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2.

Nach einer Stunde hielt er mit seinem Diener vor dem Eisengitter, das den Haupteingang in diesen einsamen Hof bildete. Ein Hund lärmte ihm entgegen, verschiedene Thiere schrieen und krähten den ungewohnten Gast an. Franz sprang herbei und öffnete das Thor.

Ei, gnädiger Herr Baron! schrie er laut auf. Sie sind es!

Ja, mein Alter, Du kennst mich. Wo ist dein Herr?

Hier! sagte der Graf, der um die Ecke des Landhauses aus dem Garten in den abgetheilten Hofraum trat. Mein lieber, guter Hermann, sei mir herzlich willkommen.

Er führte ihn an der Hand fort den Kiesweg hinauf bis unter den Vorbau, indem er die ersten raschen Empfangsfragen that. Dort umarmte er den Freund nochmals, schob ihm den Stuhl hin, auf welchem Anna gesessen, und beide junge Männer betrachteten sich dann mit Blicken voll vergleichender Erinnerung, um aus Vergangenheit und Gegenwart sich das Horoskop ihres Lebens zu stellen.

Du siehst angegriffen aus, rief der Graf, bist blaß und ein wenig mager geworden. Du bist doch nicht krank gewesen, Hermann? Oder macht es die Reise? Hast Du Dich angestrengt?

Ist denn das feste, frische Fleisch immer der Ausdruck der Gesundheit? antwortete Hermann Legard lächelnd, indem er den kräftigen Wuchs und die nervige Gestalt seines Verwandten betrachtete. Ich befinde mich wohl, mir fehlt nichts. Blaß war ich immer. Es ist wenig Blut in mir, das nach Außen drängt, und vielleicht habe ich eine Zeit lang zu viel gearbeitet und zu mäßig gelebt.

Alfred lachte zu dieser Erklärung.

In Paris, rief er, und mäßig leben, das ist ein Widerspruch, der nähere Aufschlüsse verlangt. Aber Du hast doch den Sommer über nicht in der Dunstatmosphäre der Kalkhügel an der Seine zugebracht?

Bis auf eine kurze Zeit, die ich im Schloß St. Evreux, das der Marquise von Honcourt gehört, verlebte, bin ich allerdings stets in Paris gewesen. Du hast den gewöhnlichen Glauben, fuhr er fort, daß diese ungeheure Stadt nichts Anderes enthält, als leichtsinnige, in jeder Sinnenlust und jedem Taumel verlorene Menschen, welche mit gieriger Hand alle Schätze des Augenblicks abreißen, verschlingen und doch niemals satt werden; aber Du irrst. Ich habe in der Vorstadt St. Germain in größter Abgeschiedenheit und Stille gewohnt, kaum je etwas von dem wüsten Lärm der Boulevards vernommen, bin zu wenigen edlen Familien in Beziehungen getreten, habe aber dafür volle Entschädigung gefunden und die schönsten Tage meines Lebens dort verlebt.

Wohl uns, daß Du Dich von ihnen trennen und zu uns zurückkehren konntest, antwortete Graf Alfred ihm die Hand schüttelnd.

Liegt in Deinen Worten ein Vorwurf oder eine Spötterei, mein Freund? sagte der Baron, nachdem er einen Augenblick geschwiegen und seinen Verwandten überlegend angeblickt hatte, so sollst Du wissen, daß ich zum guten Theil Deinetwegen zurückgekehrt bin.

Meinetwegen! Man hat Dir also über mich geschrieben? fragte der Graf.

Nein, antwortete Hermann, ich habe, was Dich angeht, auf andere Weise erfahren. Als ich vorgestern dann den Justizrath Bertram aufsuchte, bestätigte mir dieser, was ich wußte.

Ich müßte ihm darüber zürnen, wenn Du es nicht wärest, fiel Graf Alfred ein, denn nach unserer Abrede und seiner festen Zusage sollte vor der Hand Niemand erfahren, wo ich sei.

Du zürnst ihm ohne Grund, sagte der Baron, er hat mir nichts verrathen. Ich wiederhole Dir, er bestätigte lediglich, was ich ihm, als mir bekannt, vorhielt.

Aber wie ist das möglich! rief sein Verwandter ungläubig lächelnd aus. Wer könnte Dir in Frankreich erzählt haben, was wenige Menschen hier nur wissen.

Das blasse Gesicht des Barons sah ein Weilchen still vor sich hin, als horche er auf etwas, dann begann er leiser sprechend:

Du hältst vielleicht als das Heimlichste von Allem die Art, wie Du mit der jungen Dame bekannt geworden bist, welche die einsamen Freuden dieses abgelegenen Hauses mit Dir theilt. Ich will es Dir erzählen. Anna Hülsens Vater war Prediger auf Deinem Gute Taschenberg; als er starb, hatte sie eben ihr siebenzehntes Jahr erreicht.

Alfred legte seine Hand rasch auf Legards Arm und deutete mit dem Finger nach oben.

Sie ist nicht dort, erwiderte der Baron, sie hört uns nicht. – Das junge Mädchen war ganz verlassen, Du hattest ihr durch Deine zarte Theilnahme und Fürsorge eine schwärmerische Neigung eingeflößt. Sie folgte Dir, Du wolltest sie bei einer Familie, wie Du sagtest, in Pflege geben, statt dessen führtest Du sie hierher. Du hattest Alles dazu vorbereitet.

Bei Gott! sagte Alfred im höchsten Erstaunen, ich halte Dich beinahe für einen Hexenmeister. Ich kann nicht begreifen, woher Du das weißt, aber ich bin nicht im Stande, ein Wort davon zu läugnen.

Er faßte Hermanns Hand und zog ihn halb gewaltsam einige Schritte fort in den Garten, wo er Arm in Arm mit ihm weiter ging.

Du stehst also mitten in meinem Geheimniß, Legard, begann er dort, und da Du mich aufgesucht und gefunden hast, ist es gut, daß Du Alles weißt. Ich habe keine Noth Dir ein Geständniß zu machen.

Du fühlst also, daß ein Geständniß Dir Noth machen würde?

Graf Alfred hob seine stolze Stirn auf und sagte dann mit einer gewissen Gewalt:

Nein, so war es nicht gemeint. Ich habe Niemand Rechenschaft zu geben, eben so wenig habe ich mich zu schämen.

Baron Legard schwieg, in seinem Gesicht änderte sich kein Zug.

O! ich weiß wohl, fuhr sein Vetter fort, daß es tugendhafte Leute genug giebt, die über mich die weisen Häupter schütteln und die allezeit fertigen Zungen wetzen möchten; eben um diese zu schonen, habe ich mich auf dies stille Plätzchen zurückgezogen, und Alles, was ich von Dir verlange, Legard, ist, nicht über mich zu sprechen und – doch das wirst Du auch nicht thun – mir keine moralische Vorlesung zu halten.

Du willst in Deinen Gefühlen nicht gestört sein, sagte Hermann, Du hast Recht, man muß sich diese nicht durch Reflexionen verkümmern lassen.

Ich verstehe Dich, antwortete der Graf. Aber ich erwidre Dir, daß kein heißblütiges, sinnliches Verlangen mich zu diesem Bündniß getrieben hat, sondern daß ich überlegte, prüfte und erst nach einer ernsten Abwägung mich entschloß, mein wahres Lebensglück durch Anna's Besitz zu sichern.

Ich hoffe, erwiderte der Baron abbrechend, Du giebst mir die Erlaubniß, diesen Tag mit Dir zu verleben und das Wesen kennen zu lernen, dem Du Dein Glück dankst.

Lebe mit uns, lieber Legard, komm so oft Du willst, überzeuge Dich, daß ich keine leeren Worte gesprochen habe, rief Alfred warm und herzlich. Du findest freilich hier keine andere Gesellschaft als uns, im höchsten Fall eine einfache Familie aus der Nachbarschaft, doch Alles, was wir Dir bieten können, soll gern geboten sein. Da kommt Anna!

Mit diesen Worten führte er seinen Vetter zum Hause zurück, wo die junge Frau sie erwartete. Sie hatte sich für den Gast geschmückt, das heißt, sie hatte ein einfaches Kleid von leichtem Wollenstoff angelegt, ihr schönes Haar sorgsam geordnet und den Tuch um ihren Hals mit einer goldenen Nadel befestigt. Ohne Verlegenheit richtete sie ihr lächelndes Gesicht auf den Gast, und ihre hellen, freundlichen Augen hießen diesen willkommen, als Alfred ihn vorstellte.

Das ist Hermann, von dem ich Dir erzählt habe, sagte er, er will heut bei uns bleiben und wiederkommen, wenn es ihm gefällt. Sieh' also zu, liebe Anna, wie wir es machen, um den Freund festzuhalten, der in der großen Welt lebt und Ansprüche macht.

Solche Ansprüche mache ich nicht, fiel der Baron ein. Ich nehme es dankbar an, wenn Sie mich als einen Freund betrachten wollen, mit dem man ohne Umstände verfährt.

Sorgen Sie nicht, sagte Anna unbefangen. Sie sind Alfreds Freund, so müssen Sie auch mir befreundet sein. Ich sehe es ihm an, wie sehr er sich freut, daß Sie gekommen sind, darum freue ich mich auch und heiße Sie recht von Herzen willkommen.

Legard nahm ihre Hand und hielt sie fest.

Ich weiß es, sagte er, daß dies Wahrheit ist, und wünsche, daß es mir vergönnt sein möge, Ihnen zu beweisen, wie auch ich den lebhaftesten Antheil für Sie hege.

Sie zog die Finger mit einem so plötzlichen Zucken fort, daß es fast wie ein Erschrecken aussah, und als ihre Augen sich begegneten, blickte sie schnell nach Alfred hin, der sich zur Seite gewandt und nach Franz gerufen hatte.

Nun, hierher an den Tisch, rief der Graf fröhlich aus. Setze Dich zu uns, Legard, wir müssen plaudern, während Anna das Haus bestellt. So arm sind wir nicht, um Dich nicht mit einem vollen Glase empfangen zu können. Ich habe einen kleinen Vorrath vortrefflichen Wein hierher schaffen lassen, der bei festlichen Gelegenheiten ans Tageslicht kommt. Da bringt Franz schon, was wir brauchen, um nach alter guter Sitte Herzen und Lippen öffnen zu helfen.

Der Diener stellte Flasche und Gläser auf den Tisch.

Der Baron sagte lächelnd:

Bei meinem Eingange in Dein Haus will ich eine Ausnahme machen, um auf das Wohl dieser schönen Frau und auf Dein Wohl anzustoßen. Sonst trinke ich niemals Wein.

Du niemals Wein, Legard?! rief Alfred laut lachend. Du, der anakreontisch sonst sein Haupt bekränzte!

Auch das habe ich mir abgewöhnt, antwortete der Baron sanft und reuevoll, und bin zu der französischen Sitte gelangt, mein Wasser höchstens mit einem wenig Wein zu mischen, wenn ich überhaupt genöthigt werde, Wein zu genießen.

Bist Du in den Mäßigkeitsorden getreten? spottete Alfred.

Ohne ihm anzugehören, müßte Jeder sein Mitglied sein, erwiderte Legard, dann erst würden die geistigen Fähigkeiten der Menschen eine höhere Entwickelung erreichen können.

Du bist also ein Spiritualist geworden, sagte Alfred scherzend, der allem Spiritus den Tod geschworen hat.

Wenigstens, antwortete der Baron in seiner langsamen, gemessenen Sprechweise fortfahrend, glaube ich, daß die Herrschaft der Materie, wie sie jetzt ist, nie so weit hätte gelangen können, wenn wir mehr daran gedacht hätten, uns von ihrer Knechtschaft frei zu halten.

Ei was! rief der Graf sein Glas hebend, stoß an, Legard! Der Knechtschaft giebt es überdies genug. Im Wein ist Wahrheit, nichts ist von den Dichtern so oft besungen worden. Wein und Liebe haben die guten Götter dem Menschen mitgegeben, damit er es auf Erden aushalten könne; Wein und Liebe mögen auch Dir niemals fehlen!

Der Baron trank lächelnd, indem er mit Anna anstieß.

Mein lieber Alfred, sagte er dann, wenn der Wein nicht wäre, würde die Liebe auch von anderer, edlerer Natur sein, als wir sie kennen. Noahs Geschenk ist für sein Geschlecht ein sehr verderbliches gewesen, der Herr hat nichts damit zu schaffen gehabt und die eigene Geschichte dieses alten Trinkers beweist zur Genüge, was wir davon zu halten haben. Blicke auf Chroniken und Legenden, wohin Du willst, überall schimmern Dir dieselben Folgen entgegen, rohe Begierden, schreckliche Thaten, gemeine Leidenschaften, die bis zum Wahnsinn durch Sinnenrausch aufgestachelt werden. Das pflanzt sich von Geschlecht zu Geschlecht fort; und welch großer Unterschied ist denn zwischen den Bachuszügen des Alterthums und einem modernen wilden Gelage, einem sogenannten Feste, bei dem die rohe Gier nach Genuß Luft und Freude heißt? Das hat die Menschen heruntergebracht, ihren Aufschwung gelähmt, ihre göttliche Mission verkümmert. Ihre Liebe ist, wie ihr Wein, ein Mittel zum wüsten Rausch geworden, und ihre abgestumpften Nerven bedürfen immer größerer Reizmittel, um erregt zu werden. Davon kommt der Unglaube, der Verfall, die Sittenlosigkeit unserer Zeit, davon die krampfhaften Zuckungen gegen Gesetze und alte geheiligte Satzungen, diese hohnvolle Verachtung ehrwürdiger und göttlicher Einrichtungen. Man nennt so etwas geistreich, Kampf gegen Vorurtheile, Kampf der Vernunft, doch wie wenig Geist und Vernunft ist darin! Es ist nichts als der Kitzel des Eigendünkels, der sich zum Herrn seiner selbst macht und allen Zusammenhang mit einem höheren Herrn aufgegeben hat. Freilich sind die stumpfen Sinne nicht fähig zum Sehen und zum Hören, keine Stimme spricht zu ihnen, wie die ihrer Eitelkeit und ihrer kurzsichtigen Selbstsucht. – Nun, das sind Gegenstände von so ernster Bedeutung, fuhr er sich unterbrechend fort, daß wir sie aufgeben müssen. Führe mich jetzt in Deinem Besitze umher, laß mich sehen, wie Du lebst und wie Du Dich beschäftigst, ich werde Dir dann sagen, was ich davon halte und ob ich Deinem jetzigen Glücke Dauer prophezeihen kann.



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