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Als er aufwachte, fühlte er einen leisen Luftzug über seiner Stirn und eine Minute lang mußte er sich besinnen, dann drang der ganze Kummer des Lebens auf ihn ein, aber nicht ohne Rührung sah er die gute Nachbarin an seiner Seite stehen und mit einem Wedel die Fliegen von ihm scheuchen.
O! liebe, gute Frau Schlenz, sagte er, das haben Sie für mich gethan! Und wie lange habe ich geschlafen?
Es mögen wohl an die zwei Stunden sein, antwortete sie freundlich, aber es war ein gesunder, fester Schlaf, der wird Sie gestärkt haben.
Sie haben Recht, rief er sich aufrichtend. Ich hatte Stärkung nöthig und fühle mich auch kräftig zu dem, was ich thun muß.
Um das Rechte zu thun, sagte sie, muß man immer stark sein, denn in der Schwäche kommt der böse Feind über uns und verwirrt Sinn und Verstand.
Warum haben wir uns so lange nicht gesehen? fragte er. Warum sind Sie nicht zu uns gekommen? Auch Schlenz nicht.
Das hat seine guten Gründe, antwortete sie lächelnd. Erstens wollte es der Herr Pfarrer nicht, der unser guter Freund geworden ist und uns täglich besucht, zweitens wollte es der Herr Baron nicht, und endlich wollten Sie es auch nicht, oder der Herr Franz wollte uns nicht, denn er kam protzig und patzig, und ersuchte uns im Namen der Herrschaft, vom Lindenhof fortzubleiben und das Briefschreiben künftig zu unterlassen.
Franz hat das gethan? fiel Alfred ein. Nie habe ich ihm einen solchen Auftrag ertheilt, aber Anna – Sein Gesicht verfinsterte sich, und mit zunehmender Heftigkeit sagte er: Sie wissen nicht, was geschehen ist. Geben Sie mir Papier und eine Feder. Haben Sie Jemand, der einen Brief hinunter tragen kann?
Hände und Beine genug, antwortete sie. Aber was soll's denn? Was soll's für ein Brief sein?
Ein Abschiedsbrief, murmelte er den Kopf stützend.
So ist's recht! rief die Försterin in die Hände schlagend. Ein Abschiedsbrief für den Herrn Baron. Der muß fort. Ich hab's wohl gesagt, es singt keine Lerche da, wo der Kukuk schreit.
Alfred blickte still vor sich hin, dann sagte er:
Wenn's eher geschehen wäre, möchte es wahr sein, jetzt ist es zu spät. Der Abschiedsbrief ist für mich, Nachbarin. Ich muß fort von hier, muß ihm lassen, was sein ist.
Wie? schrie sie auf, das wollten Sie thun! Es kämpft ein Mann um einen Stecken, den ein Dieb ihm nehmen will, wie viel mehr um eine Seele, der er tausendmal sich zugeschworen hat. Es kann nimmermehr geschehen und Gott verhüt's! Wir wollen es beide zusammen überlegen, aber erst muß der Kaffee getrunken werden. Mag er auch schmecken wie er will, nachdem er so lange gestanden hat, es kann kein Mensch mit leerem Magen einen richtigen Entschluß fassen. Mein alter Onkel, der Doctor, hat es tausendmal gesagt, daß viel Unglück und Leid in der Welt nicht geschehen würde, wenn die Menschen immer gehörig satt wären. Es wäre gar keine Kunst, tugendhaft zu sein, wenn's keinen Hunger gäbe, und wenn ein Feldherr und seine Soldaten eine Schlacht beginnen wollten und hätten vorher nicht ordentlich gefrühstückt, würden sie allemal geschlagen.
Lachend holte sie das bereit gehaltene Getränk und die aufgestapelten Vorräthe von Gebäck und Speisen herbei und nöthigte ihren Gast so lange, bis er sich fügen und zugreifen mußte. Die kleine, flinke Frau war unermüdlich in seiner Bedienung, und ihr ermunterndes Lächeln, ihre muthigen blauen Augen, und ihre frisch gesprochenen Worte brachten vielleicht eine noch günstigere Wirkung hervor, wie der belebende Trank, den sie ihrem Gaste reichte.
Alfred hörte ihren Plaudereien zu, ohne etwas zu erwidern. Meist waren es Erinnerungen aus der Vergangenheit und Hoffnungen, daß es in Zukunft eben so schön und noch besser im Lindenhofe hergehen sollte. Dann knüpften sich Lobeserhebungen über Anna daran, die so ein herzig, süßes Wesen sei, wie es so leicht kein zweites in der ganzen Welt gebe. Da sei nichts Falsches und Böses in ihr, mit dem ärmsten Wurm meine sie es gut, aber freilich ihre Gedanken habe sie auch, und was die Schlange ihr ins Ohr geflüstert, sei nicht zu verachten gewesen; denn Wahrheit müsse Wahrheit bleiben, käm's aus dem Himmel oder käme es von unten her, und gesagt müßt es bleiben, was in ihrem Briefchen gestanden; hätte er es zu Herzen genommen, wäre es anders gekommen.
Als Alfred leise den Kopf schüttelte, stemmte sie den Arm in die Seite und fuhr nachdrücklich fort:
Gerecht ist es nicht von Ihnen, Herr Nachbar, und verträgt sich nicht mit Sitte und was die Menschen achten. Es ist ein schönes Ding um die Liebe in einem jungen Weibe, und um den festen Glauben an einen Mann, aber das Band wird doch mürbe, wenn die Menschen ihren Tadel und ihren Spott darauf werfen. In einer Wüste leben wir nicht, mag's auch noch so einsam sein, und was die Menschen in ihrem Sinn für heilig halten, das dürfen wir nicht so ohne Weiteres verwerfen, mögen wir auch denken, wir hätten es nicht nöthig; die Strafe bleibt nicht aus. So ist es mit Anna gekommen; der Stachel hat sich langsam in ihre Brust gedrückt. Erst merkte sie nichts und Niemand sagte es ihr. Da kam der Pastor und riß an dem Vorhang. Es half nichts, daß Sie ihn auf die Finger schlugen, es war einmal geschehen. Nun machten es die Bauern eben so, sie gingen zur Seite und lachten oder spotteten heimlich, wenn sie kam, und der alte Franz machte ein saures, falsches Gesicht im Hause. Allerlei kleine Zeichen schmiedeten sich zusammen zu einem Eisen; aber es war nicht scharf genug, um das Liebesband zu zerschneiden; da kam endlich der Herr Baron, und das Maß war voll.
Ja, das Maß war voll! murmelte der junge Mann.
Mit einem Wort, mit einer Hand hätten Sie es leeren und umkehren können! rief Toni.
Nein, sagte er zusammenschaudernd, es mischte sich eine finstere Macht hinein. Unbegreiflich, unerhört, aber zerschmetternd. Ich stand vor ihr und sah, wie ich der Gegenstand ihres Abscheues war. Ich stand wachend vor ihr und sie hieß mich gehen; ich sah sie schlafend heut – vor wenigen Stunden – und ihre Lippen flüsterten seinen Namen. Es ist aus mit mir, mit Allem, was mein Leben zusammenhielt. Es giebt eine Welt der Geheimnisse und der Wunder, die mich mit Schrecken erfüllt, der ich mich unterwerfen muß. Sie hat mich verworfen, ihn erwählt. Eine Gewalt bereinigt beide, die weder Raum noch Zeit kennt. Nein, es ist keine Täuschung, sagen Sie das nicht. Sei es, was es wolle, nenne man es Jenseit, Geisterwelt, Hellseherei, welchen Namen man auch dafür wählen mag, ich habe seine furchtbare Nähe kennen gelernt.
Er stieß diese Sätze hervor, halb mit sich selbst sprechend, halb als Antwort auf die Einwendungen, und die Nachbarin faltete die Hände und betrachtete ihn mitleidig, obwohl sie aussah, als hätte sie Lust zu lachen.
Ich dachte es mir wohl, erwiderte sie dann nach einem Weilchen, daß im Lindenhofe allerlei Spuk vorfallen würde, denn der Herr Baron Legard mit seinem blassen Gesicht, den dunklen, seltsamen Augen und den Gespenstergeschichten, die er nicht umsonst immer im Vorrath hatte, sieht aus wie ein rechter Hexenmeister, der da weiß, wie er seine Sache machen muß; aber ich dachte hinterher, der Nachbar ist auch nicht auf den Kopf gefallen, der wird den Hokuspokus schon durchschauen und ihm zur rechten Zeit ein Ende machen.
Sie wissen nicht, sagte Alfred unwillig, Sie haben nicht gesehen, was ich sah.
Ich habe es freilich nicht gesehen, rief Frau Schlenz, denn dafür war gesorgt; aber gehört habe ich Mancherlei, was Sie nicht gehört haben, Herr Nachbar. Wissen Sie denn, weshalb der Herr Vetter gekommen ist? Er ist gekommen, um Ihnen Anna abzunehmen. Und wissen Sie denn auch, daß er dazu gehörig vorbereitet war, daß er mit Ihrem Advocaten und Ihrer Tante unter einer Decke steckte, und daß ihr eigener Diener Franz ihm zu allen Dingen dienlich und behülflich war, ihm alle Nachrichten zutrug, die er brauchte?
Alfreds Augen öffneten sich groß und starr. Ein Strom neuer Hoffnungen schien durch sein Herz zu fließen, sein Gesicht röthete sich; dann aber seufzte er tief auf und warf sich in den Stuhl zurück.
Wenn das Alles auch so wäre, wie Sie sagen, antwortete er, Anna hat mich nicht betrogen, so weit reicht ihre Verstellung nicht.
Nein, antwortete Toni, die hat Sie nicht betrogen, es gehört Alles mit zu der Kunst des Herrn Vetters, der in Paris bei einer frommen Dame, mit der er mehre Jahre gelebt hat, zur Geisterseherei bekehrt worden ist und Unterricht darin genommen hat. Die Dame ist vor einiger Zeit gestorben und eben damals erhielt er ein Schreiben von Ihrer Tante, voll Jammer und Weh über Ihr Betragen und was zu thun sei, um Sie auf den rechten Weg zu führen? Er kam und sprach mit Ihrem Justizrath und Niemand wußte, was geschehen sollte, denn sie kannten Ihre Hartnäckigkeit und daß nichts fruchten würde in gewöhnlicher Weise, um es zu einer Trennung von dem armen jungen Blut im Lindenhof zu bringen. Der Baron sah sich die Verhältnisse in der Nähe an, sprach zuerst mit Franz, ließ sich von ihm erzählen, was er wußte, kam so hinter allerlei kleine Geheimnisse und machte seinen Plan, den er ausgeführt hat.
Woher wissen Sie das Alles?! fragte Alfred.
Das sollen Sie gleich erfahren; vorher jedoch, da Sie in meines Onkels Lehnstuhl sitzen, muß ich Ihnen etwas von dem würdigen Doctor erzählen, was ich von ihm mit diesen meinen eigenen Ohren gehört habe. Zu seiner Zeit war einmal auch die ganze Geisterwelt offen. Die Magnetiseure spielten eine große Rolle, die Damen fielen in den magnetischen Schlaf und sprachen wunderbare Dinge. Mein Onkel verdammte den Wunderglauben mit allen Waffen, einmal aber kam er sehr ernsthaft nach Hause, denn es war ihm eine seltsame Geschichte begegnet. Er war zu einem armen Mädchen gerufen worden, die im bewußtlosen Zustande lag. Als er seine Hand auf sie legte und eine Untersuchung begann, gerieth sie in Zuckungen, und weil er an demselben Abend ein Buch über magnetische Wundercuren gelesen hatte, fand er solche Aehnlichkeit, daß ihm einfiel, dies müsse ein solches Wunder sein. Er that das, was in dem Buche vorgeschrieben war, rief sie dann bei Namen und siehe da, sie antwortete ihm. Mein Onkel war ein fester, in seiner Wissenschaft strenger und allen Wundern unzugänglicher Mann, aber wie er selbst gestand, war er wie vom Donner gerührt und sein Haar sträubte sich zu Berge, als dies arme Mädchen ihm Alles erzählte, was er so eben über ihren Zustand gedacht hatte. Sie sprach zu ihm mit seinen Gedanken, nannte ihm die Mittel, welche er anwenden sollte, ermahnte ihn zur Vorsicht, was er selbst sich so eben gesagt. Es war, als sei sein ganzes Denken und Empfinden in dies fremde, unwissende Wesen übergegangen.
Das ist meinem Onkel passirt, lieber Nachbar, aber er ist deswegen doch kein Geisterseher und kein Gläubiger geworden. Nach einiger Zeit hatte er sich die Sache zurechtgelegt; das Mädchen war gesund geworden und später glückte es ihm nicht mehr sie zum Sprechen zu bringen. Die Nerven des Menschen, sagte er zu mir, als er mir den Vorfall erzählte, diese Fühlfäden des Geistes, oder was wir so nennen, werden noch lange ein tiefes Geheimniß sein. Wer weiß denn etwas Rechtes von ihrer Thätigkeit, wer weiß denn, ob nicht in ihnen das ganze geistige Gewicht ruht, ob sie und die unbekannte Kraft, welche sie ausströmen, nicht der Geist selbst sind, der unsere ganze Göttlichkeit begreift. Jeder Mensch ist eine Welt für sich, doch die Neigungen und Abneigungen sind schon ein Spiel von Kräften zwischen verschiedenen Menschen. Magnetismus ist ein Name für eine Macht, von der wir noch kaum die ersten Ahnungen haben, aber es ist gewiß, daß die geheimnißvolle Nerventhätigkeit in dem Einen viel größer ist, als in dem Anderen, und was man damit machen kann, hat man schon in alten Zeiten erprobt, wo Handauflegen und Streichen viele Wunder gethan haben. Wenn daher eine solche gewaltige Kraft mit einer anderen zusammentrifft, die aufs Höchste gereizt und erregt ist, so muß der Lebensstrom dahin überfließen. Ich kann mir denken, wie eine Verbindung stattfindet, wie meine Gedankenthätigkeit sich mittheilen kann, wie meine Empfindungen empfunden werden, wie das Nervenleben des einen Körpers den anderen überwältigt und ihn zwingt, gleichsam ein Theil von ihm zu fein.
So sagte mein Onkel, Herr Nachbar, aber geisterhaft fand er es nicht, übernatürlich fand er es auch nicht, er fand nur, daß es ungewöhnliche krankhafte Nervenzufälle seien, die man noch nicht gehörig erforscht habe, und daß man damit leicht sich selbst täuschen oder andere betrügen könne.
Legard wollte mich betrügen, murmelte der Graf.
Dessen können Sie gewiß sein, antwortete sie. In den ersten Stunden schon machte er seine Manöver. Er magnetisirte sie mit den Augen, dann mit den Händen, sie fürchtete sich Anfangs sehr vor ihm, konnte seine Berührung kaum ertragen, das hat sie mir selbst gesagt. Inzwischen vermehrte er Ihre Mißstimmung und Ihren Verdacht. Er reizte Sie zur Eifersucht und weckte Ihren Stolz; je mürrischer Sie aber wurden, je mehr Sie Anna Anlaß zur Furcht und zur scheuen Aengstlichkeit gaben, um so einschmeichelnder und freundlich fürsorglicher wurde er, und stahl sich so in ihr Vertrauen.
Das war die Ursache! sagte Alfred mit schwankender Stimme.
Er versuchte es auf alle Weise, fuhr Toni lachend fort. Dabei glaubte er selbst an seine Zauberei, bepustete und bestrich alle Speisen und Getränke, die Franz ihm bringen mußte, und war gewiß, daß Anna gänzlich in seiner Gewalt sei; aber er versäumte dabei doch auch nicht, ihr ins Ohr zu flüstern, daß Sie von der Tante enterbt würden, daß Sie sich unglücklich fühlten und daß es darauf ankomme, Sie mit ihrer Familie und dem Leben auszusöhnen.
Wäre es möglich! rief der Zuhörer halb gläubig, halb noch immer zweifelnd.
Was Anfangs Berechnung, Trug und Spiel war, um Sie aus dem Lindenhof zu treiben, sagte die kleine Frau, wurde bald Leidenschaft bei ihm. Der Wolf läßt wohl vom Haar, wie das Sprüchwort sagt, aber nicht von den Tücken. Der Herr Baron wünschte die Beute für sich und jetzt gebrauchte er seine schwarze Kunst für seine besonderen Zwecke.
Aber im Namen des Himmels! rief Alfred heftig auf stehend, sagen Sie mir endlich, wer Ihnen das Alles mittheilte?
Pst! flüsterte sie lustig nickend, immer ruhig Herr Nachbar, es wird gut sein, wenn Sie keinen Lärm machen. Magnetisirt hat mich keiner, aber darum habe ich doch so hell gesehen, als sei ich durch und durch erleuchtet. Blicken Sie da hinaus, da kommt der ehrwürdige Mann, dem ich das Alles verdanke.
Alfred folgte ihrem Winke und sah den Geistlichen auf dem Pfade dicht bei dem Hause. –
Er hat es Ihnen vertraut? fragte er voller Staunen.
Es geht Alles mit rechten Dingen zu, erwiderte sie lachend, man muß sich nur, wie wir hier zu Lande sagen, nicht verblüffen lassen und die Schelme mit ihrer eigenen Münze bezahlen. Geschwind hier hinein in die Kammer, Herr Nachbar. Es ist eine Ritze in der Thür, da können Sie sehen und hören, so viel Ihnen beliebt. Wenn's aber genug ist, so geht der Weg hinten durch die Küche hinaus und dann links um gerade nach dem Lindenhof. Ich denke den müssen und sollen Sie gehen, rief sie, die eine Hand in die andere schlagend und ihre hellen Augen blickten zu ihm auf. Hören Sie, Herr Nachbar, eine Schande wär's für alle Zeit, wollten Sie davon laufen, und das arme, gute Annchen, die trotz aller Hexerei ein unverwandelt Herz hat, dem listigen, falschen Vetter überlassen.
Damit schob sie ihn rasch in die Kammer, und kaum war es geschehen, als der Pastor Fichtner sein dickes, vierkantiges Gesicht am Fenster zeigte, herein nickte und gleich darauf in der Stube stand.
Des Himmels Segen sei mit Ihnen, meine liebe Frau Schlenz, sagte er.
Ich hoffe, Herr Pastor, Sie bringen ihn mit sich in unser armes Haus, erwiderte sie mit einer demüthigen Verbeugung.
Ist der Förster zu Haus? fragte er.
Nein, mein Mann ist im Revier.
Meine liebe Freundin, sagte der Geistliche, indem er seine Hand unter ihr Kinn legte, meine Seele jauchzt heut in solchem Jubel, daß ich meine Arme ausbreiten und um Ihr Haupt legen muß.
Er verband hierbei den Willen mit der That und neigte seine Lippen erst auf ihre Stirn, was sie willig hinnahm, dann tiefer hinab, was sie mit einer geschickten Wendung verhinderte.
Aber, lieber Herr Pastor, rief sie schalkhaft drohend, sie sind auch gar zu gütig gegen mich.
Nur väterlich, wahrhaft väterlich und voll christlicher Liebe, erwiderte er; ich muß es bekennen, liebe Freundin, daß ich zu Niemandem mich mehr hingezogen fühle und eben deswegen komme ich auch gleich zu Ihnen, um Ihnen eine freudige Nachricht mitzutheilen. Der Herr hat unsere vereinten Bemühungen gesegnet, der böse Feind ist heulend entflohen, der Lindenhof wird ihn nicht mehr wieder sehen.
Nun Gott sei Dank! wenn es so weit ist, rief die Frau Schlenz.
Es ist so, fiel der Pfarrer ein. Heut in aller Frühe kam Franz zu mir, der Baron schickte ihn und ließ mir sagen, daß gestern Abend eine höhere Eingebung das verblendete Mädchen angetrieben, ihrem Verderber zu erklären, er möge sie verlassen, zu seiner würdigen Tante eilen und deren Segen und Vergebung erflehen.
Das heißt, sagte Toni mit einem schlauen Lächeln, der Herr Baron hat sie dazu angetrieben und die höhere Eingebung kommt aus seinen Vorspiegelungen, daß der Graf ihrer überdrüssig sei.
Die Wege des Himmels sind wunderbar, antwortete Fichtner, und Sie sind so klug, daß Ihnen nichts verborgen bleibt; aber, liebes Kind, was geht es uns an, wenn dieser Baron mit seinen Mitteln seine Zwecke verfolgt? Ich habe Ihnen den Brief der würdigen Frau gezeigt, neulich in meinem Garten, als der leichtsinnige Mann uns erschreckte. Ich habe Ihnen auch die Zusicherungen des Barons gezeigt, beide versprechen uns ewige Dankbarkeit und jede Hülfe für unser Wohl, wenn wir den verirrten Grafen aus der Sünde erlösen helfen. Nun ist er davongelaufen, heut in der Frühe.
Davongelaufen? – Wohin denn?
Nach der Stadt. Seine Sachen hat er eingepackt, die werden ihm nachgeschickt.
Und der Herr Vetter?
Der tröstet und beruhigt die verlassene Ariadne, sagte Fichtner mit einem eigenthümlichen Grinsen.
Aber was soll aus ihr werden? rief die kleine Frau mitleidig. Ich will zu ihr gehen, mit ihr sprechen.
Pst! flüsterte der Pfarrer die Ohren spitzend. Wo ist der Knabe? Sitzt er dort in der Kammer?
Nein gewiß nicht, er ist seit drei Tagen schon bei meiner Mutter, die ihn mitgenommen hat.
Gut, sagte er, Sie müssen zu dem verlassenen Mädchen gehen, müssen mit ihr sprechen, das denke ich auch, und andere Leute sind derselben Meinung.
Andere Leute, lieber Herr Pastor, antwortete sie pfiffig die Augen zwickend. Ah so, ich verstehe.
Kommen Sie her, liebste Freundin, sagte Fichtner, ich will Ihnen ein Wort im Vertrauen sagen. Sie sind eine kluge Frau, wissen was leben heißt, wissen, daß in der Welt die Guten in die Hände der Bösen fallen, wenn jene einfältig der Lehre des Apostels Paulus nicht gedenken, der da sagt: Sehet zu was ihr thuet, damit ihr nicht untergehet, sondern oben bleibt und Theil habt am Segen.
Wir wollen auch Theil haben am Segen, nicht wahr? fuhr er schmeichelnd fort. Sie wollen, daß ihr Haus größer werde, daß Milch und Honig darin fließe, und das ist ein guter, gerechter Wunsch. Um deswegen müssen wir also dem Baron ferner beistehen und erfüllen, was er begehrt.
Er ist vorhin bei mir gewesen, fuhr er fort, als sie schwieg, und hat mir seinen Willen mitgetheilt. Von uns beiden fordert er, daß wir ihm dienen, und dafür wird er uns wieder dienen, nicht allein mit Geld und Gut, sondern auch mit anderer mächtigen Hülfe.
Was verlangt er denn? fragte Frau Schlenz.
Er will das Mädchen mit sich führen, womöglich heut noch, sagte er.
Wohin?
Darnach haben wir nicht zu fragen. Sie liegt in der Sünde und mag sie tragen. Ich will sie fortschaffen aus unserer Gegend, damit die Pest nicht etwa wiederkehrt. Mag er sie nach Paris bringen, wie er sagt, und dort auf bessere Wege führen; uns muß darum zu thun sein, daß sie entfernt werde, der ganzen Familie des leichtsinnigen Mannes geschieht damit ein großer Dienst, darum wollen wir beide ans Werk gehen, beide vor ihr stehen, ihr Glück wünschen zu ihrer Errettung und ihr zagendes Gemüth aufrichten und stärken.
Sie zagt also? fragte Toni.
Sie scheint sehr betrübt zu sein und ihr verkehrter Sinn noch immer an ihrem Verführer zu hängen. Der Baron hat ihr alle nöthigen Vorstellungen gemacht und seine Gewalt über sie ist so groß, daß sie auf ihn hört, so lange er in ihrer Nähe ist.
Wie hat er sie nur verlassen können, um zu Ihnen zu gehen? rief die kleine Frau laut und lebhaft.
Er ist auch schnell genug zurückgekehrt, antwortete der Geistliche und während er fort war, hat Franz sie bewacht. Auf diesen getreuen Knecht kann der Baron sich verlassen, er hat ihm die besten Dienste geleistet.
Nun, in Gottes Namen! rief Toni, wir wollen gehen und ein gutes Werk verrichten, obwohl ich beinahe gewiß bin, fügte sie hinzu, indem sie auf ein leises Knarren der Küchenthür hörte, daß es auch ohne uns verrichtet wird.
Und wir, sagte der Pastor süß lächelnd, indem er seine feiste Hand auf ihrem Nacken strich, wir, beste Freundin, werden dann einträchtiglich wohnen, uns des Lebens freuen, und dieser Lindenhof selbst dürfte uns zufallen, wie der Baron merken ließ.
Uns? fragte Toni schalkhaft.
Oder mir, nun ja, aber was theilte ich nicht gerne mit getreuen Freunden! rief er, indem er seine Arme ausbreitete.