Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
1911, zum 100. Geburtstage Liszts, erschien ein Buch, betitelt: » Franz Liszt, ein Gedenkblatt von seiner Tochter; Karl Klindworth, dem würdigsten Jünger Franz Liszts, freundschaftlich zugeeignet.« Es war dies das letzte oder, wenn man will, auch das erste schriftstellerische Erzeugnis, mit dem Cosima vor die Öffentlichkeit trat. Denn zum ersten Male hatte sie zwar noch immer nicht ihren Namen genannt, aber doch über die Urheberschaft keinen Zweifel gelassen. Die Tochter Liszts gab ein ergreifendes Bild von dem menschlichen und geistigen Wesen ihres Vaters, ergreifend nicht nur durch das Tatsächliche, aus persönlichster Kenntnis Mitgeteilte, sondern auch durch die Art der Darstellung. Wie sie sprach, so schrieb Cosima. Sie sagte »Selbstgedachtes in der größten Einfachheit«, mit einer »Vornehmheit und Größe«, die den Leser ganz gefangen nimmt. An manchen Stellen aber legte sie ein Selbstbekenntnis ab.
Die Schrift hatte nämlich eine besondere Veranlassung. Fürstin Carolyne Wittgenstein war am 8. März 1887 in Rom gestorben, hatte demnach Liszt nur um drei viertel Jahre überlebt. Bald nach ihrem Tode begannen die von La Mara herausgegebenen Briefe Liszts an die Verstorbene zu erscheinen. Die vier stattlichen Bände, in denen diese vielen Hunderte von Briefen vereint sind, enthalten nicht ein einziges Schreiben der Fürstin. Doch die ausführlichen Mitteilungen Liszts, der von allen seinen Reisen, Erlebnissen und Begegnungen, auch von den kleinsten und nichtigsten, fortlaufend berichtet, wecken den Eindruck, daß er der Freundin grenzenlos ergeben war und sie niemals ohne schwerwiegenden Grund verstimmen oder beunruhigen wollte. Um so schärfer treten jene Briefstellen hervor, in denen er sich von einem Drucke zu befreien scheint und gleichsam mit der Fürstin zu hadern beginnt, wie namentlich in den Auseinandersetzungen über sein Verhältnis zu Richard Wagner. Auch dann fehlt aber nie eine zärtliche Beteuerung oder ein Ausdruck begütigender Liebe. Kurz: »Er erscheint als der Gelenkte und sie war die Lenkerin, und dies ist natürlich.« Mit diesen Worten begann Cosima ihre Betrachtung des eigenartigen Seelenbundes, mit der sie die Briefe zu ergänzen und in ein klares Licht zu rücken suchte. Ihre Arbeit war schon um die Jahrhundertwende in den »Bayreuther Blättern«, noch vor dem Abschlusse der Briefausgabe, erschienen und erhielt besonderen Wert durch die von Cosima selbst zum ersten Male bekanntgegebenen Briefe und Aussprüche, die in der Buchausgabe von 1911 um einen neuen Abschnitt vermehrt wurden. Cosima nimmt also besonders auf die Fürstin und auf die an sie gerichteten Briefe Bezug. Über die Gegensätze, die zwischen ihr und Cosima bestanden hatten, geht diese um so unmerklicher hinweg, als ja die Schrift keinen Namen trägt und nicht in der Ichform verfaßt ist. Aber auch den von Cosima bedauerten allzu starken Einfluß der Fürstin auf den Mann, dem sie »ihr Vaterland, ihre Tätigkeit auf ihren Gütern, ihre angesehene Stellung, ja … ihren Ruf« geopfert und um dessen willen sie »einen Kampf mit den tyrannischesten Mächten, zugleich mit den kleinlichsten Schwierigkeiten, in bewunderungswürdiger Weise aufgenommen und durchgeführt hat« – auch diesen Einfluß deutet die Verfasserin zugunsten der Frau, die ihrer Sendung im hohen Maße gerecht geworden ist. Mit zartester Teilnahme schildert Cosima die Persönlichkeit und das Schicksal der Fürstin, und sie findet da ein Wort, das aus der tiefsten eigenen Erfahrung geschöpft ist, das sie wie zu ihrer eigenen Rechtfertigung niederschreibt. Sie meint, daß Carolyne Wittgenstein das Schwerste nicht erspart geblieben sei: »daß ihr in trostlosen Augenblicken Zweifel an ihrer Bestimmung selbst in der Seele aufstiegen, wie sie über jeden Menschen verhängt werden, der es wagt, feste Bande zugunsten eines höheren Berufes mit heiligem Mut zu lösen.« Der handschriftliche Entwurf in der Richard-Wagner-Gedenkstätte zeigt uns, daß Cosima um die rechte Prägung dieses Satzes gerungen hat, daß sie nicht sogleich die Wendung fand, die ihre Empfindung am reinsten aussprach. In diesem Satze ist aber der Kern der Schrift enthalten. Cosima fühlte sich als Schicksalsgenossin der Fürstin, allerdings bevorzugt und begnadet: ihr höherer Beruf war von der Welt erkannt worden, ihr heiliger Mut hatte das Ziel erreicht; die Fürstin war gescheitert. Das tiefste Verständnis, nicht nur für Liszt, sondern auch für seine Freundin, und der Wunsch, auch dieser ein kleines, aber würdiges und eindrucksvolles Denkmal zu errichten, hat die Schrift eingegeben und veranlaßt.
Nun handelte es sich aber hier um Briefe, und zum größten Teil um solche, die gewiß nie für die Öffentlichkeit bestimmt waren, die dem innersten Seelenleben der Beteiligten Worte gaben. Solche Veröffentlichungen waren nicht nach dem Sinne Cosimas. Sie selbst spricht gleich zu Beginn von zwei Auffassungen, die sich unversöhnlich gegenüberstehen. Die eine verwirft solche Briefsammlungen ganz und gar, da »Intimitäten« vor der Öffentlichkeit nichts zu suchen hätten und da es sogar »ein Unrecht gegen die Verfasser vertraulicher Briefe sowohl, als gegen die in diesen Briefen Erwähnten« sei, wenn sie »ungefragt gleichsam bloßgestellt« werden. Diese Auffassung »leugnet, daß der bedeutende Mensch dadurch besser gekannt werde«, sie meint vielmehr, »daß durch das vordringliche des Einzelnen, unvermeidlich Kleinlichen das Bild der Größe, welches wir durch die Kenntnis der Werke, der Gedanken und der Taten erhalten, Einbuße erleide«. Für diesen einen Fall – Liszts Briefe an die Fürstin – muß sie sich freilich auch mit der anderen Meinung abfinden, die dahingeht, »daß die wirkliche Kenntnis der Persönlichkeit eines bedeutenden Mannes solche Veröffentlichungen geradezu erheische, daß man dieser Kenntnis das Opfer der Diskretion zu bringen habe und sich nicht darum kümmern dürfe, ob Zartgefühl und ehrerbietige Scheu vor dem Menschen, dessen Herzensgeheimnisse man der grellen Beleuchtung der Öffentlichkeit aussetzt, gekränkt werde«. Wir wissen sehr genau, daß sie sich eben nur in diesem einen Falle und widerstrebend dazu bequemt hat, die zweite Ansicht als eine immerhin mögliche und in sich berechtigte anzuerkennen.
Sie suchte immer einen klaren Trennungsstrich zu ziehen zwischen den Werken und Taten auf der einen und den Herzensgeheimnissen auf der anderen Seite. Sie wußte, daß das Seelenleben der Größten noch schlimmer verkannt und noch ungerechter beurteilt wird, als das irgendeines unbedeutenden Menschen, und daß die Welt einen lasterhaften Hang besitzt, jedem Großen etwas Kleines, eine sogenannte menschliche Schwäche nachweisen zu können – wobei die Nörgler und Splitterrichter sich selbst zum Maßstab nehmen und das Menschliche mit dem Schwachen förmlich gleichsetzen. Mit ihrer ehrfürchtigen Liebe zum Meister war aber auch das Gefühl der Demut verbunden, das sie stets davon abhielt, den eigenen Wert hervorzukehren, und das sie sogar veranlaßte, ihren Namen zu verschweigen, wenn er nur die Sache bezeichnen sollte, der sie diente. So hat sie denn bei der von ihr selbst besorgten Ausgabe der Lebenserinnerungen des Meisters und seiner Briefe an Liszt und andere Freunde manches gänzlich unterdrückt, manche Namen unkenntlich gemacht und dabei auch die sorgsamste Rücksicht auf alle noch Lebenden, in irgendeinem Zusammenhange Erwähnten bewiesen. Als La Mara (Marie Lipsius) den Briefwechsel zwischen Liszt und Bülow, als die Witwe Bülows dessen Leben in Briefen herausgab, da geriet Cosima zeitweilig in große Bekümmernis, weil schon die Absicht einer tunlichst vollständigen Ausgabe ihrem Gefühle widersprach und weil bestimmte Einzelheiten ihr geradezu als eine Verfehlung der Herausgeberinnen erschienen. In einem Falle, der für Karl Klindworth vielleicht etwas kränkend sein mochte, hat sie teils persönlich, teils durch Henry Thode einen ziemlich erregten Briefwechsel mit Frau von Bülow geführt und hierbei mit Rücksicht darauf, daß Auslassungen und Abkürzungen, wenn sie als solche kenntlich sind, erst recht schaden können, auch eine Umbildung des Wortlautes vorgeschlagen.
Ein solcher Vorgang widerstreitet nun allerdings den Forderungen, die wir an eine treue und zuverlässige Wiedergabe der veröffentlichten Briefe stellen müssen. Die Frage, ob der Zeitpunkt der Veröffentlichung für diese oder jene Stelle bereits gekommen sei, und die andere, grundsätzliche Frage, wie die »Werke, Gedanken und Taten«, das bereits geschichtlich Gewordene, von den »Herzensgeheimnissen«, von dem rein Persönlichen abzugrenzen seien, sind noch nie eindeutig entschieden worden. Der Künstler selbst darf wohl erwarten, daß man sich mit seinen Werken begnüge und sich um sein Privatleben nicht bekümmere; seine Werke aber sind doch nichts anderes als die Frucht seines Lebens, »Bruchstücke einer großen Konfession«, und wenn je ein Künstler nur geschaffen hat, um seinen Lebensdrang zu äußern und sein innerstes Wollen zu offenbaren, so war es Richard Wagner. Wie nun aber dieser Künstler es verstanden hat, das Erlebte und Persönliche in seiner Kunst zum allgemein gültigen und unmittelbar verständlichen Bilde zu formen, so wollte auch Cosima die Erhabenheit ihres Gatten nur in diesem Bilde verkörpert sehen und jeder Möglichkeit einer Verkennung, einer Herabsetzung, einer Verquickung seiner Kunst mit menschlichen Streitigkeiten und Widersprüchen, nach Möglichkeit begegnen.
Es ist klar, daß ein solcher Standpunkt nie unverrückbar sein kann: je weiter die Zeit fortschreitet, je weniger Beteiligte noch am Leben sind, desto unwichtiger oder harmloser werden die Einzelheiten für die Betrachtung der später Geborenen oder desto klarer lassen sie sich im Wesentlichen erkennen, nicht mehr entstellt und gefärbt durch Vorurteile und Empfindlichkeiten. Eines aber bleibt unanfechtbar: nur die Beteiligten selbst können darüber entscheiden, ob ihnen eine Veröffentlichung erwünscht oder peinlich wäre; kein anderer Mensch hat das Recht, ihnen vorzuschreiben, wieweit in dieser Hinsicht ihre Feinfühligkeit oder ihr Stolz gehen darf. Cosima hat dies in einem Briefe an Frau von Bülow sehr klar und bestimmt zum Ausdruck gebracht und dabei auch ganz genau bezeichnet, was sie unter »intimen« Mitteilungen verstand, die nach ihrer Auffassung vor der Öffentlichkeit und der dadurch bewirkten Erörterung bewahrt bleiben sollten: »Unter ›intim‹ verstehe ich … die Mitteilung von Gefühlen, die nur zwei Menschen angehen, so lange der eine noch lebt.« Eine solche Mitteilung ist natürlich an Tatsachen geknüpft, und auch diese sind dann »intim«, es sollte nicht von ihnen die Rede sein.
Indem Cosima diesen Standpunkt verfocht, gedachte sie wohl des vornehmen Taktes, mit dem in den Tagen der Münchner Schicksalswende und auch später, wenn es sich um die Rechte ihrer Kinder handelte, alle unmittelbar Beteiligten das »Intime« vor der Welt gänzlich ausschalteten und immer nur einen Zustand herzustellen suchten, der die Außenwelt befriedigen konnte, ohne dabei den Gefühlen der Handelnden und Leidenden Zwang anzutun. Dies war in vorbildlicher Weise gelungen beim Zusammenleben der Kinder im Hause Wagners, wobei nie ein Unterschied gemacht wurde und infolgedessen auch die Geschwisterliebe sich ganz rein und schön entfalten konnte. Der Gatte Isoldens, Franz Beidler, stand aber außerhalb des engsten Kreises, und da seine Zusammenarbeit mit Siegfried Wagner nicht von dem rechten Bayreuther Geiste getragen war, so ergaben sich alsbald persönliche Reibungen. Als Beidler durch seinen Mangel an selbstloser Unterordnung einmal beinahe eine Vorstellung verhindert hätte, schrieb ihm Siegfried: »Ich kann leider das bedrückende Gefühl nicht los werden, daß es mir scheinen will, als ob es Dir nicht viel Schmerz verursachen würde, wenn unser Festspielhaus eines schönen Tages nicht mehr spielte … Du kennst weder die Gesammelten Schriften, noch die Biographie meines Vaters, Du weißt also von dem, was Bayreuth ist, so gut wie nichts.«
Bei der untrennbaren Zusammengehörigkeit Siegfrieds mit seiner Mutter entwickelte sich naturgemäß auch ein gespanntes Verhältnis Beidlers zum Hause Wahnfried, wobei Isolde, die nicht mehr im mütterlichen Hause wohnte, pflichtgemäß zum Gatten neigte, dadurch aber auch in einen inneren Zwiespalt geriet, da sie mit heißer Liebe an ihrer Mutter hing. Cosima, deren Gesundheit schwer unter diesen Aufregungen litt, suchte den offenen Streit zu verhindern und schrieb an Isolde schon im Jahre 1905: »Laß uns getrennt sein, um verbunden zu bleiben. In meinem Alter, bei meinen Sorgen bedarf man des Friedens, des Vertrauens, des Wohlwollens, der Freundlichkeit, des Verkehres mit den hohen Geistern, welche uns die Wege wiesen, der Sammlung. In Deiner Natur lag alles, dessen ich jetzt bedarf. Du bist Dir selbst entfremdet, Du wirst aber die Kraft der Wiedergeburt Deines eigenen Wesens erringen.«
Doch das Jahr 1913 bewirkte eine unheilvolle Wendung im Verhältnisse der Tochter zur Mutter. In diesem Jahre ging die Schutzfrist zu Ende, und es wurde nicht nur der »Parsifal« frei, sondern es hörten auch die Einnahmen von allen übrigen Werken auf, und die Erben waren nunmehr auf ihr bereits erworbenes Vermögen angewiesen. Als Kinder Wagners kamen, wie wir wissen, vor dem Gesetze nur Eva und Siegfried in Betracht. Die Töchter Bülows hatten ihr eigenes Vermögen. Isolde hatte die Erbschaft Bülows angenommen, hatte sich immer selbst mit dem Namen Bülow unterschrieben; bei ihrer Verehelichung mit Beidler war vereinbart worden, daß sie genau wie die übrigen Töchter Cosimas noch einen Zuschuß von jährlich 10 000 Mark erhalten sollte. Ohne Rücksicht auf diese Vereinbarung hat aber Isolde Beidler immer das erhalten, was sie brauchte oder verlangte, in den Jahren 1910-13 bis gegen 30 000 Mark. Die Trennung und Entfremdung war also nie ziffernmäßig zum Ausdruck gekommen: Isolde bezog das Gehalt eines bayerischen Ministers und in Wahrheit bedeutend mehr als ihre Schwester Eva. Trotzdem begehrte sie im Jahre 1913 förmliche und dauernde Gleichstellung mit ihren Geschwistern Siegfried und Eva, und zwar unter ausdrücklicher Berufung darauf, daß sie die Tochter Richard Wagners sei. Sie forderte, daß Siegfried, Eva und Cosima dies »klipp und klar« anzuerkennen hätten.
Jeder, der Isolde gekannt hat, jeder, der sich in ihre Lage hineinzudenken vermag, wird das deutliche Gefühl haben, daß hier nicht ein gewöhnlicher Erbschaftsstreit in Gang kommen sollte, daß es sich nicht vor allem um Geld handelte. Inwieweit für Beidler die Geldfrage das Wichtigste war und inwieweit seine Frau durch ihn beeinflußt oder aufgestachelt wurde, entzieht sich unserer Kenntnis und ist auch nicht das Entscheidende. Denn wenn sich Isolde darüber klarwurde, daß infolge des Ablaufes der Schutzfrist zwischen den Töchtern Bülows und Wagners vermögensrechtlich genauer unterschieden werden mußte, dann konnte in ihr wohl der berechtigte Stolz auf ihre Abstammung zum herrschenden Gefühle werden und ihre fernere Haltung bestimmen. Es ging für sie nicht um ihr Einkommen, sondern um ihren Namen; für ihren Sohn nicht um das Erbe des Vermögens, sondern um das des Blutes. Aber es war das Häßliche und Tragische, daß dieses Gefühl nun auf einmal so unvermittelt hervorbrach und in unlöslicher Verquickung mit den Vermögensfragen Forderungen stellte, die auf die Gefühle Cosimas, auf deren Wunsch nach Frieden, Vertrauen, Wohlwollen und Freundlichkeit keine Rücksicht nahmen, ja daß Isolde der Mutter das Ärgste antun konnte, daß sie das »Intimste«, das für diese das Heiligste war, vor die Öffentlichkeit zerrte.
Umsonst hatte Siegfried der Schwester eine jährliche Zuwendung von 22 000 Mark, außerdem die Bestreitung der Wohnungsmiete, die Bestreitung einer Kur in Davos für sie und ihren Sohn und die Bestreitung der Erziehung des Sohnes in einem Internat, endlich auch die Beistellung eines Rechtsanwaltes in allen erforderlichen Fällen angeboten; allerdings ohne Anerkennung einer Verpflichtung und nur für sich und nicht für unbekannte Nachfolger. Isolde blieb bei ihrem Begehren und drohte für den Fall der Ablehnung mit einem »unvermeidlichen Prozesse, der einen dauernden, nie wieder auslöschbaren Makel für den Namen Wagner brächte«. Darauf hatte Cosima nur dieselbe Antwort, die – Liszt erteilt haben würde, wir sehen ihn vor uns in seiner Hoheit und Unnahbarkeit, wenn wir die Zeilen seiner Tochter lesen, in denen sie sich so recht wieder als sein »Ebenbild« kundtat:
»Mein Kind, Deinen Brief und die Einlage habe ich persönlich empfangen. Du hast dadurch eine Lage geschaffen, die nur durch einen Rechtsanwalt weiterzuführen möglich ist. Ich habe daher Brief und Einlage Herrn Justizrat Troll zukommen lassen und ihn mit der Erledigung beauftragt. Deine Mutter Cosima Wagner.«
Damit war der Prozeß in der Tat unvermeidlich geworden, und er hatte den Erfolg, den jeder Rechtskundige voraussagen mußte: Isolde Beidler galt vor dem Gesetze als Tochter Bülows, da sie selbst nichts anderes beweisen konnte und bloße Meinungen oder Vermutungen keine rechtliche Wirkung haben.
Isolde Beidler, die nach ihren eigenen Worten für die Zukunft ihres Kindes kämpfte, die für sich, als schwer Erkrankte, nichts mehr ersehnte und erhoffte und die ihren Sieg, an dem sie bis zuletzt nicht zweifelte, als einen »traurigen« Sieg empfand, verdient unser tiefstes Mitgefühl; besonders wenn wir uns vor Augen halten, daß sie das Lieblingskind ihrer Mutter war! Aber die Art, wie sie gegen diese vorging oder wie mit ihrer Duldung von ihrem Rechtsbeistande und ihren Freunden vorgegangen wurde, richtete sich nicht nur gegen Cosima, sondern auch gegen Bayreuth, für das Beidler so wenig Sinn und Herz hatte. Mit einer Schadenfreude ohnegleichen bemächtigte sich der größte Teil der Presse des Familienzwistes, mit unerhörten Angriffen gegen Siegfried, der »seine Mutter vor Gericht zerre«, der »die deutsche Nation beleidige« usw., wobei immer wieder der Geiz und der Neid Siegfrieds und Cosimas als die Haupttriebfedern ihres Verhaltens dargestellt wurden; zur selben Zeit, als diese beiden eben im Begriffe waren, das Festspielhaus mit den dazugehörigen Grundstücken, alle Gegenstände, die zum Festspielhause und zu dessen Wirtschaftsbetriebe gehören, das Haus Wahnfried mit allen seinen handschriftlichen Schätzen, allen seinen Andenken und Erinnerungen, und alle Einnahmen der Festspiele als Stiftung dem deutschen Volke zu überweisen.
Zum Dank dafür wurde jetzt Wahnfried mit Schmähschriften und unflätigen Briefen überschwemmt, 400 bestellte Festspielkarten wurden zurückgeschickt, im In- und Auslande sollte die Meinung verbreitet werden, daß der Prozeß leicht vermeidbar gewesen sei und daß nur die schmutzigsten Beweggründe die Feindseligkeiten verschuldet hätten. Gleichzeitig aber war auch wieder von der Baufälligkeit des Festspielhauses die Rede! Man kann sich ungefähr vorstellen, wie es Bayreuth ergangen wäre, wenn Isolde wirklich gesiegt hätte. Und man steht bewundernd vor der antiken Größe, mit der Cosima keiner Nachsicht und keiner Empörung, weder ihrer mütterlichen Zuneigung noch ihrem gekränkten Ehrgefühle auch nur vorübergehende Herrschaft einräumte und ohne ein Wort der Klage oder des Zornes sich so verhielt, wie es einzig möglich war, wenn sie nicht ihr ganzes bisheriges Leben preisgeben und sich der Willkür ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes unterwerfen wollte.
Wir staunen aber auch über ihre Lebenskraft und erkennen wieder die großen Verdienste Schweningers: ihr Gesundheitszustand hat weder unter dem Eindrucke des Familienzwistes, noch unter der sie leidenschaftlich erfüllenden Sorge um das Schicksal des »Parsifal« weiterhin gelitten. Sie lebte noch siebzehn Jahre.
Der von Isolde Beidler angestrengte Prozeß, der im Sommer 1914 zu Ende ging, wurde allerdings sehr bald aus dem allgemeinen Bewußtsein verdrängt durch ein größeres, für Volk und Reich tragisches Geschehen, durch den Ausbruch des Weltkrieges. Mitten hinein in die kaum begonnenen Festspiele dröhnte die Kriegserklärung. Die Mitwirkenden und die Besucher stoben auseinander, und der Kunsttempel war verwaist. Volle zehn Jahre blieb er geschlossen. Mit einer Zähigkeit und Ausdauer, einer Klugheit und Geschicklichkeit ohnegleichen hat Siegfried Wagner die Wiederaufnahme der Festspiele im Jahre 1924, trotz allem Elend, das inzwischen über Deutschland gekommen, ermöglicht und die Spiele sehr bald auch zur einstigen Höhe emporgeführt. Er hat damit dem Willen und der Kraft des Volkes zum Wiederaufstieg einen weithin sichtbaren, beispielhaften Ausdruck gegeben.
Cosima hat dies alles noch miterlebt und sie ist schon im ersten Kriegsjahre durch ihren Sohn besonders reich beglückt worden. Am 22. September 1915 vermählte sich Siegfried in Bayreuth mit Winifred Williams, einer verwaisten jungen Engländerin, die in Berlin im Hause Karl Klindworths, ihres Adoptivvaters, aufgewachsen und so schon früh mit Wagner und mit Bayreuth vertraut geworden war. 1914 war sie zu den Festspielen gekommen, und wenn diese ein jähes Ende fanden, so ist der Bund der Herzen dafür um so enger geschlossen worden. Siegfried nannte sich einen »Kriegsgewinnler«, denn der Krieg hatte ihm »einen Gewinn gebracht, tausendmal mehr wert als alle Schätze, die viele andere sich in dieser Zeit errafften: ein liebendes Herz«.
Am 5. Januar 1917 wurde dem Paare der erste Sohn geboren, der künftige Erbe von Bayreuth; dem Ältesten, Wieland, folgten noch Friedelind, Wolfgang und Verena, die Jüngste, in deren Namen die dankbare Erinnerung an die treue Dienerin und Hausgenossin von Triebschen fortlebt.
So hörte Wahnfried nicht auf zu blühen und zu wachsen, und jeden Verlust suchte ein freundliches Geschick durch einen neuen Gewinn auszugleichen.
1911 war Mottl gestorben, 1912 die Gräfin Marie Wolkenstein, der in den »Bayreuther Blättern« ein Nachruf gewidmet wurde, in dem wir die Stimme Cosimas erkennen. Im selben Jahre hatte Richter, der von Wien nach England und endlich, zur Ruhe von seiner erfolgreichen Tätigkeit, nach Bayreuth übergesiedelt war, zum letzten Male die »Meistersinger« dirigiert. 1916 starb auch er, und ebenso Karl Klindworth. Es gab fast keinen Mitkämpfer mehr aus alter Zeit. Glasenapp war 1915 dahingegangen. Nur Wolzogen stellte noch die lebendige Verbindung mit dem Meister und mit der Frühzeit von Bayreuth her. Aber wenige Schritte von ihm und von Cosima wohnte Chamberlain, der jetzt von einem rätselhaften Geschick betroffen wurde.
Während des Krieges hatte er das deutsche Volk bis weit ins Feindesland und in die Schützengräben hinein mit seinen Kriegsaufsätzen erhoben und begeistert. Um dieselbe Zeit aber war er, als Engländer im Herzen Deutschlands, der Spionage verdächtig! Gegen diese Beschuldigung erhob er den kräftigsten Einspruch und verlangte »öffentliche Satisfaktion … mit einer halben gebe ich mich nicht zufrieden … Geschieht das nicht, so bleibt mir nichts anderes übrig, als Deutschland zu verlassen, und welche Katastrophe dies für meinen Lebensabend bedeutet, können Sie sich leicht zusammenreimen … Und was soll meine geliebte Gattin tun? Folgt sie mir, so opfert sie ihre hohe unvergleichliche Mutter, welche sie allein zu pflegen weiß, bleibt sie bei ihrer Mutter, so opfert sie mein Glück.« Im übrigen machte er allen Verdächtigungen dadurch ein Ende, daß er sich um die deutsche Staatsbürgerschaft bewarb. Auch dieses tätige Bekenntnis zu dem Volke, in dem er lebte und dem er seit seiner Jugend angehören wollte, wurde ihm schwergemacht. Seine freundschaftlichen Beziehungen zu Kaiser Wilhelm II., der ihn auch für seine Kriegsaufsätze ausgezeichnet hatte, erleichterten ihm wenigstens den Verkehr mit den mißtrauischen Behörden. Dafür jedoch verlor er sein englisches Vermögen und erwarb die Feindschaft seiner englischen Verwandten, die ihn als Abgefallenen, als Verräter preisgaben – ein Vorwurf, den so manche Auch-Deutsche mit Behagen sich zu eigen machten. Gott selbst aber verhängte jetzt das Furchtbarste über ihn.
Im Jahre 1917 begann die unaufhaltsam fortschreitende vollständige Lähmung, die ihn aufs Siechbett warf und doch seiner Arbeitskraft nicht völlig beraubte. Zwar versagte sogar seine Stimme, aber sein Geist blieb kräftig und gesund, und mit Hilfe seiner Gattin, der er sich immer noch verständlich machen konnte, hat er bis zuletzt geschaffen und sein großes Vermächtnis an das deutsche Volk in hehrer Größe abgeschlossen.
Welche ungeheure Aufgabe war damit seiner Gattin aufgebürdet! Sie diente ja auch der Pflege ihrer Mutter, die, so lange es nur möglich war, den Schwiegersohn täglich besuchte. Doch es kam die Zeit, in der Cosima ihr Haus nicht mehr verlassen konnte, in der sie nur noch im Zimmer und auf dem Balkon mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart lebte. Die letzten zehn Jahre ihres Erdendaseins sind ein sanftes Hindämmern, eine allmähliche Loslösung von der Umgebung und der Wirklichkeit, nur selten unterbrochen von schweren körperlichen Anfällen. Das Hauptmerkmal dieser letzten Jahre ist die Heiterkeit und die Seelenruhe, gepaart mit einer wunderbaren Geistesklarheit, die noch immer in den zeitweilig sehr wachen Erinnerungen und in den Traumgesichten der Scheidenden sich beglückend aussprach. Daniela, deren Ehe zum Schmerze ihrer Mutter getrennt worden, war dadurch in die Lage versetzt, auch das Amt der Pflege bei der Mutter zu übernehmen, und indem nun beide Schwestern in der Sorge für das geliebte Haupt, soweit es nur ihre Zeit und ihre Kräfte gestatteten, miteinander wetteiferten, waren sie auch beide beflissen, die oft seherisch klingenden Worte der Mutter nachschreibend festzuhalten; Worte, in denen das ganze frühere Leben der Tochter Liszts, der Gattin Bülows und Wagners, ohne Schmerz und Bitterkeit, ohne Reu' und Leid sich den Kindern mitteilte.
Den Tod Isoldens, die am 7. Februar 1919 gestorben war, hatte man ihr geheimgehalten. Seit dem unseligen Zerwürfnisse waren Mutter und Tochter nicht mehr zusammengekommen. Aber Cosima, die immer weniger von der Gegenwart in sich aufnahm, gewann das traute Bild von einst und gedachte nur in Liebe der verlorenen Tochter.
Auch den Tod Chamberlains, der am 9. Januar 1927 seine große Seele aushauchte, hat sie nicht sogleich erfahren. Sie wähnte nach wie vor, der Teure sei nur krank und sie könne nicht zu ihm. Sie tröstete sich mit den Worten: »Man braucht sich eigentlich nicht zu sehen, man ist immer beisammen.« Das Gefühl einer leidvollen Trennung oder irgendwelcher widrigen Umstände hatte über sie keine Macht mehr. Sie schien wohl auch, wie es im hohen Alter nicht selten vorkommt, ohne Nachricht recht gut zu wissen, daß ihre Tochter und der Freund gestorben seien. Aber Tod und Leben waren für sie nicht mehr deutlich geschieden. Wie sie die Zeiten vertauschte, wie ihr die Jugend gegenwärtiger war als die letzten Jahre, so hätte sie auch schwer sagen können, wo sie jetzt daheim war; ob hier oder – dort, vielleicht nur zu Besuch in Wahnfried, um immer noch nach dem Rechten zu sehen.
So weilte ihr Geist oft im Festspielhause, und wie einst war sie um das Tänzerische, aber nur ja nicht Theatralische der Bewegungen besorgt. Von Bülow, dessen Tod ihr nicht mehr bewußt war, hoffte sie, er würde sich jetzt Bayreuth anschließen, er würde gemeinsam mit ihr arbeiten. Ein Vierteljahr vor ihrem Tode sagte sie: »Ist der Stil geschaffen, dann ist die Schlacht gewonnen. Die einzelnen Talente werden sich schon hervortun. Mir aber kam alles darauf an, einen Stil zu schaffen.«
Auch Frau Hofmann, die langjährige Gesellschafterin, und Fräulein Dora Glaser, durch dreißig Jahre die treueste Dienerin und die Mitpflegerin Cosimas, die den Töchtern das Schwerste abnahm und ihnen ihr Amt in allem erleichterte, und der zuletzt noch Fräulein Roedel zur Seite trat, auch diese alle haben uns Worte der Scheidenden und Verscheidenden durch die Töchter überliefert. Wenn Cosima in guter, lebhafter Stimmung war, dann hat sie ihre Umgebung hingerissen durch die Schönheit ihres Gesichtsausdruckes, durch den weichen, melodischen Ausdruck ihrer Stimme, durch ihre Erscheinung und Haltung, die bis zuletzt Anmut, Wärme und Adel vereinten. Das Bedeutendste, das sie sagte, hatte einen Ton der Entrücktheit, der Erdenferne, der zur Andacht stimmte. Wenn ihre Gedanken sich mit ihrer Tochter Eva beschäftigten, dann schien sie das Leid, das dieser auferlegt war, das Mit-Leiden mit dem rettungslos Erkrankten, als einen Segen zu empfinden: sie pries das höchste Glück, das in solchem Dienen, in solchem Allesgeben dem geliebten Manne, für eine Frau liege.
Cosima hatte von Liszt den tragischen Sinn geerbt, die nicht in den Erfahrungen, sondern im eigenen Wesen begründete tiefe Schwermut, die sich von den Gedanken der Schuld und der Erlösung nicht befreien kann und beide durch die religiöse Anschauung überwindet. Am Ende ihrer Tage jedoch sprach Cosima nur von der Freude des Lebens und von der Güte des Daseins. Am 16. Februar 1930 sagte sie: »Ich kann Gott gar nicht genug danken für das Glück, das mir wurde.« Am 31. März gegen Abend rief sie in Gegenwart beider Töchter: »Herrlich!« Dann freilich noch: »Schmerzen, Schmerzen!« Der letzte Zoll an das Leid.
Am 1. April 1930 ist die Zweiundneunzigjährige sanft hinübergeschlummert. In Koburg wurde ihr Sterbliches dem Feuer übergeben. Ihre Asche ruht im Grabe ihres Gatten, im Garten von Wahnfried.
Ihr Sohn weilte im Auslande, als sie starb. Er hat nicht mehr von ihr Abschied nehmen können. In grenzenloser Bestürzung eilte er nach Bayreuth und warf sich dort in die Festspielproben, vor allem in die zu »Tannhäuser«, der in diesem Jahre, unter der musikalischen Leitung Toscaninis, neu erstehen sollte. Wochenlang hat Siegfried täglich von sieben Uhr morgens bis Mitternacht gearbeitet. Diesen Anstrengungen und dem Seelenweh war sein Herz nicht gewachsen. Am 16. Juli wurde er ins Krankenhaus gebracht. Am Nachmittage des 4. August ist er dort ohne schmerzlichen Todeskampf verschieden. Die kundigste und sorgsamste Behandlung durch die Ärzte, die aufopfernde Hingebung der um ihn sorgenden und wachenden Gattin hatten ihn nicht mehr retten können. Auf dem städtischen Friedhofe, nahe bei Jean Paul, liegt er begraben. Wieder einmal und im höchsten Maße wurden die Festspiele zur Trauerfeier.
Wer dabei Cosimas gedachte, der konnte sich die Worte zu eigen machen, die Hans Thoma zum Beginne des Jahres 1903 an die Herrin von Wahnfried gerichtet hatte:
»Neben den Werken, die Du der Welt erhältst in ihrer Reinheit, wie sie aus dem Geiste des unsterblichen Meisters hervorgegangen sind, ist auch dies Dein Wirken und Schaffen zu einer Bedeutung erwachsen, das der Menschheit als leuchtendes Beispiel der Treue nicht verlorengehen kann.«