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Anmerkungen und Ergänzungen

S. 10. Liszts rein deutsche Abstammung ist heute einwandfrei festgestellt. Den in Eisenstadt erscheinenden »Burgenländischen Heimatblättern« gebührt das Verdienst, daß sie im 2. Hefte des 5. Jahrganges (Mai 1936) die Frage der Abstammung Liszts unter Mitteilung einer bis in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts reichenden Ahnentafel restlos klärten. Hiernach gehörten alle nachweisbaren Vorfahren Liszts – väterlicher- und mütterlicherseits – dem deutschen Volkstume an. »Sie lebten in den damals, wie heute, deutschen Gebieten Westungarns, im Burgenlande, in Niederösterreich und in Schwaben. Ihre Umgangssprache, ihr Fühlen und Denken war deutsch, wie die Bevölkerung, unter der sie lebten.« Die hier und da auftauchende Annahme, Franz Liszt (ursprünglich List) sei mit Friedrich List verwandt gewesen, läßt sich nicht aufrechterhalten.

S. 15. Den Zweiflern, die sich immer wieder einreden lassen, Cosima Wagner sei nicht rein arischer Abkunft gewesen, sei nach den Forschungen des Universitätsprofessors Dr. Lothar Tirala (mitgeteilt in der Zeitschrift »Die Sonne«, 1934, Heft 3) ausdrücklich bekanntgegeben, daß die Versippung des Hauses Bethmann mit Juden erst nach der Geburt der Maria Elisabeth Bethmann, der späteren Gräfin Flavigny und Großmutter Cosima Wagners, platzgegriffen hat.

S. 94. Die Mitarbeit Cosimas an der Revue germanique und ihre Übersetzertätigkeit verdienen eine sorgfältige Würdigung, die in diesem Lebensbilde leider nicht geboten werden kann. Nur der wertvollste Beitrag Cosimas soll hier kurz erörtert werden: die Übersetzung des Trauerspieles »Maria Magdalena« von Friedrich Hebbel.

Man möchte glauben, daß es kaum möglich sei, die bilderreiche, gedankenschwere und dabei knapp zugespitzte, von einer gewissen verstandesmäßigen Leidenschaftlichkeit durchpulste Rede des niederdeutschen Dichters in der allzu verbindlichen »Diplomatensprache« wiederzugeben. Cosima hat das unmöglich Scheinende wahr gemacht und mit ihrer Übersetzung ein Meisterstück geliefert. Sowohl das Kantige und Knorrige, wie auch die eigentümliche Beredsamkeit des Dramatikers sind treu und echt wiedergegeben, und der französische Text liest sich wie eine französische Dichtung, die von deutschem Geist erfüllt ist. Im einzelnen kann man da und dort, wie bei jeder Übersetzung, verschiedener Meinung sein. Doch muß hervorgehoben werden, daß Cosima auch dann, wenn sie von der Vorlage abweicht, niemals etwas anderes bezweckt und erreicht, als eine um so klarere und kräftigere Betonung des Persönlichen und Besonderen, das den meisten Sätzen Hebbels anhaftet. Manchmal ist sie bestrebt, das gar zu Spitzfindige und Weithergeholte oder etwas sehr Starkes wegzulassen oder abzuschwächen. Kleine Wiederholungen sollen den Stil geschmeidiger machen, hie und da ist die Übersetzung lebendiger und dramatischer als die Vorlage.

Schlechthin bewunderungswürdig gelang Cosima das Seemannslied Karls. Dieses lautet bei Hebbel:

Dort bläht ein Schiff die Segel,
Frisch saust hinein der Wind!
Der Anker wird gelichtet,
Das Steuer flugs gerichtet,
Nun fliegt's hinaus geschwind.

Ein kühner Wasservogel
Kreist grüßend um den Mast!
Die Sonne brennt herunter,
Manch Fischlein blank und munter
Umgaukelt keck den Gast.

Wär' gern hineingesprungen,
Da draußen ist mein Reich!
Ich bin ja jung von Jahren,
Da ist's mir nur ums Fahren,
Wohin? Das gilt mir gleich!

In der Übersetzung lautet es so:

Un navire en partance
Au port fait ses adieux.
Le voilà qui s'élance;
Beau vaissau, bonne chance,
Sur la mer, sous les cieux!

La joyeuse hirondelle
Voltige autour des mâts;
La mer et chaude et belle,
Les poissons, pêle-mêle,
Y prennent leurs abats.

Bientôt, ô mer lointaine,
Je voguerai sur toi.
Jeunesse fuit la chaîne,
Le monde est son domaine,
Elle est partout chez soi.

Als »Anmerkung des Übersetzers« hat Cosima dem Stücke aber auch eine kleine Abhandlung vorausgeschickt, einen Überblick über das Leben und Schaffen des Dichters. Es wird dort von Hebbel gesagt:

»Seine erste Tragödie, Judith, hatte einen starken Erfolg, der aber auch bestritten und angefochten wurde, einen jener Erfolge, die literarische Stürme hervorrufen. Während die einen ein Meisterwerk begrüßten, sprachen die anderen von einem Zerrbild, einer Ungeheuerlichkeit. Die Anhänger des Neulings priesen seine Kraft und Eigenart, seine Gegner fanden bei ihm nur Übertreibung und Überspanntheit. Das ist immer das Zeichen einer Begabung, die vielleicht sonderbar und unausgeglichen, aber zweifellos vorhanden und kräftig genug ist, um solche leidenschaftliche Widersprüche hervorzurufen. Was am wenigsten bekämpft wird, das ist die Mittelmäßigkeit. Man gewahrt nicht, daß Hebbel in den folgenden Dramen viele Zugeständnisse gemacht hätte, so daß er noch heute mehr der Ruhm einer Partei, als eine allgemein anerkannte Erscheinung ist. Seine Gegner haben ihn verneint, seine Bewunderer wollten in ihm eine Art Messias der Schaubühne sehen und sogar aus seinen Fehlern eine neue Kunstlehre ableiten. Ein ruhigeres und überlegeneres Urteil wird, so scheint uns, in Hebbel eine bedeutende Begabung von großer dramatischer Kraft erkennen und wird es zugleich bedauern, daß das Vorurteil, das sich seiner bemächtigte, und eine zu schroffe und eigenwillige Persönlichkeit dieser Begabung nicht gestattet haben, sich reicher und harmonischer zu gestalten. Die größten dramatischen Genies waren jene, die ihr Herz dem Atem der Geschichte und den Willensmächten ihrer Zeit öffneten: Schiller beispielsweise ist der klarste Ausdruck dessen, was sein Land und seine Gegenwart von Welt und Zukunft dachten. Hebbel sieht die Dinge ein wenig zu sehr durch eine Brille, die nur wenige tragen, und seine Geschöpfe erscheinen uns manchmal als psychologische Rätsel, deren Lösung mehr in der Persönlichkeit des Dichters als in dem allgemein menschlichen Gefühle begründet ist. Seine Gestalten haben etwas Phantastisches an sich und gleichen weniger lebendigen Menschen, als verkleideten Ideen. Diesen Fehler spürt man hauptsächlich in der Genoveva, im Rubin, in Herodes und Mariamne, im Trauerspiel auf Sizilien, im Ring des Gyges, viel weniger aber in der Agnes Bernauer und in der Maria Magdalena, dem Stück, das wir gewählt haben, um das französische Publikum mit Hebbel bekannt zu machen. Es findet sich darin genug von allem, was die Art des Dichters kennzeichnet.

Maria Magdalena ist eine bürgerliche und häusliche Tragödie. Der Name der Heiligen, der keiner einzigen Person des Stückes zugehört, steht nur in einer entfernten Beziehung zum Inhalt, und die weichen und zarten Empfindungen, die er hervorruft, bilden sogar einen gewissen Gegensatz zu den tragischen Schrecken der Handlung. Der Dichter hat kein Rührstück schreiben wollen, sondern eine wirkliche Tragödie, im wahren und antiken Sinne des Wortes. Eine Tragödie, die aus dem Widerstreite von Persönlichkeit und Schicksal, von Freiheit und Notwendigkeit hervorgeht. Die heutige Welt glaubt bestimmt nicht mehr an eine äußere Notwendigkeit, aber sie setzt dafür eine innere, eine Gewalt der Dinge, mit der die Freiheit des Willens entweder in Übereinstimmung ist oder gegen die sie ankämpft. Jede Auseinandersetzung der beiden Mächte ist ein Drama, und wenn der Wille erliegt, ist es eine Tragödie. Der Eindruck des Tragischen ergibt sich nicht aus der Eigenschaft der Personen, noch aus der Häufung von Verbrechen und Unglücksfällen, er ergibt sich nur aus der unentrinnbaren Notwendigkeit der Lösung. Ob die Handlung nun einfach oder verwickelt ist, ob die Personen Helden der Antike oder bürgerliche Menschen von heute, ob sie Könige oder Bettler sind, es genügt, daß die Einzelpersönlichkeit erliegt und daß sie nicht anders kann, als erliegen, damit die beiden Grundkräfte der Tragödie, die der alte Aristoteles so klar bezeichnet hat, alsbald hervortreten: Furcht und Mitleid; Furcht vor der geheimnisvollen Macht, die den Einzelnen zermalmt, und Mitleid für den Einzelnen, der uns gleich, der einer von uns ist und der unwiderruflich der Vernichtung geweiht ist. Woraus folgt, daß der gute Ducis, der die Lösungen Shakespeares nach Belieben änderte, nichts von der Tragödie verstanden hat und daß so viele recht erfinderische Macher noch weniger davon verstehen. Sobald die Lösung eine andere sein könnte, gibt es keine Tragödie mehr.

Das Drama von Hebbel ist wahrhaft tragisch, obgleich es in einer gesellschaftlich untergeordneten Schicht spielt; es wäre noch tragischer, wenn die weibliche Hauptperson mit größerer Sorgfalt gezeichnet wäre. Wie ihr Charakter nicht genügend bestimmt ist, so ist auch der Eindruck unvollkommen und wir empfinden bei der Lösung mehr Furcht als Mitleid. Diese Rolle muß sehr schwer zu spielen sein. Stärker ergreift uns der Bruder Klaras, wiewohl seine Rolle geringfügig ist. Die Mutter, die mit dem Ende des ersten Aufzuges verschwindet, ist trotzdem gut gezeichnet in der Güte ihres Wesens und der Schwäche ihres Geistes und Gemütes. Aber das ist nur eine Skizze und in diesem intimen Drama sind alle Familienmitglieder gewissermaßen nur Umgebung, Schatten, aus deren Mitte die, wenn man will, ein wenig fratzenhafte, aber höchst eigenartige große und wahre Gestalt des Familienvaters mit kräftigen Zügen hervortritt. Diese Gestalt zieht uns an und erschreckt uns. Meister Anton ist ein Mensch aus einer anderen Zeit; er ist nicht mit dem Jahrhundert gegangen, wie man zu sagen pflegt; er versteht die Welt nicht mehr, wie er selbst sagt, und eben daher rührt sein häusliches Elend. Er hat sich nichts vorzuwerfen und doch war er der Unheilstifter. Tyrann und zugleich fremd in seiner Familie, betrachtet er ihren Zusammenbruch mit dem Versuche äußerer Gleichgültigkeit und doch innerlich zerrissen. Aber er begreift nicht, daß er selbst ihn herbeigeführt hat. Gebaut ist dieses Drama in seiner scheinbaren Einfachheit schlechthin meisterhaft. Nicht ein Wort ist überflüssig, alles zielt auf das Ende und beschleunigt die Lösung mit einer düsteren Folgerichtigkeit – und wenn dazu etwas zu sagen wäre, so wäre es nur, daß die Absicht und die Gesetzmäßigkeit manchmal zu deutlich werden.

Wie zu Beginn erwähnt, ist Hebbel auch Lyriker, und wir werden uns bald mit seinen Gesammelten Gedichten zu beschäftigen haben, die soeben bei Cotta erschienen sind. Hier ist der Dichter ohne Tadel und wird von uns kein Vorbehalt zu machen sein. Die allzu ausgeprägte Subjektivität, die ein Fehler im Drama ist, ist ein Vorzug des Lyrikers. Die Gedichte Hebbels sind die Vollendung selbst: das tiefste Gefühl spricht sich in der plastischesten Form aus.«

S. 205. Zu den Besuchern in Triebschen zählte auch der großdeutsche Politiker Konstantin Frantz, dem die zweite Auflage von »Oper und Drama« gewidmet ist, der erst in neuester Zeit wieder gebührende Beachtung gefunden hat. Sein Wort vom »Deutschen Reiche jüdischer Nation« hat sich Cosima mit Behagen angeeignet und es gilt heute als ein von ihr geprägtes, findet sich aber in den »Bayreuther Blättern« von Juni 1878 in dem dort abgedruckten »Offenen Briefe« von K. Frantz.

S. 333. Cosima konnte in ihrer Übersetzung des »Parsifal« schon deshalb keine genaue Übereinstimmung mit den Singstimmen erzielen, weil die Vertonung damals noch nicht vollendet war und sie den Klavierauszug noch nicht vor sich hatte. Aber sie war auch nicht bestrebt, den Tonfall der Verse beizubehalten. Sie übersetzte nur in Prosa, um der Freundin den Inhalt der Dichtung wortgetreu zu vermitteln. Das Dichterische der Handlung und die geheimnisvolle Grundstimmung des Ganzen traten dabei klar genug hervor. Die Übersetzung macht den Eindruck, als habe ihr Cosima eine vorerst noch prosaische Fassung der Dichtung zugrunde gelegt, aus der dann erst (wie bei »Tasso« und »Iphigenie« von Goethe) die Verse entstanden seien. Besondere Beachtung verdient es, wie Cosima einzelne, besonders schwierige Worte und Wendungen der Parsifal-Dichtung schlicht und klar ins Französische übertragen hat, selbst auf die Gefahr hin, noch etwas prosaischer zu sein, als es ihre Absicht eigentlich rechtfertigte, nur in dem Bestreben, über den gedanklichen Inhalt ja keinen Zweifel aufkommen zu lassen. Dabei hat sie nicht selten um den rechten Ausdruck gerungen: manche Durchstreichungen und Verbesserungen lassen erkennen, wie anspruchsvoll ihr Beginnen war und wie beharrlich sie ihren eigenen Ansprüchen zu genügen suchte. Die vielfach verschränkten, weit ausgesponnenen Satzbildungen Wagners, die nur durch die musikalische Gestaltung die unmittelbare Verständlichkeit gewinnen, sind von Cosima durchwegs sehr einfach und leicht lesbar wiedergegeben worden. Eine einzige Probe möge ihre Arbeitsweise veranschaulichen.

Der Verheißungsspruch im »Parsifal« lautet:

»Durch Mitleid wissend,
der reine Tor,
harre sein,
den ich erkor.«

Cosima stellt zunächst die natürliche deutsche Wortfolge wieder her: »Harre dessen, den ich erkor: des durch Mitleid wissenden reinen Toren« und formt sie dann ins Französische um: » Attends celui que j'ai élu: l'être pur et ingénu, clairvoyant par la pitié.« Das »durch Mitleid wissend« hat ihr anscheinend einiges Kopfzerbrechen gekostet. Zuerst schrieb sie: » auquel la pitié confère le savoir.« Hierauf wählte sie die Fassung: » qui possède la science par la pitié.« Endlich fand sie die dritte, endgültige Form, in der das nüchterne und daher mißverständliche » possède la science« (besitzt das Wissen) durch das gehobene » clairvoyant« (wissend-hellsichtig) ersetzt wurde.

1893 erschien die französische Übersetzung von Judith Gautier, worin bereits die Versform der Wagnerschen Dichtung nachgeahmt war. Hier lautet der Verheißungsspruch:

» Par compassion sachant,
le candide Fo!:
attends-le,
celui que j'ai élu.
«

Eine spätere, 1914 erschienene Übersetzung von Judith Gautier und Maurice Kufferath hatte angeblich den Zweck, die ursprüngliche Fassung der Gautierschen Arbeit mit der Partitur in genauere Übereinstimmung zu bringen. Dabei ist der Verheißungsspruch merkwürdig geändert worden, ohne daß uns die Anpassung an die Partitur einleuchten würde:

» Par la souffrance
un simple instruit
doit venir;
espère en lui.
«

Im Wagner-Museum zu Eisenach und in der Richard-Wagner-Gedenkstätte in Bayreuth finden sich auch noch französische Übersetzungen von Jules de Brayer (1879), von Jacques d'Offoel (1895), von A. Delpit (1896), von Emile Rondie (1914), von Victor Wilder (ohne Jahreszahl) und von Alfred Ernst (ohne Jahreszahl). Viel heißes und vergebliches Bemühen! Da und dort etwas Schönes und Treffliches, doch ebenso oft etwas ganz Sonderbares oder höchst Unzulängliches. Ein genauer Vergleich ergibt, daß der Geist der Dichtung nur von Cosima rein erfaßt wurde. Die Rücksicht auf die Partitur ist überflüssig. Der »Parsifal« braucht in keiner fremden Sprache gesungen zu werden.

S. 372. Im Jahre 1928, als der letzte Sproß der Familie Am Rhyn gestorben war, erwarb die Stadt Luzern um einen hohen Preis das Landgut Triebschen und widmete es dem dauernden Andenken an den einstigen Aufenthalt Richard Wagners und Cosimas. Im Erdgeschosse wurde ein Museum eingerichtet, das hauptsächlich Gemälde, Einrichtungsstücke und Handschriften birgt, die mit jenem Aufenthalte in Zusammenhang stehen. Im oberen Stockwerke aber finden nunmehr die Nachkommen Cosimas einen Feriensitz, der für sie zugleich mit den bedeutsamsten Erinnerungen verknüpft ist. So ist Triebschen kein verlorenes Paradies mehr, sondern der Familie selbst zurückgewonnen und der lebendigen Wagner-Pflege geweiht.

S. 435. Die Persönlichkeit Wilhelms I. war für Cosima ein Gegenstand besonderer Verehrung. Nach seinem Tode schrieb sie an Marie Schleinitz: »Durch seine Schlichtheit reiht sich Kaiser Wilhelm den Helden an und ich bin überzeugt, daß die Größten unter ihnen, wie Gustav Adolf und Bernhard von Weimar, welche in einer heroisch tragischen Lebensbahn einem Glauben und einer Idee ein Genie weihten und ihr Leben opferten, ihn, dessen Leben und Wesen durchaus verschieden von dem ihrigen war, dieser Schlichtheit halber als ihresgleichen begrüßt hätten, was sie gewiß mit Napoleon nicht getan hätten. Ja, ich gehe in der Würdigung dieser seltenen Eigenschaft so weit, daß mir bei der Betrachtung dieser greisen Erscheinung Titurel in den Sinn kam. Gott selbst gab sich in die Hut des Gralskönigs. Etwas Göttliches – die deutsche Idee – wurde in die Hut des preußischen Herrn gegeben. Die Einfalt, von welcher es heißt, daß sie mit der Reinheit des Herzens der Flügel ist, der uns zum Himmel trägt, sie hat vor allem, so dünkt mich, Titurel zu seinem sagenhaften Amte geführt. Nicht minder verdankt es König Wilhelm seiner einfältigen Gottesfürchtigkeit, daß er dazu berufen war, etwas zu verwirklichen, zu gründen und zu festigen, was ohne seine Persönlichkeit ein Luftgebilde geblieben wäre. Sehen wir uns in unserer Zeit um, betrachten wir die vollzogenen Kreuzungen und Mischungen überall, welche gar keine deutliche Physiognomie aufkommen lassen, vernehmen wir die hohlen Redensarten, mit welchen beinahe alle ernsten Fragen behandelt werden, sehen wir, wie das, was des Deutschen Größe ausmacht, der religiöse Grundzug des Charakters, so gut wie gar nicht mehr vorhanden ist, so können wir nicht genug über das, was sich in der Persönlichkeit des Kaisers so unverkennbar aussprach, staunen. Echtheit des Stammes, Schlichtheit des Wesens, Gottesfürchtigkeit, Gradheit des Sinnes, Wahrhaftigkeit in Wort und Tat, sie wirken geradewegs mythisch, und sind von so entscheidendem Wert, daß die sonstigen wirklich hoch zu schätzenden Gaben des genialen Geistes uns gleichsam nur wie das dekorative Beiwerk des Grundbaues erscheinen. Auch verliehen sie ihm eine Naivität des Gebarens, welche seinen Äußerungen oftmals das Gepräge der Genialität gaben. Was er dem deutschen Volke gewesen ist, ist meines Erachtens unermeßlich.«

S. 458. Das Dankschreiben Cosimas an die Berliner Universität vom 17. Oktober 1910 (Entwurf in der Richard-Wagner-Gedenkstätte in Bayreuth, Reinschrift im Dekanat der philosophischen Fakultät in Berlin) zeigt die Schriftzüge Eva Chamberlains und hat folgenden Wortlaut:

 

»Hochzuverehrende Herren!

Ich erhalte das Diplom, welches mir anzeigt, daß ich bei Gelegenheit einer bedeutungsvollen Feier unter außerordentlichen Umständen von der hohen philosophischen Fakultät der Universität Berlin zum Ehrendoktor ernannt worden bin, und das in einer Fassung, welche die Stellung unseres Kunstwerkes in der gebildeten Welt auf das Edelste und Bestimmteste kennzeichnet.

Könnte ich mir Verdienste zuerkennen, so würde ich mich durch diese Ehrung
seitens einer auserlesenen Körperschaft, in welcher man eine Trägerin der deutschen Kultur verehrungsvoll zu erblicken hat, stolz fühlen. Ich verstehe aber die seltene Kundgebung und weiß, daß sie der geweihten Kunststätte gilt, welcher ich angehöre, und so fühle ich mich ergriffen, erhoben, ja im würdigsten Sinne beglückt. Wer die Geschichte des Festspielhauses kennt, wird den Charakter meines Eindruckes und meiner Empfindung sich vorstellen.

Für die aus ihnen entsprießende Dankbarkeit finde ich die mir entsprechenden Worte nicht. So rufe ich das Wohlwollen an, welches mir bereits in überreichem Maße zuteil wurde, um die Dürftigkeit dieser Zeilen mit Freundlichkeit aufzunehmen, indem ich bewegten Gemütes, in feierlicher Stimmung, Sie der ernsten, fest begründeten Gesinnung versichere, mit welcher ich die Ehre habe zu sein,

hochzuverehrende Herren und Gönner,
Ihre in tiefer Erkenntlichkeit
verbundene und ergebene

Cosima Wagner.«

 

S. 464. Wie berechtigt die Sorge um den frei gewordenen »Parsifal« war, das erhellt mit erschreckender Deutlichkeit aus einer Nachricht der Neuen Freien Presse vom 30. April 1937 über die neueste Londoner Darbietung des Werkes. Der Wortlaut sei hier ohne jeden Zusatz und ohne Sperrdruck, nur mit Weglassung der Mitwirkenden, wiedergegeben.

»Dieser Tage fand eine festliche Aufführung im Covent Garden statt, festlich, wie jetzt alle Veranstaltungen in Großbritannien … Das ausverkaufte Haus bereitete der ausgezeichneten Aufführung einen überaus herzlichen Erfolg. Es war nicht nur ein künstlerisches, sondern auch ein gesellschaftliches Ereignis ersten Ranges. Es blitzte in dem riesigen Hause nur so von Brillanten, Diademen, Tiaren sowie Halsketten und die Auffahrt war eine Schau, die ganze Reihen von bewundernden Zuschauern auf den Straßen entstehen ließ. Der Beginn der Vorstellung war auf 18 Uhr angesetzt worden, so daß sich der Zug der Autos, die nach Covent Garden fuhren, noch am hellichten Tage bewegte und der Juwelen- und Toilettenluxus der Damen im Fond der Wagen allen Passanten sichtbar war. Um 19.30 fand die große Pause statt, die von den Zuschauern benützt wurde, um ihr Abendbrot einzunehmen. Nur der kleinste Teil erhielt es an dem Büfett des Theaters, das in eine weitläufige Bar verwandelt worden war. Zu viel Menschen drängten sich hier, als daß es möglich gewesen wäre, auch nur einen Teil von ihnen mit Speisen und Getränken zu versehen. Viele schienen diese Schwierigkeiten vorausgesehen zu haben und hatten sich deshalb ihr Essen in den Autos mitgebracht, in denen sich jetzt ein fröhliches Picknicktreiben entwickelte. Aus zahlreichen Wagen hörte man das Knallen der Champagnerflaschenpfropfen und die Insassen der verschiedenen Autos tranken einander über den Parkplatz zu. Schnell hatte sich das Gerücht von dem Mahl unter freiem Himmel in der Umgebung von Covent Garden herumgesprochen und bald erschienen an den Türen der Wagen die Nachbarn. Es entspannen sich Gespräche und schließlich wurden die neuen Bekannten zu einem Glase Champagner und Sandwiches eingeladen. Eine Viertelstunde später sah man auf dem ganzen großen Parkplatz essende und trinkende Menschen, und alle natürlich in der besten Stimmung. Als schließlich die Pause beendet war, herrschte allgemein Betrübnis über das plötzliche Ende des improvisierten Festes. Die Damen in ihren kostbaren Abendtoiletten und Pelzen und Juwelen, die Herren in ihren Fracks gingen wieder in das Theater auf ihre Plätze zurück. Nach 23 Uhr war die Vorstellung zu Ende.«


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