Schleichweg der nächtlichen Liebesgänger. Plötzlich tauchte vor mir eine Gestalt auf und verschwand. Es hätte Zana sein können. Ein heftiger Widerstreit von Verlangen entstand in mir, einen Augenblick lang war ich todmüde vor Unlust. Dicke Beine sind die Sünde des Weibes! Rulc? Ich entschied für Zana. Weil ich aber unlustig war, ging ich mechanisch weiter bis zum letzten Ringe der kleinen Indianerhölle. Wie ich ging, wehte mich mit einem Male etwas Schönes an. Eine Erregung befiel mich, eine süße innere Pein. Es entwickelte sich langsam ins Bewußtsein. Und dann war der zarte amöne Hauch eine gedämpfte rhythmische Vibration, düster und im Beginn lind und unmateriell wie ein Geruch. Es wurde stärker, blieb aber pianissimo. Es war der raffinierteste und beunruhigendste Kitzel, dessen ich mich entsinnen kann. Bommm – brr, bommbomm – brr... melodisches Holz. Es war Nochnichtmusik, Raubtiermelodik, eine stumpfe, organische Süßigkeit, die das Blut erhitzte. Ah, hier war ich unter die Musiker geraten, war unter den armen Teufeln, den Parias und Mischlingen, den Kastenlosen, denen mit der Sehnsucht, denen am Außenposten! Nur diese konnten ihr Leben in solche Laute zusammenraffen! Diese waren die Halbfremden, die Derassinierten, die Sucher, die wehmütigen Selbstbehaupter, und sie empfingen mich, sie spielten unseren Verkümmerungsmarsch, sie tremolierten unsere Blutzweiheit, unsere Lebensfremdheit! Nein! es war nur der Stabstrommler, der nächtliche Fingerübungen vornimmt und sich mit Musikerfleiß seine Technik erwirbt! Vielleicht war es auch der Musikhauslehrer bei einem Prinzen, der Nachtstunden nimmt, weil er in der offiziellen Schule nicht den gemeinen Pariafleiß äußert... aber dann machte die späte, abgeschlossene Stunde doch wieder den privaten Künstler kenntlich. Auch dies mußte ein Irrtum sein. Es waren wüste, heimliche Orgien, eine Privatseance unter der hiesigen Boheme mit einer Nackttänzerin Zana II., die ich noch nicht kannte – – – ah, da schmerzte etwas. Man soll das nicht tun. Man soll lyrische Gedanken sein lassen. Ich suchte die Musik abzuschütteln, wie den Biß von Schlangen. Aber das Gift saß schon in mir, es kreiste über mich hinaus, es begann den Himmel wie eine furchtbare, smaragden durchbrochene Scheibe zu drehen. Das Lebensgefühl der Welt schwoll an zu lauter Honig des Daseins. Der Himmel, der trockene, gesprenkelte Himmel der Tropen, zu heiß, um Stimmung zu haben, zu klar, um Phantasie zu entfachen, wurde quellend und gleichwohl vielversprechend. Ereignisse aus meinem Blute stimmten ihn szenisch. Er kam frisch aus der Rumpelkammer meiner Bedürfnisse. Heida, ich brauchte einen tropischen Himmel, einen galanten, etwas lüsternen Himmel, bitte, etwas Schwüle und Fieber, Ansteckung, den Fraß, Fraß im Blute! Und schon war es da. Ich war von Glück und hoffender Unruhe verseucht. Die Vibrationen der erotischen Höchstmusik hinter den Strohwänden schwächten sich ab, als ich den Ring verließ und über das mondbeschienene Stück Savanne gegen den Djungle zulief. Aber ich nahm die Vision davon mit mir, wie ein Egel haftete die Erregung an meiner Seele und saugte. Ich fühlte, wie ich leichter ward. Große Unternehmungenslust überkam mich. Heute oder nie wird es sich ereignen. Ich bekomme ein Weib oder ich pulvere das Dorf zusammen. Wozu bin ich Meisterschütze? Wozu habe ich Rulc bereits moralisch erschossen, leiblich gezweiteilt sozusagen und mir zu eigen gemacht? Ich nahm die Pistole vom Gurt und ließ die erste Patrone in den Lauf schnappen. Dann trat ich ruhig auf. Niemand hatte mir hier etwas zu sagen. Ich ging einfach spazieren, wenn es jemanden interessieren sollte, und es war ein wunderschöner Abend. Warum war ich darauf nicht schon all die langweiligen Tropenabende verfallen, warum erst heute, nun wir vielleicht schon morgen wieder abzogen?

Aber ich hatte noch eine kleine Krise zu bestehen, bevor ich zu dem kam, was mir tückisch im Blute brannte. An der Grenze bei den Farnen, die über hundert Schritt hin den Djungle einleiteten, bewegte sich eine schwere Figur. Ich wußte, dies wäre van den Dusen. Im Mondlicht mußte ich ihm ebenso deutlich sein wie er mir. Wenn die Zikaden heute nicht überlaut gelärmt hätten, hätte ich seinen ungepflegten Gang hören müssen. Noch jetzt vernahm ich ihn an dem, was ich nicht hörte. Irgendein Organ in mir war fein genug für ihn. Als er mich bemerkte, gab er seine Umgehungsversuche längs der Farnlisiere auf und kam mir entgegen. Wir trafen uns mit entbößten Köpfen in der Mitte des Endchens Savanne, gerade unterm Monde. Er war bis an die Zähne bewaffnet und schien's auch in der Stimme. Ich bemerkte nicht weniger an ihm als eine geladene Büchse, die er schußbereit unterm Arm trug, zwei Repetierpistolen und eine dünne, verschliffene Machetta, die er in der Faust hielt. »Man kommt nicht durch ohne das«, sagte er entschuldigend, die weiße Klinge der ondulierenden, feurigen Schneide ins Mondlicht haltend. Er brummte, daß er müde sei und sich schlafen legen wolle, übrigens spüre er Schmerzen im Rücken. Ich sagte: »Bei diesem Abende la lalla lallera, lalla...« Ich sang, um mich zu verbessern, um gleichsam den geheimen Klang meiner Worte zu verwischen. Denn mittendrin fiel mir etwas ein. Da sagte ich, aufs Geratewohl, obwohl ich es ja gar nicht bestimmt wußte. »Ja, wissen Sie es schon, morgen ziehen wir also ab, schon recht zeitig in der Frühe. Ich habe es als ganz bestimmt erfahren. Wir sind hier in Gefahr. – – Sie tun vielleicht wirklich besser daran, sich niederzulegen und auszuruhen.« »Tue ich auch«, sagte er zurück und funkelte, bewaffnet wie er war und glatthaarig, im Mondenschein. »Tun Sie mir den Gefallen und gehen Sie da nicht hinein; es wimmelt drin von diesen Biestern!« »Was für Biestern?« frug ich kalt. »Nun, diesen Indianerweibchen!« bemerkte er. Aber ich war nicht zu halten, seinen schlimmen Erfahrungen zum Trotze. Ich drohte ihm lächelnd mit dem Finger. Etwas Seltsames und Aufgeregtes war an ihm. Ich glaube, er wurde zuletzt eitel; und er erklärte, er gehe mit. »Nein«, sagte ich mit ehrlichem Gesichte, »sehen Sie, auf das könnte ich mich nie einlassen. Das widerstrebt meiner Natur. Mit solchen Kröten! Wie kann man sich als Weißer so weit vergessen! Ich brächte den Geruch nicht bis an mein Ende aus der Nase!« »Ich begreife Slim nicht«, sagte er. »Was ist an dieser Zana? Gewiß, sie hat Talent dazu! Dazu! Talent dazu haben alle diese Weiber. Aber ich kenne doch anderes. Die Kreolinnen in Rio zum Beispiel...« »Wieso Zana?« frug ich. Er zeigte, daß er es geflissentlich überhöre, sah mich mit heimlichem Gesichte an, zwinkerte und sagte: »Mein Lieber, lassen wir die Nasen. Ich kann Sie aber wirklich nicht begleiten. Werden wir also morgen losgeeist werden, mit Verlaub zu fragen? Ich wünsche es wahrhaftig. Buonas Noces, Sennor!« Er lief mit der Büchse wie ein Fuchsjäger im Arm auf das Dorf zu und verschwand hinter einer Bude.

Ich stand am Rande des Farnwaldes. Aus dem Dorfe erscholl das engbrüstige Gebell der Hunde. Einer der dünnen, räudigen Köter flog sausend über die Hüttenmarke hervor, blieb stehen und bellte pflichteifrigst in die Savanne hinaus, seine Schnauze nach allen Richtungen steuernd. Er war unaufmerksam, heuchelte Ernst und dachte bereits an Gott weiß was. Endlich glaubte er seines Amtes Genüge getan zu haben und zog sich zurück; es herrschte Stille. Eine weite, hallose Nacht sickerte aus Millionen von Poren über die Erde. Schnell wandte ich mich in den Farn und drang in das schulterhohe, dichte Kraut ein.

Ich blieb stehen. Meine Sinne streckten lange Fühler vor. Sie witterten einen Menschen, obwohl kaum etwas wahrzunehmen war. Schnell sprang ich seitwärts und im Zickzack wieder vor. Vorne knackte es. Irgend etwas brach, nein, platzte, kapselartig, etwas Grünes, Saftiges, Faseriges. Und vor mir sah ich da eine hockende Figur, deutlich erkennbar hinter dem Spitzenvorhang der Farne. Ich richtete mich rasch auf, um über die schulterhohen Krautbäume wegzugehen. Dort vorne hockte Rulc. Der Mond stieg steil herab, und ich erkannte ihren Kopf, der bei den birnförmigen Backen am breitesten war. Sie bewegte sich nicht und sah mir steif in die Augen, beinahe unberührt. In dieser Gleichgültigkeit lag vollkommene Hingabe. Ich konnte auf sie zuspringen, sie schlagen, würgen, morden und lieben. Aber ihre Haltung bannte mich zurück: sie flog auf und weiter ins flutende Farnkraut hinein. Wie selbstverständlich, zu ihrer Panik gehörig, riß es mich hinterher. War dieser Typ weiblichen Versagens nach dem Zugeständnis Furcht oder Lockung? Ich selbst war Jagd und Liebe. Da kam die große, physiologische Güte über mich, die Grausamkeit der Natur, der Geschmack des Wilden und Jägers. Als Rulc stehen blieb, in die Knie brach und die Hände hinterm Nacken verschränkte, erkannte ich, daß sie herausforderte. Sie ließ Wasser. Ich scheuchte sie, nahm sie und warf sie zurück. Unsere Umarmungen glitten ineinander, ihr weicher Körper nahm mich auf, ich hörte ihre Rachenlaute und spürte ihre geilen Bisse. Ihr Atem quoll dick auf mich und roch nach Pflanzen.

Dann sahen wir versöhnt und friedlich in den Mond. Ich streichelte die Fülle ihrer Wangen und umspannte ihre Knöchel. Wir kannten uns, wie gut wir uns kannten! Hatten wir uns je anders gekannt als in diesem Zustande? Waren es nicht Ewigkeiten, die wir bereits miteinander verlebt hatten, waren wir nicht diese Ewigkeiten mit Tier und Pflanze zusammen in Lust und Versöhnung untergetaucht? War ich Ich, und war sie, Rulc, ein Anderes? War ich ein Mann aus einer fremden Zone mit einem anderen Gehirn und konnten wir uns nimmer, nimmer verstehen? Wir sprachen nicht, aber wir summten uns tiefe Dinge zu. Sie erklärte mir ihre Liebe durch die Nase und rundete ihre vollkommen braunen Augen unter den hohen, giebeligen Lidern. Ich nannte sie in unbestimmten Artikulationen meine Süße, mein Tierchen, meinen Panther. Aber einmal, da sie an meiner Brust lag, sah ich ihre Maske vor mir und stockte. Ich hatte in ein wildfremdes, unsympathisches Gesicht gesehen. Unter der glatten Haut, weich wie konsistentes Öl, mit dem feinen Porennetze, preßte sich ein fremder Schädel durch. Die Oberlippe war geschürzt, man sah gelbe, schneidige Zähne, ein Eberhauer wuchs unter der Nasenbasis hervor. Ich wurde kalt, verlor meine Sinnlichkeit, meine Güte, meinen Wunsch, Lust und Leid anzutun, mein Interesse. Schon wollte ich mich mit Herzenshöflichkeit entfernen, mich mit Anstand empfehlen, als das Wildeste dieses Abends geschah.

In diesem Augenblicke hörten wir ein eiliges Streifen durchs Kraut. Ein Tier, ein Mensch? Rulc fuhr aus meinen Armen empor und arbeitete sich geduckt gegen die Savanne hin durch. Kühl blieb ich sitzen; es fiel mir nicht einmal ein, an die Pistole zu denken. Ein paar Sekunden verstrichen, ich hörte ein Rauschen von Halmen. Es war, als ob sich von mehreren Seiten Wesen näherten. Und da, jetzt gab es einen Klang, einen Klang wie von einer Metallgabel, aber unbestimmter und dünner, und gleich darauf erzitterte ein Seufzer. Aber dieser Seufzer hatte keinen Vokal, es war kein Laut, nur ein starker, deutlicher Hauch. Ich stand auf. Das Geräusch, das ich verursachte, ging in dem schneidenden Brechen und Knallen von frischen Farnstengeln unter, wurde von einem längeren Prasseln und Knistern übertönt. Ha, da ist es! Was geschah hier? Was ereignete sich hier Wildes, Unheimliches?

Zehn Schritte vor mir stand eine kleine, schmale Person von wunderbarer Gestrecktheit. Die Haare hingen ihr in gleichlangen, gestutzten Büscheln bis auf die Schultern. Das Mondlicht flimmerte auf ihnen. Der Körper war eigentümlich gelenk von innenher, daumendicke Schnüre von grünem und metallischem Glanze schnürten sich um Oberarme, Schultern und Brüste. Diese Schnüre waren in ständiger, schraubender Bewegung, stülpten sich zu Schlingen und Knoten aus, phosphoreszierten wie metallische Walzen, und plötzlich schoß ein muskulöser Teil wagerecht ins Licht hinaus und blieb dort schillernd und vibrierend stehen. Es waren Vipern, die sich zahm um Zanas feine Knochen wanden. Vor Zana war das Farnkraut auseinandergefaltet. Dort mußte ein ansehnlicher Körper liegen, ein Frauenkörper, der Körper einer üppigen Frau. Und nun hob Zana die Hände hoch wie eine Tänzerin und rang eine der zuckenden, sich steifenden Bestien behend vom Arme, hielt den rotierenden Leib und den grünen Glaskopf mit den bösen, steten Augen in den kräftigen Händen und bückte sich nieder.

Aber rasch, während sie sich bückte, tauchte eine andere Gestalt hinter ihr auf, die Gestalt eines Mannes, dessen wilde Frisur und dessen Kinnbart im Lichte weiß und furchtbar waren wie ein Fell. Zana schnellte mit einem leichten Schrei empor. Sie griff mit den Händen unter die Achsel, zerrte sich eine der lebenden Schnüre herab – ihre Schulter war jetzt nackt und kindlich – und schlug mit ihr nach Slim wie mit einer Peitsche. Slim duckte sich, bekam etwas zu fassen und sprang zurück. Er stieß an die holzigen Röhren alter Farne, es klang metallisch. Zana schleuderte die Schlange, die sie in Händen hielt, auf ihn, flocht sich die übrigen vom Leibe, einmal, zweimal, und suchte die Gebäumten vor Slims Füße zu werfen. Aber Slim fing sie mit dem, was er in der rechten Hand schwang, auf. Es war eine blechdünne Machetta, fein wie ein Degen. Er führte schnelle, gierige Hiebe, er fing die Tiere im Fluge und trennte sie in blitzschneller Aufeinanderfolge entzwei. Die fleischigen Fragezeichen kollerten gleich Uhrfedern herab. Es klang spröde, wenn er traf. Als Zana ihn beschäftigt sah – ihr Kampf war rhythmisch wie ein Tanz gewesen, eine Schlangenschlacht, ein Gottesurteil –, floh sie. Aber Slim holte sie ein und überwältigte sie.

Ich wurde der Zeuge eines wunderbaren Geschehnisses. Die Leiber der Geschlechter sind zu einer unfaßbaren, rührenden Harmonie ineinandergepaßt. Es ist die letzte Entfaltung und Erlösung des Tanzes. Die Tänzerin Zana ging mit ihrem Leibe in ein einziges menschliches Ornament auf, zeigte die zweckmäßige Fügung für den Sinn und das Zusammensetzspiel eines höchsten, tierischen Organismus, der vollständig war, erlöst, enträtselt und die vegetative Unschuld der körperlichen Einheit wie eine verlorene und wiedergefundene Seligkeit erlangte. Der Wilde, barbarische Zauber, der in den Sinnen des Mannes und des Weibes verschmolz, war über alle Maßen schön. Wieder stand ich inmitten des Farnwaldes, Jahrtausende hinter mir zurück. Zeit, Entwickelung, sie waren nicht. Ich war hier, in der Frische und Anständigkeit dieses Ereignisses, reifer, den Lustkern der Phantoplasmen zu begreifen, als auf der Höhe meiner gesteigerten Kultur. Dieses Bild vor mir, mit den Menschengliedern als Ornamenten einer großen, regsamen Blume, war ein einziges, einheitliches Geschöpf...

Dies waren die Gedanken, die mir kamen, als ich im Halbschlummer in der Hütte lag und mir in Erwartung eines kommenden Aufbruches allerlei Theorien machte. Ich hatte wahrhaftig Reisefieber! Es hieß ja, daß Gefahr im Anzug sei. Ich dachte vieles und sann merkwürdig scharfe Bilder aus. Morgens schmerzte mich mein Kopf. Zwei Stunden nach Mitternacht war Slim erschienen. »Wir gehen«, sagte er, »sind Sie auch so konfus wie der Holländer, Johnny? Er will fort, und zwar stürmisch; er zittert aber förmlich, weiß der Teufel, ob das Trennungsschmerz ist.« Kurz darauf waren wir unterwegs, den Flußlauf entlang eilend und mit Blicken uns den Rücken frei wünschend. Denn ich hatte nicht beziehungslos geträumt. Etwas Unerklärliches hatte sich ereignet.


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