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6.

Nach drei Tagen erschien Legard wieder auf dem Lindenhof. Er traf seinen Vetter aber nicht zu Haus, Anna kam ihm allein entgegen, und wie ein Herz, das eines Vertrauten bedarf, in seiner Kümmerniß leicht von Hoffnungen und Täuschungen fortgerissen wird und sein Mißtrauen vergißt, so war es auch hier, als der Baron mit sanfter Freundlichkeit und gewinnender Ruhe ihr die Hand reichte und küßte und theilnehmende Fragen an sie richtete.

Nach einiger Zeit, als sie im Garten umhergingen, sagte Anna:

Sie sind schon gestern sehnlich erwartet worden, Herr Baron. Alfred war so unruhig, er ging bis auf die Hügel hinaus, um recht weit in die Ferne zu sehen.

Haben Sie mich auch ein wenig erwartet? fragte er.

Das habe ich, erwiderte sie, obgleich ich fast bestimmt wußte, Sie würden nicht kommen.

Wodurch wußten Sie das?

Anna erröthete. Ich weiß es nicht, antwortete sie dann, aber es war mir so, als ob es mir Jemand sagte.

Legard richtete seine dunklen, großen Augen auf sie, und um den feingeformten Mund schwebte ein geheimnisvolles Lächeln. Es war eine Stimme, sagte er, welche Sie allein verstanden, und die ich hörte, wenn ich auch weit von Ihnen war.

Sie sah ihn fragend an, er lächelte bedeutungsvoller. Sie glauben mir noch nicht, fuhr er fort, und doch könnte ich Ihnen sagen, was Sie thaten. Als Sie gestern von dem Spaziergange zurückkehrten, ging Alfred an den See hinab, um im Boote zu rudern und zu fischen. Sie blieben allein, saßen dort unter dem Kastanienbaum, und wohl eine Stunde lang dachten Sie über etwas nach, was Sie in den letzten Tagen beunruhigt hat.

Eine glühende Röthe überdeckte das Gesicht der jungen Frau.

Woher, stammelte sie voll Furcht und Erstaunen, woher wissen Sie das?!

Ich habe Sie gesehen, sagte Legard.

Sie waren hier?

Nein, nicht hier. Aber dieselbe Macht, welche Ihnen sagte, daß ich nicht kommen werde, zeigte mir Sie deutlich. Ich konnte selbst Ihre Gedanken lesen. Seien Sie ruhig, liebe Anna, fuhr er fort, ich verrathe nicht allein nichts davon, ich werde auch Ihr Verbündeter sein. Sagen Sie mir aufrichtig – ich weiß, daß ich Anfangs Ihnen einige Furcht einflößte, weiß auch, daß diese von Ihrer Freundin Toni vermehrt worden ist – haben Sie noch in meiner Nähe ein ängstliches Gefühl?

Nein, erwiderte sie den sonderbaren Mann anblickend, der wieder ihre Hand ergriffen hatte und dessen glänzende Augen eine Art magischen Zauber auf sie übten.

Fühlen Sie wahrhaftes Vertrauen zu mir? fragte er.

Ich glaube, daß ich es muß, war ihre leise Antwort, indem sie die Augen senkte.

Das richtige Wort, sprach er mit seiner tiefen, melodischen Stimme, die seltsam in ihrem Herzen widerhallte. Vertrauen Sie mir, ich will Ihr Freund und Beschützer sein. Es giebt ein Band zwischen uns, das wunderbare Kraft besitzt, und Sie frei machen wird von allen anderen unwürdigen Fesseln. Da kommt Alfred, seien Sie heiter, ich werde Ihre Sache führen.

Der Graf kam in seiner ländlichen Tracht mit Angelruthen und Hamen Viereckiges Fischernetz, das durch einen Rahmen oder Diagonalstangen offen gehalten wird und mittels einer Stange kurze Zeit ins Wasser gehalten wird; der Begriff wird aber auch für Angelhaken aus Zinn oder Messing verwendet., den breitkrämpigen Hut mit dem flatternden Bande keck auf sein üppiges Haar gedrückt, um den nervigen Hals ein leichtes Tuch geschlungen. Sein Gesicht war erhitzt, sein Auge voll Uebermuth und Lebenskraft, um seine Lippen zuckte es, wie verhaltenes Lachen.

Bist Du endlich da, Hermann, rief er erfreut, aber was siehst Du wieder trübselig ernsthaft aus! Was giebt's in der Stadt? Machst Du Actiengeschäfte und die Curse stehen schlecht? Wo soll es denn überhaupt mit Dir hinaus! Höre, guter Freund, ich habe, seit Du fort warst, mir alles überlegt, und weißt Du, was ich herausgebracht habe? Du bist ein blasser Moralist, bist fromm geworden. Ein Wunderthäter, ein Hexenmeister, ein Geisterbeschwörer, ein Mensch, der mit geheimen Wissenschaften sich einläßt, mittelst der seltsamen Urkräfte der Natur, Magnetismus, Galvanismus, elektrisch-galvanisch-magnetische Geisterbekanntschaften anknüpft und aller irdischen Lust entsagend sich zu einem Mikroskop für das ganze Weltall macht.

Er faßte Legard, nachdem er sein Geräth abgeworfen, ohne eine Antwort abzuwarten, an beide Schultern, drehte ihn um, schlang lachend den Arm um ihn und führte ihn fort, indem er mit der anderen Hand Anna festhielt.

Du scheinst ganz besonders heiter gestimmt zu sein, sagte der Baron.

Das bin ich, Hermann, rief Alfred, theils weil Du hier bist, denn ich hatte Verlangen nach Dir, theils weil ich soeben eine lustige Scene erlebt habe. Wie ich hinter dem Dorfe fortgehe, an Zäunen und Hecken hin, sehe ich von ungefähr in den Pfarrgarten. Der gestrenge Herr sitzt unter dem Apfelbaum; und wer sitzt neben ihm, ganz versunken in Gottseligkeit? Unsere lustige Nachbarin aus dem Forsthause, deren runde Händchen der ehrwürdige Mann in den seinen hält, während er ihr aus einem Briefe etwas vorliest und ein Gesicht, wie ein Satyr, schneidet.

Guten Abend, Frau Nachbarin! schrie ich über den Zaun, und nun hättest Du sehen sollen, wie sie auffuhren. Ich ging lustig lachend weiter, ohne einzuhalten, aber der Pastor stand wie ein versteinter Apostel und als ich ihm boßhaft zuwinkte, streckte er beide Arme wie gegen eine satanische Erscheinung aus.

Das ist freilich sonderbar, sagte Legard, aber warum soll die Frau nicht bei dem Pfarrer ein Anliegen haben?

Leichtsinnig sind sie alle, lachte Alfred, und Priester, die alle Sünden vergeben können, sind von jeher noch weit gefährlicher gewesen, wie Kriegsmänner. Schlenz ist ein wohlgebauter, kräftiger Mann, ein Adonis gegen diesen vierkantigen Gescheitelten, dennoch aber kann er sich in Acht nehmen.

Du willst Deiner Freundin doch nicht leichtfertig Uebles nachsagen? erwiderte Legard.

Im Ernst nein, rief Alfred, aber es zwingt mich zum Spott, wenn ich daran denke, mit welchem Hohn die redelustige Frau noch vor wenigen Tagen über den frommen, heuchlerischen Pfaffen herfiel, und nun hat sie sich mit ihm versöhnt, und ich fühle beinahe, dies Bündniß ist gegen uns gerichtet.

Gegen Dich? fragte Hermann.

Alfred warf den Hut auf den Tisch, entfernte Anna mit einer Bitte, die sie aus dem Zimmer brachte, und sagte dann leiser:

Dieser Priester zettelt eine Verschwörung an, die mich belustigt. Ich habe einen Brief gelesen, den die Schlenz an Anna geschrieben hat, in welchem sie diese aufgefordert, in mich zu dringen, daß ich den Segen der Kirche über unseren Bund aussprechen lasse, und nach den Redensarten zu urtheilen, muß dieser Pastor dabei gewesen sein, wie das eifrige von gefährlichen Gründen wimmelnde Schreiben ausgeheckt wurde.

Und was hat Anna gethan? fragte Legard.

Nichts, erwiderte Alfred.

Und was hast Du gethan?

Nichts, als sie vielleicht noch herzlicher, noch inniger geküßt als sonst.

Und damit glaubst Du der Verschwörung trotzen zu können?

Damit glaube ich allen Listen und Kniffen meiner Widersacher zu trotzen.

Sonderbar, sagte Legard, ich dachte selbst daran.

Woran?

Ein ernsthaftes Wort mit Dir über Dein Verhältniß gerade in dieser Beziehung zu sprechen, obwohl Du jede Einmischung neulich schon scharf abgewiesen hast.

Ich würde sie wieder abweisen.

Auch wenn sie Deine eigene Sicherheit beträfe?

Meine Sicherheit? fragte Alfred. Was verstehst Du darunter?

Auf welchem Felsen ruht die Ewigkeit Deiner Liebe?

Der Fels bin ich selbst, erwiderte der junge Mann.

Und welche Gewißheit hast Du für Anna, für die Unwandelbarkeit ihrer Neigungen?

Alfred hob stolz den Kopf auf, seine Eitelkeit war verletzt.

Diese Gewißheit, sagte er, beruht auf dem festen Vertrauen.

Vertrauen? – Kann das nicht erschüttert werden?

Nein, erwiderte er. Wenn es erschüttert würde, wäre es mit der Liebe aus. Ich hasse die Ehe, ich sagte es Dir schon, hasse den Zwang, die Fessel, welche Sicherheit geben soll und keine giebt. Als ich die frische, hübsche Frau vorher neben dem häßlichen Priester sitzen sah, dachte ich daran, wie wenig Treue ein Gelübde sichert, wenn das gebrochen werden soll, und wie menschlich besser es sei, man schwört es niemals. Ich meine nicht, daß ich der Frau überhaupt dort Böses nachsagen will, aber sie reizt mich zu Vergleichen, bestärkt mich darin, daß man sich frei erhalten muß und die, welche man wahrhaft liebt, um nicht in Heuchelei zu fallen.

Bist Du eifersüchtig? fragte Legard.

Alfred lachte auf.

Eifersüchtig? Auf wen?

Wenn Du in dieser Einsamkeit Dich für Dein ganzes Leben wirklich verschließen willst, hast Du vielleicht keine zu große Vorsicht nöthig; allein Du wirst in den nächsten Wochen schon zurückkehren müssen. Die Tante verlangt dringend nach Dir.

Woher weißt Du denn das?

Sie hat mir es gesagt und dein Rechteanwalt hat mir aufgetragen, Dich damit bekannt zu machen. Ich kann Dir nicht verschweigen, daß sie sehr aufgeregt war, denn sie hat von unbekannter Hand eine Anzeige erhalten, die sie auffordert, nach Dir zu forschen, wenn Du nicht schweres Unglück über Dich und sie bringen solltest.

Das kommt Alles von dem verdammten Priester! rief Alfred; doch immerhin! Ob etwas später oder früher, kommen muß es doch.

Du hast zu bedenken, daß diese Enthüllung Dich viel kosten kann. Es ist nicht allein das Vermögen der Tante, es ist auch der unheilbare Bruch mit der Gesellschaft, der Dir bevorsteht.

Ich verachte ihn! rief Alfred. Gut, ich will mich dieser Gesellschaft entgegenstellen; ich will ihr offen den Krieg erklären, will ihr zum Trotz Anna mitten in ihre Schauplätze und Tempel führen.

Das kannst Du nicht wagen, erwiderte Legard ruhig, ohne dem Wesen, das Du liebst, vielleicht die herbsten Beschämungen zu bereiten. Der alten Frau aber, die mit äußerster Zärtlichkeit an Dir hängt, wirst Du damit das Herz brechen.

Eine finstere Falte zog sich auf des Grafen Stirn zusammen. Ich habe hier seit fünf Monaten ein Leben voll ungestörten Glücks und Friedens verlebt, sagte er, aber wahrlich, ich glaube, daß ich mich jetzt zum Kampf rüsten muß.

Und diesen Kampf willst Du nicht in neuen glücklichen Frieden umwandeln.

Was soll ich thun?

Der Aufforderung des Geistlichen und dem Briefe Deiner Freundin folgen. Deine Tante liebt Dich zu sehr, sie wird Dir verzeihen, die Familie muß wohl oder übel folgen, und die Gesellschaft wird darüber fortsehen, in einer Zeit, wo sie über so Manches fortsehen muß.

Mit Hohn, mit heimlichem Gelächter, mit Nasenrümpfen, schlechten Späßen, die jeder alberne Bursche und jede hochmüthige Gans über uns ausschütten mag, rief Alfred. Nein, das hieße die reuevolle Umkehr zu theuer erkaufen und dann – er fuhr mit der Hand über die Stirn – ich will Dir noch etwas vertrauen, Hermann; es ist Thorheit, was ich sagen will, aber Deine Erzählung von dem Spuk in Paris hat mich an einer wunden Stelle getroffen. Meine Mutter hatte auch ihre Vorurtheile; sie war eine gute Frau, aber der Kastenstolz fehlte ihr nicht, und einmal, als der alte Majoratsherr Zirzow die Gouvernante der Kinder seines Sohnes geheirathet hatte, war sie außer sich vor Zorn und Verachtung. Ich hoffe, sagte sie, Du wirst mir nie solche Schande machen. Versprich mir das, Alfred, versprich mir feierlich, daß Du nie Deinen Namen vergessen, nie eine andere als eine standesmäßige Ehe schließen willst. Das habe ich versprochen und that es, damals innerlich belustigt; später war mir die Erinnerung unangenehm und endlich gehässig Damals noch im Sinne von »verhasst«., aber ich glaube alles Ernstes, daß dies dazu beigetragen hat, mir die Ehe überhaupt zu verleiden. Mein menschliches Recht sträubte sich gegen mein abgelegtes Wort. Der Stand sollte meine Liebe bestimmen oder vielmehr von Liebe nicht die Rede sein, und die standesmäßige Ehe, als ein gewöhnliches Rechenexempel behandelt, auch von mir in gemeiner Ueblichkeit gelöst werden. Der Gedanke wurde mir äußerst zuwider; ich sagte mir: Niemand soll mir meine Liebe nehmen; wenn ich heirathen müßte, würde ich an mein Wort gebunden sein. Was sagst Du?

Wenn es so steht, antwortete Legard, habe ich nichts mehr zu sagen.

Jetzt trat Anna wieder herein und Alfred hob seine schöne breite Stirn auf, in seinen Augen glänzte eine gluthvolle Zärtlichkeit. Er küßte ihre Hände und drückte diese an seine Brust, während er mit solcher Innigkeit sie anblickte, daß das Verstimmende in ihrem Herzen weichen mußte. Die vielen liebevollen Fragen, die kleinen Neckereien, die Lobsprüche über ihr häusliches Walten, und die feurigen Betheuerungen seines Glücks übten den vollen alten Zauber aus. Wie er bei ihr saß und sich an sie lehnte, wurde sie froh und ihr bedrängtes Herz leicht. Was seit Legards erstem Besuch sie plötzlich überfallen hatte, der Wurm, der sich langsam um ihren Leib wand und ihren Athem zusammenpreßte, ließ von ihr ab, sie athmete freudig auf, erkannte wieder, daß ihr Glück doch dieser geliebte Mann sei.

Es gingen Stunden in Lust und Scherz hin, an denen auch der Baron Theil nahm. Der Abend brach ein, sie saßen gemeinsam vor der gastlichen Tafel. Die Thüren waren offen, die Sterne am milden, tief dunkeln Himmel, das Licht der Lampen fiel auf Fluren, Gras und Geblätter, und lustige Worte wurden vom Klingen der Gläser begleitet. Es half nichts, auch der genügsame Gast durfte sich nicht ausschließen; endlich mußte er versprechen, die Nacht über zu bleiben.

Du mußt meine liebe Anna auch als sorgsame Wirthin kennen lernen, sagte Alfred. Sie hält, seit wir hier wohnen, das obere Balkonstübchen in Bereitschaft und hat immer gesagt, ich will doch sehen, wen der gute Gott uns zuerst schickt, um bei uns zu wohnen. Es soll mir eine Offenbarung sein, denn wer der Erste ist, wird auch der Liebste und Treuste bleiben.

Und auf diesen Prophetenspruch bin ich hierher gesandt worden, erwiderte der Baron, um ihn wahr zu machen.

Also wirklich eine Sendung von oben! rief Alfred.

Glaube es, erwiderte Legard, doch Du gehörst nicht zu denen, die daran halten.

Warum nicht, sagte der Graf, ich habe meinen Glauben auch; nur ruht er in mir selbst, heftet sich mit seinen Wurzeln an mein Erkennen. Ich glaube, was ich wohl bedacht und wahr befunden.

Und wie oft schon hast Du Dich getäuscht? erwiderte Legard. Wie oft ist Deine gläubige Erkenntniß zu Schanden geworden?

Wer irrt sich nicht! versetzte Alfred. Ist doch der Irrthum die Mutter der Wahrheit, sind doch die Prüfungen dazu da, um zu verwerfen, was sich nicht bewährt.

Und damit meinst Du Alles erklären zu können, sagte Legard mitleidig. Aber auch das ist eine Deiner Täuschungen. Du gehörst nicht zu den vertrockneten Verstandesmenschen, die für Alles irgend eine Erklärung wissen, die den Schöpfer und den ganzen Weltenbau in ein System einschachteln und mit weiser Miene endlich herausbringen, daß das radicale Nichts der Anfang und Ausgang aller Dinge sei.

Und was bleibt übrig? fragte der Graf spöttisch.

Legard heftete den Blick nachsinnend auf ihn und antwortete dann:

Der ganze Streit von so und so viel tausend Jahren dreht sich um die einzige, so viel bestrittene, so viel vertheidigte Frage, ob es ein Jenseit giebt, ob nicht.

Weißt Du die Lösung?

Nein, antwortete Hermann, dahin reicht unsere Macht nicht, allein eben so wenig können wir um dessentwegen das Ewige abläugnen und uns neben das Thier stellen.

Es giebt also eine Geisterwelt, die zu uns herüber schauet, dann und wann sich aufthut und einen Blick frei läßt, rief Alfred. Du hast uns neulich schon einige Andeutungen gegeben, und darum sagte ich ja, Du bist als ein Erwählter und Eingeweihter des großen Mysteriums zurückgekehrt.

Wohin gerathen wir doch in dieser späten Stunde, erwiderte Legard mit seinem stillen Lächeln. Du möchtest mich gern verspotten, ich sehe es Dir an, möchtest gern hören, daß ich die Riegel von meinen Geheimnissen fortzöge, allein ich habe Dir wenig zu entdecken. Ich besitze keinen Ariel oder Puck Figuren Shakespeares: Ariel, ein Luftgeist in »Der Sturm«; Puck, Diener und Narr des Feenkönigs Oberon in »Ein Sommernachtstraum«., der mir dient, kenne keinen Zauberspruch, glaube so wenig wie Du, daß ein sterbliches Auge so geistig sich verklären kann, um über das Grab hinaus zu schauen; aber, mein guter Freund, es giebt dennoch Manches, was weit über die flach absprechende Negation hinaus geht, die sich damit breit macht, nichts zu glauben, was sie nicht sieht und nicht beweisen kann.

Daran thut sie sehr wohl, lachte Alfred sein Glas füllend.

Aber sie geht noch weiter, fuhr Legard fort. Auch was sie sieht, was sie aus ihrer eitlen und niedrigen Selbstsucht aufschrecken könnte, wird von ihr frech abgeläugnet und entweder als Betrug, oder, wo dies nicht zulässig erscheint, als Sinnentäuschung erklärt. Dennoch aber läßt die Wahrheit auch in dieser Zeit des groben Materialismus sich nicht unterdrücken, und ich habe selbst mehr als einen Spötter gesehen, der, von den Entdeckungen, die auf ihn einstürmten, betäubt, eingestehen mußte, daß es Kräfte giebt, die weit über alle Berechnungen des Verstandes gehen.

Alfred hatte Glas auf Glas getrunken, er hatte sich erhitzt, er lachte und spottete, und doch war das Thema eines, das für ihn großen Reiz hatte. Je länger die beiden Männer sprachen und stritten, je mehr vertieften sie sich in Behauptungen und Folgerungen, bei denen nach und nach alle Hülfsmittel aufgeboten wurden, um die nöthigen Widerlegungen zu liefern.

Die große Uhr in der Halle schlug endlich Mitternacht, und Alfred rief lachend, daß dies die rechte Stunde sei, um Geister zu beschwören, und in seinen Scherzen fortfahrend, forderte er Legard auf, ihm eine Probe zu geben, ob er echter Schwarzkünstler geworden sei.

Der Baron richtete seine Augen nach dem großen Lehnstuhl, in welchem Anna müde die Augen geschlossen hatte und eingeschlafen war.

Du mußt nicht von mir meinen, antwortete er dann, daß ich zu den Narren gehöre, die ihre Gespenster mitternächtig aus den Gräbern aufsteigen lassen. Mein Glaube beschränkt sich darauf, daß der Geist in uns im Stande ist, Raum und Zeit zu überwältigen, daß er sich aus seiner Hülle frei machen, und er in diesem Zustande Dinge sehen und erkennen kann, die er für gewöhnlich, beherrscht von seiner irdischen Verbindung mit einem Körper, nicht zu erkennen vermag.

Also magnetische Vergeistigung, rief Alfred. Wunder, von denen wir seit einem halben Jahrhunderte viel gehört haben. Die Kunst, Todte zu erwecken, Lahme gehend und Blinde sehend zu machen. Und Du selbst hast Dich in solchem Zustande befunden?

Nicht ich, aber ich habe Andere in diesen Zustand versetzt und habe dadurch Dinge erfahren, von denen es unmöglich schien, daß sie wahr sein konnten; dennoch überzeugte ich mich.

O! rief Alfred, nun merke ich, wo hinaus. In Paris treibt man ja jetzt die magnetische Taschenspielerei Der »animalische Magnetismus,« auch ›Mesmerismus‹, bezeichnet eine dem Elektromagnetismus analoge Kraft im Menschen, die von Franz Anton Mesmer (1734-1815) propagiert wurde und die er als Heilmittel anzuwenden behauptete; bei der gruppentherapeutischen Anwendung benutzte er geschlossene, mit Sand oder Eisenspänen gefüllte Bottiche (frz. baquets), die er magnetisierte und als Speicher der magnetischen Energie einsetzte. - Die bereits unter den Zeitgenossen umstrittene Methode erfuhr seit der Mitte des 19. Jh. überwiegend Ablehnung. ganz öffentlich, läßt sie für Geld sehen und giebt Unterricht darin. Sage aufrichtig, Hermann, war es nicht solche Quelle, aus der Du auch von mir gehört, meine Verborgenheit aufgefunden, meine ganze geheime Geschichte kennen gelernt hast?

Ja, erwiderte Legard mit festem Tone, und wie Du auch zweifeln magst, ich hörte und erfuhr Alles.

Er legte die Arme über seine Brust, sah vor sich hin, stand dann auf und deckte seine Hand auf Anna's Stirn.

Weit über hundert Meilen von hier hörte ich von einem Wesen, das nichts von Dir wußte, Deinen Namen nie gehört hatte, Dich und dies junge Weib aufs Genauste beschreiben. Sie sah Dich hier sitzen auf derselben Stelle, beschrieb mir diesen Saal, dies Haus, diesen Garten, vernahm Deine Worte und kannte Deine Gedanken.

Wenn das wahr wäre, wenn das möglich wäre, sagte Alfred heftig erregt, dann freilich müßte sich Mancher gefangen geben.

Ich betheure Dir, daß es so ist, wie ich sagte, erwiderte Legard.

Sonderbar! rief der Graf. Du bist ein Mann, der doch sonst über Aberglauben und Unsinn zu urtheilen wußte, und solltest in solche plumpe Netze fallen?!

Legard nahm seine Finger von Anna's Stirn. Du hast noch nie einen magnetischen Schlaf gesehen, sagte er, hier siehst Du ein Beispiel. Wecke sie auf, wenn Du kannst, wende alle Deine Macht an, verschwende Kraft und Liebesworte, Alles wird vergebens sein.

Alfred beugte sich über die Schlafende, berührte ihren Mund, ihre Glieder, rüttelte sie, rief ihren Namen leise, lauter und dann mit der größten Gewalt in ihr Ohr, aber seine Bemühungen fruchteten zu nichts. Sein Erstaunen wuchs unter diesen Versuchen, endlich aber ergriff ihn eine innere Angst, denn in dem blassen Gesicht der jungen Frau sah er ein schmerzhaftes Zucken, das nach und nach ihren ganzen Körper durchflog. Thränen drängten sich unter den dicht geschlossenen Augen hervor, es schien ihr etwas vorzuschweben, was sie entsetzlich ängstigte, oder es war ein Krampf, der sie besinnungslos machte. –

Mein Gott! rief er entsetzt, was ist ihr geschehen? Sie ist krank – zum Tode krank!

Ihr fehlt nichts, sagte Legard. Laß sie los und tritt zurück, so wird sie ruhig weiter schlafen.

Alfred folgte dem Gebot und die Züge der Schlafenden glätteten sich; Widerwille und Aufregung verschwanden darin, ein freundliches Lächeln umschwebte ihren Mund.

Meine Nähe sollte diesen krampfhaften Abscheu bewirken, den sie fühlt? murmelte der junge Mann halblaut.

Versuche es noch einmal, erwiderte Legard.

Alfred that einen leisen Schritt und streckte seine Hand aus, aber sogleich stellten sich die Wirkungen ein. Das Zittern begann von Neuem, es war, als wollte Anna einen Schrei ausstoßen, ihre Finger verschränkten sich flehend; sobald jedoch ihr Geliebter sich von ihr entfernte, sanken ihre Arme schlaff nieder; eine süße Ruhe schien sie einzuwiegen.

Und Du – Du hast das bewirkt? Womit bewirkt? fragte der Graf.

Ich habe meine Augen auf sie gerichtet, antwortete Legard. Wenige Minuten reichten hin, um sie in Schlaf zu bringen, dann habe ich meine Hand auf ihre Stirn gelegt. Niemand vermag sie jetzt zu wecken, als ich allein.

Willst Du, fuhr er fort, daß sie erwachen soll? Doch warte noch einen Augenblick. Hat Anna je die Tante gesehen?

Nein.

Hat sie etwas von ihr gehört?

Ich habe nie anders von ihr gesprochen als im Allgemeinen.

Er beugte sich über die Schlafende, aber er berührte sie nicht. Alfred konnte sehen, daß ihr Gesicht von Freude erfüllt wurde, daß sie lächelte, als er ihr nahe kam, und ein brennender Schmerz preßte bei diesem Anblick sein Herz zusammen.

Anna, sagte Legard sehr leise.

Ja, antwortete sie mit hellklingender Stimme.

Hören Sie mich?

Ich höre Sie sehr deutlich.

Bin ich allein bei Ihnen?

Nein, es ist noch Jemand da, aber er ist finster, ich kann ihn nicht erkennen.

Soll er näher kommen?

O! nein, nein! rief sie lebhafter.

Können Sie mir sagen, was ich jetzt von Ihnen wünsche?

Sie wollen mich nach Alfreds Tante fragen, antwortete die Schlafende ohne Zögern.

Sehen Sie sie?

Ja.

Wie steht sie aus?

Es ist eine kleine alte Frau, in einem schwarzen Kleide. Sie hat keine Zähne außer einem, der in der Mitte des Mundes steht; ihr weißes Haar ist sehr dicht und ihre Augen schützt sie durch einen grünen Schirm.

Wo ist sie?

In einem Zimmer mit grünen Tapeten. An der Seite steht ein Bett mit blumigen Vorhängen, vor dem Kamin ein Tisch.

Schläft sie?

Nein, sie sitzt an dem Tische und vor ihr liegt ein Papier mit einem großen Siegel. Jetzt –

Was jetzt? –

Anna schwieg eine Minute lang.

Es ist ihr Testament, sie hat es zerrissen! sagte sie dann.

Legard richtete sich auf, seine dunklen Augen wandten sich langsam zu seinem Verwandten, der regungslos mit gesträubtem Haar in der Mitte des Zimmers stand.

Soll ich weiter fragen? sprach er leise.

Nein, sagte Alfred mühsam. Ich habe genug an Deiner Probe. Wecke sie auf.

Legard umfaßte mit seiner rechten Hand Anna's Arm, mit seiner Linken strich er abwärts über Stirn und Schläfe in die Luft. Nachdem er dies kurze Zeit wiederholt hatte, schlug die junge Frau plötzlich die Augen auf, und obwohl der Graf dicht herangetreten war, schien sie ihn nicht zu bemerken; wohl aber sah sie den Baron, der sie noch immer hielt und eine Frage nach ihrem Befinden that.

Sie blickte ihn groß an, als wolle sie sich auf Etwas besinnen, dann wandte sie den Kopf und nun erst entdeckte sie ihren Geliebten. –

O, theurer Alfred! rief sie ihre Arme nach ihm ausstreckend, ich habe recht lange und sehr fest geschlafen?

Du hast lebhaft geträumt, erwiderte er sich zu ihr setzend, indem er sie genau betrachtete. Besinne Dich.

Ich weiß nichts, sagte sie freundlich den Kopf schüttelnd, nicht ein Wort weiß ich davon. Aber Du siehst so ernsthaft, so finster aus. Was habe ich Dir gethan? Sie blickte furchtsam auf ihn und dann bittend auf Legard.

Alfred nahm ein Licht vom Tisch und bot ihr den Arm. Er schien ganz verwirrt im Kampf mit den widerstreitendsten Gedanken.

Komm! sagte er, und er stieß dabei dies Wort rauh und heftig hervor, ich will Dein Schlafen und Dein Wachen ein andermal besser bewachen. Gute Nacht, Hermann! Zieh die Glocke, wenn Du willst, daß Franz Dich in Dein Zimmer führen soll.

Legard verbeugte sich schweigend und verfolgte mit seinen Augen die Abgehenden, bis er sie die Treppe hinaufgehen hörte. Endlich wandte er sich um und eine Secunde lang war ein hohnvoller, unermeßlicher Triumph in seinem Gesicht zu erkennen. Eben so schnell aber kehrte die kälteste Ruhe zurück, und als Franz hereintrat, war nichts mehr davon zu entdecken.

Der Baron winkte ihn dicht heran und sagte leise:

Hast Du den Brief bestellt?

Alles geschehen. Der Herr Pastor sitzt seit drei Stunden bei mir in der Kammer.

Nach einigen Minuten spazierte er unter den Bäumen auf und ab und sprach mit dem Geistlichen, Franz wachte an der Thür.



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