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7.

Baron Hermann blieb eine Woche auf dem Lindenhofe, das heißt er ritt einige Male auf einen halben Tag in die Stadt, kam aber dann sogleich zurück, um seinem Vetter Gesellschaft zu leisten, der sich in einem fortgesetzt aufgeregten, fieberhaften Gemüthszustande befand, den er zwar unter einer äußeren ruhigen Haltung bedecken und verbergen wollte, welcher jedoch unter dieser Hülle um so gefährlicher arbeitete.

Graf Alfred war ein Muster unbefangener Heiterkeit und jenes glücklichen Gleichgewichts geistiger und körperlicher Kräfte gewesen, durch welches ein Mann nach allen Seiten zu glänzen vermag. Er war allerdings exaltirt, hatte sich seine Lebensphilosophie mit jugendlicher Kühnheit ausgebildet, hatte den sicheren, gewöhnlichen Weg verworfen, hatte Gesetzen und Herkommen, Sitten und Verhältnissen ins Gesicht getrotzt und war fantastisch genug, um durchzuführen, was er sich vorgenommen; aber er war bei alledem ein feiner, gewandter, ritterlicher Mann, der zu scherzen, zu lachen und zu lieben wußte.

Die Liebe dieses jungen Weibes, das sein Geschöpf war, das zu ihm aufblickte wie zu einem erlösenden Heiland, das nur durch ihn und in ihm lebte, war eine Gewißheit, an welcher jeder Zweifel ihm lächerlich gewesen wäre. Eine solche sanfte, schmiegsame, willenlose Natur gehörte dazu, um ihm die Energie zu geben, sein selbstgeschaffenes Glück zu behaupten und immer von Neuem zu beschwören. Anna war ein liebeglühendes Kind, sie wollte nie etwas Anderes als sein Herz, forderte niemals Anerkennung der Welt, und Alfred hatte sich aus selbstsüchtigem Stolz einen zehnfachen Panzer geschmiedet, in welchem er ganz sicher gegen Alles war, was sich seinen Lehren und Wahrheiten entgegen werfen mochte.

Plötzlich erschien Legard, und das Gebäude, das für das ganze Leben ausdauern sollte, sank mit einem Male in Trümmer. Ein Heer von Sorgen und Zweifeln, ein Heer von Mißtrauen und innerem Kummer fiel über den stolzen Besitzer, verließ ihn nicht am Tage, sog Nachts vampyrartig das Blut aus seiner Brust, scheuchte den Frohsinn von seiner Stirn, die Jugendlust aus seinen Augen, die Liebe von seinen Lippen. –

Anna war nicht mehr das unschuldige, nur von seiner Liebe lebende Wesen; sie hatte vom Apfel der Erkenntniß gekostet, sie grübelte, sie schmollte, sie forderte, und wenn er mit bittender Miene ihre Hände küßte, traf ihn ein vorwurfsvoller, anklagender Blick. –

Alle Welt, oder vielmehr die letzten Freunde darin hatten sich auch von dem Lindenhof zurückgezogen. Der Förster Schlenz kam nicht mehr, und seine lustige kleine Frau ließ ihre helle Stimme nicht wie sonst unter dem Säulendache hören. Nach dem Briefe, den Anna erhalten und nicht beantwortet hatte, war Niemand aus dem Forsthause weiter erschienen, und im Lindenhofe hatten Ereignisse stattgefunden, durch welche eine solche Umänderung in Alfreds Charakter und Gewohnheiten bewirkt wurde, daß er Haus und Garten nicht verlassen mochte.

Nach der merkwürdigen Nacht, wo Anna in magnetischen Schlaf versenkt ihn mit Abscheu von sich gestoßen, dagegen Legards Winken gehorcht, wunderbarer Weise hellsehend geworden, die alte Tante beschrieben und deren Thun mit erschreckender Genauigkeit angegeben hatte, war Alfred ein Anderer geworden. Im ersten Augenblick hatte er an Betrug geglaubt und der Verdacht eines Einverständnisses zwischen Legard und Anna hatte ihn die ganze Nacht über gequält; allein er überzeugte sich bald, daß seine Geliebte nichts wisse, ja daß sie nicht einmal ahne, was mit ihr geschehen sei, und diese Ueberzeugung machte den tiefsten Eindruck auf ihn.

Am nächsten Morgen suchte er aus dem ganzen Vorfalle einen Scherz zu machen. Er stellte Anna als eine Kranke dar, der man nichts anmerke, die aber durch ihr äußerst empfindsames Nervensystem ernstlichen Schaden leiden könne, wenn sie abermals Wunder thun sollte, und er bat daher seinen Vetter, lieber, wenn er wollte, seine Künste an ihm selbst zu versuchen.

Ich werde ohne Deine Einwilligung niemals wieder Anna berühren, sagte Legard, doch welche wunderbare Organisation besitzt dies seltene Wesen. Ich muß Dir gestehen, fuhr er fort, daß ich nie ein Weib gesehen habe, an welchem mein Interesse so lebhaft gewesen wäre, deren Geschick mich mehr beschäftigt hätte. Ihre Herzensgüte ist so groß, wie der Ausdruck in ihren Gesichtszügen seelenvoll und anziehend ist. Diesem meinem besonderen Antheile kann ich es auch allein zuschreiben, daß die Wirkung des magnetischen Stroms so außerordentlich war; aber es hätte nicht geschehen können, wäre Anna nicht ein so unschuldvolles Kind, ihre Seele ein Lichtfunken, ihr Denken und Empfinden so edel und harmonisch, daß jede Annäherung sündiger, irdisch schwererer Körper sie in Zuckungen versetzt.

Noch gestern würde Alfred über diese Aeußerung laut gelacht und gespottet haben, denn die Sünde war er, Hermanns Blick sagte dies deutlich genug; heut schwieg er und sein Lächeln war ein peinlich gezwungenes. Eine Reihe von Vorstellungen flog durch seinen Kopf und ein schmerzliches, zorniges Nachsinnen blieb darin zurück. Wie war es möglich, daß dies Weib, die ihn mit wachen Augen anbetete, Abscheu vor ihm empfinden konnte? Was hatte er ihr gethan, um eine solche Empfindung zu erwecken! Er liebte sie, er wollte sie beglücken, er wollte ihr Alles geben, mit ewiger Treue ihr anhängen – war er darum ein Gegenstand ihres Entsetzens, weil er ihr nach den gewöhnlichen Formen der Kirche seinen Namen nicht geben mochte, ihr, der sein ganzes Herz gehörte?!

Aber je mehr sein Blut sich erhitzte, seine Gedanken sich verwirrten, um so mehr drangen Zweifel und Ungewißheit auf ihn ein. Er hatte nie an etwas Uebersinnliches geglaubt, hatte Alles, was dahin schlug, für Täuschung und Betrug erklärt und sich noch in der letzten Zeit eifrig mit der radicalen Naturforschung befreundet, die von der ganzen Welt nichts übrig läßt, als einen Haufen Stoffe und Gasarten und mathematische Gesetze.

Plötzlich fiel auch diese Sicherheit seiner Ueberzeugungen zusammen und seine Grübeleien halfen zu nichts. Er konnte sich nicht erklären, wie es Legard möglich geworden sei, solche Wirkungen in natürlicher Weise hervorzubringen. Also war es dennoch begründet, es gab eine Macht, die keine Gelehrsamkeit, kein forschender Verstand, kein scharfsinniger, klarer Menschengeist ergründen konnte; es gab eine Welt jenseit aller Berechnungen, jenseit des Begreiflichen, deren Wunder sich plötzlich vor ihm aufgethan hatten. Dreiste Abläugnung war nach dem, was er gesehen hatte, nicht mehr möglich, eben so sehr aber sträubte er sich vor dem Abfall von sich selbst, und doch verlor er sich in fortgesetzte Betrachtungen und Folgerungen, deren er sich nicht erwehren konnte.

Legard brachte bei seinem ersten Ausfluge nach der Stadt einen Brief des Justizraths zurück, in welchem dieser meldete, daß die Tante ihr Testament, das bei ihm niedergelegt war, und welches ganz zu Gunsten Alfreds gelautet hatte, zurückgenommen habe. Zugleich schrieb er, daß, wie er es besorgen müsse, die erzürnte Frau es in derselben Nacht vernichtete, und wenn der Graf nicht bald zurückkehre, sei zu besorgen, daß sie sehr veränderte Dispositionen treffen werde. Der erste Theil dieser Nachrichten vermehrte seine innere Unruhe. Anna hatte also auf so viele Meilen weit gesehen und gehört, was sich in dem stillen Zimmer seiner Tante zutrug. Er konnte stundenlang sitzen und darüber nachsinnen, wie dies möglich sein mochte, und je mehr er es für unmöglich hielt, um so verwirrender drang das Gewicht des Factums auf ihn ein, daß er es selbst erlebt hatte.

Aber mit dieser trüben Verstimmung kam noch ein anderes Bedrängniß. Es war ihm, als werde er täglich mehr von Anna vernachlässigt und als wende sich die Aufmerksamkeit und Theilnahme seiner Geliebten in demselben Maße seinem Verwandten zu. Während er diese Bemerkung machte, fühlte er eine folternde, immer wachsende Qual, gegen welche sich sein Stolz vergebens sträubte. Er erinnerte sich, daß Legard ihn einmal gefragt hatte, ob er eifersüchtig sei, und er hatte darauf mit Hohn geantwortet, daß Eifersucht Narrheit gleich käme. Er erinnerte sich auch, daß er mehrmals geäußert, er würde ohne Bedenken sich von Anna trennen, sobald diese ihm beweise, daß ihre Neigung von ihm weiche, und jetzt war ihm beinahe, als habe er das Schicksal herausgefordert und dies zeige ihm, was menschlicher Trotz sei.

Die Qualen in seinem Herzen, dies Brennen seiner Eingeweide, dies verzehrende Hinbrüten, diese fieberhafte Unruhe, was war es Anderes, als Eifersucht, und wenn er den Gedanken ausdenken wollte, daß Anna ihn verlassen, daß er sie verlieren könnte, überfiel ihn eine entsetzliche Angst. Er liebte heißer, wie er je geliebt hatte, und dennoch war er fortgesetzt rauher, heftiger, unfreundlicher wie er je gewesen.

An einen Betrug glaubte er freilich nicht mehr, aber daß Anna ihn, wenn auch schlafend, von sich gestoßen, erbitterte ihn immer von Neuem. Sein Mißtrauen war aufs Aeußerste geschärft, und weil er nichts entdecken konnte, ward er immer mehr gereizt. Er ließ Legard nicht aus den Augen und wagte doch nichts zu sagen, im Gegentheil mußte er zu jeder Verstellung greifen, heiter scheinen, sich aufraffen und zu scherzen suchen, ohne doch im Stande zu sein, diese Maske durchzuführen. Anna's sorgende Blicke und theilnehmende Fragen beleidigten ihn; wenn er bemerkte, daß sie ihn kummervoll ansah, fühlte er sich gereizt, und er that was er konnte, um darüber zu lachen; sah er sie mit Legard im Gespräch, ihm freundlich zugewandt, so brach ein Strom bitterer Empfindungen über ihn ein.

Zehnmal in jeder Stunde kam ihm der Gedanke, daß Legard fort müsse, und eben so oft verwarf er diesen Ausweg. Er hatte von ihm gehört, daß er den größten Antheil an Anna nähme, er sah diesen Antheil wachsen, sah, mit welcher zunehmenden Sorgfalt sich Hermann mit der jungen Frau beschäftigte, wie er ihr alle Aufmerksamkeit widmete und in zahlreichen kleinen Diensten und freundlichen Bemühungen ihr seine Ergebenheit bezeigte, und doch that er nichts, um mit ihm entweder zu wetteifern oder ihn darin zu stören. Er sah zu, und sagte mit seinem alten Stolze zu sich selbst: Anna ist frei, keine Fessel hindert sie. Wenn es wirklich so wäre, wenn er sie gewönne, was könnte ich dagegen haben?

Dann fiel es ihm ein, daß, wenn er Legards Rath und Warnungen befolgen, wenn er das einzige Wort sprechen wollte, das die Gesellschaft verlangt, Alles sich ändern müsse; allein mit der größten Entschiedenheit verwarf er diese Einflüsterung. Niemals, sagte er sich, werde ich so thöricht und so schwach sein, am wenigsten jetzt, wo ich ihre Liebe und Treue erkaufen müßte. Nein, ich will verhindern, wenn ich es vermag, daß Hermann sich ihrer bemächtigt, aber keine Nachgiebigkeit, keine Schwäche soll mich erniedrigen.

Mit jedem Tage aber wurde die Zerfallenheit seines Gemüths sichtbarer, und kaum ließ sich noch die äußere Hülle aufrecht erhalten. Es war rauhes, herbstliches Wetter eingetreten, kalte Regenschauer fielen, die drei Personen waren auf das enge Haus beschränkt, und eine peinliche Entfremdung trat hervor, je mehr sie sich jetzt einigen und verständigen sollten.

Schwermüthig saß Alfred vor dem Kamin und starrte ins Feuer, während Legard Anna aus einem Buche vorlas, ihr erzählte, sie unterrichtete, mit ihr flüsterte und von Zeit zu Zeit einen halben Blick auf seinen Vetter gleiten ließ.

An diesem Abend kam es zu einer Erklärung.

Legard entfernte sich früh, und schüchtern näherte sich die junge Frau dem einst so geliebten Manne, dem sie leise den Arm um den Nacken legte und sich furchtsam zu ihm niederbeugte.

Alfred hob den Kopf auf, er sah ernst, fast finster aus, seine Stirn zog sich in Falten zusammen.

Was willst Du? fragte er abstoßend.

Ich möchte mit Dir sprechen, erwiderte sie leise.

So sprich, sagte er ohne sich zu rühren.

Alfred, begann sie, ich weiß nicht, weshalb Du mich so hart behandelst, weshalb Du unzufrieden mit mir bist. Du bist krank.

Nicht ich, aber Du vielleicht, antwortete er rasch.

Ich! sagte sie mit dem Ausdruck des Erstaunens, nein, gewiß nicht; allein ich fürchte –

Was fürchtest Du? fiel er mit Heftigkeit ein, während seine Augen sie anblitzten.

Sie hielt diesen Blick nicht aus, ihr Gesicht wandte sich scheu von ihm ab und um ihre Lippen schwebte jener Zug des Schreckens oder des Abscheus, den Alfred schon gesehen hatte. Er fuhr mit der Hand über seine Stirn, und als er sie fallen ließ, sagte er:

Du fürchtest Dich vor mir, wie es scheint. Was ist es? Wer hat Dir gesagt, daß ich krank sei?

Niemand, erwiderte sie mit erlöschender Stimme.

Du lügst! schrie er auf, dann aber sein hastiges Wort bereuend, fügte er mit milderem Tone hinzu: Du willst mir nicht die Wahrheit sagen, weil Du glaubst, ich könnte darüber erschrecken. Sei ruhig, ich erschrecke so leicht nicht. Sage mir Alles, was Du denkst, oder was Du willst; wir wollen überlegen, was für uns das Beste ist.

Für Dich das Beste, wiederholte sie sich sammelnd und mit einer gewissen Gewalt, wäre es gewiß, wenn Du von dieser Einsamkeit Dich trenntest und Dich dem Leben, dem Du Dich entzogen hast, wieder zuwendetest.

Eine dunkle Röthe bedeckte Alfreds Gesicht.

Wenn ich mich dem Leben wieder zuwendete? sagte er. Warum? Weshalb?

Er richtete seine brennenden Augen auf die Sprecherin, die heftig zitterte und ihre Hände faltete; aber er fand in ihren Zügen eine Ueberlegung, die auf ihn zurück wirkte.

Nein, sagte er ruhiger, dahin soll mich nichts zurückdrängen. Wenn es uns hier nicht länger behagt, so können wir einen anderen Platz aufsuchen. Würdest Du gern von dem Lindenhofe scheiden?

Sie gab keine Antwort, aber sie schüttelte leise den Kopf.

Der Hof ist Dein Eigenthum, fuhr er fort, ich bin eigentlich Dein Gast darin. Wenn Du mich gehen heißt, so muß es freilich geschehen, Was willst Du also, erkläre mir Deinen Willen! Aber halt! rief er, indem er seine Stimme erhob, laß es ruhen bis morgen, morgen am Tage wollen wir davon weiter sprechen. Legard soll uns verlassen, ich will diese Gesellschaft nicht länger.

Er soll uns nicht verlassen, sagte die junge Frau erregt. Er darf uns nicht verlassen!

Die Röthe verschwand aus Alfreds Gesicht, er starrte vor sich hin.

Hast Du den guten Rath von ihm, fragte er nach einem kleinen Besinnen, daß ich mich dem Leben wieder zuwenden soll?

Eine Stimme sagt es mir, lispelte sie.

Und er – Du hast ihn lieb gewonnen. Ich zürne nicht darüber, er hat Gewalt über Dich, Du willst, er soll bleiben? Anna!

Er stieß den Namen so hart und wild aus, wie einen Schrei, indem er beide Arme nach ihr ausstreckte; aber im Augenblick brach ein Hohngelächter von seinen Lippen, denn Anna wandte sich voller Entsetzen von ihm ab. Sie floh floh vor ihm, entzog sich seiner Berührung, und wie von einem Wahnsinnsanfall ergriffen, warf er sich in den Stuhl zurück, deckte die Hände über sein Gesicht und setzte sein Gelächter fort, das hohl von Kamin und Wänden widerhallte. Als Franz hereintrat, winkte er ihm herrisch zu, sich zu entfernen. Tief in der Nacht hörte Legard noch seine Schritte im Saale und behaglich lächelnd drückte er den Kopf in die Kissen.



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