Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3.

Graf Alfred hatte seinem Verwandten nicht viel zu zeigen. Er ging mit ihm in dem Garten umher, den er pflegte, in das kleine Gewächshaus, wo er Ananas, spanische Trauben und Pfirsiche zog, dann in das Haus, wo seine Gewehre und eine Büchersammlung vertraulich beisammen standen, überragt von mehren Angelruthen, aus denen Alfred das Vergnügen erläuterte, auf den Seen und Buchten des angrenzenden Flusses Fische zu fangen, und dabei hing und lag mancherlei anderes Geräth, das zu ähnlichen Zwecken dienen mochte.

Ich sehe, sagte Legard, nachdem er Alles betrachtet hatte, Du lebst ein Naturleben, aber nicht einmal in der Weise eines altenglischen Landedelmannes, der doch mit Seinesgleichen in der Nachbarschaft umgeht und seine Wohlhabenheit oder seinen Reichthum in edlen Rossen und allerlei Pracht zur Schau trägt.

Ich habe mich davon entwöhnt und vermisse sie nicht, antwortete der Graf ziemlich verstimmt.

Du täuschest Dich selbst, erwiderte sein Verwandter, Du hast Dich in diesen Zustand gezwungen, und jetzt hält Dich ein Gegengewicht dafür schadlos. Ich wünsche Dir, daß es immer die Wage halten möge.

Das wird es, sagte Alfred, ich gehöre nicht zu den Flatterhaften.

Du hast mit Nachdenken, wie Du sagst, Deine Wahl getroffen, entgegnete Legard nach einigen Augenblicken, und dennoch glaube ich, Du hast nur auf die Minute dabei gesehen. Du bist reich, bist jung, hast Besitz und gehörst einer Familie an, vor der Du doch nicht Dein ganzes Leben über Dich verstecken willst. Was willst Du thun?

Vor der Hand bleiben, wo ich bin.

Vor der Hand. Aber dann – was dann? fuhr Hermann fort. Dieser Gedanke ist Dir ohne Zweifel von selbst gekommen, Du hast ihn aber in einen tiefen Winkel geworfen, weil Du den Ausweg nicht finden konntest. Entweder mußt Du aufgeben, was Du hast, – das kannst Du nicht; oder Du mußt den Knoten unlösbar schürzen, – das willst Du nicht.

Nein, antwortete Graf Alfred, das will ich nicht. Eine Ehe eingehen mag ich nicht, auch sehe ich keine Nothwendigkeit. Anna ist mit meiner Liebe zufrieden, mehr habe ich ihr nicht zugesagt, auf meine Hand und was sich damit verknüpft macht sie keine Ansprüche. Meine Liebe soll ihr unwandelbar dafür bleiben.

Und wird sie immer damit zufrieden sein, Deine Geliebte zu heißen? fragte der Baron leiser.

Du kennst sie nicht! rief Alfred. Ihr Herz ist so rein, wie ein Krystall, ihr ganzes Wesen ist Liebe und Güte. Sie ist ein Kind, nur von dem einen Gedanken erfüllt, mir zu gehören und für mich zu leben.

Baron Hermann schüttelte den Kopf. Wenn Du mir sagtest, sie hätte wie Du mit dem vollen Bewußtsein ihrer Lage diesen Bund geschlossen, würde ich ruhiger über den Ausgang sein. Der Tag wird kommen, wo der eine Gedanke, der sie jetzt beherrscht, anderen Gedanken Raum giebt. Es wird nicht an der Schlange in diesem Paradiese fehlen.

Alfreds Stirn verfinsterte sich, seine Augen blitzten auf.

Ich würde jede Schlange warnen, sich in mein Gehege zu verirren, sagte er drohend.

Du kannst nichts dagegen thun, erwiderte der Baron, denn Du darfst nicht erwarten, diese junge Frau immer so kindlich unbefangen in diesem Verhältniß zu sehen; Du darfst auch nicht erwarten, daß ihre Liebe ohne Forderungen bleibt, sobald sie erkennen wird, daß sie dazu berechtigt ist.

Du bist mit Tadel für mich gekommen, wie ich merke, sagte Alfred erregt.

Nein, entgegnete Legard, aber ich sehe schärfer, wie Du und Alles, was ich thue, besteht darin, Dir meine Zweifel aufzudecken. Bis jetzt hat man in der Welt, der Du angehörst, Dich noch wenig vermißt. Die Einen glauben, Du seist auf deinem Gute, die anderen vermuthen Dich in einem Bade oder in einem interessanten Familienkreise. Niemand weiß Dich so nahe; selbst Deine Tante Arnheim meint, Du seist immer ein Sonderling gewesen und würdest schon wieder zum Vorschein kommen. Nur Cousine Eugenie schmollt über Dein unverantwortliches Schweigen.

Du hast Ihnen doch keine Andeutung gemacht? fragte der Graf.

Gewiß nicht. Aber ich sehe, daß ich viele eingeschlafene Erinnerungen erwecke.

O, allerdings! Allerdings! rief Alfred, Erinnerungen lassen sich nicht absperren und bei dem Namen der Tante fällt mir Allerlei ein.

Es fällt Dir ein, sagte Legard, daß sie ein großes Vermögen und eine geistreiche Pflegetochter besitzt, die ihre vielberingte Hand nach Dir ausstreckt.

Freilich, das ist ein alter Plan, erwiderte der Graf lachend.

Und wenn Du plötzlich wiederkämst, würde die Freude groß sein.

Ich werde aber nicht kommen und aus der Freude wird nichts werden, sagte Alfred mit Entschiedenheit. Nichts soll mich bewegen, dahin zurückzukehren, wo ich mich frei gemacht habe. Unabhängig, wie ich bin, frage ich nicht darnach, ob sie zuletzt erfahren, was mich hält und was mich in solche Verirrungen, wie sie es nennen, geführt hat. Ich hasse die Ehe, habe sie immer gehaßt. Es ist ein verknöcherndes, gewaltthätiges Band, das Grab aller Liebe, ich habe es zu oft, an tausend Beispielen gesehen. Mögen sie mich von sich stoßen, ich habe es längst gethan, und wenn ich hier des Lebens müde bin, giebt es andere Orte, wohin ich mich zurückziehen kann.

Und andere Arme, die sich für Dich öffnen, fiel der Baron ein.

Ungeduldig drückte der junge Mann seine Hand fest auf den Tisch.

Was willst Du damit sagen? fragte er. Es giebt nur ein Mittel, mich von Anna zu trennen: wenn sie, was Gott verhüte! mir sagte, ich kann nicht länger mit Dir sein.

Schweige jetzt, sagte Legard, sie kommt.

Ich höre nichts.

Sie kommt die Treppe herauf.

Ich bewundere die Schärfe Deines Ohrs.

Mein Ohr hat nichts dabei zu thun. Ich fühle es.

Du fühlst es? rief Alfred lachend. Was soll das heißen?

Wie soll ich Dir erklären, was ich nicht vermag? Sie spricht mit Jemand, der sie begleitet.

Sonderbar! sagte der Graf seinen Vetter starr ansehend, der so ernsthaft aussah, wie immer, Du hast mir auch noch immer nicht gesagt, von wem Du meinen Aufenthalt und was sich damit verknüpft so genau erfahren hast.

Du sollst es heut noch erfahren, wenn es angeht; jetzt laß uns gehen, überzeuge Dich, daß wir gesucht werden.

Indem er die Thür öffnete, hörte Alfred die frische, helle Stimme seiner Geliebten, die von Außen herein schallte. –

Wo steckst Du denn, rief sie; hier ist unser Freund Schlenz, lieber Mann, der uns eine Einladung bringt.

Komme ich nicht recht, Herr Nachbar, störe die Unterhaltung der Herren? fragte der Förster, als er den Grafen in der Thüre still stehen sah.

Sie kommen immer recht, erwiderte dieser, und sind mir diesmal sogar vorher angekündigt worden. Hier, mein Vetter, Baron Legard, hat Sie mit meiner Frau schon die Treppe heraufkommen gehört.

Dann muß der Herr besondere Gaben haben, denn leise genug traten wir auf, um einen Fuchs zu beschleichen, antwortete Schlenz. Ich komme, weil der Tag so schön ist, fuhr er fort. Meine Antonie meinte, es sei Wetter darnach, um noch einmal aufs Marienschild zu wandern und im Grünen zu lagern. Mit dieser Botschaft hat sie mich hergeschickt, beliebt es Ihnen nun, Herr Nachbar und Frau Nachbarin, so fahren wir nach Tisch hinüber; für den Kaffee und was dazu gehört, wird Toni Sorge tragen.

Die kurze, bestimmte Weise, mit welcher der Förster seine Einladung vortrug, wurde gemildert durch seine Freundlichkeit. Es war ein noch junger Mann, der dreißig Jahre haben mochte. Sein Blick war frei, er war schlank und kräftig, ein verständiges, tüchtiges Wesen sprach sich an ihm aus, und bei aller Ungezwungenheit war er höflich und zeigte mehr Bildung und Haltung, als gewöhnlich Jäger besitzen.

Ich denke, lieber Schlenz, sagte Alfred, mein Vetter, der mich heut besucht, wird auch gern einmal den schönsten Punkt sehen, den wir in der Gegend haben, und da er keinen Wein trinkt und sich das Rauchen abgewöhnt hat, wird ihm Frau Antonien's Kaffeevisite um so mehr gefallen.

Mit dieser Wendung war die Sache abgemacht, der Förster aber setzte sich mit an den Tisch unter der Halle, und wenn Legard auch nur Wasser trank, das er mit einigen Tropfen Wein vermischte, so waren seine Nachbarn doch keinesweges so genügsam. Graf Alfred ließ es nicht bei einer Flasche bewenden und in seiner Fröhlichkeit hatte er die größte Lust, den genügsamen Vetter zu bespötteln.

In meinem Leben, rief er aus, hätte ich nicht geglaubt, daß ein paar Jahre einen Menschen so umwandeln könnten. Sehen Sie, Schlenz, mein Vetter Hermann war sonst frisch bei der Hand, wo die Gläser klangen, nun will er weder trinken noch lachen. Wir müssen ein Mittel finden, ihm seine Heiterkeit wieder zu verschaffen.

Das beste Mittel wird sein, wenn der Herr Baron eine Zeit lang mit uns lebt, sagte der Förster. Wenn er rechtschaffen müde und hungrig wird, wird auch der Durst nicht ausbleiben.

Legard ging auf diese Scherze ein, ohne jedoch seine zurückhaltende, abgemessene Form aufzugeben. Seine feinen, scharfen Züge belebten sich, wenn er sprach, seine Stimme war ungemein wohlklingend und was er sagte eben so höflich wie Achtung fordernd.

Ich glaube, ließ er sich nach manchem Hin- und Herreden hören, daß Alfred ganz Recht hat, wenn er eine große Umwandlung an mir wahrnimmt. Ich habe, wie ich bekennen muß, früherhin ziemlich wild in den Tag hinein gelebt, doch wenn ich davon zurückgekommen bin, so hat meine Heiterkeit oder innere Zufriedenheit nicht dadurch gelitten. Ich habe einsehen gelernt, daß es sich so am besten für mich paßt, mit meinen Neigungen und Beschäftigungen am besten übereinstimmt. Jeder muß dafür seinen Maßstab haben, Jeden muß man diesen überlassen.

Deine Beschäftigungen, Legard! rief der Graf. Womit hast Du Dich denn beschäftigt?

Mit sehr ernsten Studien, lieber Freund, sagte Hermann lächelnd, die es nöthig machen, den Geist zu stärken und das Fleisch zu schwächen.

Als ob das Fleisch schwach sein müßte, wenn der Geist stark sein soll, erwiderte Alfred. Ich fange an zu glauben, daß die jetzige Zeitrichtung auf Dich eingewirkt hat und fromme Hände Dich so blaß gestreichelt haben.

Wenn diese Hände wahrhaft fromm waren, antwortete der Baron sanftmüthig, was könntest Du dagegen haben? Indeß fürchte nichts für mich. Ich bin noch immer so gern froh mit den Frohen, wie ich es immer war, nur in etwas anderer Form und Gestalt; nichts wird mir lieber sein, als es Dir zu beweisen.

Er wandte sich an Anna und sagte einladend:

Sie lieben, wie ich glaube, gewiß zumeist die Natur mit ihren Reizen?

Ich bin so fern von der großen Stadt erzogen worden, daß ich so gut wie nichts davon weiß, erwiderte sie, auch nichts davon wissen mag, fügte sie hinzu.

Was man nicht kennt, antwortete Legard, flößt uns gewöhnlich entweder zu viel oder zu wenig Bedenken ein. Haben Sie keine Sehnsucht nach den bunten Schätzen und Freuden, die in einer mächtigen Residenz sich vereinen?

Ich habe keine andere Sehnsucht, rief die junge Frau indem sie Alfred lebhaft anblickte, als immer da zu sein, wo er ist, und wie Sie jetzt davon sprechen, ergreift mich ein sonderbar furchtsam Gefühl, ich könnte einmal wirklich mitten in eine fremde Welt geschleudert werden, die ich nicht verstehe.

Und die Dich nicht versteht, mein armes Kind, fiel Alfred ein. Sei ganz ruhig, wir wollen uns unser harmloses Naturleben nicht verkümmern lassen, wollen der Künstelei, die sie sich angekränkelt haben, entschieden den Rücken kehren und die sichere einfache Natürlichkeit festhalten. Laß ihnen ihre goldenen Säle, ihre Pracht, ihren Schmuck, ihre Sänger und ihre Schauspieler, wir haben dafür den Wald mit seinen Decorationen und Coulissen, die goldenen Sonnensäume, die Sänger in der Himmelsbläue, den mächtigen Salon des großen Sees mit seinem strahlenden Parquet, wenn Mondlicht sich darüber ausgießt, und was uns sonst noch fehlt, das zaubern wir uns hinein, wir beide, wenn wir durch unsere Paläste wandern und große Cour halten.

Der fröhliche Ton dieser Unterhaltung wurde so lange fortgesetzt, wie das ländliche Mahl dauerte, das diese vier so verschiedenen Personen vereinte. Die drei jungen Männer suchten jene Verschiedenheit auszugleichen, indem sie sich bemühten, ihr Beisammensein unbefangen und heiter zu vereinigen, aber jeder behielt doch seine wahre Meinung für sich und gab nur so viel heraus, wie nöthig war, um die anderen zu täuschen.

Dem derben Jäger gefiel der blasse Baron gar nicht, und gesunde Beobachtungsgaben besaß er genug, um zu bemerken, daß sein guter Nachbar, dem er herzlich zugethan war, eine gewisse Verstimmung nicht ganz verbergen konnte.

Graf Alfred war sichtlich zuweilen von den hingeworfenen Aeußerungen seines Vetters geärgert, dann wieder eben so sichtlich von dessen verschiedenartigen Erzählungen und Mittheilungen über Personen und Verhältnisse angeregt und erfreut. Zuweilen saß er im Nachsinnen verloren ganz zerstreut da, und dann wieder richteten sich seine Augen nachdenkend auf Legard, oder er verwandelte seinen Ernst in Scherz und Gelächter, oder in eine Liebkosung für die stillhorchende und aufmerksame junge Frau.

Es war ganz gewiß, daß die unverhoffte Erscheinung dieses Gastes eine plötzliche Veränderung in diesem einsamen Hause bewirkt hatte. Trotz aller Mühe unbefangen zu scheinen, war die alte Unbefangenheit ausgeflogen. Sonst setzte sich Schlenz, wenn er kam, an den Tisch, der Graf lehnte sich darüber hin, Anna flog hin und her und ihr frohes Geplauder mischte sich mit dem Neuigkeitsaustausch, den Einfällen und munteren Fragen und Antworten der beiden Männer. Das waren einfache Dinge, ohne Kunst und Sorgfalt boten sie sich dar, heut aber nahmen die Gespräche immer eine Wendung, bei der Schlenz zuletzt innerlich unmuthig wurde, und der guten, freundlichen Anna ging es ohne Zweifel eben so, denn sie war meist still, ihr liebliches Gesicht war zwar eben so freundlich anzusehen wie sonst, aber was bei dem Förster Unmuth wurde, ward bei ihr Verlegenheit.

Zuletzt schienen alle froh zu sein, daß der Tisch verlassen werden konnte. Alfred sprang auf, als wollte er eine Last von sich werfen, und noch mehr erleichtert zeigte sich die junge Frau, die nun erst wieder den ängstlichen Schimmer in den Augen verlor, welchen Schlenz heimlich bemerken wollte.

Nun müssen wir keine Zeit verlieren, rief der Graf. Ruf den Georg, ehrsamer Franz. Er soll unsere Fregatte in Ordnung setzen, damit wir wohlbehalten Maria's schützenden Schild erreichen.



 << zurück weiter >>