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Von dem Dorfe Grünau, das an dem großen See lag, fuhr die kleine Genossenschaft in einem Ruderboote hinüber nach einem hohen, jäh abfallenden Hügel, der sich mit seinem kuppigen Rücken über das ganze Waldrevier erhob.
Georg, der blondhaarige, stämmige Bursche, welcher Gärtner, Fischer, Läufer und Page zugleich war, zog die Schalten mit raschen Schlägen, Alfred saß am Steuer, Legard auf der Bank neben Anna, und Schlenz, beiden gegenüber, führte ebenfalls ein paar Ruder. So schoß das kleine Fahrzeug schnell über den breiten Wasserspiegel, dessen Uferumsäumung so lieblich war, daß Legard mit Wärme davon sprach.
Unter tief hängenden Birken lag das Dorf im Laube meist versteckt. Auf der einen Seite mochte der Blick in weite Fernen schweifen, auf der anderen begrenzte ihn eine Waldkette, die am See über hohes, welliges Land lief, aus dessen Mitte, vorspringend und Buchten zu beiden Seiten bildend, sich eben jener Berg erhob, welcher Marienschild genannt wurde. Rohr- und Binsenfelder liefen träumerisch in tiefe Ausschnitte und um Inselchen, die aus der Mitte des Wassers auftauchten; sonderbare Gärten von Wasserpflanzen legten ihre breiten Blätter und Kelchblumen auf den klaren Spiegel und wogten leise in den hüpfenden kleinen Wellen auf und nieder, die an das Boot klopften, während der sonnenvolle Wald sich nicht regte, nirgend weder Mensch noch Thier zu erblicken war.
Das ist der eigenthümliche Charakter dieser Seen und Wälder Norddeutschlands, sagte Legard, und kaum irgendwo in der Welt wird man ihn so wiederfinden. Ich habe ihn immer lieb gehabt und freue mich an seiner melancholischen und doch so milden Herrlichkeit. Die Alpenseen in ihren nackten Felsenfesseln sehen meist so öde und wild aus, als hätten böse Geister sie geschaffen, die Seen des Nordens liegen düster zwischen düsteren Nadelwäldern und Nebeln, hier taucht die Birke ihre langen grünen Finger in die helle Fluth, Buchen und Eichen ragen gewaltig über die schwarzen Tannen empor, und der Mensch mit seiner Cultur drängt sich überall herbei. Da liegen Dörfer und Kirchen zu beiden Seiten, und dort das alte Mauerwerk auf dem Berge hat sicher einmal einem Schlosse angehört.
Einem Schlosse oder einem Kloster, sagte Alfred, oder beiden, darüber streiten sich die Gelehrten. Nach einer alten Sage wurde hier zwischen Christen und Heiden, oder Wenden und Deutschen, eine grimmige Schlacht geschlagen. Ein Wendenfürst soll dabei in große Noth gerathen sein. Sein Schild wurde ihm von einer mörderischen Streitaxt zerspalten; da rief er zur Mutter Maria und gelobte, wenn sie ihn rette, wolle er ein Kloster hier zu ihren Ehren bauen. Das half. Die Himmelskönigin schwebte plötzlich über ihm und an seinem Arme glänzte ein neuer Schild. Er hieb sich tapfer aus den Feinden, oder seine hohe Beschützerin that das Beste, genug er entkam und hielt Wort; baute das Kloster, hing den Schild darin auf, nannte es Mariaschild und duldete Mönche in seinem Lande.
Die ihn im Heile des Glaubens weiter führten, sprach Legard vor sich hin.
Ihn nicht, antwortete der Förster, der seine Schalten ruhen ließ. Das ist ein besonderer Theil der alten Sage, daß der Wende sich weigerte, ein Christ zu werden; denn er behauptete, daß davon bei seinem Contracte gar keine Rede gewesen sei, daß er vielmehr blos das Kloster versprochen habe. Auf diese Weise wurde die Mutter Maria von dem Heiden geprellt, der in keinen anderen Himmel wollte, als in den seines Wodan.
Und daran hat er sehr Recht gethan, rief der Graf lachend. Er wollte bleiben, wo alle seine Väter geblieben.
Nachher, fuhr Schlenz fort, als die Mönche hier überall ausgetrieben und die Klöster aufgehoben wurden, ist ein Schloß daraus entstanden, wie die Einen sagen; Niemand aber weiß, wer darin wohnte. Unser Pastor in Grünau meint dagegen, es sei die Kirche dem neuen Glauben geöffnet worden, und im Klostergebäude habe ein Voigt des Kurfürsten gewohnt. So viel ist gewiß, daß das ganze Nest von den Hussiten zerstört und verbrannt wurde. Der Wald wuchs lustig darüber hin, wie über viele alte Schlösser, Klöster und ganze Dörfer, deren Namen kein Mensch mehr kennt und deren Ueberreste man noch jetzt zuweilen mitten im Dickicht findet. Unser Pastor, der zu den Frommen gehört, steuert nun seit langer Zeit schon darauf los, daß dort oben wieder eine Kirche oder eine Kapelle aufgebaut werden soll, und die Regierung hat ein halbes Dutzend Male wohl schon Berichte gefordert, die jedoch immer ungünstig gelautet haben; denn was ich dazu thun kann, trage ich redlich bei. Die Kirche wäre da oben zu nichts nütze, aber der schönste Punkt in der ganzen Gegend ginge verloren und mit dem Trinken und Lachen auf dem Marienschild wäre es für immer vorbei.
Hast Du keinen Umgang mit dem Pfarrer? fragte der Baron.
Nein, erwiderte Alfred, es ist kein Mann für mich. Ein Stück Fanatiker, wie man sie jetzt häufig unter den Dorfpfarrern findet, die da meinen, sie seien auserwählt, die Welt zu bessern und zu bekehren, und mit unerträglichem Hochmuth über die Gewissen zu Gericht sitzen. Dieser hier hat allerlei Unheil angestiftet, die Gemeinde in Haß- und Feindschaft gebracht und sich als unberufener Rathgeber und Hirte in die Familienkreise gedrängt.
Legard warf einen langen, scharfen Blick auf seinen Vetter, vor dem sich dieser abwandte und ein lautes Halloh! zu dem Marienschild hinauf schrie, denn oben, wo ein Halbkreis alter Bäume stand, ließ sich eben eine Frauengestalt blicken, die lustig eine weiße Schürze als Bewillkommnungsflagge schwenkte.
Da ist sie schon! rief Schlenz. Es ist Toni, die ist überall die Erste.
Das Boot lenkte in eine kleine Bucht, wo schon ein anderer Kahn lag, und auf einem steilen Pfade stiegen die Landenden zu der Berghöhe auf, wo die Frau des Försters ihre Grüße entgegen rief.
Ich habe mir die Augen halb ausgeschaut nach meinem lieben Annchen, rief sie, und als ich das Boot sah, schlich es so langsam über das Wasser fort, als säße das Unglück darin.
Das ist kein richtiger Vergleich, fiel Alfred lachend ein. Das Unglück kommt schnell, nur das Glück läßt sich Zeit und bleibt nur zu oft ganz aus.
Dieser da ist Schuld! rief die Försterin, auf ihren Mann deutend. Ich habe gesehen, daß er ganz müßig saß, und so macht er es immer, wenn er weiß, ich erwarte ihn. Mit seiner Sehnsucht nach mir ist es vorbei. Ja, das merken Sie sich, lieb' Annchen: so ändern sich die Zeiten.
Die kleine runde Frau machte ein trotzig schmollendes Gesicht und ihre lebhaften Augen blitzten schalkhaft umher und trafen auf Legard, den sie neugierig musternd betrachtete.
Es ist mein Vetter, sagte der Graf, den ich Ihnen vorstelle.
Herr Baron Legard, antwortete sie ohne Zögern, o! wir kennen uns von früher her. Der Herr Baron wohnte uns gegenüber, damals als ich noch bei meinen Eltern im Flügelkleide lebte und in die Nähschule ging.
Sie lachte laut auf und machte Legard eine Verbeugung.
Wir haben uns beide verändert, fuhr sie fort. Sie sehen jetzt ganz gesetzt aus und ich bin auch nicht mehr, wie ich war. Meinen Mann haben Sie schon gesehen und da am Feuer hockt mein kleiner Bube und hilft Kaffee kochen; letzte Woche Dienstag ist er drei Jahre alt geworden. Nun, meine Herrschaften, ist es nicht prächtig hier? Gefällt es Ihnen nicht, Herr Baron? Es ist ein kostbarer Tag für einen letzten Augusttag, und der Kaffee ist fertig. Dein Horn habe ich auch mitgebracht, Wilhelm. Er bläst das Waldhorn, Herr Baron, so leicht thut es ihm Keiner nach, und dort in die Waldschlucht hinein ist das beste Echo in der ganzen Gegend. Nachher wollen wir ein Liedchen singen. Im Sommer saßen wir zuweilen hier oben noch spät Abends, wenn der Mond aufgegangen war, und die Fischer auf dem See dachten Anfangs, die alten Mönche wären aufgewacht und trieben ihr Wesen, bis sie merkten, wer es war. Liese, gieß jetzt das Wasser auf, aber nicht zu viel auf einmal. Hole den Bernhard her, Wilhelm, der Junge macht sich an den Kuchen. Nun, meine Herrschaften, kommen Sie, es ist Alles fertig. Unter des Grafen Eiche ist die Tafel aufgeschlagen. Herr Baron, Sie müssen vorlieb nehmen, wie Sie es finden. Jetzt, liebes Herzens-Annchen, fängt Ihr Amt an, die Tassen warten schon, ich will den Kuchen schneiden. Ach! Herr Graf, was haben Sie für einen Schatz an Schönheit und an Güte. Wie oft man Annchen auch sehen mag, man sieht sich niemals satt.
Die letzten Worte halb singend, nahm sie den Arm der jungen Frau und lief vorauf einer kräftigen Eiche zu, die auf dem höchsten Punkte des Hügels ihre breiten Aeste ausstreckte.
Die Herren folgten lachend, und Alfred sagte:
So viele gute Laune, Heiterkeit und Drolligkeit wie in unserer liebenswürdigen Nachbarin findet man selten beisammen. Schlenz kann wohl sagen, daß er eine richtige Frau hat, denn für jeden Fall hat sie Rath und dem Rath folgt die That. Die läßt sich niemals bange machen, wie das Sprichwort da drinnen in der Stadt heißt. Du hast sie also gekannt, Hermann?
Ich erinnere mich ihrer kaum, sagte Legard. Sie muß jedenfalls ein besseres Gedächtniß haben, wie ich.
Die Kaffeegesellschaft unter der Grafeneiche war bald in voller Thätigkeit und die Stimmung so heiter, daß selbst Legard sein Theil dazu beitrug, die Lust zu vermehren. Er wußte mancherlei Interessantes von seinen Reisen zu erzählen, und da er weit umhergekommen war, Spanien besucht und ein Stück afrikanisches Küstenland durchzogen hatte, klangen seine Mittheilungen mannigfach, romantisch, seltsamlich und ungewöhnlich. Alle hörten ihm gern zu. Er schüttete eine Fülle von Gestalten und Bildern vor ihnen aus und malte mit glänzenden Farben Sitten und Trachten, wilde Scenerien aus dem Leben räuberischer Beduinen und spanischer Banditen, Feste, Tänze und Abentheuer der verschiedensten Art, mit denen er die gespannte Aufmerksamkeit der kleinen Gesellschaft zu fesseln wußte.
Je mehr er gefragt wurde, um so mehr wußte er zu berichten, und seine Darstellungsgabe war von seltener Lebendigkeit; selbst der biegsame und wechselnde Ton seiner Stimme trug dazu bei, den Eindruck zu vermehren. Es war sehr gut zu bemerken, wie vielen Antheil ein Jeder ihm schenkte, und wie sich damit Achtung und Ansehen vor dem weitgereisten, vornehmen Herrn steigerten, der so viel gesehen und erlebt hatte.
Am schönsten aber bleiben doch immer die Geister- und Gespenstergeschichten, rief endlich die bewegliche Frau Schlenz, und da Sie in Spanien gewesen sind und viele alte Klöster und Schlösser besucht haben, ist Ihnen doch gewiß auch irgend etwas recht Grausenvolles begegnet, was die Haut zusammenzieht und das Haar zu Berge stehen macht.
Legard lächelte zu dem Gelächter der Uebrigen.
Meinen Sie denn, sagte er darauf, daß Geister nur in alten Gemäuern wohnen können? Mir fällt eine Geschichte ein, die vor einiger Zeit in Paris sich zugetragen und in den Kreisen, wo sie bekannt wurde, viel Aufsehen erregt hat. Das Haus, in welchem dies geschah, war ein ganz neues, glänzendes, mit dem feinsten Luxus ausgestattetes, und die dabei betheiligte Dame gehörte zu den aufgeklärtesten Frauen in dieser genußsüchtigen Stadt, wo die Meisten gar nichts glauben, wo sich Fest an Fest drängt, und die Wenigsten Zeit finden, sich mit dem dunklen Jenseits zu beschäftigen.
Ich muß bemerken, fuhr er fort, als er sah, daß die Erwartung allgemein war, daß diese Dame seit kurzer Zeit erst verheirathet war und zu den schönsten, geistvollsten Frauen gehörte, in deren Nähe sich ein glänzender Kreis drängte, um an ihren Festen Theil zu nehmen und seine Huldigungen darzubringen. Der Gemahl der Dame war aus einer alten Familie, eine von denen, die noch stolze Erinnerungen auf Abkunft und Ruhm bewahren. Die Mutter des Marquis hatte daher niemals etwas von der Heirath ihres Sohnes mit der Tochter eines Negotianten Kaufmann. wissen wollen, der an der Börse reich geworden war, und auf ihrem Todtenbett legte der Sohn ihr ein feierliches Gelöbniß ab, niemals eine unpassende Verbindung einzugehen. Nach drei Monaten war Alles vergessen. Der junge Marquis fand Freunde, die ihm sagten, daß es Thorheit sei, ein durch die Verhältnisse abgezwungenes Versprechen halten zu wollen, daß der Hochmuth auf dem Sterbebett nicht besser sei, wie jeder andere Hochmuth, daß man sein Lebensglück höher achten müsse, als ein Wort, ausgesprochen um einer alten Frau die letzten Augenblicke zu versüßen, und daß, wenn es ein Jenseits gäbe, dort alle Vorurtheile sicher aufhörten und selige Geister in der ewigen Freiheit und Gleichheit des Himmels nicht daran denken könnten, über die Nichthaltung eines Versprechens zu zürnen, das der Fanatismus des irdischen Kastenwesens dictirt habe.
Die junge Dame sagte ihrem Geliebten Aehnliches. Sie gelobte alle Folgen auf sich zu nehmen; seine Leidenschaft hatte wenig Widerstand zu überwinden. So kam es denn zur gewünschten Verbindung. Nach einiger Zeit bemerkte man eine wunderbare Umwandlung bei der lebenslustigen, heiteren Frau. Sie war in sich gekehrt, unruhig, bleich, und ihre Feste und Zerstreuungen, in welche sie sich mit wachsender Begier stürzte, währten bis an den hellen Tag.
Es gab etwas, was ihr Furcht machte. Sie ängstigte sich vor dem Alleinsein, vor der Nacht; aber kein Mensch erfuhr, was sie quälte. Endlich einmal bei einem großen Balle, wozu die Marquise die verschwenderischste Pracht aufgeboten hatte, kam es zur Katastrophe. Es war keineswegs die Geisterstunde, der Abend war kaum hereingebrochen, tausend Kerzen brannten, der erste Tanz sollte beginnen; die schöne Frau, von Diamanten strahlend, wollte ihn mit einem jungen Generale eröffnen. Plötzlich aber schwankte sie, riß die Hände zurück, starrte in gräßlicher Angst vor sich in die Luft und sank mit einem herzzerschneidenden Schrei zu Boden.
Der Ball war aus, die erschrockenen Gäste entfernten sich, was weiter im Hotel des Marquis sich begeben, erzählten Gerüchte, die bald eine furchtbare Bestätigung erhielten. Schon in der Nacht ihrer Vermählung wollte die junge Frau ein seltsames bleiches Wesen bemerkt haben, das, als sie erwachte, vor dem Bett stand, den Vorhang aufhob und sie unverwandt ansah. Sie hatte die Mutter ihres Gemahls gekannt und war nicht im Zweifel, daß sie es sei. Von da ab kehrte die Erscheinung immer wieder, und was sie auch thun mochte, wie sie das Ganze Anfangs als Spiel der Einbildungskraft behandelte, sie konnte es nicht verscheuchen. Sie erwachte von einer unwiderstehligen Macht geweckt, und nach und nach gewann ihre innere Angst die Oberhand, sie fürchtete sich vor der Dunkelheit, verschloß jedoch Alles in sich, um ihren Gemahl nicht zu erschrecken. Auf jenem Ball aber sah sie plötzlich, statt des feurigen jungen Tänzers, den blutlosen Schatten vor sich stehen und die Arme nach ihr ausstrecken.
Thorheit! rief Alfred, indem er Anna an sich zog. Sie hören Dir so geisterschaurig zu, als stände das blasse Gespenst vor ihnen. Solche Gesichte sind bekannt genug, sie kommen aus dem Blut oder aus kranken Nerven.
Oder aus dem kranken Gewissen, sagte Legard.
Sie können wirklich die Gesichter blaß machen, fiel die kleine runde Frau ein, Annchen sieht ganz elend aus und mein Mann sitzt so bedenklich da, als hätte er auch seiner Mutter versprochen, mich nicht zu heirathen, und jetzt thät es ihm leid, sein Wort nicht besser gehalten zu haben.
Und Gott weiß es, sagte der Förster, der sie lachend ansah, welch böser Geist mich dafür plagt.
Lirum larum! rief sie, Dein Plagegeist heißt Toni, alle anderen verbitte ich mir. Ein Mann muß sich aber nicht vor Geistern fürchten, mögen diese heißen wie sie wollen. Was wurde denn aus der armen Frau, Herr Baron?
Legard besann sich einen Augenblick, dann sagte er:
Darüber schwebt Dunkel. Wie man glaubt, ist die Marquise in einen frommen Orden getreten, der im Süden Frankreich mehrere Stiftshäuser besitzt.
Glauben Sie denn an diese Geschichte? fragte der Förster mit vielem Ernst.
Daß sie sich so zugetragen hat, wie ich sie erzählte, weiß ich von vielen glaubwürdigen Personen, antwortete er.
Aber es war leere Einbildung, nicht wahr?
Wer kann das mit voller Bestimmtheit behaupten?
Geisterseherei! fiel Alfred spottend ein.
Lieber Freund, sagte Legard, giebt es denn nicht Manches zwischen Himmel und Erde, wovon unsere Philosophen sich nichts träumen lassen? Nach den Worten den Titelhelden in William Shakespeares »Hamlet«, I,5: »Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt.« Wir prahlen mit unseren Sinnen und deren Wahrnehmung, aber welche Ahnung hat denn das schärfste Menschenauge von der wunderbaren Welt, die ein mäßig gutes Mikroskop uns öffnet? Und je schärfer die Gläser geschliffen sind, je größere, oft schreckliche Entdeckungen machen wir. Welche Ungeheuer leben in jedem Wassertropfen, im Blute, das durch Herz und Adern rollt, und was würden wir sehen, wenn die Instrumente so weit vervollkommnet werden könnten, daß nichts ihnen verborgen bliebe! Dahin reicht die Materie nicht. Aber wenn die geistige Macht sich mikroskopisch schärft, wenn die wunderbaren Träger des Geistes in uns sich von ihren Fesseln befreien, dann erhalten auch die Sinne eine ganz andere Begabung. Swedenborg Emanuel Swedenborg (1688-1772), schwedischer Wissenschaftler, Mystiker und Theosoph. Nach Swedenborg besteht eine »konstabilierte Harmonie«, nach welcher alles in der Welt in organischem Zusammenhang steht. Die Welt ist ein Stufenreich substantialer Punkte. Die Seele gestaltet ihren Leib. Als Theosoph lehrt er die Existenz eines Geisterreiches, das mit dem Menschen schon während dessen Leben in Verbindung steht und sich ihm (in Visionen) offenbart. Himmel und Hölle faßt Swedenborg geistig auf., der immer von Geistern umringt war, mit ihnen lebte, sie überall entdeckte, beschrieb noch auf seinem Todtenbette die Gestalten, welche ihn umschwebten. Ihr glaubt mir nicht, sagte er zu seiner Umgebung, weil ihr nicht seht, was ich sehe. Wären eure Augen so geistig klar, wie die meinen, ihr würdet nicht länger zweifeln, daß ich wahr rede. So ist es auch gewiß, daß Swedenborg, als er einst in Gothenburg war, dort das Feuer deutlich sah und beschrieb, welches mehr als achtzig Meilen davon Stockholm verheerte. Und wenn man auch darüber lacht, fuhr er fort, als er Alfred lachen sah, es ändert nichts. Was war denn die wunderbare Kraft, mit welcher die Propheten der Camisarden Die Hugenotten in den Cevennen. Sie wurden von Ludwig XIV. verfolgt, wogegen sie sich in einem Partisanenkrieg wehrten, was letztlich zur Entvölkerung der Cevennen und einer deutlichen Erhöhung der Staatsschulden führte. wahrsagten? Einfache Bauern und Hirtenmädchen warfen sich nieder und der Geist kam über sie, von dem die Bibel uralt Zeugniß giebt. Sie sahen viele Meilen weit, durch hohe Felsenwände, Wildnisse und Wälder die Heere des Königs heranziehen, beschrieben die Generale, welche sie nie gesehen, kannten aufs Genauste deren geheime Gedanken und Pläne und nannten die Mittel, durch welche die Feinde besiegt werden konnten. Und das ist kein Betrug, keine Täuschung, diese beliebten Namen, welche man für Alles bereit hat, was man sich nicht in grob sinnlicher Weise zu erklären weiß. Das bezeugen die besten Männer, die berühmtesten Schriftsteller jener Zeit, und Menschen, die sonst Alles verspotten, was sie nicht verstehen, wagen doch nicht, solche Thatsachen in den allgemeinen Sack der Fabeln und Wunder zu werfen.
Alfred wußte nichts Triftiges dagegen anzuführen, obwohl er zu streiten und zu zweifeln versuchte; aber durch diese Abschweifungen war der frohe Ton der kleinen Gesellschaft verschwunden. Anna saß träumerisch neben ihren Freunden, die ebenfalls ihren Gedanken nach hingen, und erst nach einiger Zeit, als Schlenz sein Waldhorn nahm und die sanften langhallenden Klänge das Echo vierfach weckten, kehrte die Munterkeit zurück. Die Sonne war im Untergehen und warf ihr rothes, brennendes Licht auf die farbigen Ufer des Sees und auf den Wald. Heerdenglocken läuteten in der Ferne, ein großes Schiff mit mächtigem weißen Segel zog in der Mitte des Wassers ganz leise vorüber, überall sonst war bewegungslose Ruhe und tiefer Frieden.
Nun wurde Wein auf den Tisch gesetzt, ein Korb mit Eßwaaren geleert, und während dies geschah, stimmten Alfred und der Förster in Begleitung der beiden Frauen ein Lied an, das herrlich durch die stille Luft klang. Es war das alte wohlbekannte Lied: »Freunde lagert euch im Kreise«; aber noch war es nicht vollendet, als von der hinteren Hügelseite her sich ein Mann näherte, der mit langsamen Schritten und prüfenden Blicken herbeikam und im Schutz des Gemäuers seine Beobachtungen machte. Er war im mittlern Lebensalter, trug einen schwarzen Rock, hohe Stiefeln, einen breitgekrämpten Hut und einen Stock in der Hand, auf den er sich stützte. Seine gefurchte Stirn und das starke, muskelkräftige Gesicht mit buschigen Augenbrauen und langer, dicker Nase drückten kein besonderes Gefallen an dem Gesang und dem Gelächter aus, welche ihm von oben entgegen schallten. Als die Stimmen schwiegen, hatte er seinen Entschluß gefaßt. Er trat hinter den Steinen vor und stieg zu der Eiche aufwärts, wo man ihn sogleich bemerkte.
Da kommt ja unser Herr Pastor! rief Frau Schlenz. Willkommen im Grünen, lieber Herr Fichtner, setzen Sie sich zu uns. Liese, nimm den Jungen fort; Wilhelm, rück zu; setzen Sie sich neben unsere Frau Nachbarin, Herr Prediger, da sitzt es sich zum besten.
Diese Anpreisung hatte jedoch keinen Erfolg. Der vierschrötige, schwarze Herr blieb stehen und musterte die Gesellschaft, dann nahm er langsam seinen Hut ab, zeigte sein gescheiteltes Haar und sagte im halb süßlich versöhnenden, halb strafenden Tone: Finde ich meine lieben Nachbarn hier am Sabbath beisammen in so weltlicher Lustbarkeit, daß der Wald davon widerhallt? Ei, ei! und Lieder singend, die eigentlich zu den verbotenen gerechnet werden, wenigstens nicht solche, die man gern vernimmt.
Lieder, Herr Prediger Fichtner, die der Freude und dem Glück des Menschenlebens gewidmet sind, sollte jedes Ohr gern vernehmen, erwiderte Alfred.
Das Menschenleben und sein Glück ist der verschiedensten Auffassung fähig, antwortete der Geistliche. Zügellosigkeit scheint Manchem auch Glück, und heut zu Tage streben Viele eben danach, das Gesetzliche und Sittliche von sich abzuthun, um, wie sie meinen, dann erst recht frei und glücklich zu sein. Das niedere Volk richtet sich dabei nach den Beispielen, die ihm von den sogenannten Besseren gegeben werden, was diese aber betrifft, so müßten sie wohl eigentlich die Vorbilder zum Guten sein, um durch christliches Leben in ihren Familienkreisen nach Innen und nach Außen Freudigkeit und Nachahmung zu erwecken.
Herr Pastor, sagte Alfred, wollen Sie unser Gast sein, so bieten wir Ihnen gern Gastfreundschaft und einen neuen Gesang mit obligater Waldhornbegleitung.
Danke, danke! Herr Graf, antwortete Fichtner. Es wird kühl und meine Grundsätze erlauben mir nicht – hier hielt er inne und richtete einen besonders strengen Blick auf den jungen Herrn und seine Nachbarin. Im Uebrigen, fuhr er fort, hat die Regierung sich wirklich dafür entschieden und ich habe heut die frohe Nachricht erhalten, daß eine Capelle hier oben erbaut werden soll, und damit dürften denn wohl die Gelage an diesem ehrwürdigen Platze ein Ende nehmen.
Gelage, sagte Schlenz, sind hier nie gewesen.
Nun, man denkt von anderer Seite anders darüber. Passend, Herr Förster, dürften hohe Vorgesetzte es immer nicht finden, wenn an einem Orte, der Jahrhunderte lang ein heiliger und hochverehrter gewesen ist, wo Altäre standen, Gebete und fromme Gesänge zum Himmel stiegen, ein Aergerniß für Viele gegeben wird.
Wo liegt denn das Aergerniß, Herr Pastor? rief Alfred. Aergerniß geben zunächst und zumeist die Zeloten und Eiferer, welche in jeder unschuldigen Lust Verdammniß wittern.
Was die Unschuld anbelangt, Herr Graf, sagte der Geistliche, so möchten darüber doch sehr verschiedene Stimmen in unserer Gegend laut werden. Aber ich will nicht länger stören, die Fischer fahren nach Haus und Peter Lamm wartet auf mich, um mich mit hinüber zu nehmen. Gott behüte Sie alle in Gnaden vor Unheil und gebe Ihnen Frieden! Gute Nacht, mein Söhnchen!
Er legte die Hand auf den Kopf des blondhaarigen Knaben, lüftete den Hut und ging davon. Aber mit der Lust war es nun aus; der schwarze Strafrichter hatte so viele wunde Stellen getroffen, daß die freundlichen Gesichter nicht zurückkehren wollten und jeder für sich Allerlei im Stillen zu überwinden hatte, ehe der allgemeine Verdruß losbrach.
Die lustige kleine Frau war die erste, die ihren Gedanken Worte gab.
Ei was! rief sie aus, will er unseren Wein nicht trinken, unser Brot nicht essen und unsere Gesellschaft nicht haben, so mag er mit dem frommen Peter Lamm beten, den er halb verrückt gemacht hat.
Ohne Zweifel, sagte Schlenz, hat er wieder einen Bericht vor, in welchem meine Gottlosigkeit obenan steht.
Laß ihn nur berichten! rief Toni, wir fürchten uns nicht. Wer recht thut, braucht Niemand zu scheuen. Wenn der Wolf ein Schaf verschlingen will, kann es ihm übel gehen, denn auch aus dem Schafe kann ein Löwe werden, wenn es nur Muth dazu hat.
Doch es half kein Scherz, die gute Laune war fort, und die letzte halbe Stunde ging eintönig vorbei. Die Reste des Mahls wurden viel vollständiger als sonst zusammengepackt und der Rückweg angetreten, ohne daß das Waldhorn des Försters, wie es früher immer geschehen, einen Abschiedsgruß erschallen ließ und den Marsch der Gesellschaft den Berg hinab begleitete.
Erst als sich die beiden kleinen Fahrzeuge weit von einander getrennt hatten, klangen die Töne einer munteren Jagdfanfare durch die Abendstille, und Alfred rief lachend:
Toni hat ihrem Manne wirklich wieder Muth eingeflößt, das Schaf hat sich zum Kampfe gerüstet und der fromme Knecht Gottes wird darob noch mehr ergrimmen.
Wo wohnt er denn? fragte Legard die junge Frau, welche neben ihm saß.
Dort im Dorfe, erwiderte sie, eben da, wo jetzt das Licht durch die Bäume scheint.
Ich glaube, Sie haben sich vor ihm gefürchtet? sagte er lächelnd.
Wenigstens mag ich ihn nicht gern, nachdem er einmal mich sehr rauh erschreckt hat und auch heut wieder mich so böse betrachtete.
Denke nicht an ihn, mein Annchen, rief Alfred dazwischen. Er kam einmal in mein Haus, Legard, ich hatte eine Unterredung mit ihm, seit der Zeit kam er nicht wieder. – Da sind wir am Ufer, und nun laßt uns eilen, ehe es ganz finster wird. Du bleibst bei uns, Hermann.
Der Baron entschuldigte sich, er hatte am nächsten Morgen ein nothwendiges Geschäft abzuthun. Als sie auf dem Landhause anlangten, standen die Pferde schon bereit.
Irren kannst Du nicht, sagte Alfred, nachdem er vergebens seinen Vetter zum Bleiben beredet hatte, der Weg führt geradeaus an dem Birkenwald vorüber; Nebenwege giebt es nicht, nur hinter dem Hügel links führt die Straße ins Dorf. Wann willst Du wieder kommen?
In einigen Tagen gewiß, jedesfalls sobald ich irgend kann.
Sie nahmen Abschied, Legard hielt Anna's Hand wiederum längere Zeit fest, um ihr Artigkeiten und Dank zu sagen.
Werden Sie auch nicht eifersüchtig werden, fragte er lächelnd, wenn ich öfter komme, und durch meine Gegenwart Ihnen Alfred entziehe?
Er wird, wie ich denke, dann um so inniger zu mir zurückkehren, sagte sie leise und erröthend.
Ich nehme diese Antwort von der besten Seite, antwortete er, und will darauf vertrauen.
Der Hufschlag seines Pferdes verlor sich rasch in dem sandigen Wege, als Legard über die Mauer des Gartens seinen letzten Abschiedsgruß gerufen hatte.
Ein paar Männer, welche eine Stunde später aus dem Städtchen kamen, das landeinwärts lag, fanden an dem Waldsaume einen Reitknecht mit Rossen, und als sie im Dorfe an der Thür ihres Pastors vorüber gingen, begleitete dieser so eben einen Herrn bis an die Pforte, sprach dort mit dem Fremden noch einige Zeit leise und sagte dann etwas lauter:
Es soll Alles so geschehen, wie Sie es wünschen, hochgeehrter Herr Baron, möge der Herr unser Bemühen gnädig segnen.