Robert Müller
Tropen
Robert Müller

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XXIX

Van den Dusen trug seit neuestem schwarze Augengläser, große Reliefe an Gummizügen. Es flimmerte ihm vor den Augen. Er sah fette rote Wolken aufsteigen und getragen dahingleiten. Er hatte entschieden zuviel in das gleißende Trugbild der Wasser gesehen, als wir damals mit Slim oberhalb des Wasserfalles mit den Reusen ausgezogen waren.

Auch ich hatte seit damals einen Klaps weg. Die Hitze war groß und unsere Organe erlitten Störungen. Ich fühlte einen seltsamen Ton im Ohre sitzen, einen unaussprechlichen Klang, der mich quälte. Wenn ich in mich versunken eine mechanische Arbeit verrichtete, ertappte ich mich plötzlich auf der Anstrengung, ihm eine Form zu geben. Es mißlang. Ich träumte ihn. Er schien von allem auszugehen. Mir graute; alles schien ihn nachzuahmen. Die Enge, Einsamkeit und Hitze dieses Daseins brütete die geringste irrationale Empfindung zu einem Monstrum von Erscheinung aus.

Es war, muß ich sagen, ein niederträchtiger Ton. Er hatte etwas von dem Singsang einer lax gewordenen Saite. Auf irgendeinem Umwege des Gefühls brachte ich ihn übrigens mehr oder weniger willkürlich mit van den Dusen in Zusammenhang. Unser gegenseitiges Verhältnis verschärfte sich wieder. Wir waren eben beide von erheblicher Nervosität; wir verloren den Kopf, denn Slim fehlte an allen Ecken und Enden, und der Bau eines neuen Bootes ging nur langsam vonstatten. Es irritierte mich, daß van den Dusen eine pechschwarze Brille trug. Er hatte schlechte Augen! Gut. Das war eins. Es gab aber noch ein zweites. Dieses zweite war, daß er die Gläser nur aufnahm, um mich dahinter zu belauern. Er war kindisch geworden, der Alte, in diesem Mangel an Abwechselung. Ich wußte, daß seine Augen sich schämten; wie durch Schießscharten suchten sie mich aus ihrem schwarzen Schatten hervor, auch wenn er mit seinen Ovalen in eine andere Richtung blickte. Er spielte Verstecken wie ein kleiner Junge, er bildete sich gleichsam etwas auf ein Sondergeheimnis ein, dessen geheimnisvoller Ausdruck die halb verhüllenden, halb verräterischen schwarzen Gläser waren. Er machte fühlbar, daß er unsichtbare Augen besäße. Ich war im Rechte, es ihm zu verübeln. Er aber war bereits so verwildert, daß ihm diese Koketterie ein außerordentliches Vergnügen bereitete. Er trug das Ding wie ein Eingeborener, der sich damit noch begraben lassen würde. Darum standen wir auf unfreundlichem Fuße und unsere Gespräche waren voll von Launen.

Am wenigsten verstand er, daß ich an jenem Tage, als Slim ins Wasser fiel und ertrank, so schwächlich geblieben war. Ich hatte aber auch rein gar nichts gerudert! – Ich fühlte, wie er mich wieder von der Seite her ansah, während die dunklen Linsen an mir vorbeizublicken schienen. Das Blut stieg mir in den Kopf. Wir waren zu weit herabgerudert, die Strömung hatte uns fortgetrieben und wir hatten uns zu wenig gewehrt – van den Dusen sagte nur, daß ich zu wenig gerudert hätte. Er sagte sonst wirklich nichts. Und es legte sich mir aufs Herz, daß er vielleicht recht hätte. Der Zusammenhang wurde drohend und deutlich klar. Ich stand auf, um mich nicht zu vergreifen.

Wie ist eigentlich alles gekommen? Wissen Sie's? Nein. Und Sie? Ich auch nicht. Er verstand es nicht, wie Slim ertrinken konnte. Daß das Boot umkippte, gut, das war also auf unsere Nachlässigkeit zurückzuführen. Aber Slim, war Slim nicht ein vorzüglicher Schwimmer? Er faßte nichts, rein gar nichts, er zuckte mit den Achseln und gestand, daß ihn sein gewohnter Scharfsinn hier verlasse. Nun war die Reihe an mir. Aufs Geratewohl setzte ich ihm zu; ich quälte ihn, bis sein Gesicht zuckte und der arme Mensch aufstand und mich allein ließ. Er war rückwärts gesessen – ja; aber er hatte genug mit sich selber zu tun gehabt, als er kopfüber ins Wasser sprang und mit ein paar kräftigen Stößen aus der Strömung herausschwamm. Er konnte es ja nicht ahnen, daß Slim Hilfe brauchte; Slim, dieser Mordskerl; und Slim hatte auch kein Wort mehr gesagt, kein Sterbenswörtchen mehr, man bekam weiter gar nicht Notiz von ihm, bis er da vorne an den Zinken hing. Wenn man wenigstens von der Leiche etwas zu sehen bekommen hätte! Das Boot war zersplittert unten angelangt und wurde Strecken abwärts ans Land gespült. Die Leiche aber blieb im Wasserwirbel zurück. Dort hielt sie vermutlich der Fall unter einem steifen Drucke fest, trat sie immer wieder zurück, wenn sie Auftrieb bekam, und spielte, ein formloser Sack Knochen, wie sie sein mochte, Fangball mit ihr bis in alle Ewigkeit.

Van den Dusen legte Wert auf die naturalistische Beschreibung ihres Zustandes. Man erkannte, daß er ein gutes und gesundes Gewissen besitzen mußte. Er ging höflich und voll Zartheit von mir hinweg. Aber ich sah wohl, daß er mich belauerte. Durch hundert Kleinigkeiten wurde er zum Verräter an sich; und anderseits ließ sein Benehmen keine Zweifel darüber, daß er mich durchschaue. Und dann gab es diese Überraschungen, wenn wir einander auf dieselben Gedanken kamen.

»Ich gehe heute jagen«, sagte ich. »Kommen Sie mit?« »Nun ja, warum nicht?« gab er zur Antwort, aber sie kam unbehaglich aus ihm heraus. Ich nahm Büchse und Kartusche um. »Na, wissen Sie, John, ich habe eigentlich heute keine Lust dazu. Bleiben Sie lange aus? Bis Abend, so? Also, ich bleibe lieber doch hier!« Ich schulterte und drang an irgendeiner Stelle in den Djungle ein.

Aber ich jagte nicht. Ich kauerte mich in das Gebüsch und spähte sorgsam auf den Lagerplatz hinaus. Dort kam nach einer Weile van den Dusen zum Vorschein. Man konnte bemerken, daß er sich über die Bagage beugte und mit den Händen tastete. Ich saß auf altbewährtem Posten, schien es mir. Wo und wann war ich genau an dieser Stelle hier im Gebüsch gesessen und hatte die Flußbank ausspioniert? Meine Augen blinzelten, und dieses Blinzeln machte mich aufmerksam. Richtig; damals mußte ich etwas vor den Augen gehabt haben. Den Zwicker? Vielleicht; oder ein Fernglas? Oder –? Halt, ein Binokel! Die Erinnerung konzentrierte sich auf die Augen, die Nerven dort herum stellten sich auf einen alten Reiz ein; ich spürte zwei Rundungen vor den Augenhöhlen, plötzlich wuchs daraus das Bild eines Binokels hervor. Ach, damals war es Slim gewesen! Wie sich alles im Leben wiederholt, wie du doch immer wieder in die gleiche Situation gerätst! Da saß ich und führte denselben moralischen Kampf mit mir wie damals Slim. Denn schon seit einiger Zeit, da ich hier sitze, greift die Unruhe nach mir, und nun habe ich mich gegen irgend etwas zu verteidigen. In diesem Augenblicke richtet sich van den Dusen drüben in die Höhe. Slims Gewehr ist nicht zu finden. Unbegreiflich, wohin es verschwunden ist? Hähä! Merkwürdig! Am Ende hat es einer von den Indianern genommen, hä, und darum muß man diese Burschen näher in Augenschein nehmen, ob nicht einem von ihnen etwa das Gewehr aus der Tasche hervorstünde? He? Van den Dusen richtete seine beiden schwarzen Ovale deutlich wie Kanonenrohre auf die Indianer, die ihr Mittagsschläfchen hielten. Und doch hätte ich gewettet, daß er in diesem Moment einen Blick zu mir herüberschnellte, einen knappen dichten Blick, den ich ahnen sollte, um ihn nachdrücklicher wahrzunehmen. Er war überaus berechnend. Um mich zu betrügen, überließ er es mir, ihn zu erraten. Als er die Büchse nicht fand, schritt er rechter Hand den Fluß hinauf, gegen die Wasserfälle zu. Er schob den Revolver vor den Bauch, rückte den Gürtel praktisch zurecht. Jeder, der nun zum Beispiel schurkisch genug war, ihn im Gebüsch zu beaufsichtigen, war gewarnt.

Und nun wollen wir einmal rechnen. Aufgepaßt, ihr, die ihr in Gebüschen sitzt und eure Mitmenschen belauert. Jetzt werdet ihr erleben, wie van den Dusen mit einem Revolver oben beim Wasserfall Jagd machen geht. Der Hauptspaß kommt aber erst. Ihr hinter dem Gebüsche, ihr schmutzigen Buschleute, habt jetzt in eurer Blamage nichts Eiligeres zu tun, als schleunigst von eurem schandbaren Posten zu verschwinden! Wartet! Tausend gegen eins, daß ihr jetzt Hals über Kopf zu den Wasserfällen hinausgaloppiert. Aber dort werdet ihr van den Dusen nicht vorfinden. Van den Dusen kennt eure Räsonnements, er riecht eure Indianerschliche; und kommt er jetzt wieder am Lager vorbei, so seid ihr schon längst auf und davon und treibt euch nutzlos am oberen Flußlauf herum.

Hm. Da wäre also wieder das Lager und unser Mann. Er sieht strapaziert aus, er hat Gedanken. Verdammt, denkt er; sitzt hier nun einer im Busch oder nicht? Vielleicht habt ihr Buschleute doch zu wenig Gewissen gehabt, um euch aus eurer schmachvollen Position wegzurühren, da ihr nun einmal durchschaut seid. Dann sitzt so ein Lauerfritze jetzt da im Busch und schießt dem armen, gehetzten Charlie, weil er ein bißchen superklug im Rechnen ist, ein Loch in die Kleider. Vielleicht aber hattet ihr im Gegenteil soviel Gewissen, daß ihr nicht einmal die bösen Gedanken des anderen rechtfertigen wolltet und euch gar nicht im oberen Teil des Djungles herumtreibt, sondern nach dem unteren ausgerissen seid, gleichsam vor euch selbst und vor der Versuchung. Je nun, Gewissen habt ihr keines; damit kann man rechnen; wohl aber Schlauheit statt des, eine Schlauheit, die euch berechnet, daß der andere euch trotz eurer Schlauheit, gleichsam als aus Feinheit derselben, im Verdacht von Gewissen hat. Unter solchen Umständen wäret ihr schon Meilen weit über die Berge flußab, und die Luft hier herum wäre rein. Vorausgesetzt, euer Gewissen ist nicht derart verfeinert, daß ihr einen möglichen irrtümlichen Zusammenstoß vermeiden wollt, der aus einem Schritt mehr oder weniger im Denkprozeß des Gegners folgen kann. Das aber muß vermieden werden. Ihr könnt nicht ein Gewehr gegen eine Pistole konkurrieren lassen. Das Ganze ist eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, he? Daß sich die Berechnungen zweier Menschen über ihre gegenseitigen Unternehmungen decken, ist einmal wahrscheinlich; daß der eine dem anderen aber um einen Punkt voraus oder zurück ist, ist beide Male wahrscheinlich. Die Chancen liegen also hier. Jemand, der sich zum Buschklepper talentiert weiß, flüchtet sich aus Gewissensfeinheit weitab vom Ort der Verführung. Er streicht freiwillig die letzte Möglichkeit, da er nicht erwartet, daß es der andere tut. Bei dieser Logik siegt der, der dem anderen den Vorsprung läßt; denn er hat ihn berechnet. Angenommen, ihr sitzt hier hinter dem Busch, so sitzet ihr gewiß nicht dahinter, denn ihr könnt es euch an den Fingern abzählen, daß man von euch erwartet, ihr sitzet dahinter. Da ihr aber gewiß nicht dahinter sitzet, muß man, um euch nicht zu treffen, sich dorthin begeben, wo ihr nach aller Wahrscheinlichkeit hingelaufen seid. Also los, Aufbruch flußab, um den armen Sünder nicht in Versuchung zu bringen, der hier, um den Gesetzen seines Triebes und vielleicht seines Fatums zu trotzen, hinter dem Busch sitzt. Man muß Rücksicht nehmen auf solche Veranlagung und ein bißchen entgegenkommend sein. Vorwärts marsch!

Da hatten wir das Malheur. Van den Dusen ging ein Stück Weges flußab, kehrte sich plötzlich um und schwankte auf das Gebüsch zu. Was war geschehen? Hatte er eine Masche in seinen Berechnungen ausgelassen oder zuviel aufgenommen? Wie ein ertappter Dieb flog er ins Gebüsch herein, arbeitete rasend mit Händen und Füßen und sah sich mißtrauisch nach rückwärts hin um. In der nächsten Sekunde stand er vor mir. Verdammt. Was war da zu machen?

»Ach, guten Morgen«, sagte ich. Es war drei Uhr nachmittags. Sein Gesicht war aschfahl. Er zitterte und bekämpfte eine Schwäche in den Knien. »Ja«, sagte ich, »ich bin es wirklich. Sie sehen mich hier auf der Lauer nach unseren roten Spitzbuben. Ich möchte wissen, was das Gesindel treibt, wenn es unter sich ist. Unser Gepäck nimmt reißend ab. Außerdem, haben Sie es schon bemerkt, stecken Checho und Zana stets zusammen.«

Van den Dusen betrachtete mich mit Kennermiene, er schob seine Ovale wie auf Fühlhörnern vorwärts. »Ach so?« sagte er. »Da fällt mir ein, Slims Büchse ist verschwunden. Die hat gewiß das Pack geklaut.«

»Slims Büchse, wieso – ach ja, richtig, das ist mir auch schon aufgefallen. Das ist aber wirklich – es ist jammerschade, es war solch ein gutes Stück!«

»Ja, nicht wahr. Sie war ja ein unheimliches Prachtstück. Aber sie ging so leicht los. – Es war etwas nicht ganz in Ordnung damit. – Es war, glaube ich, gefährlich, damit zu hantieren – – – Slim selbst war ja vorsichtig. Aber wenn nun jemand dabei in der Nähe ist – stellen Sie sich vor, daß die Geschichte mir einmal aus der Hand gelaufen wäre, während wir zusammen jagten – ja, nicht wahr, denn schließlich wäre sie ja doch an mich gefallen!« Wir lachten beide laut und angeregt über seine verwegenen Spintistereien und schüttelten uns die Hände. Es wurde beschlossen, daß wir aufwärts zum Wasserfall hinaufgingen. Eine kleine Flußpromenade, ein Stückchen Naturschönheit, nicht wahr, haha. So lenkten wir denn unsere Schritte im Flußbett aufwärts.


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