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1.

Hier wohnt er also?

Ja, gnädiger Herr.

Wie lange schon?

O! seit März; es war Alles noch kahl und jetzt wollen beinahe die Blätter fallen.

Und wenn die Blätter fallen, Franz, kommt der Winter.

Ja freilich, gnädiger Herr Baron, aber –

Der Baron sah seinen Begleiter an, der die Schultern hoch zog und ein klägliches Gesicht machte. Es war ein ältlicher Mann mit kurzgeschorenem grauen Haar, langen hageren Backen und Augen, welche trotz aller Demuth einen schlauen, scharfen Blick besaßen. Der Baron war jung, eine feine, schlanke Gestalt, in einen kurzen Ueberrock eingeknöpft. Sein Gesicht war bleich, die Augen groß, dunkel und stechend. Er hielt eine Reitgerte in der Hand, mit der er vor sich hin schnippte.

Als er den Blick auf den alten Diener heftete, spielte um seine schmalen blutlosen Lippen ein Lächeln.

Das heißt, sagte er, Du glaubst nicht daran.

Franz schüttelte bedenklich den Kopf.

Der Baron sah umher. Die beiden Sprechenden standen hinter einer hohen Hecke von dichtverwachsenen Linden, die, nach altfranzösischer Art verschnitten, einen Rasengrund im Halbkreise umsäumte. Auf der anderen Seite erhob sich dieser Grund sanft aufsteigend zu einem Landhause, das einfach schweizerartig, aus Balken und Fachwerk erbaut, mit Gallerien und einem Vorbau versehen, und von Geblätter umrankt, freundlich anzuschauen war. Die blauen und rothen Winden öffneten so eben im Frühsonnenschein ihre Kelche; um die rothen Dolden der Vogelbeerbäume schwärmten gefiederte schreiende Näscher, aber das Haus lag in tiefer Ruhe, seine Fenster waren mit Vorhängen bedeckt, seine Thür geschlossen.

Sie schlafen noch? fragte der junge Herr.

Der Herr Graf hat gestern gejagt, sagte Franz.

Der Fremde blickte über den Gartenraum hin, der nicht allzugroß war. Eine Mauer umschloß ihn, die meist von Bäumen und Gebüschen verdeckt wurde. An einer entfernten Stelle ragte die Gestalt eines Mannes darüber fort, das Schnauben von Pferden ließ sich hören und machte den Baron aufmerksam.

Geh hin, Franz, sagte er, und schicke meinen Burschen weiter fort; er soll an dem Birkenhölzchen warten.

Der Diener ging und der Baron kreuzte die Arme und that einige Schritte rechts und links.

Es steht ganz idyllisch hier aus, sagte er vor sich hin. Alfred hat sich eingerichtet, ich werde in dies Paradies fallen und ihn austreiben. Was wäre aus den Menschen geworden, wenn der Engel mit dem feurigen Schwerte, sie nicht in die Lehre genommen hätte?

Was ist denn das eigentlich für ein Haus und Gehöft? fragte er den Zurückkehrenden. Wo habt ihr es her?

Eigentlich ist es eine Art Meierhof und wird der Lindenhof genannt, antwortete Franz, und in alten Zeiten soll ein Jagdschloß hier gestanden haben. Da es aber nur zwei Meilen von der Stadt liegt, hat es ein reicher Bürger gekauft, der es ein paar Jahre besaß, den Acker verschacherte, das Haus da aufbaute und zur Sommerzeit darin wohnte. Weil jedoch gar keine große Straße hierherführt, das Ding von Wald und Haide eingeschlossen liegt, wie in einer Wüste, wollte es ihm nicht mehr gefallen.

Nach Spießbürgersitte, sagte der Baron. Die müssen an der Heerstraße im Staube leben.

So hat es denn der Herr Graf gekauft, hat es billig bekommen und einsam genug ist es. Kein Mensch verirrt sich so leicht hierher.

Um seine Verirrung zu sehen, murmelte der junge Herr. Er macht also keine Besuche? Fährt nicht in die Stadt? fragte er laut.

Fahren? antwortete der Diener sein trockenes Gesicht verziehend. Wir haben weder Wagen noch Pferde.

Aber wer besorgt denn eure Verbindung in dieser Wildniß mit der gesitteten Welt?

Eine Viertelstunde von hier liegt am Wasser ein Fischerdorf. Von dort wird uns gebracht, was wir haben wollen. Es wohnt ein Krämer da, der zweimal wöchentlich in die Stadt schickt, und was er nicht bringt, schafft Schlenz an.

Schlenz? Was ist das für ein Geschöpf?

Das ist der Förster, sagte Franz, der dort oben am Walde wohnt, und den der Herr Graf oft besucht.

Er jagt mit ihm?

Er ist ein Narr! antwortete Franz; aber, setzte er sanftmüthiger hinzu, ich sollte wohl so nicht sprechen, da mein gnädiger Herr mit ihm so viel verkehrt.

Der Baron nickte schweigend. Er sah auf der Stelle, daß es Eifersucht gegen den Eindringling war, die sich hier geltend machte. Die Geringschätzung, mit welcher Franz von dem Jäger erzählte, der nicht viel besser wie ein Bauer sei, bestärkte ihn noch mehr darin. Als er ein Weilchen zugehört hatte, unterbrach er ihn plötzlich.

Noch eine Hauptfrage, sagte er. Wie lebt denn mein Vetter mit seiner Gesellschafterin?

Der alte Diener schlug die langgeschlitzten Augen mürrisch nieder und murmelte dann:

Das ist ein Punkt, Herr Baron, worüber man wohl schweigen müßte.

Im Gegentheil, Du sollst reden, sagte dieser. Kommt Uneinigkeit vor?

Ach! wenn das Gott wollte! rief Franz tief Athem holend und die Hände faltend; aber nein, es ist immer Lust und Freude hier. Die Mamsell hüpft durch den Garten wie ein Kind und der Herr Graf hinterher. Es ist manchmal nicht mit anzusehen, so geht es den ganzen Tag.

Jedes Ding muß seine Zeit und sein Ende haben, sagte der blasse Herr. Dennoch aber – sie muß besondere Künste können, um Deinen Herrn so lange zu fesseln.

Wenn es das noch wäre, antwortete Franz, allein ich weiß nicht, wie es zugeht. Musik macht sie zuweilen und singt ein Bischen dazu, das ist Alles. Meist sitzt sie dort unter dem Vorbau, der Herr Graf liest ihr vor und sie näht oder stickt, oder der Herr Graf pflanzt und gräbt und sie wühlt mit ihm in der Erde, oder sie gehen spazieren zu dem Förster, der hat eine junge Frau, mit der machen sie Wesens genug.

Sei gutes Muths, Franz, sagte der Baron nachsinnend, Deine Leiden werden bald enden. Wie nennt ihr die Mamsell?

Wir müssen sie gnädige Frau heißen, sagte der Diener; es ist schlimm genug das auszuhalten, wenigstens für mich. Das Mädchen ist eine dumme Gans vom Lande, die thut es ohne Nachdenken, und der Bengel, der im Garten hilft und zum Schicken gebraucht wird, ist ein Klotz, wie er sein muß.

In dem Augenblick wurde eine Glocke im Hause gezogen, deren Ton hell herüber schallte.

Sie sind aufgestanden, sagte Franz, in welchem pflichtmäßige Disciplin erwachte. Ich muß gehen und den Kaffee besorgen. Was soll ich sagen, gnädiger Herr?

Nichts, antwortete der Baron, Du schweigst still, wir haben uns nicht gesehen. Hast Du das Pförtchen offen gelassen, daß ich hinaus kann? So ist es gut. Sei vorsichtig, es soll Dir gute Dienste leisten.

Die Klingel ließ sich nochmals hören, Franz entfernte sich, der Baron blieb hinter der Hecke, die so dicht und doch so durchbrochen war, daß er Alles sehen konnte, ohne gesehen zu werden. Er zog seine Uhr, der Zeiger stand auf acht.

Das ist etwas spät für einen ländlichen Lebensanfang, flüsterte er, ich freue mich aber darüber; es beweist, daß er noch einigermaßen an Sitten hängt.

Im Augenblick wurde drüben die Thür geöffnet und ein junger Mann trat im Morgenanzuge heraus. Er rieb sich die Hände, schaute nach allen Seiten um, wandte dann sein Gesicht wieder der Thür zu, und breitete die Arme aus, um lachend und froh belebt die schöne Frau an sich zu ziehen, welche eben über die Schwelle trat.

O Du Langschläfer! rief diese laut, bist Du endlich aufgewacht?

Aufgewacht, um Dich vergebens hier zu suchen, antwortete er.

Weil ich Dich nicht stören wollte, hielt ich mich still und dachte an Dich.

Du liebes Herz! sagte der junge Mann. Ich war sehr ermüdet, Schlenz hat mich umher gepirscht bis an die äußerste Grenzmark. Nun bin ich wieder frisch, und heut wird ein herrlicher, warmer Tag uns hinaus locken.

Scherzende Worte und frohes Lachen folgten diesen ersten Grüßen, und der Lauscher hinter der Hecke beobachtete jede Miene und jede Bewegung des unbesorgten Paares, bis seine Blicke sich vorzugsweis der schönen Frau zuwandten. Diese schien noch sehr jung zu sein; auf der Schwelle der Entwickelung, trug dies kindliche, weiche Gesicht die ersten jungen Rosen. Alle Reize dieser Jugend waren über sie ausgebreitet; sie war so lieblich zu sehen, wie ein Maitag, so fröhlich und so glücklich wie ein spielendes Kind, und sie lachte, sprang und neckte ihren Geliebten mit so viel anmuthiger Natürlichkeit, daß dieser ganz davon entzückt schien.

Nun setze Dich, rief sie endlich ihm zunickend. Erst laß uns frühstücken, dann weiter überlegen. Hier hast Du Briefe und Zeitungen, hier ist Dein Cigarrentäschchen, hier das Feuerzeug. Da kommt Franz mit dem Kaffee, und heut giebt es auch ganz frische Semmel und vortreffliche Butter; Georg hat sie in aller Frühe eine Meile weit vom Amte geholt.

Sie schob den Lehnstuhl von Binsengeflecht an den Tisch und nöthigte ihn mit liebender Emsigkeit hinein. Ihre ordnende Hand half geschäftig dem alten Diener; dann füllte sie die Tassen, und setzte die größte vor den Hausherrn, welcher inzwischen einen der Briefe geöffnet hatte und ihn nachdenkend mit immer größerem Ernste las.

Was hast Du denn? fragte sie. Du machst ein böses Gesicht.

Von meinem Sachwalter, dem Justizrath, sagte er. Nichts für Dich, mein Annchen, eine Geschäftsmittheilung.

Er legte das Papier zusammen und brach den anderen Brief auf.

Plötzlich fing er an zu lachen.

Nun, auch nichts für mich? rief sie aus.

Ei ja, gewiß, antwortete er, indem er über das Blatt sah. Mein Vetter, Baron Hermann Legard, ist von Paris zurückgekommen, hat den Justizrath aufgesucht, von ihm erfahren, wo ich bin, und will uns besuchen.

Du brauchst Dich nicht zu fürchten, fuhr er fort, Hermann ist mein alter Freund und Genosse, ein liebenswürdiger Mensch, der die engherzigen Satzungen der Welt immer verlacht und sie zerrissen hat. Ich erzählte Dir auch schon von ihm, fuhr er fort. Er war einige Jahr lang Offizier, hat es aber vorgezogen, den Abschied zu nehmen, eben wie ich es vorgezogen habe, keinerlei Carriere zu machen, um mich ganz Deinem Dienste zu widmen. Mag er kommen, mag er uns sehen und mit uns leben, wenn er will. Er wird uns ein paar angenehme Tage machen, doch hüte Dich vor ihm! Er ist schön, verführerisch, leichtsinnig; es hat ihm selten ein Herz widerstanden.

Die junge Frau lehnte sich lächelnd an ihn und indem sie ihren Arm über seine Brust legte, sah sie ihn mit ihren schönen, leuchtenden Augen liebevoll an.

Ich wollte wohl, daß er fort bliebe, Dich mir ganz ließe, sagte sie, was jedoch mein Herz betrifft, so wird er es nie berühren können.

Man kann Dich also auf jede Probe stellen? rief er unter ihren Schmeicheleien.

Wenn Du das wolltest, mein Alfred, ich würde sie bestehen. Ich bin ja demüthig, voll Liebe und Glauben, bin dein Geschöpf und bete dich an; was könnten Proben helfen!

Bist Du denn auch ganz vollkommen glücklich? fragte er.

Glücklich in Dich, glücklich, mein Alfred, wie ich es nie gehofft hätte.

So saßen sie, und Baron Hermann Legard hinter der Hecke hörte lange zu. Sein blasses Gesicht blieb ernsthaft, nur zuweilen zuckte es, wie ein Nervenzucken, darüber hin; seine dunklen Augen hefteten sich mit dauernder Starrheit auf das Gesicht der jungen Frau, bis diese plötzlich an ihre Stirn faßte und lebhaft ausrief:

Was es schwül hier ist, es drückt mich ordentlich. Der Tag wird warm werden. Laß uns umhergehen, oder willst Du Zeitungen lesen?

Alte Neuigkeiten! rief der Graf aufstehend, schaal wie das Getriebe der Welt, das mich nicht kümmert. Aber wie Du erhitzt bist, mein Annchen, komm laß uns gehen.

Legard entfernte sich ebenfalls. Er ging leise durch das Buschwerk zu der kleinen Pforte, öffnete diese und schritt dann langsam durch die Haide dem Birkenstreif zu, hinter welchem seine Pferde warteten.



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