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Am anderen Morgen, als das Jägerhaus am Waldsaume im glänzenden Sonnenscheine lag, kam Anna auf dem Steg, der durch Felder und Wiesen führte, und eine Sehnsucht mußte sie zu ihrer Freundin treiben, denn sie eilte rasch der einsamen Wohnung zu. Der Wind fächelte mit dem weiten blauen Kleide, spielte mit den langen Bändern ihres Strohhutes und wehte den weißen Tuch von ihren Schultern.
Als sie an dem Gehege der Försterin stand, ruhte sie einen Augenblick aus und sah durch die dürren Stecken auf das friedliche Häuschen, das nicht viel besser und größer wie eine Bauernwohnung war, aber doch eine besondere Prägung von Sauberkeit und Ordnungssinn an sich trug.
Da lag es auf grünem hohen Land, an dessen Fuß ein eirunder, kleiner See sich ausbreitete, der gar lieblich klar heraufblickte. Gleich dahinter standen hohe Waldbäume, welche ihr Gezweig im Wasser spiegelten. Hinter dem Hause war ein Fruchtgarten und zur Seite lagen einige Wirthschaftsgebäude, Ställe und Scheunen. Ein bunter Hahn stand in der Mitte auf dem Düngerhaufen, schlug mit den Flügeln und krähte aus Leibeskräften seine Familie herbei, die an den Weinranken umher pickte, welche die Mittagsseite des Häuschens überschatteten. Die Fenster waren klein, aber sie schimmerten hell; die grünen Läden blitzten von dem neuen Anstrich und oben zwischen dem Scheungiebel saß der Vater Storch auf seinem Neste, sonnte sich, klapperte gewaltig und schien mit Reisegedanken umzugehen, die er drei anderen jüngeren Gliedern seines Stammes mittheilte, welche am Rande des Daches saßen und tiefsinnig zuhörten.
Anna seufzte leise, indem sie ihre Blicke über diese Scenerie des ländlichen Stilllebens fliegen ließ, eben aber erschien Frau Schlenz auf dem Hofe. Das Jäckchen aufgestreift, an den Füßen gewichtige Holzschuhe, eine Schwinge mit Futter in den Händen trat sie aus einer Nebenthür, und in einem Augenblicke war sie von ihrem ganzen Hofstaate umflattert und umschrieen. Die Tauben kamen und setzten sich auf ihre Schultern, die Enten, die Truthühner und Gänse, der Hahn und seine Gesellschaft, groß und klein, sammt Sperlingen und einigen Schafen und Ziegen alle flogen und rannten, schrieen und meckerten, und die kleine hübsche Frau, die sich des Schwarmes kaum erwehren konnte, lachte und wehrte sich und streute Futter aus, strafte und lobte, bis sie zuletzt Anna erblickte, welche still zusah, und nun warf sie den ganzen Rest der Schwinge den Thieren hin und eilte dem willkommenen Besuch entgegen.
Mein liebes Herzens-Annchen! wie freue ich mich, daß Sie kommen. Nun, geschwind herein in die Küche. Es steht ein Kessel Milch auf dem Feuer, der darf nicht überkochen, es muß gleich so weit sein. Knecht und Magd mit sechs Arbeitern sind auf dem Felde und graben die ersten Kartoffeln aus, so bin ich allein im Hause, muß kochen und wirthschaften. Davon wissen Sie Alles nichts, behalten die Fingerchen weich und fein; sehen Sie meine dagegen an, die sind fest und rauh wie Stahl und Eisen. Aber Der dies, Jener das, und immer etwas Anderes; Jeder hat sein Päckchen zu tragen, und ich bin zufrieden mit meinem. Nun Annchen, gut daß die Milch heiß ist, eine Tafel Chocolade giebts noch im Eckschrank von meinem Geburtstage her, meine Mutter hat sie mir damals geschickt, die weiß auch was gut schmeckt. Hier ist ein Stuhl, geschwind setzen Sie sich. Ehe das Huhn ein Ei legt, bin ich fertig und dann solls lustig hergehen. Wie sind Sie denn nach Haus gekommen?
Weil Anna nicht antwortete, sah sie sich um. Die junge Frau hielt den Tuch vor ihre Augen. Frau Schlenz setzte den Kessel geschwind fort, kam herbei und blickte sie erstaunt an. Was ist denn das! rief sie. Was ist denn geschehen? Sie weinen ja!
Anna streckte ihre Hand aus, die Toni lebhaft ergriff und drückte, während sie allerlei liebkosende und tröstende Worte sprach.
Es ist mir eigentlich gar nichts geschehen, begann die junge Frau endlich, indem sie mit einem schwachen Lächeln den Kopf aufhob. Ich war im Grunde nur gerührt über Ihr Glück, liebe, beste Toni. Wie Sie so freundlich und schön hier wohnen und wie Alles Sie liebt. Wie alle Thiere zu Ihnen kommen und alle Menschen Ihnen wohl wollen.
Die Försterin lachte hell auf. Weiter ist es nichts? rief sie. Sie sind ein kleiner Schelm, der Einen in Angst setzen kann. Bei Ihnen ist es ja weit schöner, und wenn Sie hier wohnen und leben sollten, würde es bald Seufzer genug setzen.
Möchten Sie denn mit mir tauschen? fragte Anna mit einem scheuen, furchtsamen Blick.
Was das für Fragen sind, sagte die Freundin. Jede von uns muß behalten, was sie hat. Aber es muß doch irgend etwas mit Ihnen geschehen sein, liebes Annchen, fuhr sie fort, indem sie ihre hellen Augen forschend auf das betrübte Gesicht der Freundin richtete. Ist's vielleicht mit dem Grafen?
Anna schüttelte den Kopf. Er ist heut Morgen mit dem Gewehr fortgegangen; nein, ich weiß nicht, was es ist. Mir ist so bang, ganz unwillkürlich kamen mir die Thränen. Ich habe eine Unruhe im Herzen, die mich auf keinem Fleck duldet, und doch weiß ich nicht, was mich plagt. So bin ich denn zu Ihnen hergekommen; es wurde mir so bang allein im Hause.
Das haben Sie recht gemacht, Annchen, sagte Toni, kein Mensch in der Welt kann Sie lieber kommen sehen. Es ist nichts als das Blut, das Sie unruhig macht. Ich habe das auch schon kennen gelernt. Es ist, als hätte man ein Verbrechen begangen, sollte bekennen und wollte nicht. Ich habe noch ein englisches Brausepulver, das müssen Sie nehmen, das hilft.
Dazu mußte sich die junge Frau bequemen, dann saßen die beiden Freundinnen Hand in Hand und sprachen von dem gestern verlebten Lage, wobei es zu vertrauten Mittheilungen kam, welche vor Allem Legard betrafen.
Anna erzählte von ihm, von seinem Versprechen, bald wiederzukommen, und von verschiedenen Aeußerungen, die er gethan, daß sie seine ganz besondere Theilnahme erregt habe; aber aus Allem, was sie sagte, klang ein Ton des Mißtrauens und Mißfallens, den die kluge Nachbarin sehr wohl bemerkte.
Ich glaube, der Herr Vetter hat Ihnen nicht besonders gefallen, sagte sie endlich. Ist es nicht so? Und Herr Alfred wird auch nicht besonders erbaut von ihm sein.
Alfred war gestern Abend so mißgestimmt, wie ich ihn nie gesehen. Er hat kein Wort darüber geäußert, und ich selbst mochte nicht von dem Baron sprechen, der mir, ich will's nicht läugnen, ein Gefühl erweckt hat, daß ich Herzklopfen bekomme, wenn ich daran denke.
Wie! rief Toni lachend, so schlimm hat er es gemacht!
Ich fürchte mich vor ihm, flüsterte Anna erröthend. Ich weiß selbst nicht warum, und immer, noch jetzt, ist es mir, als müßte er plötzlich herein treten oder als stände er hinter mir.
Fürchten Sie sich immer ein wenig, sagte die Försterin, zu trauen ist ihm nicht. Obwohl er jetzt ernsthaft genug thut und so sanft und süß zu sprechen weiß, wie ein Lämmchen, glaube ich dennoch wenig Gutes von ihm.
Sie glauben nichts Gutes von ihm? fragte die junge Nachbarin.
Ich will Ihnen sagen warum, fuhr die Freundin vertraulich fort. Vor fünf Jahren habe ich ihn kennen gelernt und damals war er ein schöner, galanter Herr, der keinen allzu feinen Lebenswandel führte.
Er hat sich aber gewiß gebessert, sagte Anna.
Ich will es ihm wünschen. Nun zu jener Zeit gefiel ich ihm auch und es dauerte nicht lange, so war er immer da, wo ich mich blicken ließ. Aber ich kannte ihn und ließ mich nicht verblenden; kannte damals schon meinen Wilhelm, freilich nur ganz von Weitem; der war Feldjäger, und wir hatten uns ein paar Male gesprochen. Eines Abends nun, als ich aus der Näheschule kam und mich verspätet hatte, faßte plötzlich eine Hand meinen Arm und eine Stimme flüsterte mir Worte und Bitten und Schwüre zu, die so süß klangen, als kämen sie vom Himmel.
Und war es Ihnen auch so wunderbar dabei? sagte die junge Frau sie unterbrechend. Fühlten Sie bei seiner Berührung nicht einen besonderen heißen Schmerz bis in die Brust?
Gar nichts fühlte ich, als Lust zum Lachen. Herr Baron, sagte ich, ich bin entzückt über ihre Anträge. Sie lieben mich also über alle Maßen, bei mir wird's kommen, wenn wir uns näher kennen, und Frau Baronin möchte ich schon werden. Vor allen Dingen begleiten Sie mich nach Haus, damit wir es meinem Vater und meiner Mutter mittheilen, Aufgebot und Hochzeit bestimmen können.
Da hätten Sie ihn sehen sollen, Herzens-Annchen, rief die Försterin vergnüglich lachend, wie er sich krümmte und drückte, was er für Künste anwandte und schmeichelte; doch ich hielt ihn fest, wich und wankte nicht, zog ihn fort und packte seine Hand, bis er sich zuletzt mit Gewalt losriß. Danke für die Ehre, lieber Herr Baron, rief ich ihm nach und wollte mich ausschütten. Ich bin ein tugendhaftes, sittsames Mädchen, und immer zu ihren Diensten, wenn Sie mit Ring und Brautkrone kommen, ohne diese aber – hier unterbrach sich die Erzählerin, sprang auf, eilte ans Fenster und sagte: Immer schöner, was will denn Der? Da kommt der Pfarrer Fichtner gerade auf unser Haus los.
Ich mag nicht mit ihm zusammentreffen, sagte Anna, indem sie aufstand.
Warum denn nicht, Herzchen? Nehmen Sie doch nicht Reißaus vor dem langbeinigen Störenfried. Sitzen Sie still auf ihrem Stuhl, wir wollen ihn bald wieder fortschaffen.
Es war auch nicht mehr Zeit, dem Pfarrer auszuweichen, der durch das Gehege geschritten war und an der Schwelle stand. Anna's Gesicht war beim letzten Abschnitt der Mittheilungen ihrer Freundin auffallend blaß geworden, jetzt wurde es von einer glühenden Röthe bedeckt, und als der Kopf mit den groben, harten Zügen und dem langfallenden Haar sich durch die Thür steckte und katzenartig freundlich umhergrinste, raffte sie ihr Tuch zusammen, um ohne Aufenthalt sich zu entfernen.
Ah! sagte Fichtner, Sie haben Besuch, Frau Schlenz, bitte um Entschuldigung! Ich wollte nur hereinsehen, um mit dem Förster einen Augenblick zu reden.
Sie gab ihm kurzen Bescheid und fügte hinzu, daß ihr Mann aus den Holzschlägen vor Abend nicht zurückkommen werde; aber statt damit fortzugehen, legte der Geistliche seinen Hut auf das Fenster, setzte sich in den Polsterstuhl und kreuzte seine Füße.
Ein vortreffliches Wetter, so warm, daß man müde wird; ich muß mit Ihrer Erlaubniß ein wenig ausruhen. Er wandte sich zu Anna um, die nicht wußte, ob sie gehen oder bleiben sollte, grinste sie von der Seite an und fuhr dann fort:
Wird der Herr Graf noch lange auf dem einsamen Lindenhofe wohnen?
Ich weiß Ihnen darüber keine Auskunft zu geben, erwiderte die junge Frau furchtsam.
Nicht? antwortete Fichtner, das ist Schade. Ich höre, daß seine Verwandten in der Stadt sich darüber grämen. Wie lange ist denn ihr Vater todt, Mamsell Gärtner?
Seit einem Jahre, entgegnete sie leise.
Kaum also ein Jahr vorüber, murmelte der finstere Mann, und seine stechenden, scharfen Augen hefteten sich auf die junge, leise zitternde Gestalt. Wie alt sind Sie denn, Mamsell Gärtner?
Achtzehn Jahre.
So jung noch und so – er schüttelte den Kopf und seufzte. Ich habe Ihren Vater gekannt, Mamsell Gärtner, er gehörte zu denen, die zu schwach gefunden werden, um sich zu wappnen mit dem Schwerte des Herrn, damit der böse Feind ihre Saaten nicht verderbe. Nun ist er abgerufen worden, um Rechenschaft zu geben; doch wenn er herunter blickt, wird seine Seele aufschreien in Qualen über das, was sie verschulden half.
Anna stand auf, ihre Augen waren mit Thränen gefüllt, und ihr kindlich freundliches und zartes Gesicht glühte vor Schmerz und Scham. Sie nickte ihrer Freundin einen stummen Gruß zu und entfernte sich, ohne ein Wort zu sagen; als aber die Försterin ihr folgen wollte, hielt Fichtner sie fest und sagte mit befehlender Stimme:
Lassen Sie die Sünderin gehen und Buße thun, ich habe mit Ihnen zu reden.
Was nehmen Sie sich heraus! rief die erzürnte Frau, die jetzt erst ihre Zunge gebrauchte. Wie können Sie das arme Annchen so kränken und beleidigen?
Kraft meines Amtes, sagte der Geistliche kaltblütig, bin ich berufen, überall die Wahrheit zu sagen.
Nicht unter meinem Dache, nicht an meinem Tische sollen Sie Unheil stiften, rief sie noch zorniger. Mein Mann soll uns Genugthuung verschaffen.
Ihren Mann eben suchte ich, antwortete Fichtner, um ihm in Betreff jenes verlorenen Mädchens da eine ermahnende Vorstellung zu machen, die sein eigenes Wohl betrifft. Hören Sie mich ruhig an und urtheilen Sie, ob ich Recht habe.
Wie nennen Sie die junge Person, welche eben von uns geht? Sie nennen Sie Annchen, warum nennen Sie sie nicht Frau? und da sie bei dem Grafen Hohnstein lebt, warum nennen Sie sie nicht Frau Gräfin?
Sie schweigen, Sie erkennen die Bedeutung meiner Frage, aber Sie müssen auch wissen, daß dies anstößige Verhältniß überall Widerwillen und Aergerniß erregt. Niemand mag damit zu thun haben, Jedermann wendet sich davon ab. Keine christliche Familie wird ihre Thür solcher verwerflichen Sittenlosigkeit öffnen, keine ehrbare Frau sich damit einlassen.
Die Försterin wollte auffahren, sie wußte aber nicht recht, was sie sagen sollte, der Pfarrer hielt ihr seine große Hand abwehrend entgegen.
Ueberlegen Sie das Alles wohl und achten Sie darauf, was ich hinzusetze, fuhr er fort. Die Familie des Grafen Hohnstein ist eine sehr hochgeachtete, und wenn es an den Tag kommt, daß der Förster Schlenz und seine Frau sich ganz besonders der Mamsell Gärtner willig zeigten, das Unwesen auf dem Lindenhofe unterstützten, sich über das Anstößige und Unschickliche fortsetzen und den jungen leichtsinnigen Herrn in seiner Verblendung bestärkten, so dürfte von einer Beförderung im Dienste nicht weiter die Rede sein. Ja es könnte wohl geschehen, daß es zu traurigen Ereignissen käme; denn Unmoralität kann ein christlicher Staat nicht dulden, und Beispiele haben wir genug, wie man straft sowohl, als wie man lohnt.
Ich werde mir Alles merken, antwortete Toni mit ernsthaftem Gesicht und einer Erschrockenheit darin, die der Geistliche wohl bemerkte und die ihm ein beifälliges Lächeln abgewann.
Glauben Sie nicht, liebe Frau Schlenz, sagte er mit einer milderen Stimme, daß ich es böse meine. Ich meine es mit allen Menschen gut, und suche die Irrenden zu ihrem Heile zu führen. Auch das arme, gesunkene Mädchen erbarmt mich, obenein da sie eines Geistlichen Tochter ist, der freilich seine Heerde wie ein schlechter Hirte weidete.
Was kann ich denn aber thun? fragte die kleine Frau demüthig, indem sie den Zipfel ihrer Schürze zwischen ihren Fingern drehte. Ich kann das arme Annchen doch nicht von meiner Thür stoßen.
Das sollen Sie auch nicht, sagte der Pfarrer. Das Schaf, das in den Brunnen gefallen ist, soll man nicht ertrinken lassen, man soll es herausziehen. Sie haben bis jetzt aber gewiß noch niemals mit dem unglücklichen Mädchen von ihrer Lage gesprochen, niemals dazu beigetragen, ihre Augen zu öffnen und ihre Schande zu erkennen.
Nein, erwiderte Toni, es ist ein so liebes, freundliches Wesen, ihr Glück ist so groß, und ihr Herz so voll Zufriedenheit und Dankbarkeit, daß ich kein Wort über meine Lippen bringen konnte.
Das ist falsch! das ist Unrecht! rief Fichtner. Wie können Glück und Zufriedenheit da wahrhaft wohnen, wo die Sünde auf der Thürschwelle liegt! Nur weil sie in Unwissenheit und Verblendung wandelt, hat sie die Stimme des Gewissens nicht gehört.
Ich fürchte, sie hört sie schon, sagte die Försterin leise vor sich hin.
Als eine Christin und als achtbare Frau, fuhr der Geistliche fort, müssen Sie darauf einwirken, und wenn Sie eine wahre Freundin des verirrten, verlassenen Mädchens sein wollen, müssen Sie schon um dessentwegen eifrig sein. Der Graf ist ein leichtsinniger junger Herr. Einer von denen, die keine Satzung achten, die über alles Heilige spotten, und deren hochmüthige Verkehrtheit die göttlichen Grundlagen des Lebens als Vorurtheile und alten Sauerteig verhöhnt. Er hat mir das selbst gesagt, als ich nach meiner Pflicht ihn aufsuchte und zum Ablassen ermahnen wollte; aber glauben Sie denn, daß das Schicksal Ihrer Freundin bei einem solchen Manne gesichert sei? Er wird bald genug ihrer überdrüssig werden und sie von sich werfen, wie man Nußschalen fortwirft, wenn der süße Kern genossen ist. Den Lindenhof hat er ihr verschrieben und eine Abfindungssumme wird er ihr gewiß auch einmal auszahlen, aber zu Ehren wird er sie nimmer bringen, und nach der Kenntniß menschlicher Natur wird dies um so weniger der Fall sein, je länger es dauert, ehe die wachsamen Freunde des unglücklichen Mädchens und sie selbst die Vollziehung der Ehe nach den Geboten der Kirche von dem Verführer fordern.
Graf Alfred ist nicht leichtsinnig, antwortete Toni, aber dennoch muß ich sagen – gewiß, wäre es besser, wenn er dem armen Annchen seinen Namen geben wollte.
Es wäre nicht allein besser, sagte der Pfarrer mit Nachdruck, sondern es ist die einzige sichere Rettung aus Bedrängniß, Noth und Schmach. – Sehen Sie, Frau Schlenz, man mag die Sache ansehen, wie man will. Man mag die Ehe für ein heiliges Sacrament halten, wofür ein jeder Christ sie halten muß, denn das ist sie, von Gott eingelegt, oder aber man mag sie als einen bürgerlichen Vertrag betrachten, wie es die Aufgeklärtheit unserer Tage thut, immer aber giebt die Ehe allein Rechte und Sicherheit, giebt sie dem Weibe die feste Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft und legt dem Manne Pflichten auf, welche er nicht leichtsinnig von sich werfen kann. Dieser thörichte junge Herr versteckt sich hier mit seinem Raube, wie ein Dieb; würde er das nöthig haben, wenn er wie ein ehrenhafter Mann gegen das Mädchen handeln wollte, die er zu lieben vorgiebt? Er zwingt seine Umgebung, ihr den Titel Frau zu geben, der ihr nicht gebührt, heimlich aber lachen und spotten die Leute darüber und die ferner stehen schreien über das Aergerniß. Was hindert ihn aber, morgen diese Geliebte fortzujagen, oder was wird aus ihr, wenn ihn der Herr in seinen Sünden sterben läßt? Sehen Sie, Frau Schlenz, das Alles stellt sich uns bei der ersten ernsten Betrachtung dar. Darum ist das Heiligthum der Ehe der Schutz gegen wüste Willkür und Gewalt und dessentwegen schon müssen Sie aus allen Kräften dahin streben, Ihrer Freundin zu ihrem Recht zu helfen, damit sie eine rechtmäßige, christliche Ehefrau werde, die ihr Haupt aufheben darf, wenn auch die Vergangenheit sich nicht ändern läßt.
Sie wollen also, daß er Annchen heirathen soll? rief die kleine Frau, deren Gesicht sich belebte.
Sie muß es von ihm mit allem Ernst und aller Strenge fordern, erwiderte der Pfarrer, dahin müssen Sie wirken.
Nun, wahrhaftig! darin haben Sie so Unrecht nicht, sagte sie. Ich will mit ihr darüber sprechen, oder ich will ihr schreiben.
Der Geistliche nahm seinen Hut und stand auf. Sie sind eine verständige Frau, sagte er, reden Sie zunächst mit Ihrem Manne, dann schreiben sie ihr Alles, was ich Ihnen eindringlich vorstellte.
Aber was wird die Familie des Grafen dazu sagen?
Das geht uns nichts an, antwortete der Geistliche. Es wäre freilich besser, wenn diese edle Familie kein Leid davon hätte, aber es wird ihr jedenfalls mehr Trost dadurch werden, als durch ein fortgesetztes Verharren ihres Verwandten in solchen Verirrungen. Im Uebrigen steht Alles in Gottes Hand, der das Schicksal derer erwägt, die ihm vertrauen.
Mit diesen Schlußsätzen entfernte er sich und versprach bald wieder zu kommen.