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[8.]

Am nächsten Morgen trat Alfred leise in Anna's Zimmer. Sie schlief. Er setzte sich auf den Stuhl an ihre Seite und richtete seine Augen auf ihr Gesicht. Der rothe junge Tagesschein fiel auf die weißen Decken und auf die schönen, friedlichen Züge der jungen Frau. Ihre langen dunklen Wimpern bildeten einen schwarzen Halbkreis unter den geschlossenen Augen; er glaubte Spuren von Thränen zu erkennen, mit denen sie eingeschlafen war, die wie ein vertrockneter Bach ein zackiges zerstörtes Bett auf ihren Wangen eingegraben hatten, und mit einer schmerzlich-süßen Empfindung verfolgte er diesen Gedanken.

Hat sie um mich geweint, flüsterte er in sich hinein, dann ist die Liebe auch noch in ihren Herzen!

Seine Blicke belebten sich; er betrachtete mit steigender Erregtheit die reiche, weiche Fülle ihres Haares, das über die Kissen floß und, von einem goldigen Schimmer umsäumt, wie Heiligenschein ihm entgegenglänzte. Wie oft hatte er diese seidenen Schleier sich auf Stirn und Brust gelegt und Träume darin geträumt, die ihm jetzt mit voller Macht der Erinnerung einfielen. Wie war es möglich, daß sie ihn zurückstoßen konnte? Wie konnte es eine Macht geben, die ihn plötzlich auf immer von ihr trennte?

Leise streckte er seine Hand aus, und ihre warmen, zuckenden Finger lagen in den seinen. Er sah mit liebevoller Innigkeit und geheimer Angst zu ihr auf; er fürchtete dem abscheulichen, schmerzhaften Widerwillen abermals zu begegnen, aber ein sanftes Lächeln öffnete ihre geschlossenen Lippen und eine helle Freude lief wie Sonnenschein über das stille Gesicht und strahlte in seine Seele zurück. Er beugte sich weit über sie hin, seine Augen glänzten, er suchte die Stelle, wo er mit zitternder Leidenschaft sie mit seinen Küssen erwecken wollte, und seine Kniee wankten, er wollte niedersinken: aber plötzlich war es, als träfe ihn ein Donnerschlag, der ihn von ihren Lippen zurückriß.

Ihr Mund, der so süß ihm entgegenlächelte, hatte ein Wort geflüstert, das alle seine Hoffnungen vernichtete. Hermann! sagte sie, und wie er ihre Hand fallen ließ, hörte er noch einmal denselben Laut, so sanft, so sehnsüchtig, daß er davon erstarrte.

Eine Minute lang stand er unbeweglich, dann ging er eben so leise fort, wie er gekommen war, und als er in den Gartensaal trat, sah er Legard, der mit Franz in dem sonnigen Gange vor der Thür auf und ab ging, mit ihm sprach und ihm einen Brief übergab, den er ihm besonders zu empfehlen schien.

Der alte Franz nickte, lachte boshaft und warf dann ein paar Male seine Augen voll triumphirenden Grolls auf die oberen Fenster des Hauses. Endlich ging er, und Alfred trat hervor und näherte sich seinem Vetter, der stehen geblieben war und mit seinen stechenden Augen ihn prüfend betrachtete.

Du bist früh auf, sagte Alfred nach der ersten Begrüßung, doch es ist gut, daß ich Dich finde.

Die Sorge um Dich hat mich aufgeweckt, erwiderte Hermann.

Sorge um mich! murmelte Alfred mit einem bittern Lächeln. Welcher Art ist diese Sorge?

Ich glaube, sagte Legard, Du hast diese Nacht in Unruhe verlebt und stehst im Begriff, einen wichtigen Entschluß zu fassen.

Mein Entschluß ist gefaßt! rief Graf Hohnstein, indem er rasch den Kopf aufhob und seinen Verwandten anschaute. Du hast einen Einfluß auf mein Lebensgeschick genommen, den ich vorhersehen konnte. Du hast Dich gewaltsam hineingedrängt durch Mittel, die mich irre an mir selbst gemacht, die mich gedemüthigt haben.

Sollen das Vorwürfe sein? fragte Legard.

Nein, erwiderte Alfred in festem Tone, ich habe Dir keine zu machen. Anna's Herz hat sich von mir gewandt, ich besitze ihre Liebe nicht mehr, somit steht unserer Trennung nichts entgegen.

Du thust recht, sagte Legard, diese Trennung ist eine Nothwendigkeit geworden.

Nothwendigkeit nennst Du es? sagte Alfred kalt.

Ihr fühlt es beide, fuhr Hermann fort. Du wolltest den einzigen Weg nicht gehen, den ich Dir als den versöhnenden und verständigen rieth; sie dagegen gelangte zu einer Erkenntniß, die ihre Augen sehend machte, und der Geist in ihr wachte auf und ließ sie vor dem Abgrunde zurückschaudern.

Alfred hörte schweigend zu. Er warf einen scheuen Blick auf den Sprecher und sagte dann:

Ich kann es nicht begreifen, aber was ich gesehen und gehört habe, genügt mir. Ich bin verwirrt und ein Zweifler an Allem geworden, was ich für wahr und gewiß hielt.

Die Lösung liegt Dir nahe, antwortete Legard, Du willst Deinen Trotz nur nicht beugen. Abermal jedoch ist es Anna, die Dir den Weg zeigt, den Du jetzt nur gehen kannst. Die göttliche Macht, welche sie mit Abscheu gegen Deine Annäherung erfüllte, hat ihr ganzes Wesen auf eine höhere Stufe gerückt und ihr die Ueberzeugung gegeben, daß die Rückkehr zu Deinen Pflichten, die Rückkehr zu Deiner Familie, die Auflösung eines Verhältnisses, das sie nicht länger zu tragen vermag, der einzige Rettungsweg für Dich wie für sie selbst ist.

Göttliche Macht! rief Alfred, ist das eine göttliche Macht?

Eine Macht, die geheimnißvoll in unser Leben dringt, war Legards Antwort, die alles Verstandes der Verständigen spottet, die Thore vor uns aufreißt, welche mit den Siegeln der Ewigkeit verschlossen sind, und die uns aus der Sünde erhebt und die Sünder zittern macht, muß eine göttliche sein.

Er betrachtete den schweigenden, in sich versunkenen Mann, dessen Gesicht den tiefsten menschlichen Kampf ausdrückte. Seine stolze Stirn war gebeugt, seine klaren Augen, welche sonst so schön und furchtlos waren, lagen scheu und verdunkelt zurückgezogen in ihren Höhlen. Den Schmerz, der seinen Zügen aufgeprägt war, suchte vergebens sein männlicher Stolz zu überwinden; es war dahin mit ihm gekommen, daß er furchtsam vor den harten Mahnungen Legards den Nacken senkte und wie ein gescholtener Bube zerknirscht zusammenfuhr.

Höre mich, sagte Legard, ich will versuchen, Dir Deine Lage zu erleichtern, oder vielmehr, ich will Dich in Deinen Vorsätzen bestärken, die, wie Du sagst, gefaßt sind. Franz hat mir erzählt, daß Du heut in der ersten Frühe einen Koffer gepackt hast; Du hast also die Absicht, Dich von hier zu entfernen. Ein solcher Ausgang der Verhältnisse war vorauszusehen, ich kann ihn nur billigen. Mache eine Reise, gebe wohin Du willst. In einigen Wochen schreib an Deine Tante, sage ihr, wo Du bist, erzähle ihr ein Mährchen, zerstreue ihre Besorgnisse: sie wird die Arme nach Dir ausbreiten, wird mit Sehnsucht Dich zurückrufen und Alles wird gut sein.

Und Du? fragte Alfred nach einem Schweigen.

Die reiche Erbschaft wird Dir dann nicht mehr angefochten werden, fuhr Legard fort, im Gegentheil ich bin versichert, daß die zärtliche Tante Alles für Dich thun wird, was sie vermag, um Deinen Wünschen entgegen zu kommen. Du bist jung, Du wirst Dich in die Strömungen des Lebens werfen. Deine Aussichten sind glänzend, Du wirst viel erlangen können; Dein Ehrgeiz wird erwachen, Du wirst alle Mittel haben, ihn zu befriedigen.

Und was soll aus Anna werden? murmelte Alfred.

Ich werde für sie Sorge tragen, antwortete Legard, Sei unbekümmert um sie, sie wird mit Deinen Entschlüssen einverstanden sein und ihren Frieden finden.

Alfred stand nachsinnend; plötzlich hob er die Augen auf, in denen ein düsteres Feuer brannte.

Du liebst sie?? fragte er mit dem Tone der Gewißheit.

Es würde vergebens sein, wenn ich es läugnen wollte, antwortete Hermann.

Und ich – ich liebe sie noch immer! rief Alfred seine Hände ballend und an seine Stirn drückend. Ich kann sie nicht lassen!

Armer Freund, sagte Legard mit seiner sanften Stimme, ich begreife Dein Leid, allein Du wirst es tragen, weil Du mußt. Erinnere Dich, was Du mir sagtest; erinnere Dich, mit welcher Stimme Du zu mir sprachst, daß Anna jeden Augenblick frei sein würde, sobald Du einsähest, daß ihre Liebe wankte; erinnere Dich auch, daß Du die Eifersucht eine Narrheit nanntest, gerechte Strafe der thörichten Eigenliebe, die ein Weib nicht von sich abthun kann, das sich zu einem anderen Manne wendet. Jetzt stehst Du vor dem Richterstuhle Deiner eigenen Gesetze. Anna liebt Dich nicht mehr – sie liebt mich! Glaubst Du, daß ich lüge?

Nein, sagte der Graf, und es war ihm, als hörte er Anna's flüsternde Lippen.

Meine Liebe aber, fuhr Legard fort, wird eine andere sein, als Deine Liebe war. Ein heiliges, höheres Band wird sie mit mir verbinden, und das harmonische Zusammenwirken unseres geistigen Lebens sie mit nie geahntem Glück umgeben. Sie ist erwacht! fuhr er in feierlicher Weise fort, sie kommt, ich höre ihre Schritte, empfinde ihre Nähe. Was Dir verborgen bleibt, offenbart sich mir in Zeichen und Gestalt. So war der geistige Zusammenhang zwischen uns mir vom ersten Augenblick an gewiß, als ich von ihr hörte, und als ich sie sah, wußte ich, daß eine magische Kette uns verband. Gieb mir Deine Hand, Alfred, ich will Dich zu ihr führen.

Ohne diese Aufforderung zu erfüllen, wandte sich Graf Hohnstein schnell und heftig von ihm ab. Er wußte nicht, welches Grauen ihn ergriff, aber es heftete sich an seine Schritte. Er hörte nicht darauf, daß Legard ihn zurückrief, er eilte durch die Boskets in die Gänge des kleinen Parks und durch die Pforte in der Mauer ins Freie. Dann und wann blickte er so scheu zurück, als werde er verfolgt. Als er den Wald erreicht hatte, lief er pfadlos über die Hügel an den Rand des großen Sees fort, dessen leichte Nebel von der Frühsonne aufgelöst wurden. Das sonnenschimmernde Becken lag strahlend in der Tiefe, drüben hob das Marienschild seine blaue waldige Kuppe, und er dachte daran, wie er dort den letzten frohen Tag erlebt, dort das Unheil begonnen hatte.

Er ging durch die waldigen Gründe weiter und nach und nach trat aus der Verworrenheit seiner Empfindungen der Gedanke hervor, daß er fort müsse, daß Alles verloren sei, daß jetzt nichts übrig bleibe, als Legards Rath zu befolgen, und mitten in diesen peinvollen Vorsätzen, hörte er eine Stimme, die seinen Namen rief. Als er aufblickte und umschaute, sah er das Försterhaus zur Seite liegen. An der Umzäunung stand seine alte Freundin, Frau Schlenz, grüßend und winkend, auch heut von allerlei Gethier umgeben, das sein Geschrei erhob.

Einen Augenblick war es Alfred, als müßte er, ohne auf den Ruf zu achten, rasch umwenden und weiter gehen, plötzlich aber kam ihm ein Gedanke, der bestimmende Macht über ihn gewann. Er sammelte sich, so viel er vermochte, und näherte sich der kleinen, behäbigen Frau, welche geschäftig die niedrige Thür öffnete, dann aber ihre klugen, hellen Augen voll Theilnahme ihm entgegen schickte.

Nun, das muß ich sagen, lieber Herr Nachbar, rief sie ihren Knix machend, Sie sind früh auf und der Wald ist noch naß von Regen und Thau, voll Dampf und bösem Dunst, wie ein Sumpf. Das ist die rechte Art, um sich ein Fieber zu holen, besonders wenn man nicht innerlich aufgewärmt und durchgewärmt ist, und ich möchte wetten, Sie haben nicht einmal eine herzhafte Tasse heißen Kaffee, oder ein Eierbier genossen. Ist es nicht so? Habe ich nicht Recht, lieber Herr Nachbar?

In ihren Blicken lag so viel Gutmüthigkeit, eine so herzliche, eindringliche Einladung, die allergrößte Gewißheit sorgsamer Güte, daß die schwere Last auf Alfreds Brust leichter wurde. Er drückte ihr die Hände, die sie ihm reichte, sah sie dankbar an und sagte mit einem matten Lächeln:

Wirklich, Sie haben Recht, liebe Nachbarin, ich habe noch nichts genossen.

Sehen Sie wohl, was ich für ein Rathsherr bin?! rief sie triumphirend. Mein Wilhelm sagt immer, es sei Jammer und Schade, daß ich nicht Bürgermeister werden könnte, ich würde eine ganze Stadt mit Weisheit füllen. Ich sage ihm, es sei Schade, daß ich nicht Oberjäger-Meister werden kann, so sollte es keine vier Wochen dauern und der Förster Schlenz wäre wenigstens Oberförster. Nun, dafür werden jetzt andere Leute sorgen; allein Schlenz würde nicht lange Oberförster sein, wenn er des Morgens, ohne gehörig getränkt, gespeist und eingewickelt zu sein, in die kalten Nebel laufen wollte. Das ist Sünde und Gewalt an sich selbst. Nur geschwind hier herein, Herr Nachbar, hier ist ein Plätzchen im Großvaterstuhl, der ist weich und warm; und wissen Sie, wem der gehört hat? Meinem Oheim, dem Doctor, der ein grundgescheuter Mann war, und der sagte mir einmal, kaum ein paar Wochen vorher, ehe er sanft und selig von uns ging: Tonchen, meinen Großvaterstuhl sollst Du erben. Du bist die Gescheuteste von der ganzen Familie, denn Du wirst niemals krank, hältst den Kopf kalt, die Füße warm und die Augen klar, und gehst nicht aus in rauhes, feuchtes Wetter, ohne den Magen gestärkt zu haben. Du sollst den Großvaterstuhl haben, in ihm habe ich immer gesessen, wenn mich etwas plagte, und meine besten Gedanken sind mir darin eingefallen; er hat mir oft aus allerlei Sorgen und Noth geholfen. Also setzen Sie sich, lieber Herr Nachbar, und keine fünf Minuten soll es währen, so bin ich wieder da und bringe den besten Kaffee, den ich machen kann. Nicht so, wie ein berühmter schlauköpfiger Franzose, Talleyrand Charles Maurice Talleyrand-Périgord (1754-1832), berühmter frz. Diplomat, der von der Revolution über Napoleon und die Restauration bis hin zum Julikönigtum stets den jeweiligen Staatssystemen diente; sein Meisterstück lieferte er beim Wiener Kongreß (1814/15), in dem er das von ihm erfundene Prinzip der Legitimität für Frankreich geschickt zu nutzen verstand. Sein Geist und sein schlagfertiger, feiner Witz in der Unterhaltung, seine kurze, treffende Ausdrucksweise sind berühmt. Eine Menge treffender Wendungen ist von ihm überliefert und zu geflügelten Worten geworden. geheißen, einmal gesagt hat: Kaffee soll sein schwarz wie der Teufel, heiß wie die Hölle und süß wie die Liebe, sondern weiß und zart und manierlich; aber wenn der alte feinzüngige Thunichtgut wieder aufstände und meinen Kaffee kostete, würde er ihn auch nicht stehen lassen.

Mit dieser Lobeserhebung sprang sie fort, nachdem sie Alfred in die weichen Polster des alten Stuhles gedrückt hatte, und wenn magische Kräfte in diesem steckten, die der alte Doctor einst empfunden haben wollte, so kamen sie in sofern wirklich zum Vorschein, daß der junge im Gemüth zerrüttete Mann von einer wohlthätigen Ruhe ergriffen wurde. Das Geplauder der kleinen munteren Nachbarin hatte ihn erfreut. Da waren doch noch Menschen, die ihm mit alter Anhänglichkeit anhingen, mit treuherziger Ehrlichkeit wenn nicht Rath, so doch Trost für ihn hatten, und wie er sich behaglich ausstreckte und seinen matten Kopf in die backige Lehne barg, war es, als legte sich eine sanfte Hand auf ihn, als wären es Anna's liebevolle, weiche Finger, die so oft seine Stirn gewärmt und ihn in einen träumerischen Zustand versetzt hatten. –

Seine halbgeöffneten Augen schweiften dabei über das stille, freundliche Zimmer, wo Alles so ruhig und so wohl geordnet war. Da standen die großen Blumentöpfe an den Fenstern und die Sonne schien durch das Geblätter auf die weißen Gardinen. Die Dielen waren blank gescheuert und mit Sand bestreut, der Tisch mit der gewürfelten Decke, das Eckspind mit den zierlich gereiften Gläsern und Tassen und dort über dem großen Clavier, das Toni mit aus der Stadt gebracht, als das beste Schmuckstück des Försterhauses, dort das Waldhorn des wackeren Jägers und die Familienbilder von Immergrünkränzen umwunden – Alles sah ihn so glänzend, still und heimlich an – die Augen fielen ihm zu und er träumte von Tönen und Liedern und Gesängen; es war ihm, als fahre er wieder über den wogenden See nach dem Marienschild, und neben ihm, von seinem Arme umschlungen, saß die Geliebte selig lächelnd. Das Waldhorn begleitete eine süße Stimme er hörte sie in seinem Ohr verklingen und schlief fest ein.



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